Der ST-Guide ist in die Jahre gekommen und wird seit längerer Zeit nicht mehr weiterentwickelt. Zeit also für einen Nachfolger.
Lange, bevor HTML-Viewer den Anwender mittels Hyperlinks und Grafiken in die von ihm installierten Programme einführten, hatte sich auf dem Atari der ST-Guide als Online-Hilfesystem durchgesetzt. Und noch heute steht das Anzeigeprogramm bei Anwendern hoch im Kurs, die in erster Linie die schnellen Ladezeiten auch auf „kleinen" Original-Ataris und die systemtransparente Einbindung schätzen gelernt haben. Trotzdem nagt der Zahn der Zeit immer weiter am ST-Guide: Unter Auflösungen mit mehr als 256 Farben werden auch farbige Grafiken nur noch in Graustufen angezeigt, Dateinamen dürfen auch in Zeiten von MagiC und MiNT nicht mehr als die berüchtigten 8+3 Zeichen umfassen und allgemein wirkte die optische Aufmachung etwas veraltet.
Das größte Problem des ST-Guide dürfte aber wohl die Einstellung seiner Weiterentwicklung sein, zumal das Programm bisher nicht als Open Source veröffentlicht wurde. So verwundert es nicht, dass insbesondere in dem TOS-Standardisierungsgremium TOSgroup über Alternativen zum ST-Guide diskutiert wird. Hier bietet sich insbesondere der HTML-Standard an, da es mittlerweile auch auf dem Atari genügend Darstellungsprogramme für dieses Format gibt. Hinzu kommt, dass HTML mehr Möglichkeiten zur Gestaltung von Hilfstexten gibt und die Dateien auch über Plattformgrenzen hinweg weitergegeben und dargestellt werden können. Gleichzeitig brauchen HTML-Dateien in der Regel aber mehr Zeit, um formatiert und grafisch dargestellt zu werden.
Eine Neuentwicklung von Philipp Donze könnte die Diskussionen nochmals anheizen. Der schweizer Entwickler hat mit Hyp_View ein Programm entwickelt, das in seiner endgültigen Version alle Funktionen des ST-Guide nachbilden soll und diese zum Teil in seiner frühen Version schon jetzt übertrifft. Hyp_View ist dabei ausdrücklich keine Übernahme der Quelltexte des ST-Guide, sondern eine komplette Neuentwicklung. Insofern können Einschränkungen und Fehler des Originals gesprengt werden.
Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses lag die Alpha-Version 0.07 vor, die wir uns im Preview angeschaut haben. Somit sei darauf verwiesen, dass es sich hier keinesfalls um einen bewertenden Testbericht handeln soll, der folgen wird, wenn die erste Komplettversion vorliegt. Nichtsdestotrotz steht Hyp_ View schon jetzt zum öffentlichen Testen im Internet zum freien Herunterladen bereit. Zusätzlich findet sich Hyp_View auf der aktuellen Leser-Diskette. Sie können sich also bereits jetzt ein eigenes Bild machen.
Als Ersatz des ST-Guide sollte natürlich auch Hyp_View auf nahezu jedem Atari ab dem ST laufen. Trotzdem können natürlich an heutige Anwender aktuelle Voraussetzungen gestellt werden. So dürfte wohl jeder halbwegs ambitionierte Anwender eine Darstellung mit mindestens 16 Farben nutzen, damit die verwendeten Pikto-gramme ästhetisch dargestellt werden. Die Größe des RAM-Speichers hängt durch die neuen Möglichkeiten natürlich auch vom Umfang der Online-Hilfe ab. Aber dazu später mehr...
Wir testeten Hyp_View 0.07 auf einem Power Macintosh G4 mit MagiC in der Version 6.20. Das Programm lässt sich sowohl als Programm starten als auch als Accessory installieren.
Hyp_View kommt schon in seiner zugegebenermaßen frühen Entwicklungsstufe mit nahezu allen ST-Guide-Dokumenten zurecht. Die Dateien können manuell nachgeladen oder per Drag & Drop an den Viewer übergeben werden. Die eleganteste Lösung ist natürlich, Hyp_View als Standard-Anzeigeprogramm für die Dateiendung „*.hyp" anzumelden, wie dies unter einem modernen Desktop wie jinnee, Thing oder später Direct möglich ist. Alternativ können Sie Hyp_View auch an die Stelle kopieren, an der sich bisher Ihr ST-Cuide befindet und das Programm entsprechend umbenennen. Falls Sie den originalen ST-Cuide als automatischen Anzeiger für entsprechende Dokumente eingerichtet hatten, wird nun Hyp_View benutzt.
Wie erwähnt war ein Hauptproblem des originalen ST-Cuide die fehlende Kompatibilität zu Auflösungen mit mehr als 256 Farben. Die entsprechenden Grafiken wurden schlichtweg schwarzweiß angezeigt. Hyp_View lässt nun endlich diese Einschränkung hinter sich und zeigt Grafiken auch problemlos unter True-Colour-Auflösungen an. Somit können Sie zum Beispiel auch die atos in Farbe unter allen Farbauflösungen genießen.
Ab der aktuellen Version hat sich auch etwas an der Oberfläche getan. Die etwas altmodisch aussehenden schwarzweißen Piktogramme sind durch farbige Äquivalente ersetzt worden. Dadurch wirkt der Viewer allgemein etwas frischer. Schön wäre es, wenn zukünftige Versionen das Nachladen von Piktogramm-Sammlungen zuließen. So könnte der Anwender zwischen unterschiedlichen Sets wählen und Hyp_View nach dem eigenen Geschmack gestalten.
Praktisch ist auch die dynamische Verwaltung der Fenstergröße. Das Anzeigefenster ist also jeweils nur so groß, wie dies vom gerade angezeigten Dokument benötigt wird. Dadurch wird viel Platz gespart, wovon wiederum Systeme mit kleinerem Bildschirm (gibt es noch SM 124-Benutzer da draußen?) profitieren. Alternativ kann das Ausgabefenster jedoch wie der originale ST-Guide eine feste Größe zugewiesen bekommen.
Die Beschränkung der Dokumentenbezeichnung auf 8 Zeichen wurde aufgehoben.
Ein in ST-Guide-Dokumenten nicht sehr häufig genutztes Feature ist die Möglichkeit, auf Mausklicks Popups zu öffnen, in denen sich z.B. Begriffsdefinitionen etc. befinden können. Ein Hauptgrund für die häufige Ignorierung dieser Funktion war nicht zuletzt der Umstand, dass sie multitaskingfeindlich agierte und bei einem Aufruf den Rechner während eines geöffneten Popups lahmlegte. Um dies zu umgehen, bringt Hyp_View Popups in einem eigenen Fenster ohne Randelemente unter. Diese agieren applikationsmodal. Die Menüzeile bleibt also aktiv, außerdem werden parallel laufende Applikationen nicht mehr blockiert.
Damit aber nicht genug: Popups können nun nicht nur Texte, sondern auch Grafikelemente und Bilder enthalten. Außerdem ist die Beschränkung der Popups auf eine Größe von 12 Zeilen mit maximal 60 Zeichen aufgehoben worden. Es sind keine Beschränkungen mehr vorhanden.
Die Konfiguration von Hyp_View erfolgt wie schon beim ST-Guide über eine eigene Datei, die mit einem Texteditor geändert werden kann. Es wäre schön, wenn endgültige Versionen die Einstellungen innerhalb eines Dialogfensters ermöglichen würden, um dem Anwender die Arbeit zu erleichtern.
Hyp_View lässt sich schon jetzt als ST-Guide-Ersatz ohne viele Probleme nutzen. Besonders Benutzer von Grafikkarten oder Emulationen werden die Neuentwicklung schnell zu schätzen wissen, da farbige ST-Guide-Dateien hier keine Freude waren und der Anwender mit monochromen Versionen fast besser bedient war. Da sich Hyp_View noch in einer frühen Version befindet, aber schon jetzt in den Standardfunktionen überzeugt, darf auf den Einsatz weiterer Optimierungen und echter Fortentwicklungen gehofft werden.
Ob ein neuer ST-Guide im Zeitalter von HTML noch Sinn macht, sei dahingestellt. Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass ST-Guide-Dateien schneller geladen sind und - durch die eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten- -weniger verspielt wirken. Ob sich Hyp-View jedoch als Standard bei einer möglichen neuen TOS-Version durchsetzen kann, muss letztendlich der Anwender entscheiden.
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