← ST-Computer 02 / 1994

EBV: Elektronische Bildverarbeitung Teil 5

Grundlagen

Nicht erst seit der ‘Erfindung’ der digitalen Bildbearbeitung hat das Foto seine Rolle als unbestechliches Bilddokument verloren. In der fotografischen Dunkelkammer konnten Könner immer schon trickreich mogeln. Aber noch nie war die Technik der Farbbildmanipulation, der guten und der bösen, so volksnah und noch nie so bequem und erlernbar.

In der letzten Folge haben wir gesehen: Wo viele Hebel sind, kann man viel falsch machen. Doch wir wissen jetzt, wie wir perfekte Bilder auf unseren Bildschirm bekommen. Dabei ist es unerheblich, ob unsere Bilddaten ĂŒber einen Flachbett- oder einen Handscanner, einen Video-Digitalisierer oder ĂŒber die Photo-CD hereingekommen sind. Die Spielregeln sind immer dieselben. Let’s manipulate now!

Angenommen. Sie sind Designer. Sie kreieren chice Bademoden. Sie wollen auf dem Klavier der Farben spielen. Womit? CHAGALL bietet dafĂŒr eine interessante Funktion: ‘Farbraum tauschen' . Nicht nur ein Ă€ußerst hilfreiches Instrument fĂŒr die Bildmanipulation. sondern praktischerweise auch gleich ein Hilfsmittel fĂŒr den Einsteiger, um sich in den Begriff ’FarbrĂ€ume’ einzudenken und sich mit dem vielleicht weniger vertrauten, aber ĂŒberaus praxisnahen ‘HSV-Farbmodel’ anzufreunden. Beginnen wir also mit dessen Vorstellung.

FarbrÀume

Eine Farbe ist eine Farbe, ‘eindeutig’ definiert durch ihre Zusammensetzung im RGB-Farbraum, z.B. 240 Teile ROT + 135 Teile GRÜN + 96 Teile BLAU (von jeweils 256 Abstufungen). Können Sie sich die vorstellen? Welchen Farbton, welche IntensitĂ€t, welche Helligkeit hat sie? Vielleicht könnte man sie sich ausrechnen: 96 Blau + 96 GrĂŒn + 96 Rot ergeben 96 Weiß (von 256), also ist diese Farbe zu 37,5% ’verblaßt’. Von den verbleibenden 144 Rot und 39 GrĂŒn addieren sich 39 GrĂŒn + 39 Rot zu 39 Gelb, die sich folglich mit den restlichen 144-39 = 105 Rot zu einem 27%igen Orange (nnt 37.5% Weißanteil) mischen. Alles klar?

Diese skurrile Rechnerei können wir aber getrost unserer Software ĂŒberlassen. NatĂŒrlich arbeitet auch unser Computer nach dem RGB-System, weil ja der Monitor aufgrund seiner Farb-Pixel nur RGB versteht (wie ĂŒbrigens auch das menschliche Auge). Aber um mit uns ĂŒber Farben zu reden, sollte er sich anschaulicherer Definitionen bedienen und sein RGB-Mischmasch in vorstellbare Parameter umrechnen. Genau das tut er, wenn er im HSV-System definiert. Er bestimmt aus der RGB-Verteilung die Werte fĂŒr die FARBART ‘H’ (Hue), fĂŒr die Reinheit, also die SÄTTIGUNG ‘S’ (Saturation) und fĂŒr die HELLIGKEIT ‘V’ (Value). Das sind natĂŒrlich klare Begriffe, mit denen wir sofort etwas anfangen können.

Bild 12: Das HSV-Farbraum-Modell eignet sich ganz hervorragend zur Beschreibung von Farbeigenschaften und zur gezielten VerĂ€nderung der fĂŒr jedermann verstĂ€ndlichen Parameter FÄRB ART, SÄTTIGUNG und HELLIGKEIT.

Das HSV-Farbraum-Modell

Die FARBART ‘H’ wird in Winkelgraden gemessen. Dazu muß man sich eine Scheibe vorstellen (Bild 12), auf deren Außenumfang die reinen Spektralfarben rundherum angeordnet sind, Rot-Orange-Gelb-GelbgrĂŒn-GrĂŒn-BlaugrĂŒn-Blau-Blauviolett-Purpur-Rot. Man hat willkĂŒrlich festgelegt, bei ROT mit 0° zu beginnen. GELB finden wir dann bei 60°, GRÜN bei 120°, BLAUGRÜN bei 180°, BLAU bei 240°und PURPUR bei 300°. Gegen 360° nĂ€hern wir uns von der ‘kalten’ Seite her wieder dem ROT. So lĂ€ĂŸt sich jede Farbart genau durch eine Winkelangabe definieren.

Auf der FlĂ€che selbst erkennt man die Farbabstufungen, die entstehen, wenn man zwei gegenĂŒberliegende Farben (KomplementĂ€rfarben) entsprechend ihrer Plazierung entlang einer radialen Verbindungslinie miteinander mischt. Alle Farben vermindern so ihre SĂ€ttigung, also ihre Reinheit, zur Mitte hin (= MischungsverhĂ€ltnis 1:1), wo wir naturgemĂ€ĂŸ nur noch GRAU vorfinden. DemgemĂ€ĂŸ be-mißt man den Wert der SÄTTIGUNG einer Farbe anhand des Abstandes vom Mittelpunkt zum Scheibenrand in Prozenten. 100% liegt ganz außen fĂŒr die reine Farbe. 0% gilt fĂŒr Grau in der Mitte.

FĂŒr die rĂ€umliche Darstellung der dritten FarbbeschreibungsgrĂ¶ĂŸe, der HELLIGKEIT, bedient man sich nun zweier Kegel (Bild 12), die man oben und unten auf die Farbscheibe aufsetzt. Innerhalb des oberen Kegels werden die Farben immer heller und landen an seiner Spitze schließlich bei WEISS, im unteren Kegel immer dunkler, bis sie an der Spitze bei SCHWARZ angelangt sind. GezĂ€hlt wird von 0 = SCHWARZ bis 255 = WEISS. Folglich zeigen alle Farben ihre normale volle IntensitĂ€t bei 128, in Höhe der Farbscheibe. Im Innenraum dieses Doppelkegels lĂ€ĂŸt sich nun jeder Farbe in jeder SĂ€ttigung und jeder Helligkeit ein Platz zuweisen und mit den drei GrĂ¶ĂŸen H, S und V eindeutig definieren. Unsere oben genannte Farbe hieße jetzt: Farbart 16,2°, SĂ€ttigung 39%, Helligkeit 159. Na, das kann man sich doch wenigstens vorstellen!

Farbraum tauschen

Und man kann damit sehr gezielt und anschaulich manipulieren. Zum Beispiel beim ‘Farbraum tauschen’. Nehmen wir die Dame in Bild 14. Wir wollen ihren Badeanzug farblich variieren, indem wir die einzelnen Farbfelder durch neue Farben ersetzen. Dazu mĂŒssen wir zunĂ€chst festlegen, welche Farbe wir jeweils austauschen wollen. Denn auswechseln können wir immer nur einen mehr oder weniger breiten FĂ€cher aneinander grenzender Farben und Farbnuancen, kleine ‘FarbrĂ€ume’ also. Aber das macht ja nur einen Sinn, wenn wir fĂŒr jede Farbart einen individuellen Ersatz realisieren wollen.

In CHAGALL bietet die Dialogbox ‘Farbraum tauschen’ (Bild 13) ein eingebautes Densitometer an: ‘Quelle’ anklicken, dann Button ‘Pick’, der Mauszeiger wird zum Meßquadrat, mit dem wir z.B. das grĂŒne zentrale Farbfeld ĂŒberstreichen. Im Farbzentrum der Dialogbox bekommen wir numerisch und per von Geisterhand an Farbstreifen entlang bewegter Schieberegler die Farbanalyse in den Werten fĂŒr die Farbart H, die SĂ€ttigung S und die Helligkeit V mitgeteilt.

Gleichzeitig aktualisieren sich die farbigen Referenzstreifen. Nach Umschalten auf ‘Ziel’ bestimmen wir die angestrebte Farbe, entweder durch numerische Eingabe (Standardisierungsmöglichkeit!) oder durch Verschieben der Regler. Alternativ können wir die neue Farbe auch auf der ĂŒblichen CHAGALL-Farbauswahlbox herauspicken. Eine entscheidende Rolle fĂŒr das Funktionieren dieses Features spielen die zusĂ€tzlichen Einstellregler fĂŒr ‘Toleranz’. Hier wird festgelegt, wie breit der Spielraum der Farberfassung angelegt sein soll, und zwar getrennt nach den Parametern Farbart H, SĂ€ttigung S und Helligkeit V. Zwar stellen sich auch diese Regler nach der ‘Probennahme’ mit dem Densitometer von selbst ein gemĂ€ĂŸ den beim Überstreichen erkannten Werten, doch zeigt die Praxis, daß erst zusĂ€tzliches Nachkorrigieren zum zuverlĂ€ssigen Arbeiten der Funktion fĂŒhrt. Was gemeint ist, sieht man sofort beim Ausprobieren.

Bild 13: Die CHAGALL-Funktion ‘Farbraum tauschen’ ist mit einer sehr funktional gestalteten Steuerzentrale ausgestattet. Ganz nebenbei verhilft diese Dialogbox mit ihren experimentellen Möglichkeiten Einsteigern zum raschen VerstĂ€ndnis des nicht allzu gelĂ€ufigen HSV-Farbraum-Systems.

Nach dem ersten ‘Ausfuhren’ wird man nĂ€mlich in aller Regel einen nur teilweisen, also fleckenhaften Ersatz der alten Farbe durch die neue feststellen. Das lag dann daran, daß der Toleranzbereich, also die MitberĂŒcksichtigung hellerer und dunklerer Gebiete, satterer und verdĂŒnnterer Farben und von Gebieten mit abweichenden Farbchangierungen nicht breit genug angelegt war. Nach Reset ĂŒber ‘Undo + Space’ sollte man in der Regel zunĂ€chst den Toleranzwert fĂŒr H (Farbart) auf 5% einstellen, falls er darunter lag. Gleichzeitig sollte man die Toleranzbreite fĂŒr V (Helligkeit) in etwa verdoppeln. Jeder neue Versuch zeigt die Richtung auf, wo die Fortschritte liegen. Allroundwerte sind 10% fĂŒr H, 50-100% fĂŒr S und 15-30% fĂŒr V.

Sollte sich herausstellen, daß man nicht alle Tönungen eines Austauschfeldes in einem Rutsch erfassen kann, geht man in mehreren Schritten vor. Man bestimmt fĂŒr die noch nicht ausgetauschten Anteile die HSV-Parameter neu und zwingt so in einem zweiten Durchgang den Rest zur Umwandlung. Das funktioniert wesentlich sicherer als eine zu großzĂŒgige Einstellung der Parametertoleranzen.

Schließlich hat man einen die betreffende FlĂ€che vollstĂ€ndig erfassenden Farbentausch (Farben-Rausch?) produziert (Bilder 15 und 16). Das Bestechende daran ist, daß von den Abstufungen, der Textur, nichts verloren gegangen ist, dunkle Gebiete ergeben wieder dunkle, hellere eben hellere, krĂ€ftige bleiben krĂ€ftig, und blasse bleiben blaß. Rundungen(!) bleiben plastisch und Schatten schattig.

Designer-Komfort

Es leuchtet ein, warum gerade diese Funktion mit dem Komfort der Farbfestlegung nach dem HSV-Verfahren ausgestattet wurde. Wir können dadurch mit alltĂ€glichen Begriffen wie heller oder dunkler, gesĂ€ttigter oder blasser mit Auftraggebern diskutieren und können z.B. mit konstant gehaltener FarbintensitĂ€t, die ja vom Zusammenwirken von SĂ€ttigung und Helligkeit bestimmt wird, zur Demonstration blitzschnell von Farbe zu Farbe wechseln, rund um den Regenbogen, egal, ob wir nun Automodelle, Inneneinrichtungen, Surfbretter oder SkianzĂŒge kreieren.

Man sollte sich bei soviel rationeller Manipulierbarkeit nicht daran stören, daß man hin und wieder an prinzipbedingte Grenzen stĂ¶ĂŸt, die den einen oder anderen Zusatzaufwand nötig machen. Es kann z.B. passieren, daß Austauschfarben in Felder anderer Couleur ‘hineinlaufen’, selbst wenn sie nicht nebeneinander liegen. Das wird natĂŒrlich immer dann ein-treten, wenn die Farbparameter dieser Gebiete sich mit denen der zu bearbeitenden FlĂ€chen teilweise ĂŒberschneiden - vor allem, wenn man gezwungen ist, die Toleranzen großzĂŒgig einzustellen, um das eigentliche Arbeitsfeld vollstĂ€ndig zu erfassen. Besonders gern tritt dieser Effekt bei Mischfarben wie Hauttönen auf und bei allen Weiß- und Grautönen, die ja aus nahezu gleichen Anteilen der Grundfarben zusammengesetzt sind. Aber in einem Programm mit solch effektiven Maskierungs-Tools wie CHAGALL sollte die Ausgrenzung von Problemzonen nun wirklich kein Problem sein. Manchmal genĂŒgt auch schon die Abgrenzung durch Setzen eines Rahmens.

Automation

Aus 2.000.000 Pixeln setzt sich so ein Foto zusammen, das wir fĂŒr eine AusgabegrĂ¶ĂŸe von 10 x 10 cm bei 360 dpi (Farbdrucker) im Computer haben. 2.000.000 Pixel oder auch nur Teile davon zu bearbeiten fĂŒr Retusche und Montage könnte natĂŒrlich so richtig in Arbeit ausarten: Automation ist angesagt.

Deshalb wollen wir in diesem Abschnitt weniger ĂŒber die globale Anwendung von Filterfunktionen wie SchĂ€rfen und GlĂ€tten, Weichzeichnen und UmfĂ€rben nachdenken, sondern ĂŒber die Hilfen, die wir einsetzen können, um Retuschearbeiten nicht nur effektiv zu rationalisieren, sondern sie vor allem von den UnzulĂ€nglichkeiten ungelenker und zittriger Handarbeit zu befreien. Denn im Gegensatz zur kĂŒnstlerischen Gestaltung einer Grafik mit Hilfe eines EBV-Programms, bei der man oftmals das ‘Handgestrickte’ gerade vorzeigen möchte, verlangen Retuschen und Bildmontagen in der Regel nach 120%ig perfekter AusfĂŒhrung, die jeden RĂŒckschluß auf die Bildmanipulation ausschließt.

Handarbeit heißt hierin der Regel Mausarbeit. Man muß schon viel trainieren, bis man diese Schubkarre so feinfĂŒhlig fĂŒhren kann wie den drucksensitiven Stift eines Grafiktabletts, und selbst dieser hilft niemandem weiter, der nicht sowieso darin geĂŒbt ist, Hirnbefehle minutiös in Hand-und Fingermuskelkontraktionen umzusetzen, kurz gesagt, der nicht ohnehin zeichnen und malen kann.

Bilder 14-16: Wer das gleiche Produkt in verschiedenen Farbversionen vorstellen will, oder wer gefĂ€llige Farbkombinationen am Bildschirm ausknobeln möchte, wird die CHAGALL-Funktion ‘Farbraum tauschen’ sehr schĂ€tzen lernen. (Modell: Gottex)

Wer sich hierbei Hilfen wĂŒnscht, sollte bei der Kaufentscheidung fĂŒr eine EBV-Software unbedingt auf zwei wichtige Features achten: 1. Stellt das Bildbearbeitungsprogramm LINEALE zur VerfĂŒgung? 2. Arbeitet es mit HALBTON-Masken? In diesem Zusammenhang sind mit ‘Linealen’ nicht die bekannten Maßskalen am Rande der BildarbeitsflĂ€che gemeint, sondern vielmehr das Pendant zu den klassischen Linealen, mit denen schon unsere computerlosen VĂ€ter Geraden, Vielecke, Ellipsen und Kurven gezeichnet haben. Im EBV-Programm moderner PrĂ€gung haben sie die Gestalt von Pfadlinien, die man im Bild zieht, und an denen sich unsere Bearbeitungswerkzeuge haargenau entlangarbeiten. Damit ist nicht nur eine 100%ige Spurtreue gewĂ€hrleistet, sondern gleichzeitig eine absolut gleichmĂ€ĂŸige AusfĂŒhrungsintensitĂ€t. Denn an diesen ‘Linealen’ können wir nicht nur die farbgebenden Werkzeuge wie Tuschestift, Marker oder SprĂŒhdose entlanglaufen lassen, sondern auch alle verĂ€ndernden Instrumente wie Aufheller, Abdunkler, Schwamm und Restaurierer (UNDO-Stift). Wichtige Retuschewerkzeuge also, die allerdings ohne LinealfĂŒhrung allzu oft ein UNDO oder ein Neuladen des vorhergehenden Bearbeitungsstadiums nötig machen, weil sie wieder einmal zu auffĂ€llig und an der falschen Stelle zugeschlagen haben. LinealfĂŒhrung

Wir werden nachher an einem gemeinsamen Bearbeitungsbeispiel mehrere Varianten dieser Arbeitsweise demonstrieren. Zuvor jedoch die Beschreibung der Linealtechnik, wie sie in CHAGALL ge-handhabt wird: Das einzusetzende Werkzeug muß vor(!) dem Umschalten in den Lineal-Modus ausgewĂ€hlt und in allen seinen Parametern inklusive der WirkstĂ€rke definiert worden sein. Aus dem Freihandzeichen-Modus gelangt man durch AnwĂ€hlen eines Quadrat-, Kreis- oder BĂ©zier-Symbols in einen der drei Lineal-Modi, die ein ‘mechanisiertes’ und damit absolut zitterfreis Zeichnen erlauben. Die BĂ©zier-Funktion beinhaltet das Zeichnen von Geraden, Polygonen und natĂŒrlich jedes beliebigen gebogenen Verlaufs. SelbstverstĂ€ndlich lassen sich alle BĂ©zier-Punkte vor dem ‘ausfĂŒhren lassen’ nochmals verschieben, so daß die FĂŒhrungslinie absolut exakt nachgeformt und angepaßt werden kann. Danach ‘hĂ€ngt’ die BĂ©zier-Kurven-Gruppe noch am Mauszeiger fĂŒr die genaue Schlußpositionierung.

Nach dem entscheidenden Mausklick wandert das gewĂ€hlte Zeichen- oder Bearbeitungswerkzeug eilfertig auf dieser Lineallinie entlang und tut absolut gleichmĂ€ĂŸig das, wofĂŒr es eingestellt wurde. Ist es schon ein VergnĂŒgen, dabei einem farbgebenden Werkzeug zuzusehen, vor allem der ‘SprĂŒhdose’ (die bei freier Handarbeit so gerne ‘ausdĂŒnnt', wenn sie zu schnell bewegt wird), so atmet man förmlich auf, wenn man den ‘Schwamm' oder den ‘Abdunkelstift’ bei der linealgesteuerten Arbeit verfolgt. Sind diese beiden Werkzeuge doch besonders wichtig fĂŒr die Retuschen, die notwendig werden, wenn man neue Bildelemente in ein Foto eingefĂŒgt hat. Je nach Freischneide- und Übertragungsverfahren (ĂŒber die wir noch ausfĂŒhrlich sprechen werden) steht das eingefĂŒgte Bildelement meist hartkantig und mit TreppenrĂ€ndern versehen wie ein Fremdkörper im neuen Bild. Es fehlen die in der letzten Folge beschriebenen Anti-Aliasing-Randabstufungen, oder sie sind zwar noch vorhanden, laufen aber, noch vom Quellbild her bestimmt, in eine falsche Farbrichtung. Dieses Manko lĂ€ĂŸt sich z.B. mit dem ausgleichenden ‘Schwamm’, in anderen Programmen ‘Wischfinger’ genannt, oder mit dem transparent geschalteten ‘Restaurierer’ leicht beheben, wobei der Erfolg wesentlich von der guten Lenkung solcher Werkzeuge in bezug auf Lokalisierung und IntensitĂ€t abhĂ€ngt.

Softmasken

Auch das zweite Essential, das wir oben als unentbehrlich fĂŒr die Automatisierung von Retuschearbeiten genannt haben, die HALBTON-Maske, sei nochmal kurz besprochen: Eine ĂŒber das Bild gelegte Maske begrenzt die AusfĂŒhrung sĂ€mtlicher Aktionen auf die von der Maske freigelassenen BildflĂ€chen, schĂŒtzt also die von der Maske bedeckten Teile des Bildes. Durch wechselseitiges Invertieren der Maske kann man wahlweise im freien und dann wieder im ursprĂŒnglich geschĂŒtzten Teil arbeiten lassen.

Ließ die bisher bekannte monochrome Maske nur die örtliche Wahl zwischen Bearbeiten und Nichtbearbeiten, so bieten die modernen Halbtonmasken, wie z.B. CHAGALL sie erzeugt, den Komfort, alle Aktionen in 256 AusfĂŒhrungsstĂ€rken fein abgestuft vornehmen zu lassen. Die dadurch möglichen ‘weichen Masken’ und Maskendichte VerlĂ€ufe eröffnen neue rationelle Wege fĂŒr die Automatisierung von Retuschearbeiten im Farbbildsektor, von denen ATARI-EBVler (und nicht nur diese) bisher nur trĂ€umen konnten.

Bilder 17 u. 18: „Fotomontagen” - so alt wie die Fotografie und so rationell wie die EBV-Software, fĂŒr die wir uns entschieden haben (oben Quellbild, unten Zielbild unseres Arbeitsbeispiels).

Skalpelle

Schauen wir uns das mal beim Freischneiden und EinfĂŒgen an: Das Sofa aus dem Zimmer in Bild 17 soll ausgeschnitten und in das Zimmer in Bild 18 montiert werden. Drei Arbeitsschritte sind nötig:

  • Markieren des zu ĂŒbertragenden Bildbereichs im Quellbild
  • Transfer und Einpassen im Zielbild
  • Anpassungsretusche

Dabei gehen wir davon aus, daß 1. der GrĂ¶ĂŸenmaßstab des Quellbildes vorher exakt dem Zielbild angepaßt wurde, und 2. daß das Quellbild farblich und kontrastlich in etwa auf die Eigenschaften des Zielbildes abgestimmt wurde. DiesbezĂŒgliche Feinanpassungen können wir allerdings auch nach dem EinfĂŒgen noch vornehmen.

Falls das Quellbild durch Scannen gewonnen wird, sollten wir die GrĂ¶ĂŸenanpassung tunlichst durch Wahl der passenden dpi-Auflösung beim Scannen bewerkstelligen. NachtrĂ€gliches Skalieren fĂŒhrt immer zu QualitĂ€tsverlusten (ganz besonders schlimm, wenn vergrĂ¶ĂŸert werden muß), die auch durch SchĂ€rfefilter nicht ganz eliminiert werden können. FĂŒr das Anlegen einer Freischneide-Maske stehen uns wahlweise drei Verfahren zur VerfĂŒgung:

  • Automatisch per FĂŒllfunktion
  • Nachzeichnen der Objekte mit BĂ©zierlinien
  • Objekte freihĂ€ndig nachzeichnen

Das erste Verfahren ist natĂŒrlich das komfortabelste. Nach dem Umschalten in den ‘Maskenmodus’ befindet man sich mit allen Aktionen in einer zweiten Zeichenebene, so als arbeite man jetzt auf einer ĂŒber das ganze Bild gelegten durchsichtigen Folie. AnwĂ€hlen der Funktion ‘Maske ĂŒber Farbe’ zeigt die gleiche Dialogbox wie die FĂŒllfunktion. Auch hier kann zunĂ€chst die Farbe oder besser der ‘Farbraum’, ĂŒber den die schĂŒtzende Maske angelegt werden soll, durch Ausmessen definiert werden (‘Definieren’ anklicken und mit Mauskreuz die Farben ĂŒberstreichen, die maskiert werden sollen). Ein Klick auf AusfĂŒhren schĂŒttet dann die Maskenfarbe flĂ€chig ĂŒber das gewĂ€hlte Objekt. Oder man bedient sich des ‘Zauberstabes’, treffend dargestellt durch einen mit Farbe gefĂŒllten Trichter.

Da man eine Maske ganz einfach invertieren kann, haben wir die Wahl, ob wir mit dieser vollautomatischen Maskierung lieber das Objekt selbst oder besser das Umfeld mit der Maske bedecken wollen. Das hĂ€ngt einfach davon ab, welcher Teil die homogenere und vor allem die individuellere Farbgebung aufweist. Und damit erkennen wir bereits die Grenzen dieser automatischen Arbeitsweise: Sie funktioniert um so besser, je einheitlicher das Objekt oder aber der Umgrund strukturiert sind, und versagt gĂ€nzlich bei vielfarbigen Bildteilen und bei starken Helligkeitsunterschieden. Dieses Problem ist uns bei der Funktion ‘Farbraum tauschen’ schon einmal begegnet. Doch kommt man analog auch hiermit wiederholtem ‘Definieren’ = Ausmessen oder aber mit Zauberstabklicken doch noch zu einer weitgehend geschlossenen Maske (Bild 19). Offen gebliebene Stellen lassen sich am Schluß rasch mit dem Tuschestift ‘auspixeln’.

Bild 20: Selbst fein ziselierte Bildteile lassen sich in stĂ€rkerer ZoomvergrĂ¶ĂŸerung pixelgenau ausmarkieren. Genauer als „pixelgenau”geht es nicht - es sei denn, man scannt mit grĂ¶ĂŸerer Auflösung ein. Das wiederum blĂ€ht die Bilddatei auf und vergrĂ¶ĂŸert das Ausgabeformat - es ist zu entscheiden, ob man das denn ĂŒberhaupt beabsichtigt

Bézier-Messer

Wesentlich universeller und vor allem nach eigener Intention frei bestimmbar schneidet man ein Objekt aus, indem man es mit einer konturgetreuen Linie nachzieht. Damit dieser Vorgang bloß nicht in Arbeit ausartet, gibt es auch hier die BĂ©zier-Lineal-Funktion als moderne, vektororientierte Zeichenhilfe. Ganz gleich, welche Umrißformen mit welchen Schikanen (z.B. wehende Haare, Pflanzenteile) unser Objekt aufweist, es gibt kein Detail, das sich nicht ganz schnell in ein Korsett aus geraden und gebogenen BĂ©zier-Linien paßgenau verpacken ließe (Bild 20)! Kritische Bilddetails werden wir ĂŒber die Zoom-Funktion genĂŒgend stark vergrĂ¶ĂŸern und können nun unser Kurvenlineal, das beim Zoomen nicht vergröbert wird und damit seine dĂŒnne, genaue LinienstĂ€rke beibehĂ€lt, sehr prĂ€zise anlegen und regelrecht ĂŒber die ‘Ecken’ einzelner Pixel-Quadrate ziehen. ZusĂ€tzlich lĂ€ĂŸt sich danach die Lineallinie mit Hilfe der Ankerpunkte noch feiner anschmiegen, bevor sich dann - klick - die neue Maskenlinie hauteng um unser Opfer windet (Tuschestift GrĂ¶ĂŸe 1, Farbe nach Wahl, IntensitĂ€t 0, entspricht volldeckend!).

Sollten wir vergessen haben, die Zeichenparameter, wie vorgeschrieben, vorher einzustellen, keine Panik bitte. Mausklick rechts, unsere sorgsam gezogene Linealkurve ist verschwunden. Zeichenparameter einstellen, [Ctrl]+[liShift]+linker Mausklick ins Bild, die schöne BĂ©zier-Umrandung ist wieder da. Genau positionieren -klick - die eigentliche Maskenlinie wird gezeichnet - in einer aus 16 wĂ€hlbaren Farben, die wir uns so aussuchen können, daß sie sich hinreichend von den darunterliegenden Farben des Bildes abhebt. Nur der Einfachheit halber werden wir in diesem Aufsatz immer von schwarzer Maske sprechen.

Wir kontrollieren abschließend in vergrĂ¶ĂŸerter Darstellung, ob die neue Pixel-Linie wirklich ĂŒberall wunschgemĂ€ĂŸ gesetzt ist, nehmen vielleicht hier und da ein paar Pixel weg oder setzen noch ein paar dazu - vor allem aber achten wir streng darauf, daß die Umrandung keine Unterbrechung aufweist. In diesem Zustand sollten wir die Rohmaske mal Zwischenspeichern - die Maskenebene besitzt leider keinen UNDO-Puffer.

Der letzte Akt ist das flĂ€chige ‘FĂŒllen’ des die Objektmaske umgebenden restlichen Maskenbildfeldes, ebenfalls in 100%-Deckung - schon ist unser Objekt fertig ‘ausmaskiert’ (Bild 21). Abspeichern dieser Maske nicht vergessen.

Die oben als dritte Möglichkeit genannte Freihandmaskierung wird praktisch nur als Korrekturhilfe praktiziert oder vielleicht von Einsteigern, die mit dem BĂ©zier-Zeichnen noch nicht so vertraut sind. Man muß letzteres schon ein wenig ĂŒben, um zu lernen, wann und wie oft man Ankerpunkte setzt und wie lang man die Tangenten ziehen darf. Doch es lohnt sich, danach wird Zeichnen und Freischneiden zum VergnĂŒgen und verliert völlig den Beigeschmack von Arbeit.

Bild 19 und 21: Eine einmal erstellte Maske lĂ€ĂŸt durch „Invertieren” immer die Wahl, in welchem Bildteil man gerade arbeiten (Lassen) möchte. Daß man die Farbe der Maske selbst festlegen und jederzeit wechseln kann, ist natĂŒrlich sehr hilfreich beim Anlegen des Maskenrandes (Kontrast zur Bildvorlage)
Detlef Gensel