← ST-Magazin 08 / 1992

Editorial: GeflĂŒgelsalat

Rubriken

Wer die ersten inoffiziellen Fotos von Ataris Spatz sah — der sich ja mittlerweile zum Falken gemausert hat — wird weder an Sperling noch Greif gedacht haben, sondern eher an das hĂ€ĂŸliche Entlein aus Andersens MĂ€rchen. Zeitungsenten, wie ein verschĂ€mt von der Seite abgelichteter und als Falcon 030 verkaufter 1040er, untermalten das Bild vom quakenden Federvieh weiter.

Warum um Himmels Willen verpackt Atari seine ZukunftsplĂ€ne in ein GehĂ€use, das vielleicht vor fĂŒnf Jahren gefragt war, aber mittlerweile als bleigraues Mahnmal fĂŒr Unbeweglichkeit und mangelnde FlexibilitĂ€t die Regale der HĂ€ndler drĂŒckt? Warum diese Imagehypothek? Warum kein gerĂ€umiges, modern designtes Lifestyle-Outfit, das die technische Überlegenheit des Falcon 030 bereits optisch zur Schau trĂ€gt?

Die HĂ€ĂŸliche-Entlein-Politik des kalifornischen Spielkonsolenherstellers erscheint in der Öffentlichkeit alles andere als glĂŒcklich, weil sie geprĂ€gt ist von den kaum berechenbaren Launen der US-Chefetage.

Bei sorgfĂ€ltigem Nachdenken allerdings ist das Konzept (nicht die Launen) der Amerikaner sogar verstĂ€ndlich. Sicher gibt es — vor allem im deutschsprachigen Raum — viele fortgeschrittene Freaks, die allemal lieber GeflĂŒgel wĂ€hlen als angebissenes Obst, wenn es um geistige Nahrung geht. Sie haben mit Spielekram nichts am Hut, wollen ihren ST als ProfigerĂ€t ernstgenommen wissen, prĂ€gen die Szene mit heiligem Eifer und haben feste Vorstellungen von einem neuen TOS-Computer.

Außerhalb dieser eingeschworenen »Familie« jedoch hat sich (auch wenn’s weh tut) das Bild der Firma Atari kein Haarbreit vom Kindercomputer wegbewegt.

NachtrĂ€glich betrachtet, ist es gar nicht schlecht, daß das Kindercomputerimage allen Missionierungsversuchen ernsthafter Anwender zĂ€h widerstanden hat: WĂ€hrend die nadelstreifenseriösen Hersteller sogenannter Proficomputer — völlig gleich, ob sie nun IBM, Compaq oder sonstwie heißen — den Noname-Preiskrieg verloren haben und heute völlig ohne Grund die Nase gen Himmel tragen, ist die Computer-Entertainment-Branche lĂ€ngst wieder im Aufwind. Gefragt ist, was Spaß macht: Grafik, Animation, Sound, Action. Multimedia, Multimedia!

Da kĂ€me der Falcon ja gerade richtig. Vor allem billig muß er sein, billiger als die gesamte Konkurrenz (billig heißt ja nicht schlecht). Ein Computer, den man Sohnemann auf den Gabentisch legen kann, einer, der sich schnell in großen StĂŒckzahlen verkaufen lĂ€ĂŸt, einer, der eine solide Finanzbasis sichert. Ein großes GehĂ€use ginge völlig am Markt vorbei, wĂŒrde den Preis nach oben treiben und große StĂŒckzahlen schon ab Start verhindern.

Klingelt die Kohle erst einmal in der Kasse, sollen endlich auch die anspruchsvollen Fans bedient werden: Was der Falcon 030 mit Absicht nicht hat, soll dann der große Bruder bieten, der Falcon 040 — möglicherweise schon auf der Atari ’92 zu sehen.

Allzuviel Geduld mit einem Hersteller, der sein schrumpfendes HĂ€uflein Fans immer wieder mit »möglicherweise«, »soll« und »vielleicht« enttĂ€uscht? Allen Ungeduldigen viel Spaß beim Windows-Fen-sterln und Geldbeutel-ZĂŒcken*

Es grĂŒĂŸt Sie freundlich

Hartmut Ulrich