Verjüngungskur: Phoenix 3.0-Datenbank

Während andere Applikationen mit steigender Versionsnummer ihr Alter, und damit das ausgereifte Konzept unterstreichen wollen, setzt Application Systems mit dem sagenhaften Vogel zum dritten Mal auf eine Verjüngungskur. Ob das Feuer heilt genug war, um inzwischen ein embryonales Stadium zu erreichen, lesen Sie auf den nächsten Seiten.

Es gibt wohl kaum Programmbeschreibungen. die nicht auch versprechen, dem Anwender die Arbeit in irgendeiner Weise zu erleichtern. Dennoch nehmen Datenbankprogramme eine Sonderrolle ein: Während nämlich der Bedarf der meisten anderen Programmgattungen erst durch die Entwicklung der Rechenmaschinen erwuchs, beziehungsweise durch die Computer die Anforderungen soweit anstiegen, daß sich heute viele Aufgaben nur noch mit den Digitalrechnern bewältigen lassen, gab es den Wunsch nach einer effizienten Verwaltung von Datenbeständen schon bevor der Mensch das Laufen lernte.

Weshalb sich dennoch auf den heimischen Computern die Textverarbeitungen, Grafikprogramme oder Computerspiele schneller durchsetzten als Datenbankprogramme. liegt wohl mit daran, daß Anwendungen dieser Art vor Gebrauch erst programmiert sein wollen. Mit grafischen Oberflächen und bunten Icons versucht man nun dem Einsteiger die Hürden tiefer zu legen.

So schmücken jene bunten Icons nun auch die Oberfläche der neuesten Version von „Phoenix“. Ein weiteres Indiz für die von Application Systems angestrebte Klientelerweiterung (vom Profi hin zum Laien) ist der „Quick-Guide“ im Handbuch: Auf knapp 50 Seiten (von insgesamt 350) wird sehr anschaulich ein Schnellkurs in die Datenbankanwendung anhand eines ein fachen Beispiels beschrieben.

Hingegen ist die Beschreibung der beiden Programmteile „Designer“ und „Manager“ weniger gelungen, da sie sich ausschließlich an der Menüführung orientiert. Mit ein paar klärenden Seiten über die Strukturen und deren Organisation in den verschiedenen Dateien, ließen sich viele der einzelnen Funktionsbeschreibungen ersetzen.

Desgleichen leidet die ansonsten sehr intuitive Oberfläche etwas unter der eigenwilligen Aufgaben Verteilung zwischen Designer und Manager. So ist es zwar löblich, daß man im Designer neue Felder einerTabelle hinzufügen kann, auch wenn schon mittels Manager mehrere Datensätze eingegeben wurden. Das Löschen ist aber nicht mehr möglich. Da die Beschreibung beider Fälle im Handbuch fehlt, läßt sich nur vermuten, daß der Designer zwar über keinen eigenständigen Datenreorganisierer verfügt, aber dem Reorganisierer im Manager einfachere Aufgaben als Batch mit auf den Weg geben kann. Wie gesagt: Hier würden sich viele „Trial and Error“-Sessions erübrigen, wenn eine kurze Beschreibung über die internen Abläufe vorläge. So wüßte man dann, was bei der gegebenen Arbeitsteilung überhaupt theoretisch machbar ist.

Designer

Hat man sich soweit eingearbeitet, steht auch der Programmierung komplexer Datenbankstrukturen nichts mehr im-Wege. Hier zeigt sich der Vogel von seiner besten Seite. Bereits die Fülle an Feldtypen sucht seinesgleichen. Neben der Verwaltung von beliebigen externen Dateien, können Grafiken (*.GEM. .IMG) und Sounds (.SAM) von Phoenix direkt dargestellt bzw. abgespielt werden. Selbst an die automatische Umwandlung vom INTEL- ins MOTOROLA-Formal wurde gedacht.

Einfach nachvollziehbar und grafisch gut aufbereitet bestimmt man die Beziehungen zwischen verschiedenen Feldern. Für die referenzielle Integrität stehen dann weitere Regeln zur Wahl. Leider greifen hier die „Cut/Copy/Paste"-Funktionen nicht. Eine übereilig gesetzte Referenz läßt sich nur löschen, indem man das zuletzt abgespeicherte Design neu von der Platte lädt.

Für maximale Sicherheit der Datenbestände sorgt die flexible Verteilung von Zugriffsrechten (Lesen, Ändern. Hinzufügen. Löschen) für mehrere Anwender. Jene lassen sich sowohl auf ganze Tabellen als auch auf einzelne Felder anwenden. Damit eignet sich Phoenix selbst für den Betrieb in einem Netzwerk.

Stehen die Datenstrukturen soweit fest, bestimmt man im Designer noch die Eingabemasken. Dazu bedient man sich mehrerer Kosmetikutensilien. In jeweils 16 verschiedenen Farbnuancen lassen sich Umrahmungen. Rundungen, freier Text und die Felder an jeder Stelle der Maske auftragen.

Manager

Dem Manager obliegt dann nicht nur das Datensuchen, -ändern und -berechnen, sondern auch jeglicher Im- und Export. Hier bewährt sich der SQL Kernel von Phoenix mit den obligaten Suchfunktionen: beschleunigt durch die Einbeziehung von flexibel konfigurierbaren Datensatzindizes und des neu entwickelten Daten-Caches, der die Zeit für Such- und Sortierfunktionen teilweise auf ein 10tel gegenüber der Version 2.1 schrumpfen läßt. Dies ist als ein deutlicher Schritt nach vorne zu werten.

Ein weiteres Leistungsmerkmal von Phoenix sind die „Prozesse". die sogar wahlweise im Multitasking-Betrieb laufen. Als solche gelten die „Reports", die „Rechnungen" und die „Batches". Alle drei Prozeßtypen entwirft man in einem integrierten einfachen ASCII Editor unter Verwendung der jeweils zuständigen Programmiersprache.

Die Reports stellen eine Art Schablone aus Text und Platzhalter für Datenfelder dar. Somit lassen sich zum Beispiel Adreßaufkleber oder Serienbriefe ausdrucken. Der bereitgestellte Sprachumfang umfaßt die Seitenformatierung (Kopf-, Fußzeile, rechter und linker Rand), Textattribute (fett, unterstrichen, ...) und Hilfsmittel zur gezielten Auswahl von Datensätzen durch UND- und ODER Verknüpfungen.

Rechnungen lassen sich in nerhalb einer Eingabemaske aktivieren und beziehen sich damit vornehmlich auf den aktuellen Datensatz in der Eingabemaske. Mit einer BASIC-ähnlichen Programmiersprache läßt sich zum Beispiel für einen Rechnungsdatensatz der Gesamtbetrag und die Mehrwertsteuer von mehreren bestellten Artikeln (ebenfalls in Tabellen organisiert) berechnen. Was den Sprachumfang anbelangt, bleiben keine Wünsche offen (Schleifen, Sprünge, IF-THEN-ELSE. lokale Variablen, +, *, /, SIN, COS, .... Alertboxen mit Rückgabewerten, String-Funktionen, beliebige Zugriffe auf Felder inkl. Datensatznummer....).

Ausgelöst werden die Rech nungen durch „Buttons" innerhalb der Eingabemaske (diese legt man vorher im Designer an). Allerdings hätten die Programmautoren den „Buttons" durchaus noch ein Tastaturkürzel spendieren können, zumal alle anderen wichtigen und weniger wichtigen Funktionen via Tastatur erreichbar sind. Laut Auskunft von Application Systems wird dies im nächsten Update allerdings noch eingebaut.

Die Batch-Prozesse dienen zur Automatisierung komplexer Befehlsabläufe. Hierzu gehören neben dem Starten von Reports, die Gestaltung der Oberfläche (Fenster öffnen/ schließen. Größe ändern, ...), der automatische Im- und/oder Export bis hin zum simplen Dateilöschen. Ein spezielles AUTOEXEC-Batch startet automatisch vor jedem Öffnen einer Datenbank.

Bild 1: Im „Designer“ entwirft man die Datensatzstrukturen und deren Eingabemasken.
Bild 2: Die Datenverwaltung ist die Hauptaufgabe des Managers, Neben den Im- und Exportfunktionen verbergen sich noch die programmierbaren Prozeßfenster im Menü.

Die Auswahl des Datenim- und -exports beschränkt sich allerdings auf die Frage nach einem Binär- oder einem ASCII-Transfer. Fremdformate wie DBase oder Clipper werden nicht unterstützt. Allerdings ist der ASCII-Import sehr flexibel gestaltet. So lassen sich beliebige Trennzeichen- bzw. Trennzeichenfolgen als Feld und Datensatztrenner einstellen.

Da sich mit dem Designer keine Runtime-Anwendungen erstellen lassen, würde ein abgespecktes lizensfreies Runtime-Modul für das Datenmanagement, das ansonsten so professionelle Programm deutlich aufwerten. Eine von Application Systems alternativ feilgebotene C-Bibliothek mit über 100 Funktionen für das Datenmanagement (Phoenix-kompatibel), mögen nur wenige als Ersatz akzeptieren.

News

Hier nun noch eine kurze Zusammenstellung für alle 2.1-Besitzer, die mit dem Gedanken spielen die 3.0-Verjüngungskur in Heidelberg zu beantragen: Funktional kam nichts Neues hinzu. Die Chirurgengebrüder beschränkten sich also weitgehend auf optische Verbesserungen. Dazu gehören neben der Farbunterstützung die mit AES-4.0 hinzugekommenen 3D-Effekte. Um ähnlichen Anwendungen unter MS-Windows in nichts nachstehen zu müssen, erhielt nun jedes Fenster eine Symbolleiste in der die wichtigsten Funktionen aus dem Menü, grafisch aufbereitet. nochmals der Maus als Ziel dienen. Um die Maus nicht vollends zu verwirren, läßt sich die Symbolleiste aber auch abschalten. Die Prozeßfenster wurden mit zahlreichen Pop-Ups angereichert (Tabellen, Felder einer ausgewählten Tabelle, Indexfelder. Befehle),die bei Aktivierung den Pop-Up-Eintrag an der aktuellen Cursor-Position hinzufügen. Außerdem lassen sich die Prozeßbefehlstexte (Batches, Rechnungen und Reports) im- und exportieren (Clipboard), womit man weiterhin der Implementierung von Blockoperationen im Editor auswich, und dies nun externen Editoren überläßt.

Im Manager kann man nun auch per Tastatur zwischen den verschiedenen Tabellen und Indizes wechseln. Neu und wirklich update-würdig ist der hinzugekommene Daten-Cache. der deutlich zur Beschleunigung der Zugriffe beiträgt.

Bezugsquelle:

Application Systems Heidelberg Englerstraße 3 69126 Heidelberg

Preise:
Vollversion 3.0: 349,- DM
Update von 2.1 auf 3.0: 49,- DM
Update von 1.0/2.0 auf 3.0: 69,- DM

Phoenix 3.0

Positiv:

relationale Datenbank
mächtige Programmiersprache mit SQL-Befehlen
wesentlich erhöhte Geschwindigkeit durch Index- und Daten-Cache
Datenbank-Design in grafischer Darstellung
kontextsensitives Hilfesystem

Negativ:

Aufgabenverteilung: Designer-Manager
falsche Slidergrößen und -Positionen bei neu geöffneten Fenstern
Redraw-Probleme bei Fenstermenüs


Jürgen Lietzow
Aus: ST-Computer 03 / 1994, Seite 64

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