NUON - Neues Spiel, neues Glück

Die Vollendung der Atari-Philosophie?

Seitdem die Unterhaltungselektronik ständige Aufwertungen und Verbesserungen aufzeigt, verlangen viele Konsumenten diese Leistungen in privater Umgebung. Ein Berg an Einzelkomponenten war bislang erforderlich, um dem interessierten Kunden das Tor zu Multimedia & Co. zu eröffnen. Heute kann man einen neuen Trend beobachten, den die Global-Player der Consumer-Electronics-Branche für sich verbuchen möchten: Ziel ist die Vermarktung eines Allround-Systems, das sämtliche Funktionen unter einem Gehäuse anbietet und langfristig als Ersatz bzw. ernstzunehmende Alternative herkömmlicher PCs anzusehen ist. Die Firma SEGA beispielsweise feierte unlängst mit der Dreamcast-Videokonsole ein großes Comeback, denn neben beeindruckenden 3D-Spielen ist auch ein Internetzugang inklusive E-Mail Accessory und Chat-Client vorhanden. Sony möchte hieran mit der Playstation 2 anknüpfen und versucht sich derzeit in einer Portierung von DVD-Player-Funktionen.

Beide Geräte zeigen allerdings noch deutliche Schwächen oder Einbussen: Während die Dreamcast kein vollwertiges DVD-Laufwerk besitzt (stattdessen setzte SEGA ein CD-ROM ein), zeigen sich bei der Playstation 2 deutliche Einbußen in den Videomodi (zu niedrige Auflösung und flimmerndes Bild).

Ein neuer Konkurrent (und ebenso altbekanntes Gesicht) meldet sich zu Wort und möchte dem nun Abhilfe schaffen: Atarianern dürften die Namen Richard Miller und Bill Rehbock durchaus ein Begriff sein, denn über viele Jahre prägten diese die Produktpalette des einstmals viertgrößten Computerherstellers der Welt. Mit dem Atari Falcon, Lynx und Jaguar eröffneten sie gleichermaßen ihren privaten Zoo im kalifornischen Sunnyvale. Wie die Geschichte weiter geht, muss ich hier nicht erörtern. Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, daß gerade mit diesen Geräten ein ernsthaftes Potential ausging, das von der Konkurrenz als sehr bedrohlich wahrgenommen wurde. Im harten Kampf um Marktanteile ging Atari bald die Puste aus, denn budgetstarke Weltkonzerne hatten bessere Mittel, sich und ihre Produkte zu verkaufen.

Anfangs noch als "Project X" getarnt, starten nun die Begründer von VM-LABS mit ihrer geheimnisvollen NUON Technologie zum großen Revival. Mit der Tugend hartnäckiger und lernwilliger Einzelkämpfer unterzogen sich R. Miller und B. Rehbock einer "Gehirnwäsche", um wieder ein ernsthaftes Wörtchen im Marktgeschehen mitreden zu können. Diesmal begleiten wir die Herren nicht in der Funktion als Hersteller, sondern als Entwickler und Lizenzgeber. Der Auftrag lautet also: Schnappe Dir namhafte Weltkonzerne und verkaufe ihnen deine Ideen. Der Grundstein war gelegt. Als Resultat präsentierte VM Labs Ende 1998 auf der Winter-CES die Multimedia-Plattform der Zukunft:

Nuon

Seit vielen Jahren tingelt nun der Begriff "Multimedia" in unscharfen Formulierungen um den gesamten Globus, doch erst jetzt wird Multimedia durch Nuon greifbar und ist für jedermann erschwinglich.

Welche Attribute definieren Multimedia?

Welche Attribute definieren Benutzerziele?

Die Nuon-Technologie führt uns einen bedeutenden Schritt weiter in die interaktive und multimediale Welt von Morgen, indem Multimediafaktoren und Benutzerziele perfekt miteinander kombiniertwerden.

Es ist angerichtet - Mahlzeit!

Um es vorweg zu nehmen: Nuon ist keine reine Videogame-Konsole. Nuon ist ein Label ähnlich MSX oder Dolby und bezeichnet einen lizenzpflichtigen High-End-Chip. Die Nuon-Technologie kommt bislang vornehmlich in DVD-Abspielgeräten und TV-Set-Top-Boxen zum Zuge. Zum Einen bietet das Medium DVD mit seinen großzügigen Kapazitäten genügend Raum für die vielfältigen Programmcontents. Zum Anderen stellen DVD-Player als sogenannte "Stand-Alone-Units" die ideale und autark agierende Plattform im privaten Ambiente dar. Diese Einheit fungiert als interaktive Station und lässt sich beispielsweise am heimischen TV-Bildschirm anschließen. Im Vordergrund steht maximaler Komfort bei einfachster Handhabung.

Der Nuon-Mediaprozessor - von dem heute schon namhafte Hersteller wie Motorola, Toshiba, Samsung, Raite oder Yamakawa in Ihren DVD-High-End Playern Gebrauch machen - erlaubt ein weites Feld an Applikationen, die dem Konsumenten nun erstmals Multimedia in seiner greifbarsten Form vorführen. Zu diesen Anwendungen zählen beispielsweise:

Einige dieser Anwendungsprogramme liegen neben dem Betriebssystem in allen nuonbasierenden DVD Playern bereits im ROM vor (Video-Screendesigner, Audioplayer, Videoplayer, Virtual-Light-Machine und diverse Konfigurations- und Kontrollmodule) oder gehören als DVD Datenträger zum Lieferumfang (Internetbrowser, E-Mail Programm, Chat Client, Ballistic Videogame, Demos).

Nicht kleckern - klotzen! Nuon ist ein offenes System und kann modular ergänzt werden. In der Vergangenheit war es oftmals so, dass die Weiterentwicklung einer Elektronik von der Verfügbarkeit einzelner Hardwarekomponenten abhängig wurde und eine Verzögerung hingenommen werden musste. Nuon hingegen ist ein Mediaprozessor, der durch Softwarekomponenten leicht erweitert werden kann und daher zu jedem Zeitpunkt konkurrenzfähig ist. Nuon gibt somit allen verantwortlichen Entwicklern die Möglichkeit, schneller reagieren zu können und neue Software-Codes in die Plattform zu integrieren.

Zur Zeit unterstützt Nuon folgende weltweite Standards:

a. Grafikabteilung

Zu den DVD-Player-Funktionen gehören ferner Smooth Shuttle, Slow and Fast Forward, Rewind, Zoom (bis zu 20-fache Vergrößerung), Pan, Scan, Picture in Graphics, Video Scaling, Graphics Overlay, Wide screen, Letterbox, Multi-Angle, Ciosed Caption, 16 Million Color User Interface, On-screen Display sowie 256 Transparenz-Level. Zur Peripherie zählen u.a. Game Controller (Joypad, Joystick, Lightgun, Arcade-Pad), Keyboard, Modem (in späteren Modellen fest im DVD Player eingebaut), Drucker, Multiplayer-Network-Schnittstelle sowie ZIP-Laufwerke. Darüber hinaus plant man zukünftig auch einen direkten Einbau von ISO-Record-Laufwerken, die wahlweise als CD/R/RW bzw. DVD/R/RW eingesetzt werden können.

Mit rund 1500 MIPS (Millionen Instruktionen pro Sekunde) ist der Nuon-Prozessor rund 30 Mal schneller als ein mpeg-2 Decoder und bietet somit die Grundlage für parallele Prozesse, die herkömmliche DVD-Player nicht ausführen könnten.

Hardware Hersteller

Der Samsung Extiva DVD N2000 ist weltweit der erste DVD-Player mit Nuon-Chipsatz. Seit August dieses Jahres geht das Gerät in den USA ab 399 Dollar über die Ladentische. Der Toshiba 3D 2300 bietet gleichen Funktionsumfang und erscheint gegen Ende des Jahre in den USA. Ein weiterer Lizenznehmer im Ring ist die Firma Raite Optoelectronics, die im europäischen Raum unter dem Label Yamakawa auftritt und für ihre Billigumsetzungen bekannt ist. Bislang liegt allerdings nur ein Prototyp mit der Bezeichnung RDP-721 vor. Einen etwas anderen Weg geht Motorola mit dem Streammaster, der seit Mai in Malaysia verkauft wird. Hierbei handelt es sich um eine Set-Top-Box, die vornehmlich zum Empfang digital transferierter TV-Programme dient. Von allen angebotenen Nuon-Umsetzungen ist der Streammaster die flexibelste: Volle Nuon-Implementation mit den Schwerpunkten Video Entertainment, Sprach- und Videokommunikation, Internetzugriff und ein überragendes Schnittstellenangebot (u.a. ADSL, ATM oder BBT) lassen keine Wünsche offen. Allerdings muss sich das Gerät je nach Absatzregion einer Anpassung unterziehen. In Deutschland wird es daher noch etwas Zeit benötigen, um die Fähigkeiten vollständig auskosten zu können. Die Ursache hierfür liegt in der Willkür der hiesigen Netzbetreiber.

Nuon Zubehör

Bereits jetzt existieren einige 3rd-Party-Developer aus Übersee, die sich für die periphere Ausstattung des Nuon Systems kümmern. Die kanadische Firma Eleven bietet alternative Joypads, die als Remote-Controller über Radiofrequenzfunk arbeiten. Die in Los Angeles beheimatete Firma Nyko bietet ergonomisch und optisch durchgestylte Joypads an und arbeitet gerade laut Pressemitteilung an weiteren Eingabegeräten, wie z.B. einem Lightpen. Darüber hinaus runden Pad-Verlängerungskabel und -verteiler sowie Memory Module (1 und 2 Mbit) das Nuon Sortiment ab.

Nuon - Have more fun!

Das bisherige Line-Up an Spielen für die Nuon Plattform lässt keinen Zweifel daran, dass ehemalige Atari-Freaks zu Werke gehen. Iron Soldier (Eclipse Software Design), MYST (Cyan) oder Tempest (Llamasoft) müssen jedem Jaguar-Fan ein Begriff sein. Freut Euch also auf Altbewährtes in überarbeiteter, hochauflösender Version mit neuen, endlos anhaltenden Missionen. Darüber hinaus erscheinen bis Ende diesen Jahres folgende Titel:

Beim Erwerb eines Nuon-DVD-Players gehört das Spiel Ballistic (siehe auch gleichnamige Playstation-Umsetzung) sowie eine Demo-DVD mit vier spielbaren Previews zum Lieferumfang. Nicht unerwähnt sei an dieser Stelle selbstverständlich die Virtual Light Machine (Version 2) von Jeff Minter. Als ROM-Utility fest im Nuon-Chip implementiert, darf jeder Besitzer eines Nuon-DVD-Players gleich loslegen - und das geschieht iin der Regel mit dem Einlegen einer Audio-CD. Am einfachsten kann man die VLM mit einer Lichtorgel vergleichen, die Musik in Echtzeit anhand vorhandener Frequenzbänder analysiert und ein entsprechend umgesetztes Lichtsignal ausgibt. Die erzeugten Bilder sind eindrucksvoll errechnete Fraktale (Hüpfer Algorhitmen), Plasmaeffekte oder aufblähende Matrizen, die in Ausdehnung (Amplitude), Verlauf (Phasenmodulation), Farbcodierung (Frequenz) und Reaktion (bpm) beeinflusst werden. Zudem ist ein Eingriff via Joypad jederzeit möglich, um zwischen verschiedenen Programmen umzuschalten bzw. Stroboskop-Effekte zu ergänzen. Die VLM ist das ideale Tool für Light Jokeys in Discotheken und Clubs. Mr. Oizo, Dr. Motte, Sven Väth und DJ Hell hätten sicherlich riesigen Spaß, mit dem Teil.

WWW - ich bin drin!

Seit der E3 (Mai 2000) erhielt neben Spyglass auch PLANETWEB den Zuschlag, Internet-Browser für die Nuonplattform zu entwickeln. Planetweb gilt als Marktführer von Internetapplikationen auf OEM-Systemen. So entstanden beispielsweise in der Vergangenheit Internetbrowser für Dreamcast und Saturn. Der Browser von Planetweb erscheint im 4. Quartal 2000 zusammen mit einem Expansions-Modem und kann on- als auch offline betrieben werden. Für die Zukunft sind auch Nuon-basierende DVD Geräte mit eingebautem Modem und ROM-Browsern in Planung.

Alle notwendigen Applikationen sind im Paket enthalten: Surfen, Shoppen, E-Mail und Chat. Ebenfalls kann aus entsprechend vorbereiteten Audio- und Video-DVDs ein Login ins Internet erfolgen. Auf Datenträgern enthaltene HTML-Dokumente können natürlich auch offline betrachtet werden.

Persönliches Fazit

Nuon klingt gut. Nuon ist eine starke Hardware. Nuon macht Spaß. Nuon ist Multimedia. Aber: Leicht läuft man Gefahr, eine optimal abgestimmte und funktionstüchtige Hardware anzubieten und anschließend zu vergessen, das Teil ordnungsgemäß zu vermarkten. Wenn alle Parameter stimmen, könnte Nuon tatsächlich zu einem Massenartikel werden. In der Rolle als Lizenzgeber zieht sich VM Labs hierbei geschickt aus der Affäre und überlässt die Vermarktung dem Nutzer dieser Technologie. Der Grund hierfür ist einfach: VM Labs selbst kann kein großartiges Budget für Werbung und PR aufweisen. Samsung ist gerade sehr bemüht, den Extiva beim Volk ins rechte Licht zu rücken und startete seit März diesen Jahres mit einer aufwendigen Kampagne namens "Digit-All" im Fernsehen. Dennoch vermisse ich den Hype, wie ihn beispielsweise eine Playstation 2 auslöst. Oder wäre das zuviel verlangt? In Sachen Propaganda muss Nuon noch deutlich aufholen - die breite Masse weiß, mit diesem Begriff noch nichts anzufangen.

Ebenfalls kritisch ist das bisherige Line-Up an Nuon-Spielen: Große Softwarehäuser wie Crave, Konami oder Activision werden wohl erst dann tätig, wenn sich ein erfolgreicher Verkauf der Hardware abzeichnet. Beginnt hier der Teufelskreis? Gut zu wissen, dass Spielen nicht alles ist, was Nuon beherrscht. Nuon-Geräte sind vollwertige DVD-Player der Referenzklasse. Somit steht ein riesiger Berg an Spielfilmen uneingeschränkt zu Verfügung. Weiterhin ist es gut zu wissen, dass Nuon internetfähig ist. Entweder portabel, ergänzend oder als leicht handhabbare Einstiegsdroge. Könnte dies die Rettungsinsel sein?

Laut Bill Rehbock werden die meisten Kunden gar nicht bemerken, dass sie soeben einen nuonbasierenden DVD-Player gekauft haben. Sie werden allenfalls mit Begeisterung zu Hause feststellen, dass ihr DVD-Player mehr zu bieten hat als der des Nachbarn. Wie sollen wir das verstehen? Nun, Nuon soll sich als weltweiter Standard im DVD- und Multimedia-Sektor etablieren. Egal ob primär ein Bedürfnis nach Nuon vorhanden ist oder nicht: Das Leistungsaufgebot wird den Kunden spätestens im trauten Heim erschlagen - und er wird sich fragen, wie dies alles mit dem Anschaffungspreis vereinbar ist.

Weitere Informationen, konkrete Detailinfos oder Bezugsquellen finden Sie hier: http://www.vmlabs.de.


Michael Neihs
Aus: ST-Computer 10 / 2000, Seite 48

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