Die Programme der ersten Stunde, die speziell für den Falcon030 geschrieben wurden, gehen langsam aber sicher ihrer zweiten Generation entgegen. Eines der allerersten Musikprogramme, Musicom, liegt nun kräftig aufgewertet ganz neu in der Version 2.1 vor.
Das Programm ist gedacht zur Musikbearbeitung im weitesten Sinne. Es nutzt die Fähigkeiten des Falcon und ermöglicht Stereo-Harddiskrecording, also das Digitalisieren und Aufnehmen von Musik, deren komfortable Bearbeitung (Schneiden, mit Effekten versehen ...) und Ausgabe auf Band, Kassette oder DAT-Recorder. Zahlreiche weitere nützliche Funktionen bietet das Programm sozusagen noch nebenbei.
Musicom2 besteht aus einem Handbuch in einem weißen DIN-A5-Plastikordner und einer randvoll gepackten 3.5“-Diskette. Das ganze kostet weniger als 200 DM, und ist damit - soviel sei schon vorweggenommen - ein im Verhältnis zu seiner Leistungsfähigkeit einmalig günstiges Programm. Zusätzlich bietet die Firma Compo ein passendes Digital-Audio-Interface an, dass die absolut verlustfreie digitale Übertragung zwischen dem Falcon030 auf der einen und einem DAT-Recorder oder CD-Player auf der anderen Seite gewährleistet. Das Handbuch und das mitgelieferte Readme-File erklären in relativ knapper Form die neuen und alten Funktionen.
Das Programm ist nicht kopiergeschützt und kann deshalb relativ einfach und ohne großen Aufwand auf der Festplatte installiert werden. Das Handbuch gibt dazu eine ganz genaue Beschreibung, also schiefgehen kann hier eigentlich nichts. Digitalisierte Musik braucht je nach Sampling-Rate eine ganze Menge an Speicherplatz auf der Festplatte. Sie sollten also für das Programm am besten eine ganz freie Partition auf der internen Festplatte reservieren oder eine externe SCSI-Harddisk benutzen.
Nach dem Start erscheint das GEM-konforme Programm mit einer Menüzeile und einem zunächst leeren Desktop, auf dem lediglich eine hübsche, farbige Toolbox auf Aktionen wartet. Die Oberfläche kann bei Bedarf schnell geändert werden. Musicom2 ist modular aufgebaut, die einzelnen Programmteile können in ihren Fenstern auf dem Bildschirm beliebig plaziert werden und sind somit ständig verfügbar. Allerdings ist das Aufmachen aller Fenster zwar möglich, aber selbst bei Großbildschirmen nicht unbedingt sinnvoll. Schließlich sind alle Funktionen des Programms bequem auch über die Toolbox zu erreichen.
Praktisch finde ich, dass die Fenster durch „Undo“ geschlossen werden können. Trotzdem würde ich mir einheitlich bei jedem Fenster eine Schließbox wünschen. Durch Anklicken des Menüpunktes Parameter oder Optionen in der Toolbox öffnet sich ein Fenster mit dem Namen Einstellungen, in dem das Programm konfiguriert werden kann. Hier wird eingestellt, ob die Aufnahmen vom A/D-Wandler des Falcon 030 oder vom Interface kommen, ob der Falcon 030, der DAT-Recorder oder der CD-Player den Takt angeben soll und welche Abtastrate gewählt wird.
Besonders bequem: beim Verlassen des Programms können die Parameter und die Position der Fenster auf Wunsch abgespeichert werden. Lädt man das nächste Mal das Programm, präsentiert es sich automatisch so, wie man es sich zuletzt eingerichtet hat.
Bevor wir zur ersten Aufnahme und zur ersten Bearbeitung kommen, sollten wir etwas ganz anderes tun, nämlich den Aufnahme- beziehungsweise Wiedergabepegel einstellen. Dafür bietet Musicom2 natürlich auch ein hübsches Fenster, in dem sowohl der Eingangs- als auch der Ausgangspegel komfortabel eingestellt werden können. Dieser Teil unterscheidet sich von dem entsprechenden Teil in anderen Programmen durch eine wirklich sinnvolle und liebevoll programmierte Grafik. Eine echte Augenweide! Mit dieser Aussteuerungsanzeige kann man wirklich etwas anfangen. Hat man die Funktion aufgerufen, erscheint das Fenster, die Pegel sieht man aber erst nach einem Klick in das Fenster. Das Fenster lässt sich auch erst nach einem Klick verlassen, diesmal mit der rechten Maustaste. Das finde ich ein wenig umständlich.
Übrigens im Handbuch nicht dokumentiert ist eine schöne Bedienungsfunktion der Slider: klickt man sie mit der linken Maustaste an, bewegen sich die Slider für den rechten und linken Kanal getrennt, beim Anklicken mit der rechten Maustaste kann man sie synchron verändern.
Mit Musicom2 können Musikstücke aufgenommen, geschnitten, mit Effekten versehen und wieder abgespeichert werden. Darüber hinaus ist es aber auch möglich, einzelne Stücke aneinander zu koppeln, wie man es beim Mastern einer CD tun würde. Natürlich kann diese Funktion auch für weniger professionelle Aufgabenstellungen wie das Herstellen einer bestimmten Musikfolge für eine Party, einen Tanzwettbewerb usw. dienen.
Fangen wir mit der ersten Aufgabe an, mit der Bearbeitung eines einzelnen Musikstücks oder Samples. Dank des im Falcon030 eingebauten A/D- Wandlers kann man eine beliebige Musikquelle in Mono oder Stereo direkt an den Mikrofoneingang des Rechners anschließen, den Pegel einstellen und den Aufnahme-Button anklicken. Jetzt fragt Musicom zunächst, wohin und unter welchem Namen die Aufnahme gespeichert werden soll. Nach der Eingabe des Namens beginnt gleich die Aufnahme, die durch das Anklicken des Stop-Buttons beendet wird. Ohne eine merkliche Rechenzeit zu beanspruchen, sieht man sofort im Fenster die grafische Darstellung der aufgenommenen Musik. Mit dem Play-Button kann man sich das Werk anhören, dabei lässt sich anhand eines wandernden Cursors die momentane Stelle erkennen.
Manchmal hört man einen Einstiegs-beziehungsweise Ausstiegsknacks, das liegt an der Falcon Hardware und lässt sich durch Angleichen der Parameter an das gespielte Sample leicht abstellen.
Mit Hilfe der Block und Zoom-Funktionen lässt sich jede beliebige Stelle des aufgenommenen Samples aufsuchen und abspielen. Besonderes Lob verdient dabei die Zoom-Funktion: Musicom2 ist das erste mir bekannte Programm auf dem Falcon, welches das stufenweise Einzoomen bis zum einzelnen Sample-Wert erlaubt. Zusätzlich noch lässt sich die gewünschte Zoom-Stufe durch direkte Angabe einstellen. Selbst etwa achtmal so teuere professionelle Software bietet noch nicht diese Möglichkeit.
Vermißt habe ich dagegen bei soviel Komfort eine Art Lupen- oder Jogwheel-Funktion. Mit Hilfe einer solchen Funktion kann man sich auch akustisch, nicht nur optisch, an bestimmte Stellen herantasten. Man geht dann vor wie ein Toningenieur, der das Band hin- und herbewegt, bis er den richtigen Punkt für den Schnitt findet. Es scheint allerdings nicht einfach zu sein, so etwas zu programmieren. Richtig optimal gelöst habe ich es noch bei keinem Falcon-Programm gesehen, bei Musicom fehlt sie ganz. Nach einem Gespräch mit Armin Hierstetter - einem der Programmierer von Musicom2 - sind die Entwickler allerdings dabei, sich hier etwas zu überlegen.
Hat man einen Block schließlich ausgesucht, kann dieser für weitere Bearbeitungen getrennt gespeichert werden. Doch die eigentlichen Schnittfähigkeiten zeigt Musicom2 im Pattern-Modus. Hier sind alle bisherigen Funktionen weiterhin verfügbar, aber auch vieles mehr. Ganze Samples oder auch nur einzelne Teile von ihnen werden markiert, benannt, und sie können ein- oder mehrmals in einer beliebigen Reihenfolge verwendet werden. Zwischendurch können auch beliebig lange Pausen eingefügt werden. Möchte man einen Teil mehrmals hintereinander wiederholen, muss man nur die gewünschte Anzahl der Wiederholungen eingeben. Eine ganz besondere Aufwertung erhalten die Blockfunktionen durch Marker. Bis zu 64 Marker können pro Sample gesetzt werden. Sie werden mit Hilfe der Maus gesetzt und eventuell noch in ihrer Position verändert. Nachdem man sie benannt hat, stehen sie ständig unter dem Menüpunkt Optionen zur Verfügung. Doch das ist nicht alles. Marker können auch während des Abspielens an bestimmten musikalischen Passagen mit der Space-Taste eingefügt und später noch ganz genau plaziert und benannt werden. Das ist eine sehr musikalische Art des Arbeitens, die Spaß macht. Mit den Markern können somit bestimmte Stellen in der Musik wie Anfang des Solos, Strophe ... markiert werden. Der Vorteil: sie lassen sich anschließend sehr leicht aufsuchen. So kann man zwischen den wichtigen Teilen eines Stückes leicht hin- und herspringen.
Diese hübsche graue Box erlaubt die digitale Kommunikation zwischen dem Falcon030 und jedem digitalen Gerät, welches das S/PDIF-Protokoll unterstützt. In erster Linie sind das CD-Player und DAT-Recorder. Ohne den Umweg über den A/D-und D/A-Wandler des Falcon030 kann die Musik von diesen Geräten ohne den geringsten Verlust auf die Festplatte des Falcon kopiert, dort bearbeitet und wieder abgespielt werden. Das Interface besitzt sowohl einen koaxialen als auch einen optischen Ein- und Ausgang. Mit einem kurzen mitgelieferten Kabel wird es an den DSP-Port des Falcon030 angeschlossen. Das Gerät ähnelt im Aufbau sehr stark dem S/PDIF-Interface von SoundPool (auch als FDI von Steinberg vertrieben -siehe ST-Computer 12/93, Seite 54), ist aber ein völlig unabhängig entwickeltes Gerät, das mit dem anderen existierenden Interface nicht kompatibel ist. Auch dieses Digital-Audio-Interface funktioniert absolut einwandfrei! Digital aufgenommene Musik kann natürlich genauso bearbeitet werden wie die vom A/D-Wandler. Lediglich im Parameter-Fenster muss die Eingangsquelle entsprechend eingestellt werden.
Wir haben uns bis jetzt ausführlich mit dem professionellsten Teil von Musicom2 beschäftigt, dem digitalen Schnitt. Das Programm bietet aber noch zahlreiche weitere Funktionen, die für den einen oder anderen Benutzer, der mit dem Programm hauptsächlich etwas Spaß haben will, vielleicht sogar wichtiger sein werden.
Ich denke da zum Beispiel an die mit Hilfe des DSP ermöglichten Effekte. Musicom2 bietet Delay, Equalizer, Harmonizer, Flanger und Karaoke. Die Effekte können so wohl non-destruktiv als auch destruktiv verwendet werden. Man kann sich also zunächst ein Sample mit unterschiedlichen Effekten anhören, später kann das Original-Sample in ein Sample mit Effekt verändert werden. Von den Effekten am besten gefallen hat mir der Equalizer, der tatsächlich seine Funktion deutlich hörbar und sauber ausübt. Bei den anderen Effekten darf man keine Wunder erwarten. Ihr 20.000 DM teueres Lexicon-Gerät müssen Sie nicht sofort auf den Müll werfen. Aber für witzige kleine Effekte reicht es allemal. Es fehlt eigentlich nur noch ein Hall, damit wäre die Auswahl komplett.
Wie der Name schon sagt, analysiert diese Funktion das Frequenzspektrum der Musik und zeigt die Lautstärke der unterschiedlichen Frequenzbänder. Das ist nicht nur ein hübsches Spielzeug, mit einer Test CD und einem Spezialmikrophon kann man mit Hilfe des Spektrum Analyzers eine PA oder die heimische Stereoanlage „einrauschen“. Mit einem Equalizer wird man dabei einen möglichst linearen Frequenzgang einstellen. Wie bei der Pegelanzeige muss man auch hier erst einmal ins Fenster klicken, um die Funktion zu aktivieren oder zu inaktivieren.
Hat man gerade den Überblick über die Belegung der Festplatte verloren, kann man sich mit Hilfe von Disk Tools nicht nur über die Belegung der einzelnen Partitionen informieren, sondern auch überflüssige Dateien gleich löschen.
Die Jingles Funktion erleichtert das Anhören von verschiedenen Samples. Alle Sam-ples von einem Ordner können auf einmal eingeladen und durch einfaches Anklicken abgespielt werden. Klickt man auf „Alles“, werden automatisch alle Samples der Reihe nach gespielt. So kann man sich leicht einen Überblick verschaffen und zum Beispiel ein bestimmtes gesuchtes Sample unter vielen wiederfinden.
Durch die zahlreichen zusätzlichen Funktionen hat sich das Sample-Format von Musicom2 gegenüber Musicom verändert und heißt jetzt MSF statt AVR. Die einzelnen Samples lassen sich jedoch mit Hilfe eines kleinen mitgelieferten Programms ineinander umwandeln. Damit ist Kompatibilität zu Musicom und anderen Programmen, die das AVR-Format unterstützen, gewährleistet. Beim Speichern von Blöcken ist allerdings das Abspeichern im AVR-Format weiterhin möglich.
Eine sehr interessante neue Funktion ist das Oversampling. Musicom2 erlaubt jetzt die Umwandlung eines bereits aufgenommenen Samples in ein Sample mit einer anderen Sample-Rate. Hier können auch Stereo-Samples in Mono-Samples umgerechnet und gespeichert werden. Für technisch Eingeweihte: Musicom verwendet -abhängig vom Quell- und Zielformat 8-bis 128faches Oversampling. Außerdem begrenzt ein Filter 96ter Ordnung den Frequenzbereich.
Musicom2 hat sich zu einem ernstzunehmenden Musikprogramm mit einigen außergewöhnlichen Funktionen entwickelt. Der Schritt von der ersten zur zweiten Version ist riesig. dass der Preis für das Programm dabei nur 200 DMbeträgt, ist sensationell. Manchmal ist man trotzdem versucht, Musicom2 an wesentlich teuereren Programmen zu messen. Das liegt daran, dass Musicom2 mittlerweile zahlreiche Features von teueren professionellen Programmen bietet. Und es wird noch einiges mehr kommen! Die Entwickler sind mit vollem Elan daran. Den vielen neuen Funktionen der Version 2.1 sollen bei weiteren Programm-Updates noch zahlreiche folgen. Ein Fade In, Fade Out bei Schnitten wird wohl eine der nächsten sein.
Etwas übertrieben ist manchmal die Verfügbarkeit der einzelnen Funktionen. Es gibt zum Beispiel drei Möglichkeiten, das Fenster Effekte zu erreichen. Eine Bedienung über die Tastatur fehlt dagegen vollkommen. Hier wünscht man sich schnelle Abhilfe.
Musicom2 läuft trotz der vielen neuen Funktionen sehr stabil; während der gesamten Testphase habe ich keinen einzigen Absturz erlebt. Die grafische Oberfläche ist zudem äußerst ansprechend.
Dem Programm sind einige Samples beigefügt; in einem fragt eine nette weibliche Stimme: „Hallo Süßer, wie gefall’ ich Dir?“ Da ist man doch spontan geneigt zu antworten: „Liebes Programm, Du gefällst mir ausgesprochen gut!“
Positiv:
Negativ: