Low-Cost-Schreiben: Textverarbeitungssystem auf PD-Basis

Bild 1: Die Formatieroption von Minitext

Natürlich kann man auf käufliche Textverarbeitungsprogramme zurückgreifen. Mit etwas Phantasie ist es aber auch möglich, sich mit Hilfe der ST Public Domain-Sammlung ein den eigenen Ansprüchen angepaßtes Textsystem zusammenzustricken. Die Zutaten für diesen Basteltip sind: ASCII-Edit 1.0 (PD 164), FontEdit 2.0 (PD 217) und das Textverarbeitungsprogramm Minitext 2.1 (PD 230). Wenn dieses PD-Trio richtig aufeinander abgestimmt wird, tun sich dem elektronischen Autor erstaunliche Möglichkeiten auf.

Im Mittelpunkt steht das Textverarbeitungsprogramm Minitext von Heinrich Möller aus Hildesheim. Als er 1984 mit dem „Computern“ anfängt, verzichtet er aus Kostengründen auf den Kauf eines Textverarbeitungsprogrammes. Da er nur ein paar kleine Briefe schreiben will, greift er selbst in die Tasten, um zunächst eine Lösung für den Eigenbedarf zu entwickeln. Nach einem Wechsel 1987 auf den ATARI ST und auf GFA-BASIC liegt mit Minitext 2.56 (ab Version 2.56 mit Wordwrap, Zeilenlineal und schnellerer Bildschirmausgabe) nun das vorläufige Ergebnis als Public Domain-Programm vor. Mit einer Kapazität von 5000 Zeilen mit jeweils 32767 Anschlägen ist es aber zu mehr als nur zum Briefeschreiben zu gebrauchen. Die 5000 Zeilen entsprechen ungefähr 80 Seiten, so daß sich auch Referate und längere Aufsätze mit diesem Programm schreiben lassen.

Nach dem Programmstart befindet man sich im Editor und kann sofort drauflos schreiben. Dabei wird in einer Kopfzeile ständig die Schreibposition im Text angezeigt sowie der Schreibmodus „Einfügen“ oder „Überschreiben“. Auch Datum und Uhrzeit werden in der rechten oberen Ecke angegeben. Nach dem ersten Abspeichern des bearbeiteten Textes wird zusätzlich auch der komplette Speicherpfad angezeigt. da es nun möglich ist, den Text mit einem Druck auf die F10-Taste ohne den Umweg über die Dateiauswahlbox abzuspeichern. Da sich der Autor allerdings zum Ziel gemacht hat. ein möglichst leicht zu bedienendes Programm zu erstellen, braucht man natürlich nicht Unmengen von Tastenkombinationen auswendig zu lernen. Alle Funktionen lassen sich bequem über Dropdown-Menüs aufrufen. wobei die meisten sich zusätzlich auch über eine Taste aktivieren lassen.

Es wäre Unsinn, hier jede einzelne Funktion detailliert zu beschreiben, so daß hier nur die wichtigsten Einrichtungen erwähnt werden sollen. So ist es von Minitext aus möglich. Dateien zu löschen oder umzubenennen, was man oft bei einigen professionellen Programmen schmerzlich vermißt, wenn Platzmangel auf der Diskette herrscht. Natürlich gehören zu einem guten Textverarbeitungsprogramm auch Blockoperationen wie Laden, Speichern, Löschen, Verschieben, Einfügen und Drucken. Dabei darf der Block übrigens bis zu 1000 Zeilen lang sein. Eine interessante Variante der Blockoperationen stellt die Textbaustein-Option dar: Hier wird der Textblock nicht in den Arbeitsspeicher geladen, sondern der Ladepfad von Diskette in den Text eingefügt. Erst beim Ausdrucken wird der Texlbauslein gelesen und eingefügt. Es ist allerdings dabei zu berücksichtigen, daß so eingefügte Texte nicht mehr formatiert werden, was Vor- und Nachteile hat. Die Textbaustein-Option spart Speicherplatz und erhöht - sinnvoll angewendet - auch die Übersicht in längeren Texten. Auf diese Weise kann zum Beispiel auch eine „Warteschlange“ definiert werden, bei der völlig verschiedene Texte hintereinander ausgedruckt werden.

Wie zu Beginn angedeutet, bietet der Editor, der übrigens sehr schnell ist, selbstverständlich verschiedene Bearbeitungshilfen. Neben der bereits erwähnten Anzeige der Schreibposition kann man per Tastendruck an den Textanfang oder das Ende springen. Auch ist nach Angabe einer Zeilennummer eine bestimmte Textzeile erreichbar. Mit den Cursor-Tasten oder der Maus kann man sich beliebig im Text bewegen. Auch eine „Suchen/Erset-zen“-Funktion zur schnellen Fehlerkorrektur ist vorhanden.

Die Tasten Delete, Backspace und Insert bedürfen keiner Erklärung. In Kombination mit der Control-Taste bieten sie allerdings weitere Möglichkeiten: Ctrl+Delete löscht die aktuelle Zeile, Undo fügt sie wieder ein, Crtl+lnsert fügt eine Leerzeile ein. Mit dem Linkspfeil gelangt man di rekt zum Zeilenanfang, mit dem Rechtspfeil entsprechend an das Zeilenende. Mit den beiden anderen Tasten kann man seitenweise im Text blättern. Zusätzlich mit der Shift-Taste wird der links von der Schreibmarke stehende Text in die vorhergehende Zeile übernommen, mit dem Rechtspfeil der rechts stehende Text in eine neue Zeile geschoben. Über die Help-Taste kann man sich eine kleine Übersicht dieser Kommandos auf den Bildschirm holen, da sich diese Funktionen der Einfachheit halber nicht über Menüs ansprechen lassen.

Ein großer Vorteil eines Matrixdruckers gegenüber einer Schreibmaschine besteht darin, daß er die Schrifttypen variieren kann: fett, breit, schmal, kursiv und unter strichen ist mit fast jedem Drucker möglich. Minitext unterstützt mit Hilfe einer Druckeranpassung auch diese Möglichkeiten, wobei aber leider die notwendigen Steuerzeichen (noch) auf dem Bildschirm erscheinen und bei der Formatierung nicht als solche erkannt werden. Besonders im Blocksatz sollte man daher diese Attribute erst ganz zum Schluß einfügen. Wer sich übrigens schon öfter über READ.ME-Dateien im Wordplus-Format (*.DOC) geärgert hat, kann sie mit Minitext lesbar ausdrucken, wobei die Steuerzeichen entsprechend umgesetzt bzw. gelöscht werden.

Nachdem nun das Stichwort „Formatierung“ gefallen ist, sei kurz auf die Formatier-Option bei Minitext eingegangen. Zu unterscheiden ist dabei nämlich ein Menü, das sich auf die Darstellung am Bildschirm bezieht, und eines, das den Drucker ansteuert. Beim ersteren läßt sich die Textbreite sowie die Ausrichtung (Flattersatz, Blocksatz oder zentriert) einstellen. Zwar kann man auch einen linken Rand setzen, doch dies sollte man aus Speicherplatzgründen erst im Druck-Menü machen. Dort wird dann der Rand nicht über Leerzeichen erzeugt, sondern per Befehl gesetzt. Außerdem wird festgelegt, wie viele Zeilen eine Seite hat und in welcher Schriftart bzw. Druckqualität der Text ausgedruckt werden soll. Der mitgelieferte Druckertreiber sollte für die ersten Versuche ausreichend sein. Wenn man mit seinem Drucker und Minitext schon etwas vertraut ist, kann man sich leicht eine eigene Anpassung schreiben, da Kommentare jede einzelne Zeile erläutern.

Bild 2: Umfangreiche Druckeransteuerung ist möglich.
Bild 4: Die Oberfläche von FontEdit
Bild 3: Der eingebaute UPN-Rechner
Bild 5: ASCII-Edit im Einsatz

Fast schon zum guten Ton eines Textverarbeitungsprogrammes gehört ein integrierter Taschenrechner. Bei Minitext läßt er sich über Crtl+Help aktivieren. Dieser Rechner ist für den Normalverbraucher allerdings etwas gewöhnungsbedürftig, da er sich der umgekehrten polnischen Notation (UPN) bedient. Dabei werden zuerst die Zahlen und anschließend die Rechenoperation angegeben. Auf diese Weise werden zwar Klammem überflüssig, man muß aber erst eine Weile üben. Der Vorteil gegenüber den meisten Rechner Accessories besteht aber darin, daß das angezeigte Ergebnis beim Verlassen des Rechners direkt in den Text übernommen werden kann.

FontEdit

Nun wird es aber Zeit, daß die Rolle der beiden anderen oben erwähnten Programme endlich erläutert wird. Sie passen nämlich sehr gut zum Konzept der individuellen Anpassung. Das Programm FontEdit 2.0 von Dirk Woitha ist zur Anpassung von GEM-Zeichensätzen an eigene Vorstellungen gedacht. Die Handhabung ist äußerst einfach und bedarf kaum einer Erklärung, zumal hier auf den speziellen Nutzen in der Textverarbeitung eingegangen werden soll. Nach Aufruf des Accessorys wird der aktuelle Zeichensatz in einer Tabelle dargestellt. Das Zeichen, das verändert werden soll, wird einfach angeklickt und erscheint in dem üblichen Rasterfeld, wo man es nach Belieben verändern kann. Anschließend läßt sich der veränderte Zeichensatz natürlich abspeichern und im System installieren.

Da mein Drucker - wie viele andere - einerseits auch über die IBM-Blockgrafik verfügt, ich aber überhaupt keine Verwendung für den hebräischen Zeichensatz im ATARI habe, bietet sich eine entsprechende Anpassung doch geradezu an. Dies ist auch gar nicht besonders mühselig, da dem Zeichensatz-Editor (zufällig?) ein entsprechender IBM-Zeichensatz als Beispiel beiliegt. Da dieser Anpassung das Paragraph-Zeichen zum Opfer fällt, sollte man es an der Position 221 (dd) wieder einfügen und die Tauschtabelle des Minitexttreibers entsprechend anpassen (#71 e:dd a:15). Wenn man diesen neuen Zeichensatz in DEFAULT.FNT umbenennt, wird er von dem Accessory beim System start automatisch installiert.

Numero 3: ASCII-Edit

Da in Minitext über eine spezielle Funktion jedes ASCII-Zeichen in den Text eingefügt werden kann, kann man auch direkt mit Tabellen und griechischen Buchstaben seinen Text auflockern. Doch obwohl die „ASCII einfügen“-Funktion für einzelne Zeichen recht gut zu gebrauchen ist. ist das Erstellen von Tabellen etc. auf diese Weise doch nicht ganz einfach. Da die ATARI-Tastatur über mehr Tasten als für eine Schreibmaschinentastatur unbedingt nötig verfügt, bietet es sich doch geradezu an. den Ziffernblock für den IBM-Zeichensatz zu mißbrauchen. Hier kommt nun das oben erwähnte ASCII Edit 1.0 von Peter Berghammer zum Zuge. Mit diesem Programm ist es nämlich möglich, die gesamte Tastenbelegung (auch die Funktions- und Cursor-Tasten) eigenen Erfordernissen anzupassen. Dazu brauchen nur eine Taste sowie das gewünschte Zeichen angeklickt zu werden. Es können jeweils die Ebenen „normal“, „Shift“ und „Caps Lock“ unterschieden werden.

Im Kombination mit Minitext empfiehlt es sich natürlich, die Standardtastatur sowie die Funktionstasten möglichst unberührt zu lassen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Dafür kann man sich auf dem Ziffemblock frei austoben. Durch Dreifachbelegung der 18 Tasten kann man immerhin 54 neue Zeichen auf die Tasten zaubern, was meiner Meinung nach völlig ausreicht. Durch eine sinnvolle Anordnung auf den Tasten kann man problemlos auf die Zeichen zurückgreifen. Mit einem speziellen Hilfsprogramm wird diese neue Tastenbelegung beim Systemstart automatisch eingerichtet.

Obwohl ASCII-Edit kein Accessory ist, kann man die Tastaturbelegung auch vom Textprogramm aus jederzeit ändern. Minitext bietet nämlich die Möglichkeit, zwischendurch ein anderes Programm aufzurufen. Wird dieses „externe“ Programm beendet, landet man nicht wie gewohnt im Desktop, sondern wieder im Text-Editor. Da allerdings immer die Gefahr besteht, daß das zweite Programm einmal abstürzt, sollte der gerade bearbeitete Text vorher sicherheitshalber abgespeichert werden, um sich unnötigen Ärger zu ersparen. - Man braucht ja nur kurz F10 zu drücken.

Natürlich bieten sich noch andere Anwendungsmöglichkeiten für diese bei den Programme. Wer öfters französische Texte schreiben muß, kann sich auch die entsprechenden Sonderzeichen Ç, é, â, à, ê, è, i) auf den Ziffernblock legen. Der Mathematiker nimmt „seine“ Zeichen, sofern der Drucker sie zu Papier bringen kann ≤, ≥, ±, √, ½, ¼, ∂, ß, ¥, π). Wenn man seine Texte gar nicht ausdrucken, sondern nur in einem Programm auf dem Bildschirm darstellen will, kann man natürlich auch im Font-Editor seiner Phantasie freien Lauf lassen und die kuriosesten Figuren auf den Monitor zaubern.

Meines Erachtens stellt das hier vorgestellte PD-Gespann eine sehr gute Lösung für den angehenden Textverarbeiter dar. Das empfehlenswerte Textverarbeitungsprogramm Minitext wird durch die Programme ASCII-Edit und Font-Editor sinnvoll ergänzt. Selbstverständlich sind noch andere Kombinationen möglich, die hier nicht alle aufgezeigt werden können (wie zum Beispiel ein Ausdruck der erstellten Texte mit Fontmaster von PD 40). Natürlich können der Font-Editor und das Tastaturbelegungs-Tool auch für andere Textsysteme benutzt werden. Wordplus freut sich sicherlich über diese neuen Features.

Bezugsadresse:

Maxon Computer Schwalbacher Str 52 6236 Eschborn

Bild 6: Mögliche Alternativ-Belegungen des Zehnerblocks

Thorsten Luhm
Aus: ST-Computer 06 / 1990, Seite 58

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