Wer offenen Auges durch die Welt geht, wird verwundert feststellen, dass Atari-Computer immer noch hier und da ihren Dienst tun. Heute schauen wir uns wieder einmal eine etwas ungewöhnliche Nutzung an.
Wie präsentiert man Begriffe wie Spiritualität, Geistigkeit oder gar Gott, ohne kirchlich oder naiv zu wirken? Wie macht man spirituelle Ideen transparent? Die Christian Science-Bewegung, eine weltweite Organisation mit weltweit Hunderten von Vertretungen versucht neue Wege zu gehen und hier moderne Technik intelligent einzusetzen. Wer zum Beispiel am Christian Science Center in schleswig-holsteinischen Rendsburg vorbei schlendert, bleibt unwillkürlich am Schaufenster kleben. Neben modern gestalteten Postern und dem Aushang der Tageszeitung „The Christian Science Monitor" läuft auf einem 17-Zoll-Monitor eine Slideshow aus wechselnden Grafiken und Texten. Die Grafiken sind gut ausgewählt und sprechen moderne Menschen schnell an, die Texte sind interessant und gut lesbar.
Wer nun die Monitorkabel etwas mit scharfem Blick verfolgt, kommt nicht umhin, unter einer Besuchercouch die vertrauten Kühlrippen eines Atari-Tastaturgehäuses herauslugen zu sehen. Hier scheint also eine echte Überraschung auf uns zu warten...
Perfekt präsentiert mit Atari. Und tatsächlich: Unter dem Sofa werkelt heimlich, still und leise ein Atari Falcon 030 vor sich hin.
«Als das Center in Rendsburg er-öffnete, war uns klar, dass wir eine neue Möglichkeit brauchten, um Zitate aus unserem Hauptwerk „Wissenschaft und Gesundheit" zu präsentieren. Früher haben wir direkt die Bücher aufgeschlagen und mit Hervorhebungen ins Schaufenster gestellt oder Zitate groß kopiert. In der medialen Zeit wirkt dies aber nicht mehr und kann keine Aufmerksamkeit mehr erregen. An laufenden Bildern bleiben Menschen aber hingegen oft hängen.»
Eine Slideshow mittels Computer im Schaufenster ist sicherlich nichts grundlegendes Neues. Einen Atari dafür einzusetzen ist aber mehr als ungewöhnlich. Zumeist wird heute mehr auf PowerPoint auf PC oder Mac gesetzt. Was sind nun die Gründe für das Christian Science Center, einen Atari einzusetzen? «Bei der Konzeption haben wir uns viele Gedanken über die Umsetzung gemacht. Ein Mac kam von vornherein nicht in Frage, da die Anschaffungskosten zu hoch waren. Der Mac wird in unserer Organisation aber grundsätzlich im Bürobetrieb und als öffentliches Internet-Terminal eingesetzt. Mit PCs hatten wir wenig Erfahrung, und einen Desktop oder gar ein Towergehäuse konnten wir aus optischen Gründen nicht im Schaufenster akzeptieren. Ein Laptop war uns wiederum zu teuer. Wir waren aber offen für Alternativen. Ein Mitarbeiter kannte sich ein wenig mit Scala auf dem Amiga aus, es stand zwar ein Amiga 1200 greifbar, die Software war allerdings nicht mehr vorhanden.»
Die Mitarbeiter des Christian Science Center mussten also eine andere Lösung finden. «Es war von Anfang an unsere Idee, den Rechner unter der Besuchercouch verschwinden zu lassen, damit er nicht im Schaufenster Platz weg nimmt und einfach blöd aussieht. Da Scala für den Amiga nicht verfügbar war, schwärmte uns ein Bekannter vom Atari Falcon vor, der bei ihm zuhause stand und aufgrund des schnelleren Mac kaum noch Einsatz fand.» Durch das flache Tastaturgehäuse eignete sich der Rechner von der Hardware her sofort. Ein Problem war nun die Software.
«Wir schauten uns ein wenig in alten Zeitschriften um und Overlay schien uns für unserer Zwecke genau das richtige zu sein.»
Der Atari Falcon, der mit Overlay II arbeitet, ist mit 14 MBytes RAM ausgestattet. Der 68030-Prozessor läuft mit 32 MHz. «Diese Quasi-Grundausstattung erwies sich als absolut zufriedenstellend», erzählt Michael Kamp vom Center. «Die Grafiken nutzen den 256-Farben-Modus in der Auflösung von 640 x 480 Bildpunkten. Die Bilder und Texte bauen sich schnell auf und wenn nicht allzu aufwändige Überblendungen gewählt werden, reicht die Geschwindigkeit auch dafür. Und 256 Farben reichen durchaus für Eyecatcher aus.»
Noch etwas führte zur Auswahl des Falcon als Präsentationsmaschine: «Der Rechner muss absolut stabil laufen, denn er ist hier immerhin 24 Stunden am Tag im Dauereinsatz. Da kann es nicht sein, dass ein System aufgrund seiner Komplexität abstürzt. Der Falcon diente schon einmal als Anrufbeantworter über knapp zwei Jahre ohne Pause, sodass wir absolutes Zutrauen zu der Maschine haben konnten. Seit vier Monaten läuft das Gerät unter MagiC 6.1 nun auch mit Overlay ohne Pause -reife Leistung!»
Ein weiterer Punkt ist, dass der Falcon kein hohes Geräuschaufkommen hat. «Die Festplatte hat nur beim Start der Präsentation die Grafiken und Texte geladen, seitdem steht sie im Ruhezustand. Und der kleinen Lüfter im Gehäuseboden ist fast unhörbar und stört Kunden und Studierende nicht.»
Die Grafiken hat das Center bei einem Bilderservice im Internet gefunden. Als Texte dienen prägnante Zitate aus dem Hauptwerk „Wissenschaft und Gesundheit", ein Bestseller im Bereich des mentalen Heilens mit bisher mehr als 10 Millionen verkauften Exemplaren. «Es kommt uns gar nicht so sehr darauf an, dass die Leute gleich hereinkommen, um das Buch zu kaufen. Vielmehr sollen auch Vorbeihuschende einen Gedanken aufschnappen können, der ihnen vielleicht etwas sagt und mit dem sie arbeiten können. Dann war unsere Arbeit erfolgreich», erklärt ein Mitarbeiter im Verkauf. Gewählt wurden daher helle klare Buchstaben auf dezentem Hintergrund sowie Grafiken, die die dahinter stehende Idee verdeutlichen.
Auf dem Macintosh G4 werden die Bilder vorbereitet. Das Programm Graphic Converter wandelt die Grafiken optimiert in eine Farbtiefe von 8 Bit und speichert sie im IMC-Format, das von Overlay II gefordert wird. Die Texte werden direkt am Atari in Overlay eingegeben.
Overlay wird leider nicht mehr weiterentwickelt. Trotzdem bietet es einige Möglichkeiten für die Zukunft. «Vielleicht werden wir in Zukunft eine interaktive Präsentation machen», erzählt Kamp weiter. «Overlay bietet mit seinem Hyperlay-Modul hier einige Möglichkeiten, die wir eventuell nutzen werden.»
Trotzdem gibt es einige Einschränkungen. «In erster Linie ist die Behandlung von Texten innerhalb von Overlay doch recht eingeschränkt. Texte werden grundsätzlich in Grafiken gewandelt und sind danach nicht mehr editierbar. Ein Text muss also neu eingegeben werden, wenn man sich zum Beispiel vertippt hat.» Trotzdem sind die Mitarbeiter nicht unzufrieden mit der Software. «Es ist schon erstaunlich, welche Leistung das Programm und der Falcon bietet. Eigentlich wird immer eine sehr viel stärkere Hardware hinter der Präsentation erwartet.»
Sind Erweiterungen für die Zukunft geplant? «Die Centurbo 060 klingt interessant - besonders, wenn eine entsprechende Grafikkarte verfügbar ist. Dann könnten auch aufwändigere Überblendeffekte von Overlay ruckelfrei genutzt werden. Manchmal liegt aber gerade in unauffälligen Effekten die Kraft. Allzu wilde Animationen stahlen oft auch eine gewisse Unruhe aus.»
Ist der ColdFire-Atari von Interesse als Ersatz für den „alten" Falcon? «Alles hängt davon ab, in welchem Gehäuse so ein Rechner steckt. Es ist aber nicht zu erwarten, dass noch jemand einen Tastaturrechner konstruiert. Insofern scheint uns die Centurbo 060 in unserem speziellen Fall interessanter zu sein.» Aber einen Pluspunkt sehen die Center-Mitarbeiter in einem neuen „Atari": «Vielleicht lohnt es sich dann für wieder, ein Präsentationsprogramm zu entwickeln oder Overlay weiterzuführen.
Auf den Atari Falcon des Christian Science Center in Rendsburg warten in Zukunft noch weitere Aufgaben. So sollen öffentliche Versammlungen in Zukunft multimedial begleitet werden. Wichtige Textpassagen einer Lesung, Liedernummern etc. sollen auf Leinwänden präsentiert werden. Auch hier soll Overlay zum Einsatz kommen. Die einzelnen Seiten sollen einfach per Mausklick wie in einer Diashow aufgerufen werden. «Hier spielt Overlay auf dem Falcon auf jeden Fall noch mit, zumal das RCB-Signal ja direkt auf den Projektor ausgegeben werden kann. Wenn als Rahmen allerdings Zitate flüssig auf die Leinwand „hineinschweben" sollen, sind wir allerdings an den Grenzen der gegenwärtigen Möglichkeiten. Animierte Texte und Grafiken ruckeln speziell in 256 Farben arg, weshalb wir bisher darauf verzichten. Vielleicht bringt hier die Centurbo plus einer Grafikerweiterung einiges - wir werden sehen.»
Aber auch im Ladenbetrieb kommt vielleicht bald ein Atari zum Einsatz. «Wir brauchen im Prinzip einen Rechner, der uns als Registrierkasse dient. Bisher schreiben wir direkt Rechnungen innerhalb von Word auf dem Macintosh. Das ist sehr umständlich, da der Rechner zumeist mit anderen Aufgaben wie dem Zeitschriftenlayout beschäftigt ist.» Also wird darüber nachgedacht, hier einen Mega ST anzuschaffen. Dieser hat keinen Lüfter und versieht somit schweigend seinen Dienst, damit nicht noch mehr Computer im Laden rauschen. Außerdem kann diese einfache Anwendung komplett von Diskette betrieben werden. Auf einem PC oder Mac ist dies nicht möglich. Somit entfällt auch das Geräusch einer Festplatte. «Es geht nicht darum, besondere Ruhe hier zu haben. Aber die Simplizität des Atari beeindruckt uns schon.» Auch für die Hardware scheint gesorgt: «Richard Gordon Faika (Luna, Arthur etc.) hat angeboten, sein Programm „Laden.prg" für uns weiterzuentwickeln und an unseren Bestand anzupassen. Damit erhalten wir eine maßgeschneiderte Applikation. Dies ist zu diesem Preis wohl auch nur im Atari-Markt möglich.»
Es ist immer wieder überraschend, wie gern mit dem Atari gearbeitet wird. Gerade in ungewöhnlichen Bereichen lässt sich Atari-Hardware noch interessant einsetzen - es kommt nur auf die Idee an.
Haben auch Sie den Atari in ungewöhnlichen Anwendungen im Einsatz? Dann würden wir uns freuen, von Ihnen zu hören
Christian Science Center Rendsburg, Altstädter Markt 1, Altstadtpassage 1. Stock, D-24768 Rendsburg
http://www.spirituality.com/