Lex-o-thek: Das Modullexikon für den Atari ST

Ein Modullexikon für den Atari ST? Das hat gerade noch gefehlt. Die Lexothek kommt dreiköpfig daher: mit 3rd Word, dem Synonymlexikon, Herz/Schmerz, dem Reimlexikon, und Bonmot, der Zitatedatenbank. Wer sich bloß für eins der drei Module interessiert, kommt bei der Lexothek trotzdem auf seine Kosten.

Abb. 1: Bitte wählen! Trefferquote 1 aus 250.

Schon der Erwerb des Hauptprogramms und eines Moduls kann allen Wortsuchern, Fabulierkünstlern und Reimeschmieden gedankliche Flügel verleihen. Das ambitionierte Projekt des Wuppertaler Software-Hauses, Autoren wie Gelegenheitschreiber mit Sprach-material für alle Sprach- und Ausdruckszweifel zu beliefern, hat seinen Preis. Ganze DM 249.- muß man für das Hauptprogramm und die drei Module berappen. Der Kern der Lexothek ist der fast unermeßliche Wortquell des Synonymlexikons. Es wird auf zwei komprimierten Wörterbuchdateien auf zwei Disketten geliefert und bietet Wortvergleiche und Bedeutungsähnlichkeiten zu einer Fülle von Wörtern der deutschen Sprache.

Vor dem Arbeiten mit der Lexothek steht die Installation. Der Speicherplatzbedarf der Lexothek ist immens und kommt dem eines DTP-Systems nahe. Das Synomymlexikon schlägt schon mit 1,3 MB zu Buche. Ohne Festplatte ist da kaum etwas zu machen. Wer mit Plattenspeicherplatz gerne geizt, hat da nichts zu melden, insgesamt sind das schon mehr als 2 MB. Wenn ein Programm sich schon als Byte-Räuber erweist, muß sein Nutzen erst recht klar werden, denke ich mir!? Man richtet einen Ordner auf einer Partition ein und kopiert die einzelnen Modul-Bibliotheken hinein. Dann folgt der Aufruf eines eigenen Installationsprogramms, um die Zugriffspfade anzumelden. Auf Wunsch kann man eine Tastenkombination zum Aufrufen des Lexothek-Hauptmenüs definieren. Starten läßt sich die Lexothek als Accessory vom Boot- oder als Programmdatei von einem beliebigen Laufwerk. Auch hier macht sich der Speicherfresser Lexothek bemerkbar: mit permanent adressierten rund 170 kByte fesselt der Bedeutungs-, Reim- und Zitatelieferant Rechnern mit kleinem Hauptspeicher Hände und Augen. Das Beste bleibt wohl, die Lexothek als Accessory zu installieren. denn man möchte ja das angekündigte Reservoir an Bedeutungen, Reimen und Zitaten parallel zu schriftstellerischem Tun zur Verfügung haben.

Also, mit dem Mauszeiger in die linke Menüleiste gefahren und das Lexothek-Accessory aufgerufen. Auf dem Bildschirm meldet sich das Hauptmenü, das nur zufällig dem Wordplus-Erschei-nungsbild ähnlich ist. Wie beim Textver-arbeitungssytem die Attributauswahl, steuert man bei der Lexothek die Such-und Sortierfunktionen mit den Funktionstasten.

Übrigens bezieht sich der Name „3rd Word“ nicht auf irgendeine Verwandtschaft mit dem bekannten Textverarbeitungssystem, sondern auf die Technik des Kognitionsprozesses, derzufolge das dritte Wort, das einem einfällt, wenn man nach Vergleichswörtern (Synonymen) sucht, das richtige sei. Der Charakter eines Denkwerkzeugs soll mit der Namensgebung nahegelegt werden. „3rd Word“ will die Wortsuche nach dem dritten bedeutungstragenen Wort verkürzen und intensivieren. Dem Wortsucher mag intuitiv ein drittes Wort nach der Bildung von allerlei Eselsbrücken einfallen. Unser Computersynonymwörterbuch listet ein reichhaltiges Angebot von Bedeutungsalternativen auf.

Die Bedienung der Lexothek geht denkbar einfach von der Hand, bedeutet aber für die intensive Textarbeit ein Arrangement. Seinen ambitionierten Namen scheint das Programm mit Leistung nicht einzulösen.

Stellen Sie sich vor. Sie tippen einen Text, und plötzlich fällt Ihnen auf, daß dasselbe Wort sich in aufeinanderfolgenden Sätzen wiederholt. Stilistisch betrachtet wäre das ein schwerwiegender faux pas. Meistens versucht man diesen mit dem Assoziieren bedeutungsgleicher Wörter zu vermeiden. Mit welcher Treffsicherheit solche Synomyme gefunden werden, hängt in erster Linie von dem Sprachverständnis und dem sprachlichen Ausdrucksvermögen ab. Der Wortschatz des kompetenten Sprechers/Schreibers des Deutschen ist bekanntlich trotz seiner großen Wandlungsfähigkeit im Ausdrucksvermögen begrenzt. In die Lücke zwischen reduzierter Artikulations- und sprachlicher Anpassungsfähigkeit des subjektiven Wortschatzes möchte „3rd Word“ springen.

Abb. 2: Reimkomposition mit "Schmerz" und "März"

Das Arbeiten mit dem Synonymlexikon kann beginnen, das Wort „Lachen“ soll durch ein anderes bedeutungsgleiches Wort ersetzt werden. Die Anfrage an das Synonymlexikon fördert eine überschwappende Fülle von Wortalternativen zutage, die sich kunterbunt in der Liste auf dem Bildschirm tummeln. Alles Wörter, so unterstellt „3rd Word“, die die gesuchte Wortbedeutung ersetzen wollen.

Eine Liste mit sinnverwandten Wörtern ist das Ergebnis der Suchanfrage. Möchte man sich weitere beieinanderliegende, aber auf dem Bildschirm nicht sichtbare Synonyme ansehen, helfen die Scroll-Balken, die Liste auf- und abwärts zu schieben. Mühelos gelangt man dabei in die Liste einer anderen Wortgruppe. Vielleicht sollte man doch lieber den ganzen Satz umschreiben und ein Synonym aus der Wortgruppe >Geräusch< suchen? Ein Hinweis dafür, daß es mit der internen Strukturierung des Synonymlexikons nicht so weit her ist. Bedeutungen sind nämlich nicht beliebig austauschbar, wie es die Lexothek suggerieren möchte.

Das Prinzip, wie mit „3rd Word“ Spracharbeit geleistet werden soll, ist relativ simpel. Man wähle ein Synonym aus der Liste, behalte es und schreibe es in den Text. Diese so einfach daherkommende Auswahlmethode hat aber ihre Klippen. Auch wenn man sich auf seine intuitiven Sprachfähigkeiten verlassen wollte, ist es nicht gerade unproblematisch, aus einem schier erdrückenden Synonymangebot das berühmte ‘dritte’ Wort herauszufinden, mit dem alle Bedeutungsnöte geglättet sein sollen. Erschwert wird die Suche nach der richtigen Wortalternative auch durch den blockweisen Zugriff auf den Datenbestand. Interessant wäre es, wenn „3rd Word“ assoziativ nach Synonymen im respektablen Datenbestand von 65.000 Begriffen suchen würde. Assoziativ heißt, daß Wortbedeutungen auf mehreren Filterungsstufen gesiebt würden, ähnlich der Bedeutungsfindung beim Denken: durch Suche nach dem treffenden Wort, Bedeutung und Aussage steigern. Mit assoziativen Manövern könnten Resultatanzeigen erheblich besser eingegrenzt werden als nach der Schlag-mich-tot-Methode der Lexothek. Die Fülle, mit der „3rd Word“ Wörter wie aus einer kaum versiegenden Quelle hervorsprudelt, verführt zum wahllosen Prassen. Wo aber beim Denken wenige gezielte Wörter entstehen, antwortet „3rd Word“ mit irritierenden Schmuckwörtern und Bedeutungsballast. „3rd Word“ ist das bezweifelnswerte Resultat einer sprachverwalterischen Fleißarbeit, die lediglich im Zusammentragen des Wortmaterials besteht. Mancher Gelegenheitsschreiber oder Liebhaber von Phraseologien könnte hier erleben, wie Wörter als Waffe fortbeste-hen, wenn sie nämlich Bedeutungen totschlagen. Es wird suggeriert, daß Synonymgruppen gebildet worden sind, was bei näherer Prüfung und Vergleichen der Kritik nicht standhält.

Gemessen wird „3rd Word“ an seinem Werkzeugcharakter für Autoren, die Bedeutungen nachschlagen und nicht einfach durch fragwürdige Alternativen ersetzen wollen. Dieses gedankenlose Sprach- und Schreibverhalten fördert „3rd Word“ leider in geradezu nachlässiger Weise. Wer sich schon einmal in einem Synonymwörterbuch umgeschaut und festgestellt hat, wie dort Bedeutungen registriert und kommentiert werden, dürfte bei „3rd Word“ kaum auf seine Kosten kommen.

Von den drei Modulen der Lexothek ist „3rd Word“ dennoch, mit den genannten Einschränkungen, das brauchbarste der Angebote. Wildwuchs, Stilblüten und Dilletantismus fördern dagegen die beiden anderen Module, das Reim-Lexikon und die Zitatedatenbank. Wie schon beim Synonymlexikon setzen auch hier die Macher aus der Stadt der Schwebebahn, aus der das Synonym für „Ableben“ >über die Wupper gehen< kommt, auf Angebotsvielfalt und Praxisnähe. Beim Reimeschmieden scheint man sich im Ber-gischen Land die poetische Situation wie folgt vorgestellt zu haben: Man möchte zu einem festlichen Anlaß irgendwem irgendetwas zum Ausdruck bringen, mit dem sich bei belustigten Hörern und Lesern >Bo-den und Balken biegen<, eben der Unterhaltungswert gesteigert wird. Was läge da näher, als ein „Reimlexikon“ zusammenzustellen, das die verseschmiedenden Künste der Lyrikerzunft nach folgendem Motto ausplauden: Ein gutes Gedicht ist ein Gedicht, dessen Zeilenenden sich reimen: wofür Fachleute den Begriff „Paarreim“ haben. Selbsternannten Sprachartisten auf Pegasus’ Rücken möchte das Reimlexikon so gerne beim Verseschmieden helfen. Nicht mehr zählt die Suche nach Wortalternativen. Das ist jetzt Schnee von gestern. Bei „Herz & Schmerz“ triefen dieTränentropfen. Man sucht jetzt nach Wörter mit gleichlautenden Endsilben. Zwei kennen Sie schon: Herz und Schmerz. Auftakt zu einem wiegenden Zweizeiler. Wie wär’s mit dem:

Auf Februar folgt März, der vertreibt mir den Schmerz.

Und dem ... Spontan fallen weitere Reimwörter ein: Nerz, Terz, Sterz, Herz, Vers (unreiner Reim), Scherz u. u. u.

Abb. 3: Fragwürdige Zitate

Das Prinzip der Wortsuche ist trivial und hilft weniger, als es nützt und bewirkt. Oder fallen Ihnen zwei Zeilen ein, die sich auf Herz und Schmerz reimen? Allenfalls könnte das „Reim-Lexikon“ durchgehen als Knittel-Lexikon, das das Bilden von seichten, vielleicht auch dann und wann lustigen Paarreimen erleichtert. Über wieviel Einfallslosigkeit muß jemand verfügen, der mit dem Reimlexikon Verse textet? Das Lexothekteam will Kaninchen-züchtervereinigungen, Briefmarkensammler und Eisenbahnerkameradschaften und alle anderen ST-besitzenden Seilschaften, die gerne viele Worte machen würden, ansprechen. Ist es nicht unverantwortlich, solchen selbstermächtigten Sprachbastlern den Schrott und Schwall der deutschen Sprache zu überlassen?

Die Sprachmissionare treiben mit der Zitatedatenbank ihr sprachabbauendes Freibeutertum auf die Spitze. Frei nach der Devise: Nichts brauchen Festredner anläßlich eines Kaninchenzüchtertreffens dringender als ein salbungsvolles Zitat.“, haben die selbsternannten Sprachpfleger (vermutlich während einer Schwebebahnfahrt) Zitate über Zitate zusammengerafft und als Bonmots kaschiert. Sehr zum Leid des Lesers finden sich die Zitate kunterbunt gemischt, von A-Z. Unklar bleibt, ob es sich überhaupt um Zitate handelt und nicht um Übertragungen aus einer Mundart ins Hochdeutsche.

Eine Zitatenrecherche mit dem Such wort ..Geist“ (das ist immer ein beliebter Ausdruck bei Festrednern), hat eine Reihe von Autorensprüchen auf den Bildschirm gezaubert. Die Auswahl der Autoren ist beliebig, im Beispielfall aber bedenklich: Kolbenheyer war ein Nazi-Schriftsteller. Ganz davon abgesehen, daß Schriftsteller auch noch Vornamen haben, die „Bonmot“ allerdings nicht zu kennen scheint. Auch hege ich Zweifel an der Zuverlässigkeit der gesammelten Zitate. Und das zurecht, denn bibliographische Quellen scheint man hier nicht zu kennen. So könnte man nach Lust, Laune und Zunge den Dichterfürsten himself, Goethe, zitieren und sich auf die Zitatedatenbank berufen. Manchmal glaubt man, einen Diamanten aufzugreifen, um sich dann wiedereinmal die Hände von schmutziger Kohle reinigen zu müssen.

Wer weder Briefmarken sammelt noch Kanichen züchtet, kann auf Lexothek beruhigt verzichten. Um Synonyme zu suchen, greift man besser nach bewährter Methode zum Bedeutungs-Wörterbuch. Für Bonmots gehört Büchmanns-Zitaten-schatz in den Bücherschrank, und nach einigem Überlegen könnten auch gelungene Knittelverse über die Lippen kommen. Auf das miserable Niveau der Lexothek kann man getrost verzichten. Das Fehlen einer Druckoption ist das letzte, was ich der Lexothek negativ ankreiden möchte. Das Handbuch findet nette einführende Worte, um die Arbeit mit der Lexothek schmackhaft zu machen. Auf den ersten Blick mag auch alles wohldurchdacht sein, wenn da nicht der zweite

Blick wäre, der hinter der schmuck programmierten Software-Fassade den konzeptionellen Trugschluß ausmacht. Statt Sprachbarrieren niederzureißen, baut die Lexothek Wortungetüme riesengroß vor den Benutzern auf und überläßt es diesen, sich durch den Bedeutungs-, Reimwörter-und Zitatebrei hindurchzuspachteln. Die Enttäuschung ist groß: Ein Schlaraffenland der Wörter, Reime und Zitate sucht man bei der Lexothek vergebens.

Überhaupt glaube ich, daß die Begriffe „Lexikon“ und „Datenbank“ für die Kennzeichnung der Module falsch verwendet sind. Wenn überhaupt, so handelt es sich wohl um „Wörterbücher" nach dem Prinzip einer Dateiverwaltung mit einer recht fixen Listen-Suchtechnik. Ich erspare mir, hier darauf einzugehen und bin gespannt, was aus der kaum zur Beschäftigung einladenden Modulenbibliothek werden wird.

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RRSoft Grundstr. 63 W-56UU Wuppertal 22


Ralf Blittkowsky
Aus: ST-Computer 06 / 1991, Seite 35

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