Cubase 1.0: Der Würfel ist gefallen (Teil 2)

Im ersten Teil dieses Berichts standen die Fähigkeiten des musikalischen Multitasking-Systems »M-ROS« und die Benutzerführung von »Cubase« im Vordergrund. Jetzt geht es darum, wie Sie mit diesem neuen Steinberg-Sequenzer auf einfache Art und Weise Ihre künftigen Hits ausknobeln.

Im Gegensatz zum Vorgänger Twenty Four sind bei Cubase sechzehn verschiedene Ebenen vorhanden, die sogenannten Arrange-Windows. In jeder Ebene produzieren Sie ein eigenständiges Arrangement. Alle Arrangements haben Zugriff auf die 64 Spuren des Systems, wobei für jedes Arrangement unterschiedliche Trackeinstellungen möglich sind. So bearbeiten Sie entweder verschiedene Songs gleichzeitig oder arrangieren unterschiedliche Versionen eines Stücks. Das altbekannte Klemmbrett gestattet den Datenaustausch zwischen den Ebenen.

Sind Sie mit dem Ergebnis Ihrer Arbeit zufrieden, speichern Sie je nach Wunsch ein einzelnes Arrangement oder alle sechzehn Ebenen gemeinsam. Einzelne Pattern, »Parts« genannt, lassen sich ebenfalls archivieren. Cubase lädt neben dem eigenen Format auch Twenty Four- und Midi-File-Songs anstandslos.

Neben den 64 »normalen« Tracks stellt Cubase noch sogenannte »Group-Tracks« bereit. In diesen Group-Tracks fassen Sie zusammengehörige Instrumente zusammen, so daß Cubase sie als Einheit behandelt. Dazu ein Beispiel: Sie erinnern sich an unsere Refrain-Brass-Sektion aus der letzten Ausgabe — richtig, die zuerst wie Ernst Mosch klang. Dabei sind vielleicht vier Parts auf vier Spuren belegt, die Sie bei jedem Refrain wieder neu verschieben müssen. Das ist nicht nur äußerst mühselig, größere Arrangements werden dadurch schnell unübersichtlich.

Dem Cubase-Anwender sind solche Probleme unbekannt. Er greift zur Maus, markiert die Bläserparts, faßt sie als »Group« zusammen und hat nur noch ein einziges, handliches Pattern im Group Track zu kopieren.

Zur gezielten Weiterverarbeitung der eingespielten Daten stehen Ihnen umfangreiche Quantisierungs- und Editierfunktionen hilfreich zur Seite. Allein fünf verschiedene Quantisierungsarten sind verfügbar, einige davon sogar »Online«, d. h. die Quantisierung erfolgt bereits beim Einspielen.

In der Tabelle arrangieren Sie die Schlagzeug-Pattern

Natürlich beschränkt sich Cubase nicht nur auf die bloße Timing-Korrektur. Mit »Iterative Quantize« ist der Grad der »Quantisierungsintensität« frei wählbar. Wenn Sie also Ihrer »Solotrompete« im nachhinein ein etwas jazzigeres Feeling verleihen wollen, wählen Sie als Raster einfach 8tel Triolen und eine 30-prozentige »Quantize-Strength«. Schon swingt die Trompete wie gewünscht. Eine einfache, aber durchaus wirkungsvolle Funktion.

Ein großes Problem bisheriger Quantisierungsalgorithmen war das Erfassen von Grooves. Oftmals kam es vor, daß beim Zuhörer trotz exakter Quantisierung der Eindruck rhythmischer Ungenauigkeit entstand, weil die Quantisierung nicht auf einen »von Hand« eingespielten Groove achtete. Hier tritt bei Cubase »Match Quantize« oder »Groove Quantize« auf den Plan. Mit diesen Funktionen geben Sie entweder selbst den Quantisierungs-Groove vor oder Sie teilen dem Programm mit, welcher Part als Vorlage für den Quantisierungsprozeß dienen soll. Dadurch sind Sie nicht mehr von der Maschine abhängig, sondern haben zu jeder Zeit lOOprozentige Kontrolle über die rhythmische Struktur des Songs.

Optimale Kontrolle über die vorliegenden MIDI-Daten bieten die fünf verschiedenen Editortypen: Grid-, Key-, Score-, Drum- und Logical Edit. Grundsätzlich erlauben alle Editoren Real-time-Editierung. Der Grid-Editor besteht im Prinzip aus zwei Teilen: der Event-Liste, in der alle MIDl-Daten chronologisch geordnet sind, und dem Grid, das die Events grafisch anzeigt. Im Gegensatz zum Twenty-Four läuft hier bei aktivem Sequenzer in der Event-Liste ein Pfeil und im Grid ein »Lineal« zur genauen Positionsbestimmung mit. Dieser Editor eignet sich besonders für die Feinarbeit, wie Handquantisierung, Korrektur von Parts oder der Anpassung von Anschlagsdynamik und Notenlänge.

Cubase erlaubt das Markieren von mehreren Startpositionen

Dem Grid-Editor sehr ähnlich ist der Key-Editor. Er stellt die Noten ähnlich wie auf der Notenrolle eines mechanischen Klaviers oder einer Spieluhr dar. Unter der »Notenrolle« zeigt das »Control Display« Controller-Daten wie Modulation oder Pitch-Bending an. Bemerkenswert ist das Chord-Display, das über die jeweils gespielten Harmonien informiert.

Der Score-Editor gibt, wie der Name schon vermuten läßt, beliebig viele Parts in Notenschrift auf den Bildschirm aus.

Ein Ausdruck ist leider nicht vorgesehen. Ansonsten liefert der Score-Editor aber hervorragende Ergebnisse. Die vorhandenen Funktionen sind gut durchdacht und effizient.

Auch der Drum-Editor bedarf kaum der näheren Erläuterung. Sie ordnen zunächst jedem Instrument die entsprechende Note zu und arrangieren dann in einer übersichtlichen Tabelle die Schlagzeug- und Percussions-Pattern. Steinberg liefert für die gebräuchlichsten Synthesizer und Drumcomputer Setups mit, so daß Sie im Regelfall sofort mit dem Drum-Editor arbeiten können. Sie müssen lediglich die gewünschten Parts per Mausklick in Schlagzeug-Parts umwandeln.

Etwas aus dem Rahmen fällt der Logical-Editor. Im Gegensatz zu den anderen Editoren manipulieren Sie hier die Daten anhand mathematischer und logischer Gesetzmäßigkeiten.

Im Verbund mit anderem Equipment läßt sich Cubase extern über MIDI-Clock oder SMPTE-Time-Code per Interface ansteuern. Besonders hervorzuheben ist die »Human Sync«-Einstellung. Hier bestimmt der Musiker selbst durch sein Spiel das Sequenzertempo.

In der Praxis sieht eine typische Anwendung folgendermaßen aus: Einem älteren Masterband sollen einige zeitgemäße Synthesizer-Sounds hinzugefügt werden. Da auf Masterbändern unglücklicherweise keine Time-Codes mehr piepsen und der Drummer vielleicht Timingschwankungen zu seinem Markenzeichen auserkoren hat, sind Sequenzeranwendungen in diesem Fall normalerweise unmöglich.

Nicht so mit Cubase, das sich problemlos an das »Interface Mensch« anpaßt. Denkbar ist auch, daß auf diese Weise ein Drummer per MIDI-fähigem Drumkit Cubase während eines Life-Auftritts steuert. Bis vor kurzem war für derartige Aufgaben noch teure Hardware vonnöten, auf die künftige Cubaseier aber getrost verzichten dürfen.

Die Tastatur können Sie softwaremäßig beliebig splitten, sofern das Master-Keyboard dies zuläßt

Über die reinen Sequenzeranwendungen hinaus emuliert Cubase verschiedene Funktionen eines Digital-Delays. Mit Hilfe dieses »MIDI-Prozessors« erzielen Sie interessante Echo-, Pitch-, Shifting-und Arpeggio-Effekte. Der »MIDI-Prozessor« ist durchaus in der Lage, für einige Effekte ein externes Delay zu entlasten. Bedenken Sie jedoch, daß die Softwarelösung Stimmen am angeschlossenen Synthesizer verbraucht.

Nach unserem mehrwöchigen Praxistest läßt sich festhalten: Cubase nimmt momentan den Spitzenplatz unter der Recordingsoftware ein. Der empfohlene Verkaufspreis von 790 Mark ist angesichts der gebotenen Qualität und Quantität äußerst günstig.

Kein anderes Programm bietet zur Zeit soviel Bedienungskomfort und Funktionenvielfalt. Cubase hat sich als idealer Vermittler zwischen der eigenen Kreativität und dem Computer bewährt. Zu keiner Zeit fühlten wir uns durch Cubase in der Verwirklichung unserer musikalischen Ideen behindert, im Gegenteil, Cubase unterstützt den Musiker in jeder Arbeitsphase optimal.

Den MIDI-Effekt-Prozessor bedienen Sie bequem mit der Maus

Wer jetzt angesichts solch starker Computerunterstützung um die Originalität und Menschlichkeit in der Musik fürchtet, dem sei versichert: Ideen und Kreativität auf Knopfdruck liefert Cubase nicht, hier ist glücklicherweise noch immer der Musiker gefragt. Eine »ideenreiche Software« läßt sich auch in nächster Zeit nicht realisieren.

Wie Steinberg kurz vor Redaktionsschluß mitteilte, ist Ende August ein M-ROS-Update auf die Version 2.0 vorgesehen. Wir werden unsere Leser selbstverständlich auf dem Laufenden halten. (wk)

Vertrieb: TSI GmbH, Neuste 9-12.5488 Waldorf

Wertung
Programmname:Cubase Version 1.0
Preis:790 Mark
Hersteller:Steinberg
Stärken:
□ echtes Multitasking □ hervorragende Benutzerführung □ Umfang der Funktionen
Schwächen:
keine Schwächen im Test aufgefallen
Fazit:
Ein absolut professionelles Programm für höchste Ansprüche

Kai Schwirzke
Aus: ST-Magazin 09 / 1989, Seite 148

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