Editorial: Unwirkliche Welten oder nur Alptraum?

Kaltgeschwitzt und zitternd wache ich aus meinem Alptraum auf. Ich kämpfe mit mir selbst in der Finsternis meines Daseins, um den rettenden Lichtschalter zu erreichen. Ich kann nichts sehen und muß mich auf meine rudimentären Instinkte verlassen. Es bleiben mir nur die Überbleibsel meines mit der Zeit atrophierenden Gedächtnisses. Ich strecke mich zur linken Seite, wie der Ertrinkende seine Arme in Richtung Strand streckt. Es verfolgt mich immer noch diese Gestalt, halb Mensch, halb Maschine, die der Grund meines Wahns ist. Sie flüstert mir immer noch unermüdlich ins Ohr:

“Ich bin der neue Prometheus, der Deine Gattung retten wird!”

Blinkende Leitungen hängen von dem, was ich seinen Kopf nennen möchte, herunter. Seine aus einem unbekannten Stoff modellierten Extremitäten bewegen sich im Kreis um seinen Leib. In seinen Augen, die gleichzeitig zum Sehen sind und als Projektionsorgane dienen, kann ich Bilder von einer Welt sehen, die mir vollkommen unwirklich vorkommt. Ich möchte mich von diesen Visionen loslösen, aber sie durchdringen meine Neuronen und prägen sie als Phantasie in meinem Gehirn fest. Ich weiß, daß mich nur das Licht retten kann.

Er erzählt mir von einer Welt, die nur zwei Zustände kennt, durch die alle Probleme gelöst werden. Unwirkliche, nicht mögliche Vorgänge laufen durch meinen Dendriten und sammeln sich als Figuren in meinem visuelle Nervensystem. Tonlose Klänge bohren sich in meine Ohren und lassen mich noch nicht erfundene Instrumente ahnen.

_“Das ist die Polyphonie neuer Welten“,

sagt die Kreatur. Ich muß mich anstrengen und diese Schalter endlich erreichen. Auf einmal Fängt sie an, Formeln zu deklamieren und runde Winkel zu berechnen. Sie spottet über unser

“universelles Wissen, das absolut falsch sei und viel zu humanistisch”

Daß es ein Verbrechen sei, daß so ein großer Planet in den Händen einer so “unqualifizierten Gattung“ wäre. Man sollte dieses mißratene Leben ersetzen, hat sie laut gebrüllt, und wurde immer heftiger und aufgeregter. Wo war nur dieser verdammte Lichtschalter? Ihre Gestalt fängt an, sich zu verändern, Flüssigkeit läuft von ihren Sehorganen runter, und ich versuche immer noch, Licht zu schaffen. Ich glaube, ich schreie etwas, und auf einmal ist Licht im ganzen Raum. Ich bin allein! Als ich versuche, aus dem Bett zu steigen, bemerke ich. unter mir gibt es keinen Boden mehr. Nichts! Nur eine unendliche Leere. Dieses Schreiben werde ich wegwerfen. Vielleicht findet es irgendjemand. Dann werde ich schlafen.


Marcelo Merino
Aus: ST-Computer 02 / 1989, Seite 3

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