MIDI unter Windows, Konkurrenz für den ST?

Der Blick in Nachbars Fenster

PCs befinden sich zur Zeit unbestreitbar im Aufwind, die Bilanzen der hinlänglich bekannten Computer-Großhandelsketten schnellen rapide in die Hohe. Auch auf dem Musiksektor boomt der PC: Multimedia heißt das Schlagwort, mit dem sich den zahlungskräftigen PClern das Geld aus der Tasche ziehen läßt.

Der Werbespot als Windows-Video: Windows bietet viele Tools für die Medienwiedergabe

Grund genug für Computer-Neueinsteiger mit musikalischem Interesse, aber auch für bange Alt-ST-Musiker, die Gretchenfrage nach dem idealen Einstiegs- bzw. Umstiegscomputer zu stellen.

Als gute Gastgeber beginnen wir unseren kleinen Systemvergleich natürlich mit den IBM-Kompatiblen. Musik auf dem PC, das ist mittlerweile gleichbedeutend mit Musik unter Windows, denn beinahe 90% aller aktuellen Musiksoftware bedient sich dieses Betriebssystemaufsatzes. Den verbleibenden Rest an DOS-Applikationen dürfen wir daher getrost vernachlässigen. Die grundsätzliche Funktionsweise dieser grafisch orientierten Benutzeroberfläche haben wir Ihnen bereits in der TOS 5/93 nähergebracht, die Kontroversen zwischen Gegnern und Anhängern beider Systeme (Steckkarten ja/nein, Gehäuseform etc.) sind sicherlich hinreichend bekannt, so daß wir uns sozusagen gleich in »MIDias res« stürzen wollen. Windows 3.1 präsentiert sich als eine ganz und gar auf Multimedia hin vorbereitete Benutzeroberfläche: Aufnahme und Wiedergabe von digitalem Sound, MIDI-Arrangements und Video-Sequenzen, all das wird von den neuesten Versionen dieser Fensterkünstler aus dem Hause Microsoft schon in der Grundausstattung unterstützt. Bereits im Lieferumfang von Windows enthalten, findet der Musik-und Multimedia-interessierte Anwender zwei nützliche Tools: den »Media-Player« zur Wiedergabe von Audio-, Video- und MIDI-Dateien sowie den »Klangrekorder« zur Aufnahme und Wiedergabe von digitalem Sound. Unter der Gruppe der systemsteuernden Anwendungen gibt es ferner noch den »MIDI-Manager« zu entdecken, mit dem sich mehr oder weniger komfortabel das vorhandene MIDI-Equipment an die Microsoft Multimedia-Spezifikationen anpassen läßt. Hier weisen Sie einzelnen Instrumententypen einen für Ihren Klangerzeuger passenden Program-Change-Befehl zu und richten eine entsprechende Drum-Map ein. So stellen Sie sicher, daß auch »Fremdarrangements« auf Ihrem Equipment wenigstens annähernd so klingen wie ursprünglich vorgesehen. Gerade im Bereich der Infotainment-, Lern- oder Präsentationssoftware sind solche individuellen Setups unabdingbar.

Mehr als Spielerei denn als wirklich sinnvolles Feature bietet Windows auch noch ein kleines Utility »Klang«, mit dessen Hilfe sich diversen Systemereignissen wie z.B. Alertboxen, Fehlermeldungen, Fenster-Verschieben etc. ein beliebiges Sample zuweisen läßt.

Auf der Software-Seite schlägt also ein durchschnittliches Windows-System jeden zur Zeit im Handel erhältlichen Atari, der abgesehen von seinem Kontrollfeld und vielleicht ein bis zwei Utilities mit keinerlei MIDI- bzw. Musik-Software bestückt über den Ladentisch wandert. Diese vorläufige 1:0-Führung wiegt um so schwerer, da brauchbare Windows-Rechner in kompletter Ausstattung (z.B. 386er mit 40 Mhz, 4 MByte RAM, 100-MByte-Festplatte inklusive Windows 3.1) teilweise bereits für unter 2000 Mark zu haben sind. Auch im Vergleich mit einem gebrauchten Mega STE inklusive gleichdimensionierter Festplatte ein durchaus konkurrenzfähiger Preis. Doch leider hat die Sache einen kleinen Pferdefuß: ohne entsprechende Sound- bzw. MIDI-Steckkarte bleibt jeder PC stumm wie der vielzitierte Fisch im Wasser.

Nun muß sich zwar der musikversessene PCler nicht gleich in größere finanzielle Abenteuer stürzen, möchte er seinen Rechner mit einer MIDI-Schnittstelle versehen: Einfache MIDI-Schnittstellenkarten bekommt man schließlich bereits ab 150 Mark. Doch fällt die Qual der Wahl dafür entsprechend schwerer. Im PC-Pantheon tummelt sich nämlich eine Vielzahl von MIDI-, Sampling-, kombinierten Synthesizer- und MIDI- sowie integrierten Synthesizer-, MIDI-und Sampling-Karten, die alle von sich behaupten, zum einen oder anderen »Standard« kompatibel zu sein. Diese Standards wurden nun aber keinesfalls von einem Entwicklergremium vorgegeben, sondern haben sich sozusagen aus der Laune des Marktes heraus gebildet. Für MIDI-Interfaces ist nach wie vor der Urahn aller PC-MIDI-Karten oberster Maßstab: das Roland MPU-401 (Ix MIDI-In und Out), für einfachste Musikuntermalung gilt die achtstimmige Vorgabe der Adlib-Soundkarten (2 Operatoren FM), etwas ausgebildeteren Wohlklang erhält man bei Verwendung einer Soundblaster-Karte, die in diversen Ausführungen erhältlich ist: von 12 Stimmen FM Mono, 8-Bit-Digitalsound Mono bis hin zur 2x12 Stimmen Stereo-Version mit 16-Bit Stereo-Digitalkanal und zusätzlicher MIDI-Schnittstelle. Für MIDI-Klangerzeuger konnte sich der gute, alte MT32 etablieren (übrigens auch zu haben als LAPC-32 Steckkarte mit integrierter MPU-401...) sowie alle General-Mi Dl-Synthesizer. Für eine Adlib-Karte müssen Sie etwa 150 Mark berappen (falls dieses antiquierte Modell überhaupt noch angeboten wird), eine einfache Soundblaster-Karte erhalten Sie für circa 250 Mark, die 8-Bit Stereo-Variante mit MIDI kostet circa 350 Mark, die 16-Bit-Version wechselt im Tausch gegen fünf bis sechs »Blaue« ihren Besitzer.

Der ST für Musiker - immer noch erste Wahl

Wie immer jedoch Ihre Wahl ausfällt, mit dem bloßen Kauf ist es noch längst nicht getan, denn vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt: Die Karte will schließlich erst einmal installiert werden - im Normalfall eigentlich kein größeres Problem. Windows bietet für solche Aufgaben immerhin recht komfortable Tools. Es könnte aber durchaus sein, daß Sie sich aus pekuniären Überlegungen heraus für einen preisgünstigeren Nachbau einer Standardkarte entschieden haben und plötzlich feststellen müssen, daß der Hersteller offensichtlich eine andere Definition von »kompatibel« im Kopf hatte als Sie. Oder Ihnen fällt mit einem Mal auf, daß Soundkarte und AT-Bus-Controller denselben Interrupt oder DMA Kanal benutzen. Das gibt ein herrliches Durcheinander und kostet Sie mindestens einen Nachmittag und viele Nerven.

Das ist genau der richtige Zeitpunkt, sich wieder unserem ST zuzuwenden, finden Sie nicht auch? Der kann nämlich »von Haus aus MIDI«, verfügt ab der Mega STE-Baureihe über Stereo-8-Bit Digitalsound und bietet mit dem Falcon 8-Spur-HD-Recording in CD-Qualität. All diese Qualitäten sind Ihnen direkt nach Auspacken des Geräts zugänglich (geeignete Software natürlich einmal vorausgesetzt), umständliches Gefummel und Konfigurieren bleibt Ihnen erspart. Auch von der Arbeitsgeschwindigkeit her kommt jeder (!!) ST mit weit weniger Hardware- bzw. Prozessoraufwand aus als Windows-PCs. Selbst auf einem steinalten 520ST läßt es sich flotter arbeiten als auf einem 386/ 33MHz-PC unter Windows. Gerade auf dem Musiksektor kann der ST dem PC auch hinsichtlich der Erweiterbarkeit durchaus Paroli bieten: zusätzliche MIDI-In- und MIDI-Out-Ports und beispielsweise SMPTE-Synchronizer sind in recht großer Auswahl erhältlich und lassen sich ohne großen Aufwand an den Rechner andocken. Auch wenn einige es nicht glauben mögen: Das ist eigentlich bequemer als ständig hinter seinem staubigen Towergehäuse unter dem Schreibtisch herumzukriechen.

Für Anwender, die ihren Computer in erster Linie zum Musizieren nutzen möchten, stellt daher der ST -egal in welcher Ausführung - unserer Ansicht nach immer noch die erste Wahl da. Auch wenn Windows im ersten Moment mit prächtiger Aufmachung blendet und für viele vordergründige multimediale »Oohs« und »Aahs« sorgt, bietet es doch bei näherer Betrachtung keine entscheidenden Vorteile gegenüber dem ST. Die verfügbare MI Dl-Software ist keinesfalls hochwertiger und zumeist auch noch teurer. Und schließlich der alles entscheidende Vorteil: Sie schalten Ihren Atari an und alles funktioniert. Bleibt nur zu hoffen, daß Atari seine Vorteile entsprechend zu nutzen weiß. Ich bleibe meinem ST jedenfalls auch weiterhin musikalisch treu. (wk)


Kai Schwirzke
Aus: TOS 07 / 1993, Seite 37

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