Technik für die Jugend: ST im “JuZ 205”

Das Jugendzentrum mit viel Grün und viel Technik

Mitten im schönen Sauerland, in einem verschlafenen kleinen Städtchen namens Hemer (gleich neben Dortmund), befindet sich ein Jugendzentrum, das einige Überraschungen für den computerinteressierten Besucher bietet. Wer würde hier schon Computer oder gar STs vermuten?

Wolfgang Bode, Leiter des Jugendzentrums “205“ in Hemer, ist stolz auf die Ausstattung der Freizeitstätte. Seit Mitte 1988 beschäftigen sich einige Mitarbeiter auch im Bereich Computer und haben einiges auf die Beine gestellt. Im Juli ’88 trafen sich erstmalig einige Enthusiasten, um eine “AG Computer“ ins Leben zu rufen. Wolfgang Bode: “Damals hatten wir nur einen C64 zur Verfügung, das Geld für solche Geräte war im Haushaltsplan nicht vorhanden.” Das Gerät gehörte ihm selbst, von diesem Zeitpunkt an stand es allerdings fortwährend im “205”. “Stadtverwaltungen sind ungeheuer schwerfällig”, fügt er hinzu, “an neue Computer war auf keinen Fall zu denken” So arbeitete die AG eine Zeitlang mit eigenen, privaten Geräten. Die Zeit wurde größtenteils mit Datenfernübertragung genutzt, doch auch eigene Programme und Spiele kamen nicht zu kurz. Nach einigen Monaten traf dann eine großzügige Spende ein, von der ein komplettes C64-System gekauft wurde (Ende 1988). In Windeseile wurde ein eigenes Mailbox-Programm geschrieben, und es entstand die erste Mailbox in einem Jugendzentrum, die auch rasch Anklang fand.

Vom C64 zum ST

Schnell wurde der alte “Brotkasten“ zu klein. “Endlich hatten wir auch Geldmittel von der Stadt bewilligt bekommen“, meint Wolfgang Bode, “und wir konnten uns einen Atari ST kaufen. Allerdings waren die Mittel so knapp bemessen, daß wir mit dem Händler einen Sonderpreis aushandeln mußten!” Nachdem das Gerät inklusive Festplatte installiert war. ging die Arbeit erst richtig los. Wieder wurde ein eigenes Mailbox-Programm geschrieben, das bis heute erfolgreich seinen Dienst leistet. Natürlich wurde es wesentlich erweitert. Neben dem üblichen Angebot bietet es ein großes Mailbox-Netz (das MagicNET), ist mit anderen Jugendvereinen und Interessierten lokal vernetzt (über das Aquarius-Netz). Darüber hinaus bietet die Mailbox einen besonderen Service: Die Jugendseite “Szene” der örtlichen Tageszeitung ist immer abrufbar.

Der engagierte Leiter weiß natürlich auch von den Problemen zu berichten, die er mit dem Aufbau der Mailbox hatte. “Zuerst haben wir mit einem Akustikkoppler gearbeitet. Das größte Problem dabei war, der Post klarzumachen, daß lediglich ein Anschluß benötigt wird, der nur angerufen werden kann. Sobald bürokratische Vorschriften einzuhalten sind, wird die Arbeit für ein Jugendzentrum quälend langsam. Jetzt läuft die Mailbox natürlich mit einem Modem, und wir haben keinerlei Probleme mehr. Außerdem ist der ST absolut geeignet für diese Aufgabe!”

Natürlich wurden auch andere Aktionen ins Leben gerufen. So starteten einige Freaks Kurse für Jugendliche und Erwachsene, die großen Erfolg hatten. Dazu Bode: “Wir hatten mit vielen Problemen zu kämpfen, Kurse für Erwachsene in einem Jugendzentrum abzuhalten. Doch letztendlich kann ein Jugendzentrum auch als Treffpunkt für Jung und Alt dienen, was der Erfolg der Kurse auch eindeutig bewiesen hat.”

Nach einigen Spendenaktionen wurde der Gerätebestand noch weiter aufgestockt, immer mehr Geräte und Peripherie kamen nach und nach in den Besitz der Stadt. Was wird heute, nach zwei Jahren, konkret mit den Geräten gemacht? Das kann der Leiter des “205“ sehr leicht erklären. “Seit der ST da ist, haben wir vieles auf den Computer ausgelagert. Flugblätter, Programmhefte und Briefe werden nur noch mit ‚Signum!’ bzw. neuerdings mit ‚Script’ geschrieben. Dann läuft natürlich immer noch die Mailbox, die im Umkreis einen recht großen Anklang findet. Bei Interesse haben wir natürlich auch preiswerte Kurse für alle Altersgruppen, die regelmäßig gut besucht sind. Neuerdings verlegen wir auch die Kassenabrechnung auf den ST, sind dabei allerdings noch in der Anfangsphase.”

“Zum Schluß haben wir sogar mit einigen Interessierten ein unabhängiges Spiele-Testinstitut gegründet, das Computer-Spiele auf ihren pädagogischen Wert hin geprüft hat. Die Aktion ist jedoch im Sande verlaufen, weil ein Großteil der Beteiligten inzwischen in andere Städte gezogen ist”, so Bode. Man sieht also, daß die Ideenküche der “205”-ler immer noch brodelt und immer wieder ungewöhnliche Projekte entstehen, für die ein einzelner gar nicht in der Lage wäre.

Immer auf der Suche

“Geld von einer Stadtverwaltung zu erhalten, ist immer schwierig.” So sucht Wolfgang Bode immer Spenden aller Art. Doch nicht nur Geräte werden gesucht, auch Interessierte sollen sich bei ihm melden. “Bei uns kann jeder seine Wünsche verwirklichen, hier geht es nicht so starr zu, wie man es vielleicht vermutet”, betont er.

„Die Räumlichkeiten und Geräte sind vorhanden, und wer Ideen hat, ist bei uns an der richtigen Stelle.”

Für Computer-Fans ebenfalls interessant sein dürfte die Rollenspielgruppe. Hier werden jeden Freitag bis spät in die Nacht Orks und Drachen geprügelt - dabei wird es selten langweilig! Und obwohl man AD&D-Gruppen selten genug Findet, treffen sich hier jeden Freitag mindestens fünf Interessierte, die ebenfalls immer neue Mitspieler suchen. Weiterhin im Angebot ist ein regelmäßiges Kinoprogramm für einen geringen Eintritt (um 5,-DM). Der Freak, der sich vom Computer erholen will, kann auch die regelmäßig stattfindende Disco besuchen (mit großer Sound- und Lichtanlage), Billard spielen (ein eigener Verein existiert), einfach nur klönen, Leute kennenlernen usw.

Wer jetzt Interesse hat, sollte sich schleunigst melden. Entweder direkt:

Jugendzentrum “205“
Hauptstraße 205
5870 Hemer

MP



Aus: ST-Computer 09 / 1990, Seite 16

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