← ST-Computer 01 / 1993

Charly Image - VerdÀchtig preiswert

Software

Charlys ArbeitsoberflÀche mit Werkzeug- und Werkzeugparameter-Box mit mehreren Farbdialogen

Bisher fristete Charly Image - von der EBV-Welt relativ unbeachtet - sein Dasein im Schatten fest im Markt etablierter, weitaus teurerer ’EBV-Boliden’. Aufgrund seines extrem niedrigen Preises lĂ€uft man leider schnell Gefahr, dieses Programm von vornherein unterzubewerten.

Charly Image 2.0 bietet sowohl Funktionen zur Bildverarbeitung als auch zur Vektorisierung; eine interessante Kombination, die bisher nur ein einziger ’Mitbewerber’ aufweisen konnte. Unser Test soll daher zeigen, inwieweit ein direkter Vergleich mit anderen Programmen dieses Genres gerechtfertigt ist. Charly Image 2.0 ist entweder zusammen mit den bekannten Charly Handy-Scannern oder auch separat fĂŒr 198 DM bei Wilhelm Mikroelektronik erhĂ€ltlich. Es lĂ€uft auf allen ATARI-Rechnern ab 1MB Arbeitsspeicher und unterstĂŒtzt als saubere GEM-Anwendung sowohl Grafikkarten als auch Großbildschirme. Aber was kann man von einem Programm dieser Preiskategorie gerade im anspruchsvollen Bildverarbeitungsbereich schon erwarten ... " Ziemlich viel, wie sich im Laufe des Testes immer wieder herausstellte! Soviel vorweg: bei dem gebotenen Leistungsumfang kann dieser Preis tatsĂ€chlich als sensationell angesehen werden.

Triebhaft modular

Die MenĂŒleiste beschrĂ€nkt sich auf ganze drei EintrĂ€ge, die die ĂŒblichen Dateioperationen sowie die Lupenfunktionen enthalten. Ferner lassen sich von hier aus die Bildbearbeitungsfunktionen sowie eine interaktive Online-Hilfe aufrufen. Dieses hypertextartige Hilfesystem ist vorbildlich und bietet in den meisten Situationen ausreichende Informationen.

Sowohl jegliche Bilddatenein- und -ausgabe als auch jede BildverĂ€nderung wird von speziellen Treibern erledigt. Charly Image listet in einer Treiber-Auswahlbox automatisch nur die Treiber auf, die sich in der jeweiligen Arbeitssituation sinnvoll einsetzen lassen. Das Programm bleibt hierdurch trotz seiner Funktionsvielfalt sehr ĂŒbersichtlich und ist offen fĂŒr Anpassungen an z.B. neue Scanner-Typen oder Funktionserweiterungen. Die Integrierung der Bildbearbeitungsfunktionen in ein modulares Treiberkonzept hebt Charly Image deutlich von anderen Programmen dieses Genres ab.

So kommt auch beim Anlegen einer neuen Rastergrafik ein entsprechender Treiber zum Einsatz. In einer Dialogbox lassen sich durch die Angabe der Ausmaße sowie der Bit-Tiefe bzw. Farbebenen vom Monochrom- bis hin zum True-Color-Bild beliebige Bildtypen erzeugen. Grafiken lassen sich entweder ĂŒber einen Scanner oder ĂŒber eines der diversen Import-Module einlesen. Scanner-Treiber fĂŒr alle Scanner der ’Charly’-Reihe werden bereits mitgeliefert; andere Treiber können separat bei Wilhelm Mikroelektronik angefordert werden. An Bildformaten lĂ€dt Charly Image so ziemlich alles, was ihm vorgesetzt wird: angefangen, von den gĂ€ngigen ST-Bildformaten (IMG, Degas. STAD, NEO, ART etc.) bis hin zu systemĂŒbergreifenden Formaten wie TIF, GIF, BMP und vielen mehr. Auch beim Speichern von Grafiken zeigt sich Charly Image erfreulich ’gesprĂ€chig’; so können Rastergrafiken z.B. als TIF, PostScript oder GEM Image und Vektorgrafiken z.B. als CVG oder EPS abgespeichert werden. Einem Bildimport in beliebige Publisher steht somit nichts im Wege.

Exotisch

Charly Image öffnet bei Bedarf bis zu sechs GEM-Fenster, die alle unterschiedliche Bildtypen enthalten können. Je nach Bildformat stehen in der Treiber-Auswahlbox verschiedene Bearbeitungsfunktionen zur VerfĂŒgung, die sich entweder auf das gesamte Bild oder einen markierten Block auswirken. So existieren fĂŒr Graustufen bzw. Farbbilder neben den Standardfunktionen wie z.B. Graustufenumwandlung und Regelung von Helligkeit und Kontrast auch ’exotische’ Funktionen wie z.B. Zufallsverteilung, Solarisation und Modulation. Ein besonderer Leckerbissen ist die Wandlung von einem Graustufen- in ein Farbbild. Mit Hilfe diverser Farbtabellen lassen sich hiermit Bilder durch Umrechnung der im Bild enthaltenen Grauwerte kĂŒnstlerisch verfremden. Bei der umgekehrten Wandlung eines Farbbildes in ein Graubild lassen sich lediglich die RGB-Werte justieren.

Riskantes Spiel

WĂ€hrend manche Treiber das aktuelle Bild direkt verĂ€ndern, öffnen andere ein neues Grafikfenster. Hierbei ist leider nicht sofort ersichtlich, wie sich welcher Treiber verhalten wird; unter UmstĂ€nden kann man so sein ’Kunstwerk’ binnen weniger Sekunden verschandeln. Gerade hier macht sich die völlig fehlende UNDO-Funktion schmerzlich bemerkbar. Die einzige Möglichkeit besteht theoretisch darin, das Bild nach jeder geglĂŒckten Manipulation abzuspeichern und nach einem ’Unfall’ mit der Escape-Taste neu einzulesen. Dies ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluß, zumal das Abspeichern eines großen Farboder auch Graustufenbildes meistens lĂ€ngere Zeit in Anspruch nimmt. Die Gestaltungsmöglichkeiten bei Monochrombildern sind aufgrund fehlender Zeichenfunktionen recht eingeschrĂ€nkt, aber Charly Image ist ja auch kein Zeichen-, sondern ein Bildverarbeitungsprogramm. Doch gerade in dieser Hinsicht vermisse ich z.B. eine Filterfunktion zum schnellen SĂ€ubern ’verrauschter’ Bitmap-Scans. Überzeugend hingegen sind Charly’s Funktionen, beim VergrĂ¶ĂŸern von Rastergrafiken die Treppchenbildung durch verschiedene GlĂ€ttungsalgorithmen zu unterdrĂŒcken. Als sehr effektiv, aber auch extrem rechenintensiv erwies sich hier die ’kubische Interpolation’. Durch die Arbeitsschritte a) VergrĂ¶ĂŸern mit GlĂ€ttung, b) Vektorisieren und c) RĂŒckwandeln in ein Pixel-Bild lassen sich Strich-Scans fast ohne QualitĂ€tsverlust beliebig vergrĂ¶ĂŸern.

Charlys Werkzeuge

Die Werkzeugbox lĂ€ĂŸt sich mit der SPACE-Taste ein- und ausblenden und bietet alle zur Bildverarbeitung nötigen Werkzeuge wie Stift, SprĂŒhdose, Schmierfinger, Wasser, SchĂ€rferusw. Einmaliges Anklicken selektiert das jeweilige Werkzeug, wĂ€hrend nochmaliges Klicken eine Dialogbox öffnet, in der sich diverse Parameter zu den einzelnen Werkzeugen festlegen lassen, wie z.B. GrĂ¶ĂŸe, Form, die Transparenz zum Rand hin usw. Ein sehr wichtiger Parameter, die Transparenz bzw. Deckwirkung der einzelnen Werkzeuge, versteckt sich etwas ungeschickt hinter dem Symbol fĂŒr die Farbauswahl, der Pipette. Aber da sich sĂ€mtliche Funktionen auch ĂŒber Tastatur aufrufen lassen - in diesem Fall durch simples DrĂŒcken der Taste „T“ fĂ€llt dieser Umstand nicht weiter ins Gewicht. Leider lassen sich die einmal sorgfĂ€ltig justierten Werkzeugparameter nicht abspeichern, weshalb man diese Einstellungen nach jedem Programmstart fĂŒr die einzelnen Werkzeuge erneut vornehmen muß. FĂŒr jedes der insgesamt sechs GEM-Fenster existiert ĂŒbrigens eine eigene Werkzeugbox, in der man die Werkzeugparameter voneinander unabhĂ€ngig einstellen kann.

Farben lassen sich einerseits ĂŒber verschiedene Farbmodelle definieren: hierzu gehören das RGB-, das HSB- und das CMYK- Modell. Leider lassen sich in letztgenanntem die Werte fĂŒr die Farbanteile nicht direkt eingeben, sondern nur durch Angabe der HSB- bzw. RGB-Werte definieren. Andererseits kann man komfortabel mit dem sog. ’Pipetten’-Werkzeug durch einfaches Klicken in das Bild die Farben fĂŒr Vorder- und Hintergrund he-raus’picken’. Diese Farben gelten dann z.B. nicht nur fĂŒr die Zeichenwerkzeuge sondern auch als Grenzen fĂŒr FĂ€rb- oder GrauverlĂ€ufe. Das Verlaufswerkzeug gestattet die Wahl zwischen linearen VerlĂ€ufen in beliebigen Winkeln sowie radialen VerlĂ€ufen. Diese beziehen sich jeweils auf das ganze Bild oder einen markierten Block.

Über die sog. ’Pin-Nadel’ lassen sich auf einfache Weise zwei Bilder bzw. Bildausschnitte miteinander kombinieren. Nachdem mit der Pin-Nadel in beiden Bildern Bezugspunkte festgelegt wurden, lassen sich diese exakt ĂŒbereinanderlegen; die Transparenz ist frei definierbar. Ebenfalls ist es möglich, ein Bild in das andere mit dem Stiftwerkzeug durchzupausen. Bei geschickt eingestellten Stiftparametern lassen sich auf diese Art sehr homogene ÜbergĂ€nge zwischen den Bildteilen einer Collage erzeugen. Die Werkzeugbox bietet weiterhin Funktionen zum Drehen von Bildern in 90-Grad-Schritten sowie zum Spiegeln und Zoomen. SĂ€mtliche Funktionen arbeiten recht schnell, so daß man wirklich zĂŒgig vorankommen kann. Selbst bei 24-Bit-Bildern liegt die Geschwindigkeit noch in einem ertrĂ€glichen Rahmen. Obwohl die Möglichkeiten, ein Graubild in eine Bitmap zu wandeln, sehr umfangreich sind, ist die gezielte Angabe der GrĂ¶ĂŸe und der Rasterweite des Zielbildes leider nicht möglich. Dieser Umstand erschwert eine flexible Weiterverwendung von gerasterten Bildern leider unnötig, da manche Publisher nunmal nicht in der Lage sind, ungerasterte Bilddaten zu verarbeiten.

Charly goes vector...

Charly Image ist in der Lage, Bitmap-Bilder automatisch zu vektorisieren. Hierbei erkennt das Programm wahlweise Linien und/oder Bezierkurven; die Parameter fĂŒr beide Linientypen lassen sich frei bestimmen. Die Vektorisierung selbst benötigt zwar deutlich mehr Zeit als bei Vergleichsprodukten, jedoch zĂ€hlen letztendlich die Ergebnisse; und die sind in der Regel durchweg brauchbar. Nur bei sehr komplexen Vorlagen hatte Charly Image manchmal Probleme, gefĂŒllte FlĂ€chen korrekt zu erkennen. Der Import der Vektorgrafiken in die gĂ€ngigen Publisher im CVG- bzw. EPS-Format funktionierte ĂŒbrigens einwandfrei.

Die Vektorbearbeitung selbst beschrĂ€nkt sich auf das Verschieben, Bewegen oder Löschen einzelner Objekte, Pfade oder Punkte. Ebenfalls lassen sich einzelne Objekte oder Pfade ĂŒber ein internes Clipboard kopieren. Eine Besonderheit sind die Möglichkeiten zur Konturdarstellung: wahlweise lassen sich die Bearbeitungsmodi ’Kontur’, ’Kontur bei Selektion’ und ’FlĂ€chen’ auswĂ€hlen. Gerade letztgenannter ist sehr ungewöhnlich, da man bereits wĂ€hrend des Verschiebens von StĂŒtzpunkten die gefĂŒllten FlĂ€chen in ’Echtzeit’ sieht. Da diese Funktion natĂŒrlich extrem rechenintensiv ist, sollte man sie aus GeschwindigkeitsgrĂŒnden eigentlich nur beim Bearbeiten einfacher Vektorgrafiken einsetzen. Leider fehlen Funktionen wie z.B. EinfĂŒgen von StĂŒtzpunkten oder Tauschen von Bezier-Kurven und Linien.

NatĂŒrlich ist auch der umgekehrte Weg der Vektorisierung vorgesehen, also eine Vektorgrafik in ein Rasterbild umzuwandeln. Hierbei lĂ€ĂŸt sich ein VergrĂ¶ĂŸerungsfaktor angeben, um den das Vektorbild beim Umrechnen dann ’aufgeblasen’ wird.

Das Handbuch

Das Handbuch konnte mich weder von der Textgestaltung noch vom Inhalt her begeistern. Viele Grammatik- und Kommafehler zwingen hĂ€ufig dazu, einen Satz zweimal zu lesen, um den Inhalt zu verstehen. Die Funktionen sind allgemein knapp beschrieben, und es mangelt an praktischen Anwendungsbeispielen. Jedoch wiegt Charlys intuitive BenutzerfĂŒhrung diesen Mangel wieder auf, da man auch fast ganz ohne Handbuch die meisten Funktionen schnell im Griff hat. Positiv fallen die ErlĂ€uterung der diversen Grafikformate sowie das Glossar und das recht ausfĂŒhrliche Stichwortverzeichnis auf.

Fazit

Charly Image hat den, „Checkpoint“ relativ heil ĂŒberstanden. Manchen Funktionen fehlt noch der gewisse Schliff, andere mĂŒssen unbedingt nachgebessert werden; hier denke ich besonders an die fehlende UNDO-Funktion und das Abspeichern der Werkzeugparameter. Die enorme Funktionsvielfalt und die hervorragende Online-Hilfe, die ĂŒbrigens kein anderes Programm dieser Art aufzuweisen hat, trösten jedoch ein wenig ĂŒber diese MĂ€ngel hinweg. ErwĂ€hnenswert ist weiterhin, daß Charly Image ohne Probleme auf dem Falcon lĂ€uft und auch dessen Multitasking-FĂ€higkeiten voll ausnutzt. Im Hinblick auf den vielfachen Preis anderer Programme dieses Genres hat sich Charly Image im Test verlauf sehr wacker geschlagen. Allen, denen die etablierten EBV-’Götter’ eine Nummer zu groß sind, kann Charly Image daher guten Gewissens ans Herz gelegt werden.

Bezugsquelle:

Wilhelm Mikroelektronik GmbH
SĂŒggelstr. 31
W-4670 lĂŒnen

Positiv

  • gĂŒnstiger Preis
  • modulares Treiberkonzept
  • Funktionsvielfalt
  • Online-Hilfe

Negativ

  • kein UNDO
  • Einstellungen lassen sich nicht speichern
  • Handbuch ĂŒberarbeitungswĂŒrdig