Gemulator, der ST-Emulator für PCs im Test: Das STleon

»The times they are a-changing...« heißt es in der Textzeile eines bekannten Oldies. Und in der Tat, waren früher die Heerscharen der ST-User emsig bemüht, die Welt der MS-Dosen per Soft- oder Hardware auf ihren oftmals als »unprofesionell« gescholtenen Computern zu emulieren, sind es Anno ’93 die notleidenden PCIer, die mit einem ST-Emulator der holländischen Fima ACN bedacht werden. Kurios, kurios...

Beim Gemulator handelt es sich um eine kombinierte Hardware/ Software-Lösung für 386er, bzw. 486er PCs, bestehend aus einer 8Bit-Steckkarte und einer Diskette mit der Emulator-Software. Im Gegensatz zu den meisten vom ST her bekannten PC-Emulatoren befindet sich auf der Steckkarte des Gemulators allerdings kein eigener Prozessor, sondern abgesehen von einem DIP-Schalter nur das Atari ROMTOS plus einiger Standard-Logik-ICs zur korrekten Adressierung des TOS. Die Funktion des Prozessors übernimmt zu 100 Prozent die Emulator-Software.

Die ersten Schritte

Der Einbau des ROM-TOS Boards, in unserem Testmuster übrigens bestückt mit der Version 2.6, gestaltet sich gemäß der bequemen Steckkarten-Architektur der PCs (Hallo, Atari!!) genauso simpel wie erwartet: Rechner aufschrauben, Steckkarte auf freien Steckplatz schieben, Rechner zu, fertig! Ebenfalls problemlos bewerkstelligt der geübte PCIer die Installation der Software: Ordner (Entschuldigung, auf dem PC heißt's ja Sub-Directory...) kreieren, die gepackte, selbstextrahierende Treibersoftware hineinkopieren, Packfile starten, das war's. Einen dicken Rüffel muß sich der Gemulator allerdings in Hinsicht auf sein recht bescheidenes Handbuch gefallen lassen, in dem wir nicht nur eine »Trouble-Shooting« Sektion sehr schmerzlich vermissen. Gerade auf gut bestückten PCs kann es nämlich durchaus schon einmal Vorkommen, daß sich verschiedene Steckkarten mit gleicher Port-Adresse oder gleicher Interrupt-Nutzung gehörig in die Quere kommen. Im Ernstfall ist man also gezwungen, den Telefonhörer zu schwingen und ein kosten intensives Gespräch mit dem Europa-Vertrieb in den Niederlanden zu führen.

Die Praxis

Nach dem Start des Gemulators findet sich der Anwender zunächst in einem kleinen Command-Line Interpreter (tja, das ist DOS, wie es leibt und lebt...) wieder, in dem er vor der eigentlichen Emulation noch einige Optionen wie z.B. einen Quick-Modus für flotte 486er PCs wählen oder per »Swap«-Befehl die »Laufwerk A/B« Zuordnung seiner Diskdrives wechseln darf. Mit der Anweisung »Install« beginnt dann der Ernst des ST-Lebens, und der verblüffte PC-Anwender sieht sich nach einigen Sekunden einem perfekten ST-Desktop gegenüber. Wieviel ST-RAM nun maximal zur Verfügung steht, hängt vom Speicherausbau des PCs ab, ein 4MByte-Rechner kann bis zu 1MByte emulieren, unter einem 8MByte PC stehen bis zu 4MByte bereit. Der Gemulator unterstützt alle ST-Standard-Auflösungen und ermöglicht bei Verwendung des mitgelieferten VGA.PRG im Auto-Ordner auch die Nutzung von 16 VGA-Farben bei einer Auflösung von 640x480 Punkten. Der Wechsel der Bildschirm-Modi erfolgt ungewohnt bequem ohne Umstöpseln der Monitore einfach durch die Tastenkombination: < Shift-F12 >. Die Ausgabe von Sound und MIDI-Daten beherrscht der Gemulator zur Zeit noch nicht.

Erste Versuche mit Standard-Software verliefen überraschend positiv und vermittelten den Eindruck, mit einem ganz gewöhnlichen ST zu arbeiten, bei dem lediglich die Bildschirmausgabe etwas zögerlicher als gewohnt vonstatten ging. Ein Benchmarktest mit dem mitgelieferten Quickindex 2.2 bestätigten dies: Im direkten Vergleich zu einem STE reichte unser Test-486er mit 33Mhz nahezu in allen Bereichen an die 100 Prozent heran, lediglich die GEMDOS-Ausga-be mußte sich mit lediglich 50 Prozent Perfomance bescheiden. Geradezu sensationell fielen hingegen die Prozessor-Benchmarks aus, die den normalen STE mit Ergebnissen von 500 bis 800 Prozent in die 16Mhz Schranken wiesen. Da jedoch Quickindex aus dem selben Hause stammt wie der Gemulator (Branch Always Software), wollten wir die Rechenleistung sicherheitshalber mit einem eigenen kleinen Benchmark-Test überprüfen. Zu diesem Zweck mußte unser STleon gegen einen »ganz normalen« ST mit 4 MB RAM antreten. Die Wettkampf-Aufgaben: Ausführen von vier Millionen Fließkommaoperationen (vom Typ double) und 16 Millionen Integer-Operationen. Ergebnis: Die Integer- Berechnungen führte unser STleon in ca. 23 Sekunden aus, der echte ST benötigte hierzu 33 Sekunden. Noch deutlicher fiel der Test bei den Fließkomma-Zahlen aus: 25 Sek. gegenüber 40 Sek. Fairerweise muß allerdings erwähnt werden, daß der 486er über einen integrierten Mathe-Coprozessor verfügt. Wen wundert's dann. In der Praxis dürfte sich das 486er STleon also irgendwo zwischen ST und STE bewegen. Für einen Software-Emulator (!!!) eine sicherlich mehr als überzeugende Leistung. Das positive Bild trüben dabei lediglich teilweise äußerst lange Ladezeiten von Diskette.

An dieser Stelle interessiert Sie jetzt sicherlich, was läuft unter dem Gemulator und was nicht. Die Anwort ist recht einfach: GEM-konforme Software verarbeitet der Gemulator anstandslos, bei Programmen, die Hardware-nah das Letzte aus dem ST herauskitzeln, gerät der Emulator ins Schwitzen, sprich er stürzt ab (nur auf der ST-Ebene allerdings!). Kritisch verhalten sich natürlich auch kopiergeschützte Programme, ganz unmöglich ist die Nutzung von Dongle-geschützten Anwendungen.

Gut gelöst ist unter dem Gemulator übrigens die gemeinsame Nutzung der PC-Festplatte. Wer keine Lust hat, seine Platte neu zu formatieren und dem Gemulator eine eigene 32 MB Partition (größer geht's leider nicht) zu spendieren, nutzt einfach die Option der »virtuellen Hardddisk«. In diesem Fall übernimmt nämlich einfach ein in seiner Größe flexibles File (wiederum bis 32 MB) die Aufgabe einer eigenständigen Partition. Diese virtuelle HD verhält sich für den Anwender exakt wie eine normale Festplatte, mit dem Unterschied, daß die hierin enthaltenen Files unter DOS nicht zugänglich sind. Branch Always Software empfiehlt dabei die Verwendung des SUPRA- (im Lieferumfang enthalten) oder ICD-Festplattentreiber, da der original Atari-Treiber nicht einwandfrei mit dem Gemulator zusammenarbeitet.

Einspruch

Bei allen Benchmarks und Kompatibilitätstests bleibt allerdings eine Frage nach wie vor unbeantwortet: Wofür das Ganze? Zwar scheint die Idee, auf seinem PC »mal eben« einen ST zu emulieren, recht reizvoll, und der Gemulator erfüllt seine Aufgabe wirklich überzeugend. Doch welche Anwendungen hat die ST-Welt zu bieten, die nicht in wenigstens ähnlicher Qualität auch der DOS, bzw. Windows-Schiene zugänglich sind? Auch das Argument, ein Umsteiger könne so einen Teil seiner heißgeliebten ST-Programme noch ein Weilchen weiter nutzen, klingt nur wenig überzeugend, da der Gemulator mit immerhin 499 Mark zu Buche schlägt. Angesichts der überzeugenden Emulator-Leistungen ein sicherlich gerechtfertigter Preis, jedoch bekommt man hierfür mit etwas Glück bereits einen gebrauchtem 1040ST mit Monitor - wenn auch ohne Festplatte. Nicht unbedingt für den Gemulator spricht auch der enorme Hardware-Aufwand von Seiten des PCs, wobei dann trotz 486er Prozessors immer noch leichte Einbußen bei der Grafikausgabe in Kauf genommen werden müssen.

Andererseits soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß der Gemulator selbst unsere kühnsten Erwartungen hinsichtlich seiner Funktionalität bei weitem übertrifft. Beim Programmierer des Emulators muß es sich wahrlich um einen intimen Kenner beider Rechnerwelten handeln. Hochachtung! Auf der Haben-Seite notieren wir weiterhin das bequeme Wechseln der ST-Auflösung und die partielleUnterstützung der TT-VGA Auflösungen. Ferner vermochte uns auch die geschickte, wenn auch eher karg dokumentierte Lösung der virtuellen ST-Fest-platten Partition zu überzeugen. Der Gemulator würde unsere uneingeschränkte Empfehlung erhalten, handelte es sich dabei um eine 100 bis 200 Mark günstigere, reine Software-Lösung. Da dies aber schon aufgrund Lizenz-rechtlicher Probleme scheitern dürfte, scheint uns der Kauf des Gemulators eine zumindestens sehr zweischneidige Angelegenheit, die sich Interessenten lieber drei- als zweimal durch den Kopf gehen lassen sollten.

WERTUNG

Name: Gemulator
Preis: 499 Mark
Hersteller: Branch Always Software

Stärken: Gute und schnelle ST-Emulation auf 386 u. 486 PCs □ bequemes Wechseln der Auflösungen □ VGA-Unterstützung □ virtuelle ST-HD-Partition auf PC-Festplatte.

Schwächen: Dokumentation ungenügend □ zweifelhafter Nutzen □ hoher Hardware-Aufwand erforderlich □ Preis nur geringfügig günstiger als ein gebrauchter ST □ MIDI und Sound zur Zeit nicht implementiert.

Fazit: Gelungener ST-Emulator für PCs allerdings mit zweifelhaftem Nutzen


Kai Schwirzke
Aus: TOS 06 / 1993, Seite 40

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