Editorial: Zahnpasta

Ohne Zweifel: Die Hardware des Falcon 030 ist gut genug für Erfolge — das rege Interesse der Messebesucher beim F030-Debüt in Düsseldorf war nur ein erstes Zeichen. Wie Atari sein Comeback allerdings in der Praxis gestalten will, darüber erhitzen sich die Gemüter nach wie vor. Zu wirr präsentiert sich die Firmenpolitik, als daß man Atari den Sprung aus dem Stand über die hochgelegte Latte Zutrauen könnte. Fast alle wichtigen Entscheidungen werden mehr oder weniger einsam von oben herab getroffen (meist über das Mutterhaus in den USA), erweisen sich kurze Zeit später als nicht zu Ende gedacht und werden dann in letzter Minute umgeworfen (z. B. ST-Book). Der Eindruck nach außen: chaotisches Management, keine Firma, mit der man gerne plant.

Natürlich stellt sich — jeder Klugscheißerei voraus — die Frage, ob es z. B. einem Redakteur (der zudem noch recht jung an Jahren ist) überhaupt zusteht, altkluge Kommentare zur Marketing-Politik einer ihm nur aus einer gewissen Distanz bekannten Firma abzugeben — ähnlich jenen frustrierten Zeitgenossen, die sich allabendlich am Stammtisch hinter schweren Humpen verschanzen, um aus sicherer Entfernung großmäulig die Welt zu verbessern. Nein, altkluge Kommentare stehen natürlich nur Expertenrunden zu!

Aber beginnt das Bild nicht zu schwanken, wenn überzeugende Werbefüchse auch bei Atari selbst nicht zu finden sind? Über viele Jahre aufgebautes kaufmännisches oder technisches Fachwissen verrät grundsätzlich noch gar nichts über die Kunst, eine ganze Nation z.B. von teuren angefressenen Apfel zu überzeugen, ohne ein einziges technisches Detail zu nennen. Im Klartext: Apple Computer hätte sich gehütet, die Werbeschlacht zur Markteinführung des Powerbook selbst in die Hand zu nehmen. Das hat eine junge freche Werbeagentur viel erfolgreicher übernommen, als es die betriebsblinden Insider je gekonnt hätten. Klar, auch Atari arbeitet mit einer Agentur zusammen. Das Messevideo war sogar sehr gelungen. Wo aber bleibt so etwas wie ein Werbefeldzug?

Wie pusht man Zahnpasta in einen Markt, auf dem es schon dreißig Konkurrenz-Karies-Killer gibt? Zahnpasta und Computer lassen sich ja auch gar nicht vergleichen? Ein Computer ist viel erklärungsbedürftiger? Ach was! Will Atari den Durchbruch, müssen ungeheuer viele Kunden gewonnen werden, die nicht aus dem warmen Szenenest stammen. Ja noch mehr: Da der Falcon 030 eine Consumer-Maschine ist, müssen auch Käufer hinzukommen, die vorher gar keinen Computer hatten. Einsteiger aber fasziniert man gewiß nicht mit »DSP56k«, »16 MIPS« oder »SCSI II«. Was von der Erklärungsbedürftigkeit des Computers übrigbleibt, sind plötzlich nur noch Werbeimpressionen: Grafik, Sound, Faszination.

Nun, lieber Leser, überlegen Sie selbst, wie Sie Werbung für den Falcon 030 machen würden, wenn man Sie ließe. Letztendlich zählt weder die Erfahrung noch das Alter. Nur der Erfolg!

Übrigens: Falsch ist, daß das ST-Magazin zum Ende des Jahres eingestellt wird. Richtig ist vielmehr, daß Ihr ST-Magazin weiterhin erscheinen wird — nur nicht mehr bei Markt & Technik sondern bei der AWi Aktuelles Wissen Verlagsgesellschaft mbH. Achten Sie auf das Impressum!

Es grüßt Sie freundlich


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 10 / 1992, Seite 3

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