Editorial: Chancen

Der Computerbranche geht’s nicht gut, das steht wohl außer Frage. Sogar Mother Blue schreibt keine schwarzen Zahlen mehr. Im Markt der IBM-Kompatiblen tobt ein gnadenloser Preiskampf. Aber auch »Nischenmärkten« bläst der Wind inzwischen eiskalt ins Gesicht. So präsentiert Commodore zwar in schöner Regelmäßigkeit neue Maschinen, doch der große Erfolg läßt auf sich warten. Auch Apple spielt das beliebte Spiel aus alt mach’ neu. Leicht geliftete Technik in moderneren Gehäusen zu — für Apple-Verhältnisse — moderaten Preisen, heißt das Motto der Marketingstrategen. Aber auch Atari winkt Fortuna nicht gerade.

Die Firma hat mit dem Falcon 030 sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Vorsprung — zumindest was die Technik angeht. Sie werden mir jetzt sicher widersprechen: »Technischer Vorsprung? Ich will ja einen Falcon kaufen, aber wie soll ich das bitte sehr anstellen? Erstens gibt’s kaum noch Händler und zweitens scheint Atari die Falcons in einer Garage und nicht in Serie zu produzieren, so knapp sind die Stückzahlen.«

Recht haben Sie! Das Händlernetz ist kleiner geworden; Atari hat erhebliche Probleme, große Stückzahlen zu liefern. Doch bleiben wir fair. Die ersten Falcons wurden, wie versprochen, im letzten Jahr ausgeliefert. Seitdem finden immer wieder Geräte ihren Weg zu den Händlern und sogar in Kaufhäuser. Auch die ersten maßgeschneiderten Softwarepakete sind zu haben.

Seit Eric »Mr. MiNT« Smith bei Atari ist, macht MultiTOS Entwicklungsschritte in Siebenmeilenstiefeln und steht kurz vor der Freigabe. Aus Amerika ist zu vernehmen, daß der Falcon 030 nur das erste Gerät einer neuen Computergeneration ist und Atari am »Familienzuwachs« arbeitet.

Ich glaube, Atari hat Chancen im Spiel um die Marktanteile. Die Frage ist nur, wie lange noch. Unsere Geduld wurde sicherlich schon stark beansprucht, aber das weiß inzwischen auch Atari. Ein positives Zeichen ist das verstärkte Engagement von Jack Tramiel, der sich lange Zeit im Hintergrund gehalten hat. Er weiß: Die Zeit ist knapp, aber sie sollte ausreichen.

Schließlich hat es dieser Mann schon zweimal geschafft, die Fachwelt zu überraschen: Einmal mit dem Dauerläufer »C 64« und bei Atari mit dem »ST«. Warum sollte es eigentlich nicht ein drittes Mal klappen?

In diesem Sinne Ihr


Uwe Wirth
Aus: ST-Magazin 03 / 1993, Seite 3

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