← ST-Magazin 04 / 1993

Editorial: Datenautobahn

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Ob SchĂŒler, Student oder BerufstĂ€tiger, viele von uns vertrödeln tĂ€glich viel Zeit im Berufsverkehr: morgens in ĂŒberfĂŒllten öffentlichen Verkehrsmitteln hin, abends im Stau zurĂŒck. In der Mittagspause hastig hineingeschlungenes Fastfood oder lauwarmen Mampf aus der Kantine. Dabei geht viel LebensqualitĂ€t verloren.

Vor allem fĂŒr am Schreibtisch orientierte BĂŒroarbeiten bietet sich eine bequeme und umweltschonende Alternative: Heimarbeit. Wo aufwendige Elektronik sowieso schon vorhanden ist, macht’s die moderne Kommunikation möglich. Schon eine simple Telefonleitung reicht aus, um Computer auf einfache Weise miteinander zu verbinden und so Daten problemlos zwischen heimischem Arbeitsplatz und ferner Zentrale auszutauschen.

Die Vorteile liegen auf der Hand: die ArbeitsatmosphĂ€re ist angenehmer, niemand rĂ€uchert einen aus, durch freie Zeiteinteilung lassen sich Dinge besser organisieren. Die ProduktivitĂ€t steigt nicht nur durch die eingesparte Zeit, sondern auch durch höhere Motivation. Man verbringt nicht mehr viele Stunden im Kohlenmonoxid, das private Auto (oder zumindest der Zweitwagen) kann abgeschafft werden. Manche Autobahn bleibt dann zweispurig, krausige KettensĂ€genmassaker an idyllischen Alleen bleiben uns erspart. Privater wie öffentlicher Geldbeutel — auch im Gesundheitswesen — werden es danken.

Außerdem: Wenn Firmen nicht mehr ihre mietentreibenden GlaspalĂ€ste benötigen, haben InnenstĂ€dte wieder eine Chance, mit erschwinglichem Wohnraum menschlich zu werden, und nicht nach GeschĂ€ftsschluß das Revier Tauben und gescheiterten Existenzen zu ĂŒberlassen.

Doch was fĂŒr die Gesellschaft ĂŒberwiegend mit Vorteilen verbunden ist, kann fĂŒr den einzelnen ins Auge gehen. Eigener Herr zu sein, kann auch Subunternehmertum bedeuten, wie es in anderen Branchen schon lange praktiziert wird. Das Beziehungsgeflecht, das ĂŒber die reine Arbeitsleistung hinausgeht, reißt: keine sozialen Leistungen wie Krankenkasse oder Altersversorgung, genaueste Kontrolle und Abrechnung der individuellen Arbeitsleistung. Bei Urlaub oder Krankheit muß man vom finanziellen Polster leben. Arbeitsmittel (Computer, Telefon, Arbeitsraum) mĂŒĂŸten u. U. selbst finanziert werden. Wer da nicht auf Zack ist, bleibt schnell auf der Strecke.

Ohne tĂ€glichen Umgang mit Kollegen, verarmen soziale Kontakte, der Single wird zum EinzelgĂ€nger. Plausch oder Betriebsausflug fallen weg. Betriebsrat oder Gewerkschaften, die den Arbeitnehmer bei möglichen Ungerechtigkeiten unterstĂŒtzen, können sich nur schlecht etablieren. Bei unsicherer Arbeitsmarktlage lĂ€ĂŸt sich mancher möglicherweise auf Bedingungen ein, die er normalerweise abgelehnt hĂ€tte.

Die Arbeit zu Hause bietet die Chance, BallungsrĂ€ume vor dem Verkehrskollaps und den Konsequenzen zu bewahren. Es kommt also darauf an, diese Umwelt und Gesundheit schonende Alternative sozial vernĂŒnftig abzusichern. Fragt sich nur, ob eine Politik, die mehr an kurzfristig machtpolitisch relevanten Lösungen interessiert ist, derart langfristig zu denken und zu handeln vermag.

Thorsten Luhm