Interview ParadiseBrowser: Silberstreif am Browser-Himmel?

Im Gespräch mit Bruce Sarte

Wenn man von der gegenwärtigen Software-Flaute im Atari-Lager spricht, wird immer wieder das Fehlen eines moderen Webbrowsers beklagt. CAB ist hoffnungslos veraltet und scheint in der Atari-Version nicht mehr weiter entwickelt zu werden. Draconis beherrscht zwar JavaScript, lässt aber sichere Verbindungen missen. WenSuite hingegen scheint einfach nicht aus den Startlöchern zu kommen. Und der jetzt veröffentlichte Quelltext von Highwire ist alles andere als weit gediegen.

Hoffnung kommt nun aus den USA. Das amerikanischen Unternehmen Paradise Web Design hat mit ParadiseBrowser einen aktuellen Browser in der Entwicklung. Thomas Raukamp unterhielt sich mit dem Geschäftsleiter Bruce Sarte.

Bruce, ich muss zugeben, dass Ihre Ankündigung eines neuen Webbrowsers für den Atari fast ein (positiver) Schock für mich war. Die Firma Paradise Web Design ist in Europa nahezu unbekannt. Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihr Unternehmen.

Paradise Web gibt es jetzt in der einen und der anderen Form seit ca. 10 Jahren. Wir haben in dieser Zeit den Atari-Markt immer mal wieder verlassen und betreten. Am Anfang kümmerten wir uns hauptsächlich um die Bereiche Dienstleistung und Reparatur, in den vergangenen zwei Jahren wechselten wir jedoch immer mehr zur Programmierung. Derzeit arbeiten vier Mitarbeiter an den verschiedensten Projekten.

Arbeitet Ihr Unternehmen auf Ataris? In welchen Bereichen setzen Sie den Atari ein?

Wir nutzen unsere Ataris lediglich zum Programmieren für den Atari. Die Hardware ist einfach nicht mehr schnell genug für den täglichen Alltag und bisher gibt es auch kein Office-Paket, das all das bietet, was wir benötigen. In diese Lücke passt unser neues Produkt.

Bevor wir darauf zu sprechen kommen, erzählen Sie uns bitte Ihre persönliche „Atari-Story"...

Als ich ungefähr acht Jahre alt war, brachte mein Vater einen Atari 800 mit nach Hause. Ich hab Tag und Nacht vor diesem Gerät verbracht und brachte mir sehr schnell etwas Programmierung in BASIC bei. Außerdem spilete ich mit dem Gerät und verbrachte unzählige Stunden in einem damaligen Online-Service, der sich „The Source" nannte. Seitdem habe ich eine ganze Menge verschiedener Atari-Produkte besessen, darunter viele XLs und XEs, einige STs, und heute besitzen wir einen TT und einen Falcon. Darüber hinaus hatte ich viel Spaß mit einem 2600er, dem Lynx und dem Jaguar.

Ok, sprechen wir also über die aufregenden Neuigkeiten! Wenn ich alles richtig verstanden habe, wird der neue Webbrowser „ParadiseBrowser" ein integraler Teil eines neuen Office-Pakets sein, dass sich „Office Suite" nennt. Welche anderen Programme gehören noch zu diesem brandneuen Paket?

Das stimmt, ParadiseBrowser ist nur ein Teil eines Puzzles und wurde entwickelte sich erst etwas später. Vor vier Jahren starteten wir mit der Entwicklung des Präsentationsprogramms „AtariOSK" als Endkunden-Produkt. Wir rüsteten Atari-Hardware entsprechend den Bedürfnissen von Kunden für Point of Informa-tions-Terminals und für den Einsatz auf Messen aus. Als wir uns entschlossen, dem Programm die Möglichkeit zu geben, Slideshows und Sounds aus Power- Point abzuspielen führte dies zu zwei Erkenntnissen: zuerst einmal sahen wir ein, dass die vorhandene Hardware einfach nicht mehr mit dem Programm zurecht kam, zweitens mussten wir mehr Software entwickeln um das Paket zu komplettieren. Zu dieser Zeit nahm ich Kontakt zu Milan Computersysteme auf um mit Ihnen darüber zu verhandeln, unsere Software mit dem Milan II zu bündeln. Als der Milan II dann eingefroren wurde, standen wir auf dem Trockenen, denn wir hatten die Software aber keine Hardware, auf der wir sie testen konnten. Also beschlossen wir den Code von AtariOSK zu vereinfachen und eine Textverarbeitungs und Tabellenkalkulation dazu zu entwickeln. Nach kurzer Zeit sahen wir jedoch ein, dass die Hinzunahme eines Webbrowsers der nächste logische Schritt sein müsste. Das ganze Projekt wurde also ziemlich aufregend und nach und nach nahm der Webbrowser unserer meiste Entwicklungszeit in Anspruch.

Sehen Sie denn Bedarf für ein weiteres Office-Paket im relativ kleinen Atari-Markt? Immerhin gibt es papyrus, was doch eigentlich ein recht gutes Programm ist...

Ich habe selbst mit papyrus und einigen anderen Paketen gearbeitet. Ohne Zweifel handelt es sich um gute Software, allerdings arbeitet die verschiedenen Teile nicht so sauber zusammen wie auf dem PC. Wir fanden heraus, dass dies zwei Gründe hatte: Hardware und Geld. Seien wir doch ehrlich: im Atari-Markt ist nicht gerade eine Menge Geld zu verdienen. Außerdem dürfte es einfach unmöglich sein ein komplettes integriertes Office-Paket euaf einem ST laufen zu lassen.

Dies alles hat sich aber mit den XTOS-Verlautbarungen geändert. Wir haben beschlossen, es noch einmal auf dem Atari-Markt mit diesem Paket, dass zwar auf einem TT und Falcon läuft, aber klar auf die 040er, 060er und die XTOS-Maschine abzielt.

An welchen Teilen des Office-Pakets arbeiten Sie gerade?

Ich arbeite in allen Teilen selbst mit. Ausserdem überwache ich die Entwicklung.

Wieviele Leute arbeiten denn insgesamt an ParadiseSuite?

Insgesamt arbeiten vier unserer Mitarbeiter daran. Dazu gehören ich selbst, Katherine McMahon, Jason Arount und Mike Kahan. Katherine und ich übernehmen dabei den Löwenanteil der Arbeit. Jason und Mike helfen mit etwas Programmierung auf unterster Systemebene aus, wenn dies benötigt wird.

Wann erwarten uns erste Ergebnisse?

Wir haben eigentlich geplant eine erste Betaversion des Webbrowsers noch im April dieses Jahres zu veröffentlichen. Aber wir möchten nun doch zuerst einmal die schweren Fehler im Java-Teil ausarbeiten. Das dauert wahrscheinlich noch einen weiteren Monat. Der restliche Teil der Office-Suite wird dann ca. drei bis vier Monate später kommen, wenn wir so arbeiten wie bisher...

Planen Sie Kompatbilität mit existierender Software?

Die Web-Komponenten der Suite werden auf STiK bzw. STinG aufsetzen. Darüber hinaus nutzt das Paket NVDI für die Zeichensatzdarstellung. Ich weiß nicht, ob es da draußen noch mehr interessante Dinge gibt. Wir werden unser Bestes tun, um einige neue Druckertreiber zu programmieren, die mit der Distribution ausgeliefert werden.

Ein weiteres interessantes Teil des Pakets ist „Paradise Presentations". Ich habe gehört, Sie planen Kompatibilität zu Microsofts PowerPoint?

Der Import von PowerPoint-Dateien ist bereits komplett. Paradise Presentations ist der Teil, der bereits zu 99% fertig ist, da er auf dem Code von AtariOSK basiert. Alles, was wir jetzt noch tun, ist ein Neuzeichnen der Oberfläche.

Lassen Sie uns nochmals kurz auf AtariOSK zurück kommen. Dieses Präsentationsprogramm schien einige sehr interessante Features zu besitzen. Wie weit war die Entwicklung und warum wurde sie eingestellt?

Wir haben AtariOSK einige Jahre sehr erfolgreich an einige Unternehmen hier vor Ort verkauft. Wir haben die Entwicklung eingestellt, weil die vorhandene Atari-Hardware einfach nicht mehr die Multimedia-Kapazitäten liefern konnte, die schnell genug für unser Produkt waren. Wir planten daraufhin mit dem Milan M. Weil dieses Projekt aber eingestellt wurde, wurde AtariOSK nicht mehr weiter entwickelt.

Die interessanteste Sache für Atari-Anwender ist aber mit Sicherheit der neue Webbrowser. Welche Lesitungen soll dieser bieten?

ParadiseBrowser wird Java 2, HTML 4, HTTPS, Real Audio, JavaScript und DHTML unterstützen. Wir sind schon sehr weit in der Integration dieser Features, nur mit DHTML hapert es noch etwas. Die Java VM ist noch etwas fehlerhaft, aber wir werden dies so schnell wie möglich ausarbeiten.

Wann ist mit einer finalen Version zu rechnen?

Das ist zurzeit etwas schwierig zu sagen. Wenn alles so weiter geht wie bisher, dann sollte der Browser im August fertig sein.

Dieser Zeitplan sieht doch sehr knapp aus. Wie kommt es, dass dieses Projekt so schnell voran kommt? Benutzen Sie existierenden Code (z.B. von Mozilla) für ParadiseWeb?

Um ehrlich zu sein, haben wir Teile aus allen offenen Sourcecodes für Browser gestohlen. Mozilla ist nur ein Teil des Codes. Natürlich werden wir eine Liste der Quellcodes veröffentlichen, wenn das Projekt fertig gestellt ist. Ohne diese Sourcen hätten wir die Arbeit niemals beginnen können.

Wie denken Sie überhaupt über die Möglichkeit Mozilla oder den Opera Browser auf die Atari-Plattform zu portieren?

Ich denke mittlerweile, dass es eine Menge weniger Arbeit gewesen wäre, einfach Mozilla auf den Atari zu portieren. Als uns das jedoch klar wurde, war unser eigenes Projekt schon so weit vorgeschritten, dass wir es nicht aufgeben wollten.

Der Java-Support scheint ein sehr interessantes Feature zu sein. Sprechen wir hier wirklich über Java und nicht nur über JavaScript? Welche Virtual Machine verwenden Sie?

Wir sprechen schon über Java. Wir haben unsere eigenen Java Machines für MagiC und für MiNT gecshrieben. Wir haben einfach nichts brauchbares für unser Projekt gefunden, also schrieb Katherine uns eine eigene Machine. Sie ist nach wie vor fehlerhaft, macht aber Fortschritte. Die Java VM wird als Public Domain veröffentlicht werden, wenn wir fertig sind.

Welche Features können Sie für die erste Version versprechen?

Wir versprechen Java, JavaScript, HTML 4 und sichere Verbindungen bereits im ersten Release. Wir werden den Browser nicht veröffentlichen, bevor diese Teile nicht fertig sind. Für die Real Audio- und DHTML-Features sieht es auch recht gut aus. Ergänzend planen wir eine einfache Flash-Engine. Hier können wir aber noch nichts versprechen!

Aus diesen Leistungsmerktnalen erwachsen notgedrungen für diesen Markt hohe Hardware-Anforderungen. Welche Maschinen und Umgebungen werden Sie unterstützen?

Die gegenwärtige Minimalkonfiguration ist ein Atari TT mit 16 MB RAM. Der Browser lief bereits auf unserem Falcon mit 14 MB, komischerweise produziert er auf einem Falcon aber viel mehr Fehler als auf dem TT. Der Browser erfordert 30 bis 50 MB auf der Festplatte, die gesamte Office-Suite wird so um die 80 MB benötigen. Dies sind Schätzwerte.

a Eine weitere wichtige Frage ist die des Stacks. In der Atari-Gemeinde herrscht hier leider etwas Konfusion. Einige bevorzugen STiK/STinC, andere nutzen Draconis, und ohne Zweifel ist IConnect die eleganteste Lösung um ins Netz zu gelangen. Nach Ihren Angaben planen Sie STiK/STinC zu unterstützen...

Wir haben STiK bzw. STinC gewählt, weil wir uns damit auskennen. IConnect ist vielleicht besser, aber wir haben kein Exemplar um damit entwickeln zu können.

Welchen Preis soll das gesamte Office-Paket bekommen? Wird der Browser auch separat erhältlich sein?

Wir planen derzeit die folgenden Zusammenstellungen:

• Basic: der Browser plus einem Programm nach Wahl,
• Professional: alle Applikationen.

Wir haben uns über den Preis noch keinerlei Gedanken gemacht. Wir hoffen, dass wir ein Geschäft mit den XTOS-Leu-ten machen können um ParadiseSuite zusammen mit deren Hardware zu verkaufen. Wir sind aber noch nicht an Medusa heran getreten, da einfach die Software noch nicht fertig ist.

Vielleicht veröffentlichen wir den Browser auch als Public Domain. Wir haben uns hier noch nicht fest gelegt, jedoch erscheint es uns nicht richtig für etwas Geld zu verlangen, wofür man auf keiner anderen Plattform zahlen muss.

Wieviele Einheiten möchten Sie gern verkaufen?

Wir haben keine Verkaufsvorgaben bisher. Aber wir hoffen, dass wir unser Produkt für die neue Hardware vermarkten können. Wenn XTOS also ihre Pläne zurück ziehen, haben wir eine Menge Ärger...

Haben Sie schon Vertriebspartner für Europa gefunden?

Noch nicht. Aber uns ist schon klar, dass wir das Produkt nicht ohne europäische Händler erfolgreich auf den Markt bringen können. Wir planen außerdem einen Online-Store, von dem die Leute das Produkt herunterladen können. Wir wissen jedoch, dass reine Atari-Anwender, die nicht unseren Browser nutzen den Store nicht nutzen werden können, also planen wir auch eine Download-Seite, die via Telnet erreichbar ist.

Bruce, Ihr Paket scheint zum richtigen Zeitpunkt zu kommen, da es ja einige Pläne und Gerüchte um neue Maschinen gibt. Was denken Sie persönlich über die Chancen für neue Hardware wie den Pegasus?

Wenn unser Produkt erfolgreich sein soll, muss der Pegasus erscheinen. Wir denken, dass viele Anwender unser Produkt langsam finden werden, aber wir entwickeln so effizient wie möglich. Realistisch gesehen ist Java-Code auf einem 500-MHz-Pentium III recht langsam, wie schnell kann er also auf einem 68030 mit 16 MHz sein?

Es gibt in letzter Zeit viele Diskussionen darüber, das TOS als Open Source frei zu geben. Was denken Sie darüber?

Ich persönlich denke, dass es entweder von jemandem gekauft werden muss, der es weiter entwickelt (wir würden das liebend gern tun!), oder dass es als Open Source frei gegeben werden sollte. Die Zukunft des Betriebssystems könnte gut aussehen, wenn aber nichts geschieht, nützt dies niemandem.

Welches Betriebssystem bevorzugen Sie auf dem Atari?

Ich nutze eigentlich MagiC, wir entwickeln aber unter MagiC und MiNT. Ich denke, dass MiNT einen qualitativ hochwertigen und frei erhältlichen Desktop benötigt...


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 04 / 2001, Seite 24

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