Wieder aufgeblüht: Der zweite Anlauf von CyPress

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Die Textverarbeitung CyPress hatte nur ein kurzes Leben: 1992 von der Firma Shift auf den Markt gebracht, wurde das Programm nach dem Exitus der Firma im Sommer 1994 nicht mehr weiter unterstützt. Compo Software waren die ersten, die sich um die Anwender dieses Programms kümmerten und diesen eine neue Textverarbeitung verkaufen wollten: That’s Write. Vor wenigen Monaten haben sich nun doch zwei Programmierer gefunden, die das Programm pflegen und weiterentwickeln wollen. Nun liegt die erste Beta-Version vor, die durchaus Appetit auf mehr macht.

Cypress verfolgt vom Konzept her einen einfachen Weg: Die Textverarbeitung soll möglichst übersichtlich und einfach zu bedienen sein, trotzdem aber die wichtigsten Funktionen auch für Vielschreiber bieten. CyPress arbeitet dabei komplett unter GEM mit den entsprechenden Befehlskonventionen, so daß es ein einfaches ist, sich auf CyPress umzugewöhnen, da die meisten Programme eine ähnliche Befehlsstruktur aufweisen. Tastaturkürzel sind natürlich für CyPress ebensowenig ein Fremdwort wie Makros oder Formelsatz, und das Rechnen im Text wird ebenso unterstützt wie der gerade in That’s Write hinzugekommene Tabellensatz. Insofern ist CyPress also wirklich auf dem neuesten Stand, und auch die Kompatibilität zu exotischen ATARI-Systemen ist gegeben: MagiCMac arbeitet genauso mit CyPress wie ein TT mit Grafikkarte oder ein aufgemotzter Mega ST mit SST-Stealth-Beschleunigerkarte von Dave Small.

Makros und andere Bausteine

Makros bei CyPress sind nicht bloß reine Textmakros, sondern bieten die Möglichkeit, längere Befehlsabläufe zu automatisieren. Hierbei wird das Makro einfach durch einmaliges Ausführen der gewünschten Funktionsfolge aufgezeichnet und steht anschließend für eine weitere Verwendung zur Verfügung. Außerdem lassen sich so erzeugte Makros natürlich im nachhinein noch verändern, wobei man dann jeden Befehl einzeln nachbearbeiten kann. Für die Textmakros hat CyPress dann noch eine andere Funktion, die sogenannten Textbausteine. Hiermit lassen sich komfortabel komplette Textblöcke, die man im Alltag benötigt, z.B. die Zeile „Es gelten unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen“, durch sinnvolle Buchstabenkürzel abkürzen, in diesem Falle z.B. durch die Abkürzung AGB. Durch einen einmaligen Aufruf der Funktion „Textbausteine“ werden diese dann durch die vorher definierten Textbausteine ersetzt. Dies erlaubt sogar, einen Brief komplett durch solche Textbausteine zu erzeugen, wenn man sich einen genügend großen Vorrat an Bausteinen anlegt. CyPress wäre jedenfalls in der Lage, bis zu 32000 solcher Textbausteine pro System zu verwalten, und die Zahl der verfügbaren Kürzelsysteme ist nur durch den freien Festplattenspeicher begrenzt.

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Die ST-Guide-Hilfe stellt das komplette Handbuch online zur Verfügung.

Schriften ohne Grenzen?

In Sachen Schriften gibt sich CyPress konventionell. Zum einen kann CyPress mit Signum!-Fonts umgehen, zum anderen unterstützt es Speedo-Fonts, wenn ein entsprechendes GDOS zur Verfügung steht. Man merkt hierbei deutlich, daß diese Speedo-Schriften erst nachträglich in das Programm eingebaut wurden, die Einbindung in das Programm ist jedenfalls noch nicht so konsistent, wie es bei den übrigen Funktionen der Fall ist. Man merkt aber daran, daß die Autoren versuchen, CyPress auch in Sachen Vektorzeichensätze der Konkurrenz ebenbürtig zu machen. Die Geschwindigkeit und der Komfort hängen dabei natürlich davon ab, ob man nun das original SpeedoGDOS oder aber die Skalierfunktionen im neuen NVDI benutzt: Beide Programme arbeiten problemlos mit CyPress zusammen. In Sachen Textstile gibt es auch nichts Außergewöhnliches zu berichten: fett, kursiv, hoch- und tiefgestellt sowie unterstrichen sind die Attribute, die CyPress zu bieten hat. Wer aber nicht gerade ein Plakat gestalten will und dafür z.B. schattierte oder Outline-Buchstaben benötigt, der wird mit diesen Attributen ausreichend bedient sein. Eine witzige und nützliche Funktion zugleich ist die Möglichkeit, Zeichensälze zu tauschen. Man wählt dabei Quell- und Zielzeichensatz an, und alle Textpassagen, die im entsprechenden Zeichensatz verfaßt sind, nehmen entsprechend die Form des anderen Schrifttyps an.

Die Zeichen der Zeit ...

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Tabellensatz ist mit Cypress auch ohne GDOS überhaupt kein Problem.

Cypress bietet neben dem vollen Funktionsumfang vor allem einen gewaltigen Vorteil: Das Programm ist so einfach zu bedienen wie einst der Klassiker 1st Word. Jeder Anwender kann ohne Studium des Handbuchs schon nach wenigen Minuten sinnvoll mit dem Programm arbeiten, und dabei auch schon auf kompliziertere Funktionen zurückgreifen, da diese quasi selbsterläuternd sind. Die Neubearbeitung von Renä Bartholomay und Gregor Duchalski läßt das Programm auch technisch zu den Mitbewerbern aufschließen, sowohl technisch als auch optisch. Zudem haben die beiden die Bedienungsanleitung komplett als Hypertext umgesetzt, so daß die komplette Anleitung als kontextsensitive Hilfe während des Programmlaufs zur Verfügung steht. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Hypertext-System "ST-GUIDE", welches aber als Freeware leicht zu beschaffen sein sollte. Ebenso interessant ist der Vertriebsweg, den die Autoren anstreben: Es wird eine Shareware-Version geben, die für 50 DM zu registrieren ist. Dabei werden die Rechtschreibkorrektur und das gedruckte Handbuch nicht enthalten sein. Letztere wird es nur in der kommerziellen Version geben, wobei hier Preis und Vertriebsweg, ebensowenig wie die Update-Konditionen für bisherige CyPress-Anwender, noch nicht geklärt sind. Insgesamt stellt CyPress, jedenfalls in der vorliegenden Version, eine ernsthafte Konkurrenz zu den bisher auf dem Markt verfügbaren Textverarbeitungen dar. Die erste Beta-Version, die hier zum Test vorlag, lief schon erstaunlich stabil und ist kein einziges Mal abgestürzt. Und dank des günstigen Preises wird CyPress sicher einige neue Freunde finden.

DJ

Bezugsquelle:
Renö Bartholomay
Ulmenstraße 6
27798 Hude



Aus: ST-Computer 07 / 1995, Seite 110

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