Kandinsky 2 - Zeichen der Zeit erkannt

Kandinsky, ein Shareware-Zeichenprogramm, ist mittlerweile schon seit einigen Jahren auf dem Markt und wurde immer wieder erweitert und an den Stand der Technik angepaßt. Das Erscheinen der neuen Version 2.03 nehmen wir zum Anlaß, diese sichtbar gereifte Software einmal genau unter die Lupe zu nehmen.

Bei Kandinsky handelt es sich um ein objektorientiertes Zeichenprogramm. Dies bedeutet, daß alle grafischen Elemente Ihrer Zeichnung sich aus Vektorzügen zusammensetzen und nicht, wie bei pixelorientierter Software, aus Einzelpunkten. Es gibt zwei große Vorteile dieser Methode. Zum einen die Ausgabequalität: Egal, auf welchem Gerät Sie das Ergebnis Ihrer Arbeit ausgeben, es ist immer sichergestellt, daß die maximale Auflösung des Druckers, Faxtreibers oder Belichter-Interfaces ausgenutzt wird. Um die von Pixel-Grafiken bekannte häßliche Treppchen-bildung brauchen Sie sich daher keine Sorgen zu machen. Zum anderen können Sie jederzeit Einzelelemente Ihrer Zeichnungen komfortabel ändern, weil diese eben nicht zu einem Ganzen verschmelzen, sondern auch nachträglich selektierbar und getrennt in ihrer Position, Größe und Form zu modifizieren sind.

So sensationell und neu ist das eigentlich gar nicht. Kandinsky nutzt die durch das GDOS-System zur Verfügung gestellten Optionen des objektorientierten Zeichnens geschickt aus. Bereits seit es GEM und den ATARI ST gibt, steht mit dem GDOS ein nachladbarer Teil des Betriebssystems zur Verfügung, der für die korrekte Verwaltung von Druckertreibern sowie für die Arbeit mit grafischen Grundelementen verantwortlich ist. Wenngleich mit AMC-GDOS eine derartige Erweiterung kostenlos verfügbar ist, empfiehlt sich heutzutage die Anschaffung des NVDI, da dieses nicht nur ein GDOS beinhaltet, sondern alle Grafikausgaben des Systems enorm beschleunigt.

Stauchen ohne Schmerzen

Damit das Konzept des objektorientierten Zeichnens auch durchgehend anwendbar ist, kommt Kandinsky als zeitgemäßes Programm natürlich auch mit den Vektorschriften des ATARI Speedo GDOS und der aktuellen NVDI-Version klar. Besitzen Sie eines dieser Systemprogramme, können Sie Schriftzüge frei in Ihre Zeichnungen einpassen, ohne Qualitätsverluste beim Dehnen oder Stauchen in Kauf nehmen zu müssen. Aber auch Benutzer ohne neue GDOS-Versionen bleiben nicht außen vor. Das eingebaute BGI-System macht's möglich. Dieses Kürzel steht für „Borland Graphics Interface“, welches die Routinen zum Umgang mit frei skalierbaren Zeichensätzen umfaßt. Der Hersteller liefert zusammen mit Kandinsky 10 BGI-Schriften aus, die den Grundbedarf vor allem technischer Zeichnungen decken dürften.

Die Fensterparameter lassen sich individuell einstellen.
Auch die Systemparameter lassen kaum noch Wünsche offen.
PostScript bereitet Kandinsky keine Schwierigkeiten.

Beim Start von Kandinsky präsentieren sich Ihnen, vorausgesetzt sie sind Anwender einer registrierten Version, üblicherweise zwei Fenster. Andernfalls erinnert Sie eine Registrierungsdialogbox daran, bei Gefallen an dem Programm Ihren Beitrag zu leisten. Eines der Fenster ist für die eigentliche Zeichnung, im anderen befindet sich die Toolbox. Sie dient dazu, zwischen verschiedensten Zeichnungselementen wie etwa Ellipse, Rechteck, GDOS-Text, auszuwählen und den Bearbeitungsmodus zu selektieren. Folgende Modi lassen sich anklicken: Objektauswahl, Zoomen und Editieren. Alle Modi und Gestaltungselemente sind durch Icons sinnfällig dargestellt, so daß kein Rätselraten über die Funktionen aufkommt. Übrigens haben aus softwaretechnischen Gründen nur Benutzer des ATARI MultiTOS das Privileg, die Toolbox in jedem einzelnen Zeichenfenster vorzufinden, was das Handling des Programmes noch etwas verbessert.

Kooperation garantiert

Läßt schon die Vielfalt der Zeichnungselemente kaum etwas zu wünschen übrig, so beeindruckt die Liste der durch die Bearbeitungsmodi möglichen gestalterischen Mittel um so mehr. Selbstverständliche Optionen, wie das Dehnen und Stauchen und die Plazierung von Objekten, sind aufgepeppt durch komfortable Kontrollmöglichkeiten. So läßt sich beispielsweise eine Koordinatenanzeige zuschalten, die über den prozentualen Wert der Größenänderung oderden Verschiebungsvektor informiert. Aber auch ein Raster können Sie aktivieren, welches die Modifizierungen in festgelegten Grenzen hält. Daß sich der Autor Ulrich Roßgoderer mit dem aktuellen Stand der Software auf dem ATARI auseinandersetzt, wird an nützlichen Details wie dem Drag&Drop-Verfahren deutlich. Hierdurch können Sie nicht nur Objekte zwischen verschiedenen Zeichnungen innerhalb Kandinskys per Mausbewegung kopieren, sondern auch den Austausch mit anderen Applikationen pflegen, welche diesen neuen Standard unterstützen. Fast schon selbstverständlich, dennoch erfreulich, ist die Unterbringung aller Dialogboxen in Fenstern. Multi TOS- und MagiC-An-wenderwird das freuen, blockiert doch eine derartige Dialogbox nicht alle weiteren Programme. Ein anderes Feature von Kandinsky, die Benutzung des Clipboards zum Austausch mit anderen Applikationen, wird dadurch noch aufgewertet. Selbst innerhalb der Dialogboxen lassen sich Objekte oder Text einfügen. Besonders für den eingebauten Mini-Texteditor, mit dem Sie unkompliziert und schnell auch mehrzeiligen Text eingeben können, ist das ein Plus.

Im Unterschied zu anderen Zeichenprogrammen arbeiten Sie in Kandinsky mit dem vom Autor „Click-Move-Click“ genannten Verfahren. Das bedeutet, daß Sie nach der Selektion von Objekten die Maustaste nicht gedrückt halten müssen, sondern diese frei verschieben können und erst zum Schluß nochmals klicken. Dies soll eine Steigerung der Genauigkeit bewirken. Um Genauigkeit dreht sich sowieso vieles in Kandinsky. So ist die Drehfunktion für Objekte, die Sie auch auf Ellipsen, abgerundete Rechtecke und Bögen anwenden können, auf 0.1° exakt. Ein zuschaltbares Fadenkreuz sowie Bezier-Tangenten unterstützen Sie darüber hinaus, wenn es um Millimeter geht. Selbst wenn einmal etwas schief geht, ist das keine Tragödie. Wie bei dem großen Funktionsumfang der Software zu erwarten ist, bietet sie eine Undo-Option, mit der Sie die letzte Operation rückgängig machen können.

Offen für Austausch

Stark erweitert gegenüber älteren Kandinsky-Versionen wurde der komplexeste Programmbereich. Viele Umwandlungsfunktionen sind, wie aus der Tabelle zu ersehen ist, hinzugekommen. Sofern es sich um Vektorschriften -ganz gleich ob Bitstream-, TrueType-oder PostScript-Fonts - handelt, ist es nun möglich, Textobjekte in ihre einzelnen Buchstaben aufzulösen. Sie erhalten als Ergebnis ein Elternobjekt, das die einzelnen Zeichen als Unterobjekte enthält. Dies wiederum ist Voraussetzung zur optimalen Anwendung der Funktion des kurvigen Anordnens. Hiermit lassen sich Zeichenketten nach Herzenslust in die gewünschte Form trimmen. Diese Funktion macht Kandinsky auch für Anwendungszwecke außerhalb des rein technischen Zeichnens attraktiv. Weitere Highlights sind in der Sparte des Austauschs mit anderen Programmen zu finden. So können Sie Calamus CVGl.O-Dateien laden und speichern und auch den PostScript-Standard nutzen. Beides gilt jedoch nur für die registrierte Version. Frei dagegen ist der Import von Wertetabellen als CSV-Datei und das Umwandeln in Funktionsverläufe sowie die Eingliederung von Pixel-Bildern. Gegen Monotonie hilft die Farbfähigkeit von Kandinsky, dank derer Sie Ihre Zeichnungen auch bunt zu Papier bringen können.

Sollten Sie einmal Zweifel über den Zweck oder die Bedienung bestimmter Optionen bekommen - was bei dem Umfang kein Wunder wäre - steht Ihnen übrigens eine Online-Hilfe zur Verfügung. Diese ist als Hypertext für das verbreitete System „ST-Guide" von Holger Weets angelegt. Sie entspricht dem Handbuch, welches registrierte Benutzer erhalten, hat aber den Vorteil, daß Sie sich durch die Stichwörter klicken können und auf diese Weise oft noch auf Anregungen stoßen, die Ihnen den Umgang mit den Funktionen erleichtern.

Der Kandinsky-Texteditor verwaltet auch mehrzeilige Texte.

Fazit

Man merkt es Kandinsky an, daß in dem Programm langjährige Entwicklungsarbeit steckt. Neben der Implementation neuer, komplexer Funktionen und der Weiterentwicklung schon vorhandener legt der Autor offensichtlich Wert auf reibungslose Kooperation seiner Software mit den neuesten Versionen der Systemsoftware und die Ausnutzung neuer Programmstandards. Dies drückt sich auch in der Liste der unterstützten Systemerweiterungen, wie beispielsweise Fontselektoren, aus; eine komplette Aufzählung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wir halten das Programm für sehr ausgereift und sprechen eine eindeutige Empfehlungaus, besonders in diesem Fall das Shareware-Konzept zu unterstützen. Nicht zuletzt erhält der ehrliche Anwender ein sauber strukturiertes, umfangreiches Handbuch.

ausgewähltes Objekt umwandelbar in
Marker, Bezier, Bezier-Fläche Bezier, Bezier-Fläche, Marker, Linie, Rechteck
Rechteck Bezier, Bezier-Fläche, Marker, Kreis bzw. Ellipse, Bogen
Kreis, Ellipse, Bogen Bogen, Kreis bzw. Ellipse, Bezier, Bezier-Fläche, Marker
BGl-Text, GDOS-Text GDOS-Text BGI-Text, Elnzelbnchstaben, Bezier-Zug, Bezier-Fläche

Diese Obiekte kann Kandinsky umwandeln

Preis: 60- DM
Update von Version 1.X: 30- DM

Bezugsquelle: Ulrich Roßgoderer Friedenhelmer Straße 34 80686 München

Download: Redaktions-Mailbox KAND203D.LZH und KANDHYPA.LZH

Positiv:
mächtige Umwandlungs-und Bearbeitungsfunktion
MultiTOS- und MagiC-freundlich
macht exaktes Arbeiten einfach

Negativ:


Patrick G. Dubbrow
Aus: ST-Computer 12 / 1995, Seite 32

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