Um es gleich vorwegzunehmen: MyMail [1] ist ein komplettes Atari-Produkt, das sehr regelmäßig gepflegt wird. Auf der Webseite des Entwicklers Erik Hall findet sich häufiger ein Update als nach Software hungernde Atari-Anwender dies von anderen Programmen gewohnt sind. So verwundert es nicht, dass die meisten Versionen des E-Mail-Clients sehr stabil auf ST-kompatiblen Systemen laufen, die über ein AES-System verfügen, dass farbige Piktogramme und das AV-Server-Protokoll unterstützen. Vorausgesetzt werden außerdem 2 MBytes RAM und eine Bildschirmauflösung, die mindestens 16 Farben darzustellen vermag.
MyMail ist kompatibel mit dem STiK-/STinG-Standard und arbeitet auch mit MiNTnet zusammen. I-Connect wird nicht unterstützt.
Schon beim ersten Einblick in das Programm wird schnell klar, dass MyMail eine Vielzahl von Leistungen mitbringt, die in keinem anderen Programm zu finden sind.
Sehr willkommen ist z.B. der interne Nachrichten-Editor, der sonst nur im ASH EMailer geliefert wird. Der Anwender ist also nicht auf einen externen Texteditor wie Everest oder qed zum Verfassen seiner Nachrichten angewiesen, was eine professionellere Arbeitsweise ermöglicht. Der Nachteil ist natürlich, dass der interne Editor von MyMail im Leistungsumfang nicht mit ausgefeilten Editoren wie Luna konkurrieren kann.
Anhänge erscheinen ähnlich wie in Outlook Express in einem kleinen Extrafenster des Editors. Das Anhängen einer Datei ist dabei extrem leicht gehalten -selbst wer nicht gern Handbücher liest, sollte intuitiv damit zurecht kommen. Ein Rechtsklick auf das angehängte Piktogramm öffnet eine Dateiauswahlbox, die die Datei auswählen lässt, die versendet werden soll. Wenn Sie MyMail unter einem Multitasking-Betriebssystem wie MagiC oder N.AES betreiben, können Sie eine Datei auch per Drag & Drop zum Anhang erklären. Außerdem wird das GEM-Clipboard unterstützt, obwohl eine eigene Funktion zum Import von Text eine sinnvolle Ergänzung wäre. MyMail beinhaltet außerdem eine Funktion, die bisher nur von Produkten wie Outlook Express auf dem Mac oder PC her bekannt ist, und die auch die Version 2.0 des Marathon Mailers zieren soll: das progressive Ergänzen. Tippen Sie also eine E-Mail-Adresse ein, merkt sich MyMail diese und ergänzt die Buchstaben, die Sie eingeben, beim nächsten Aufruf selbständig. So wertvoll diese Funktion auch ist, so langsam arbeitet sie derzeit - ein generelles Problem von MyMail, auf das wir später noch zu sprechen kommen.
Das Adressbuch von MyMail erlaubt schnellen und unkomplizierten Zugriff auf E-Mail-Kontakte. Die eingetragenen Kontakte können nach Namen, Adressen oder Alias angezeigt und nach Name oder Alias sortiert werden. Zwar ist die Auswahl noch nicht so schnell wie z.B. bei NEWsie, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Anwender angesichts der progressiven Adressergänzung viel mit dem Adressbuch selbst arbeiten.
Anders als andere Programme offeriert MyMail eine Vielzahl von Funktionen zum Herunterladen von Nachrichten. Ein Mailfilter kann unerwünschte Nachrichten schon vor dem Abholen auf dem Server löschen. Neu hinzugekommen ist ein Spam-Filter, der Werbe-Nachrichten automatisch erkennt und löscht. Unter Multitaskingsystemen kann das Empfangen und Versenden von Mails komfortabel im Hintergrund geschehen.
Ähnlich wie aMail offeriert MyMail dem Benutzer eine Vielzahl von Kontrollmöglichkeiten über Nachrichteninhalte. So können Webadressen unkompliziert an einen Browser weitergegeben werden, wobei verschiedene Inhalte (E-Mail-Adressen etc.) in unterschiedlichen Farben dargestellt werden, damit sie dem Benutzer sofort auffallen. Ähnlich wie der ASH EMailer kann auch MyMail Emotion Icons (Emoticons) oder Smileys grafisch anzeigen - die Arbeit mit dem Programm ist also bunt.
Anwender von Outlook auf dem PC oder Macintosh kennen die Möglichkeit, sogenannte „vcards“ - also Visitenkarten mit Zusatzinformationen zu jedem Adressbucheintrag - anzulegen. Auch MyMail bietet dieses Feature nun auch, obwohl noch nicht ganz so komplex und ausgefeilt wie das Microsoft-Produkt. Die Routinen des entsprechenden Menüs scheinen außerdem noch arg fehlerhaft zu sein, sodass sie auf keiner unserer Testrechner fehlerfrei arbeiteten.
Der Mail-Editor von MyMail beherrscht auch die Auto-Vervollständigung von Adressen. Haben Sie eine Adresse also schon einmal eingegeben, bietet sie MyMail bei nochmaliger Eingabe zur Auswahl.
Das Hauptproblem von MyMail ist seine Benutzeroberfläche. Auf den ersten Blick weiß das Interface durchaus anzusprechen, wobei die genutzten animierten Piktogramme auf dem Atari extrem selten anzutreffen sind und auf kleinen Maschinen auch viel Rechenleistung vergeuden. Allerdings arbeitet MyMail in einem GEM-Fenster, dessen Größe nicht verändert werden kann, was es etwas schwierig macht, mit dem Programm zu arbeiten. In niedrigen Bildschirmauflösungen füllt MyMail grosse Teile wenn nicht sogar den gesamten Bildschirm aus. Auch mit der Möglichkeit, GEM-Fenster unter MagiC und N.AES zu minimieren, ist die Nutzung des Arbeitsfensters extrem frustrierend.
Auch unter hohen Auflösungen auf einer Grafikkarte macht die Unmöglichkeit, die Fenstergröße zu ändern, Probleme. So ist es z.B. nicht möglich, einen langen Betreff zu lesen, indem man das Fenster’ einfach größer zieht, was das Auffinden von Nachrichten erschwert. Dieses Problem wird noch maximiert durch das Fehlen von Suchfunktionen und die Darstellung der Postfächer, die viel Platz beansprucht. Eine Option zum Verstecken dieses Fensterteils wäre schon recht hilfreich.
Die Piktogrammleiste im Arbeitsfenster ist leider nur teilweise sinnvoll. Einige Icons ignorieren nämlich den Sinn von Piktogrammleisten, der darin besteht, häufig genutzte Funktion per Mausklick bereitzustellen. Die Farbe der Textanzeige zu ändern oder die Konfiguration der Voreinstellungen ist jedoch nicht so wichtig, dass sie mit jedem Programmstart bereitstehen muss.
Auch das Löschen von Text ist komplizierter als es sein müsste. Innerhalb des Textes muss mit Rechtsklicks ein Abschnitt als gelöscht. Um ihn aber permanent zu löschen, muss zusätzlich das Mülleimer-Piktogramm gewählt werden.
Außerdem gibt es Probleme mit den Aufklappmenüs und den Scrollbalken von MyMail. Beide entsprechen nicht dem gängigen GEM-Standard und schwerfällig und unkomfortabel zu nutzen. Das Aufklappmenü öffnet sich, wenn eine Nachricht mit einem Rechtsklick angewählt wird - an sich eine gute Idee. Die Bedienung und das Scrollen gestaltet sich auf dem Falcon 030 jedoch extrem langsam; auf dem Milan 040 sieht dies nicht viel besser aus. Ebenso reagieren die Scrollbalken in den Hauptfenster nicht so, wie es der durchschnittliche GEM-Anwender gewohnt ist - obwohl sich hier seit früheren Versionen schon einiges getan hat. Bedenkt man, dass die Scrollbalken des Programms zu allem Übel auch noch nur die Hälfte der Breite einnehmen, die die normale GEM-Variante nutzt, ist leicht nachzuvollziehen, dass so manchem Anwender angesichts soviel Ignoranz von Standards schon einmal die Haare zu Berge stehen. Glücklicherweise steht eine Überarbeitung des Arbeitsfensters ganz oben auf der Arbeitsliste von Erik Hall. Ein Grund dafür ist, dass er die Unterstützung von Nachrichten von und in das Usenet integrieren will. MyMail wird sich also in Zukunft auch als News-Client zum Stöbern in Newsgruppen nutzen lassen - ein Feature, auf das Anwender des Programms schon lange warten.
Weitere Probleme. Das Herunterladen von Nachrichten ist schmerzhaft langsam. ST-Anwender, die die serielle Schnittstelle ihres Klassikers noch nicht beschleunigt haben, sollten eine Kaffeemaschine neben ihren Rechner stellen, wenn sie viele Nachrichten herunterzuladen haben - allerdings können diese wohl nicht mehr als Standard gelten. Aber sogar bei der Nutzung schneller Schnittstellen auf Mega STE, TT, Falcon und Kompatiblen arbeitet MyMail langsamer als z.B. NEWSie oder aMail. Kombiniert mit den Spam-Filterfunktionen und dem Versenden bzw. Einsortieren im Hintergrundbetrieb wird die Arbeit mit dem Programm nahezu unerträglich. Um hier jedenfalls etwas Besserung zu verschaffen, offeriert MyMail die Option, Downloads mit einer Option namens „CGgets“ zu beschleunigen. Dies führt zwar tatsächlich zu leichten Verbesserungen, ist aber inkompatibel zu einigen TCP-/IP-Stacks.
Für MyMail existiert eine deutsche Lokalisierung von Bernd Mädicke, die ebenfalls auf der Webseite des MyMail-Entwicklers bereitliegt. Außerdem ist es mit der Erweiterung „MapS“ [2] möglich, Serienmails mit MyMail zu verschicken. So können z.B. persönliche Anreden in mehreren Mails mit ansonsten gleichem Inhalt realisiert werden. Momentan werden pro Adressdatei und Datensatz bis zu zehn verschiedene Variablen unterstützt.
Es besteht kein Zweifel, dass MyMail vom Funktionsumfang her wohl der fähigste Freeware-E-Mail-Client auf dem Atari ist. Alle diese Möglichkeiten werden aber durch die Benutzeroberfläche des Programms behindert, die zwar gut aussieht aber von der Funktionalität her eher arm ist. Die neuen Funktionen haben auch einige neue Fehler eingeführt, und so eignen sich Vorgängerversionen bis auf weiteres vielleicht besser für Anwender, die auf eine stabile Arbeitsumgebung Wert legen.
Allerdings wird MyMail sehr regelmäßig aktualisiert und irgendwann in der Zukunft wird es eine neue Oberfläche mit neuen Funktionen zum Lesen von News geben. Die nächsten Updates erwarten wir also mit Interesse.
Übersetzung: Thomas Raukamp