BASiCHART - Nicht nur eine Tabelle

Bild 1: Typisch Tabelle! BASiCHART kann seine Ähnlichkeit (zumindest im Bildaufbau) zu anderen “Tabellen“ nicht verschweigen.

Quizfrage: Welche Gruppe von Anwenderprogrammen wird im privaten Bereich als allererste (in sinnvoller Absicht) genutzt?

Antworten:
a) Textverarbeitung,
b) Grafikprogramme,
c) Datenbanken,
d) Tabellenkalkulation.

Sie werden es nicht glauben! Es ist nicht die Textverarbeitung, denn wer hat zuhause so viel (privat) zu schreiben, daß es sich lohnt? Es ist ebenfalls nicht die Gruppe der Grafikprogramme, denn welche Hausfrau (bzw. welcher Hausmann) sieht Zeichnen oder Malen im Vordergrund häuslichen Schaffens? Nein, Datenbanken sind es auch nicht. So viele Adressen oder Kochrezepte muß niemand verwalten. Und nun die Lösung: JA! Es sind die Kalkulationsprogramme, die als erste (sinnvolle) Anwendung für hauswirtschaftliche Zwecke eingesetzt werden.

Irgendwie macht das auch Sinn. Denn mit einer Tabellenkalkulation läßt sich auf schnelle Art und Weise ein Haushaltsbuch führen oder eine Kontenverwaltung verwirklichen. Was natürlich in einem kleinen und überschaubaren Wirtschaftssystem wie dem Privathaushalt funktioniert, das muß doch für einen Handelsbetrieb gleichfalls gelten. Dies sollte natürlich nicht heißen, daß die Mehrzahl der Kalkulationsprogramme vornehmlich im privaten Umfeld zu finden sein werden.

Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Mehrzahl der Programme wurde (leider) nicht für private Zwecke konzipiert. So finden wir die möglichsten und unmöglichsten Rechen-, Buchungs- oder Verwaltungsprogramme in allen Variationen. Die sind dann natürlich auf betriebliche Verhältnisse abgestimmt und kosten reichliches Geld. Das lohnt sich in keiner Weise für die “Minianwendung Privathaushalt“.

Bild 2: Ein Programm, das überwiegend auf Pull-Down-Menüs aufbaut, muß derer natürlich viele bieten.

Mit den Tabellenkalkulationsprogrammen ist aber eine Art “Anwenderoberfläche” geschaffen worden, die es (fast) unabhängig von der Größenordnung der Aufgabe erlaubt, alles (rechnerisch) zu lösen. Es soll auch hier nicht verschwiegen werden, daß es beim Umfang der Aufgabenstellung zwei Grenzen gibt:

  1. die Geringfügigkeitsgrenze. Das bedeutet, daß es im Ausmaß der Rechenaufgabe eine Schwelle gibt, unter der die Benutzung der “Tabelle” sich einfach nicht lohnt. Denn wer nimmt die Ein schalt- und Startprozedur auf sich, um einfach mal eine kleine Kolonne von Zahlen zu addieren? (Es sollen ja auch weiterhin noch Taschenrechner verkauft werden, bis Kopfrechnen wieder im Mode kommt.)
  2. die Komplexitätsgrenze. Diese Schwelle wird dann übertreten, wenn die Tabelle zu groß geworden ist und Rechen. Sortier-, Formatier- oder Bewegungsvorgänge unvertretbar lange dauern. So wäre es sicher nicht empfehlenswert, eine komplette Industriebilanz oder eine Mandantenbuchhaltung per Tabelle zu erledigen. Dann machen die oben erwähnten Spezialprogramme wieder mehr Sinn.

Ganz abgesehen davon stellt der verwendbare RAM-Speicher ebenfalls eine Grenze nach oben dar. Man muß sich gleich hier von der Illusion lösen, die theoretisch möglichen 676 Spalten nebeneinander und die 10.000 Zeilen untereinander alle vollständig und randvoll benutzen zu können. Selbst wenn in diesen 6.760.000 Zellen jeweils nur 1 Byte abgelegt wäre, würde dies selbst den Mammutspeicher eines MEGA-ST4 weit überschreiten.

Die “Rechen-Oberfläche“

Nach einer etwas mühsamen Installation (BASiCHART benutzt GDOS, und das muß angepaßt werden) meldet sich ein gewohntes Bild: Desktop-Leiste. Zeilennummern, Spaltenbuchstaben (wer hat noch nie eine Tabelle gesehen?). Besonders deutlich wird auch bei BASiCHART, daß sich bewährte Gepflogenheiten ähnlicher Programme (z.B. die Bildaufteilung, Edierzeile oben, bestimmte Bezeichnungen) einfach nicht verbessern lassen - das ist auch nicht weiter tragisch. BASiCHART sieht wirklich auf den ersten Blick kaum anders aus als ViP-Professional, LDW-Powercalc oder SciGraph (um nur einige zu nennen). Also muß es etwas (bzw. einiges) geben, worin sich BASi CHART von den Mitbewerbern unterscheidet. Sehen wir einfach mal weiter Schritt für Schritt.

Bild 3: In einem angeschlossenen Grafikprogramm präsentieren sich die Zahlen höchst anschaulich.

Dort wo sich eine Zeile und eine Spalte treffen, spricht man von einer Zelle. Die wird mit dem Cursor angesteuert, worauf dann in diese Zelle eine Eingabe gelegt werden kann. Soweit - sogut. Blöcke gibt es auch, das ist ein definierter Bereich zusammenhängender Zellen, zu dem Zweck, eine Aktion gemeinsam auf diesen Bereich wirken zu lassen. Beispiele: So sollen alle Zellen in einem Bereich in bestimmter Art und Weise formatiert sein, oder ein festgelegter Block soll an eine andere Stelle kopiert werden, oder es soll von den Zahlen innerhalb eines Blockes die Summe gebildet werden. Bewegen im Arbeitsblatt mit Maus oder Cursor-Tasten ist ebenfalls bekannt bewährt. Sehen wir weiter: Zellen edieren. Man kann eingeben:

  1. Text bis 240 Zeichen Länge (zentriert, links- oder rechtsbündig)
  2. Zahlen (d.h. konstante Werte)
  3. Formeln (also Rechenvorschriften), wobei die Formel selbst in der Zelle nicht sichtbar wird, sondern nur ihr Ergebnis
  4. Füllzeichen, die immer eine komplette Zelle ausfüllen, z.B. für Unterstreichungen. Sie passen sich in ihrer Anzahl immer der aktuellen Zellbreite an.
  5. eine Folge von Hexadezimalzahlen zwischen den Grenzen 0 und FF jeweils getrennt mit einem Komma. BASiCHART erkennt diese Hex-Folge an dem Symbol “I“ am Beginn der Eingabe. Damit läßt sich eine Abfolge von Steuercodes (mit Kommentar) in Zellen legen, z.B. für eine Änderung der Druckereinstellung bzw . der Schriftattribute beim Ausdruck.
  6. ein Block. Und das bedarf einer ausführlichen Erklärung. Normalerweise ist ein Block doch ein zusammenhängender Bereich von mehreren benachbarten Zellen. Wie kommt nun aber ein solcher Block in eine Zelle hinein? In Wirklichkeit wird nur die Definition eines Blocks (als Zeichenkette kodiert) in diese eine Zelle gelegt. So läßt sich sehr bequem auf bestimmte Blöcke verweisen oder diese in ihren Ausmaßen (Begrenzungen) manipulieren, z.B. um sie in Abhängigkeit einer Rechenoperation nachträglich neu zu begrenzen.

Diese beiden Funktionen, die ich bisher bei noch keiner anderen Tabellenkalkulation gefunden habe, erscheinen mir sehr nützlich. Neu ist außerdem, daß BASiCHART bei Formeln die Eingabe in “umgekehrter polnischer Notation” (UPN) zuläßt. Wer kennt die HP-Taschenrechner mit ENTER-Taste?

Bild 4: So sehen die Menüs im Grafikteil aus. Hier kann auch die Taste als Alternative benutzt werden.

Ein kleines Rechengenie?

Gehen wir davon aus, daß Texte (z.B. Überschriften) sowie Zahlen eingegeben sind, dann stellt sich die Frage, welches Rechenwerkzeug haben wir zur Verfügung? Die Liste der Operatoren und Funktionen ist beeindruckend; um nur einige zu nennen:

  1. arithmetische: Grundrechenarten, Potenzieren,
  2. logische: Vergleiche, Negation, Implikation.
  3. mathematische: Winkelfunktionen, Exponent, Logarithmen, Wurzel, Zufallszahl.
  4. log. Verknüpfungen, Bedingungen.
  5. statistische,
  6. Datums- und Zeitrechnen,
  7. Finanz: Abschreibung, Zins,
  8. Vektor und Matrix,
  9. UPN-Operationen,
  10. String-Bearbeiter: Zeichen ersetzen, Codeumwandlung, Teilstringsuche, 11: Sonderfunktionen: Zellberechnung, Kombinationen, Blockoperationen.

BASiCAHRT beinhaltet nicht nur alle Rechenvorgänge der “Mutter aller Tabellen“ LOTUS 1-2-3 (Version 2.0), sondern kommt auf die stattliche Zahl von 130 verschiedenen Funktionen. BASiCHART rechnet auf 14 Stellen genau und hat einen Zahlenbereich bis zu Exponenten von +/-300.

Ein weiteres Bonbon, das ich von anderen Programmen her nicht kenne: Es ist möglich, zusätzlich noch weitere 100 Konstanten, Zellbereiche oder Rechenfunktionen, mit bis zu 11 Argumenten, selbst zu definieren und darin auch die schon bestehenden (siehe oben) mitzuverwenden. Man kann sich quasi eigene Phantasieformeln zusammenbasteln.

Bild 5: Selbst für einzelne Blöcke der Tabelle sind ganz individuelle Ausgabeparameter möglich.

Zahlen anschaulich gemacht

Wie schon oft erwähnt, macht es wenig Sinn, ellenlange und öde Zahlenkolonnen einem breiteren Publikum vorzulegen, weil sie sehr unübersichtlich und wenig aussagekräftig sind. Gerade bei Kalkulationen (im wahrsten Sinne des Wortes) geht bekanntlich Probieren über Studieren. Beim Testen bestimmter Zusammenhänge wird es nötig, dort einen Wert zu ändern, irgendwo eine Formel umzustellen und dann die Auswirkung (oft auch im Zusammenhang mit anderen Ergebnissen) festzustellen. Dann erweist sich die grafische Darstellung in einigen Kurven oder Balken als besseres Mittel, Veränderungen zu überblicken.

BASiCHART verfügt über einen reichen Schatz an grafischen Instrumenten. Die Grafikauswertung ist in einem eigenen Programmteil untergebracht. Man gelangt dorthin, wenn z.B. eine Zahlenkolonne als Block definiert und per Menü „CHART“ die Art der Übernahme angewählt ist, d.h. eine Übernahme der Zahlen aus dem Block als grafische Signale oder in eine Datenreihe sowie die Übernahme einzelner Zellen als Legende.

Alle Grafikteile sind als eigenständige Objekte deklariert. Das bedeutet, daß jedes Grafikobjekt individuell manipuliert werden kann, z.B. kann man es vergrößern/verkleinern, verschieben, dehnen, stauchen usw. Die Bildinhalte lassen sich von Hand auch nachträglich verändern.

Bild 6: Im Hilfemodus erscheint diese unübersichtliche Funktionsauswahl, die dann zur weiteren Begriffsklärung eine manuelle Hingabe erwartet.

Die Auswahl der Darstellung kann sich sehen lassen:

So passen beispielsweise in ein Chart-Bild bis zu 3 Diagramme, auch das Mischen oder Kombinieren verschiedener Darstellungsarten zu einem Bild ist möglich. Nahezu alle Grafikattribute (z.B. Schriftgröße und stil. Füll- und Hintergrundmuster, Farbe, Transparenz) sind manuell veränderbar. Bis zu 10 Charts lassen sich pro Rechenblatt erstellen, zwischen denen einfach per Knopfdruck hin- und hergeschaltet werden kann.

Ein Superbonbon: Es lassen sich einzelne Zellen in das Grafikfenster hineinlegen. Damit sind bei Werteänderung in diesen Zellen die Auswirkungen in der Grafik unmittelbar beobachtbar. Das habe ich auch bei keinem anderen Programm gefunden. Dies muß auch nicht unbedingt bedeuten, daß diese Zellen dann zur Grafik gehören (z.B. bei einem Ausdruck sichtbar), es ist gewissermaßen nur eine Projektion von Teilen des Arbeitsblattes in das Grafikfenster.

Es bedarf fast nicht mehr der Erwähnung, daß Achsen auch logarithmisch sein können, daß die Grenzen des Darstellungsbereiches für die Achsenwerte manuell oder automatisch ermittelnd einstellbar wären, eine 3D-Tiefe (Anteil des Perspektivraumes am Gesamtbild) wählbar, die Position des Mauszeigers mit seinen Koordinaten ablesbar ist usw.

Bild 7: Viele Funktionen bringt BASiCHART schon mit. Neue, unbekannte, erweiterte oder (vom Benutzer) zusammengestellte Definitionen erweitern den Funktionsvorrat ins Unermeßliche.

Was man Schwarz auf Weiß hat

Wenn dann die Arbeit auf dem Bildschirm ein befriedigendes Ergebnis zeitigte, möchte man doch gerne das Ganze auf Papier festhalten. Für das Rechenblatt wird auf 1st_Word-Druckertreiber zurückgegriffen, so daß alle gängigen Drucker ansprechbar sind. BASiCHART schreibt in Dateien im ASCII und DIF-Fonnat und liest ASCII, DIF, CSV und WKS, dies gilt ebenfalls für das Rechenblatt.

Wie schon erwähnt, greift BASiCHART für die Grafik auf den Gerätetreiber GDOS zurück und benutzt auch dessen Fonts. An Grafikformaten versteht BASiCHART (für Pixel) PIC, Degas-PI?, IMG, (für Vektor) Easydraw-GEM und Metafile-GEM.

Dies erlaubt die professionelle Weiterverarbeitung von Grafik in höchster Auflösung für DTP-Programme wie CALAMUS.

Was an BASiCHART auffiel

Es sind wieder einmal die Kleinigkeiten, die das Besondere eines Programms ausmachen. Feinheiten, wie das nachträgliche Definieren komplizierter Formeln, Eingabe im Hex-Format oder Projizieren einzelner Zellen in das Grafikfenster, die sind es, die den Reiz dieses Programms ausmachten. Ich will ehrlich sein: Zu Beginn des Tests dachte ich, schon wieder eines dieser unzähligen Abwandlungen von LOTUS für den ATARI ST. Erst nach und nach bemerkte ich die kleinen Besonderheiten, die man in keinem ähnlichen Programm findet. Man muß halt mit BASiCHART gearbeitet haben, um diese Besonderheiten zu erkennen und wertmäßig einzuordnen. Man spürt an vielen Stellen, daß ein Entwickler an diesem Programm arbeitete, der die Mängel früherer LOTUS-/ATARI ST-Derivate kannte. Zudem hat der Rechenteil von BASiCHART einen längeren Reifeprozess hinter sich. Wenngleich der CALC-Teil (Rechenblatt) von BASiCHART uneingeschränkt die Note 1 verdient hat, gibt es für den CHART-Teil (Grafikfenster) geringfügige Verbesserungsvorschläge. Alles in allem ist BASiCHART ein sinnvolles, gut durchdachtes Programm.

Bild 8: Für jede einzelne Zelle kann aus einem großen Vorrat die Formatierung ganz speziell eingestellt werden.

Ein weiterer Pluspunkt in diesem Gesamtbild ist das Handbuch. Es ist vorbildlich gegliedert: Zuerst ein Einführungsteil mit wichtigen Vereinbarungen, ein Kapitel zum Schnelleinstieg (für ungeduldige Durchstarter), dann folgt ein Kapitel “Schritt für Schritt” (für den geduldigen Anwender) und ein Kapitel, das Menüpunkt für Menüpunkt haarklein erklärt. Diese Struktur gilt für den Kalkulation-, als auch für den daran anschließenden Grafikteil. Ein kleiner Anhang bringt zwei Anwendungsbeispiele: 1. lineare Regression (warum nur so etwas Kompliziertes?) und 2. eine Umsatzaufstellung.

Die Gestaltung ist ansprechend und mit einer ausreichenden Anzahl Bilder aufgelockert.

Zu guter Letzt: der Preis. BASiCHART kostet 198,- DM. Wer auf die Grafik verzichten möchte, erhält BASiCALC zum Preis von 98,- DM.

DK

Bezugsquelle
POINT Computer GmbH
Gollierstraße 70/C5
8000 München 2



Aus: ST-Computer 07 / 1990, Seite 41

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