Ein Lockangebot fĂŒr MIDI-Einsteiger wirbelt den Low-Cost-Bereich krĂ€ftig durcheinander: »Das Atari MIDI-Paket«, ein komplettes Homerecording-System mit 1040er STE inklusive ST 124-Monitor, dem Kawai-Synthesizer »MS 710« und einer Sparversion von Steinbergs Cubase-Sequenzer â alles zusammen fĂŒr weniger als 1500 Mark.
Joint Venture: Das Atari/Kawai-MIDI-Paket
Erstaunlich, wie gĂŒnstig plötzlich der Sprung in die MIDI-Welt ist. Da verblĂŒffte schon im vergangenen Herbst Yamaha mit dem phĂ€nomenalen Pocket Studio »QY 10« (ST-Magazin: 10/91): FĂŒr nur 590 Mark gibtâs fĂŒr den mobilen Musiker 30 richtig gute Sample-Sounds, einen 8 Spur Se quenzer inkl. Rhythm-Box. Jetzt zieht Atari nach: MIDI-Paket heiĂt das neue Homerecording-System.
Hat damit der Riese in Raunheim auch sein As aus dem Ărmel geholt?
Die Zielgruppe ist klar abgegrenzt: Es geht um neue Kunden! Vorwiegend junges Publikum will Atari fĂŒr die Welt der Synthesizer und Computer-Riffs begeistern. So steht der 1040er STE im Mittelpunkt des Angebots â komplett mit dem monochromen SM-124-Monitor. Durch die HF-TV-Buchse ist der Rechner zum heimischen Fernseher kompatibel. Zur Entspannung kann man also vorab schon mal ein paar Spieledisketten einlegen und den Stereoklang des STE antesten. Maus, Omikron-Basic, internes Diskettenlaufwerk, TOS-ROM 1.6.2, SM 124 â der Rechner ist rundum komplett.
Happy Music heiĂt der zweite Teil des Pakets. Da hinter verbirgt sich Steinbergs Miniversion des beliebten Cubase-Sequenzers. Auf der Programmdiskette befindet sich die Systemerweiterung M-ROS, das spezielle Musikbetriebssystem mit begrenzten Multitasking-Features. Damit lassen sich z.B. mit einem Synthesizer-Editor bei laufendem Sequenzer neue Sounds kreieren und sofort an der passenden Stelle hören.
Der erste Blick auf den Sequenzer laĂt das Herz ein paar Takte schneller schlagen: Ein Cubase-Sequenzer â zu diesem Preis? Die Mainpage zeigt den Arrange Mode â alles sieht haargenau aus wie Steinbergs Renommierprodukt Die einzelnen Parts zieht die Maus im Arrange-Fenster an jede beliebige Position, ist die Alternate-Taste gedrĂŒckt, entstehen Kopien; ein vertikaler Timing-Pointer zeigt den aktuellen Stand auf der Zeitachse. Im unteren Teil der Mainpage sind die bekannten Steuerelemente plaziert: Start, Stop, Vor- und ZurĂŒcktasten, Locator und weitere SchaltkĂ€sten wie Cycle, Solo oder wichtige musikalische Statuszeiger. Bis zur ersten Auf nĂ€hme ist kein Unterschied zu Cubase feststellbar. Ein Hauch von EnttĂ€uschung macht sich bei den frischgebackenen MIDI-KĂŒnstlern erst beim Editieren der eingespielten Sequenz breit. Man mag es zuerst kaum glauben, blĂ€ttert das Hand buch ein weiteres Mal von hinten nach vorne. SchlieĂlich wird die Ahnung zur GewiĂheit: Happy Music unterschlĂ€gt den Listeneditor. Auch eine Grid-Darstellung der aufgezeichneten Noten ist nicht vorgesehen. Die einzige Möglichkeit, sein Werk nachtrĂ€glich zu Ă€ndern, bietet die Notendarstellung im Score-Editor. Dieser ist zwar hauptsĂ€chlich fĂŒr den Notendruck gedacht, aber zur Not lĂ€Ăt sich auch mal eine Note einfĂŒgen, transponieren oder löschen. Eine Statuszeile zeigt die Notennummer, AnschlagstĂ€rke und LĂ€nge des Tons sowie den passenden MIDI-Kanal. Pitch-Bend und andere Controllerdaten sind allerdings nicht zu sehen und können auch in keiner Weise editiert werden. Dies sind betrĂ€chtliche ZugestĂ€ndnisse an die Preispolitik, die den SpaĂ am gesamten Paket trĂŒben. Freilich ist es verstĂ€ndlich, daĂ Steinberg zu diesem Kampfpreis nicht die komplette Cubase-Version verschleudern kann â ein Sequenzer-Modell aber, das nicht in der Lage ist, die aufgezeichneten Daten in Listenform darzustellen, ist fĂŒr den Musiker ein schwerer RĂŒckschlag. In dieser Konstellation wĂ€re ja der integrierte Sequenzer im Synthesizer fast die bessere Alternative.
Diese dritte Komponente aus dem Joint-Venture-Paket stammt von Kawai: das MS 710 Personal Keyboard. Erfreulich: Der Synthie be herrscht den MIDI-Multi-Mode, kann also mehrere verschiedene Klangfarben gleichzeitig wiedergeben. Dazu sorgt eine integrierte Rhythmusbox fĂŒr den nötigen Groove. Freilich, die Mini-Tastatur ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Wer frisch die Kunst des Klavierspielens erlernt, eignet sich mit diesem Zwergen-Key-board schnell die schauerlichsten FingersĂ€tze an. Der MS 710 besticht nicht unbedingt durch die Klangerzeugung, die StĂ€rken liegen eher im internen Steuercomputer: Eine Ein-Finger-Begleitung, diverse vordefinierte Rhythmen, Fills, Breaks, Intros und Endings etc. â allesamt hervorragende Features, die in Verbindung mit Atari und Happy Music allerdings brachliegen und gar nicht zum Einsatz kommen. Leider verzichtete Kawai beim MS 710 auf wichtige Spielhilfen, die ein Sequenzer normalerweise ganz gerne aufzeichnet: Modulationsrad, Pitch-Bend Wheel, Slider etc. Pitch-Bend-Effekte realisiert der MS 710 mehr schlecht als recht durch zwei simple Druckknöpfe â ein Knopf fĂŒr Bend Up; einen fĂŒr Bend-Down.
Der Editor: Nur die Notendarstellung ist möglich
Den Aufwand fĂŒr die Anschlagdynamik hat sich Kawai gleich ganz gespart, recht lebendige Riffs kann man so kaum erwarten. SelbstverstĂ€ndlich kennt das MS 710 auch keinerlei Aftertouch-Controller. DafĂŒr glĂ€nzt der Synthesizer mit einem eigenen MIDI-Recorder. Das Keyboard ist netzunabhĂ€ngig.
20 KlĂ€nge sind als feste Presets vordefiniert, vier SpeicherplĂ€tze stehen fĂŒr eigene Sounds zur VerfĂŒgung. Ăberzeugend klingen dabei eigentlich nur die String-Ensembles. Die beiden Pianosounds erinnern an vergebliche Versuche aus den 70er Jahren, einen FlĂŒgel klang nachzuahmen. Freilich, ganz ohne variabler Dynamik ist es auch unheimlich schwer, einem sterilen Synthesizer-Klang etwas Leben einzuhauchen.
Jeder Kawai-Sound stammt im Prinzip aus zwei Klangerzeugern, denen jeweils eine von insgesamt 32 Wellenformen zugeordnet ist. Variieren kann man lediglich die LÀnge der Einschwingphase (Attack), die SpitzenlautstÀrke (Decay) und die GesamtlautstÀrke (Level). Der Sound kommt aus zwei kleinen Einbauboxen und erhÀlt durch den internen Stereo-Chorus-Effekt mitunter einen angenehmen, leicht schwebenden Charakter.
Ob sich Atari allerdings mit dieser etwas unglĂŒcklichen Kombination Freunde schafft? Jedes einzelne Teil aus dem MIDI Paket hat durchaus seine Daseinsberechtigung: Der Synthie alleine ist als mobiles Allround-Keyboard, mit seiner ausgefuchster Chord-Automatik, einer recht ordentlichen Rhythmusbox und dem internen Recorder ein prima Standalone-GerĂ€t. Als Einspiel-Keyboard und Klangerzeuger ist das MS 710 eigentlich weniger geeignet. Der 1040 STE ist ohne Frage nach wie vor ein prima Computer. Freilich zusammen mit einem Sparsequenzer lĂ€uft er halt wie mit angezogener Handbremse. Mit etwas mehr VerstĂ€ndnis fĂŒr die verfĂŒgbaren Produkte â man denke nur an Ist Track von Geerdes â könnte Atari den MIDI-Markt im Sturm erobern.
WERTUNG
MIDI-Packet
Vertrieb: Atari, Fachhandel
Computer: Atari 1040 STE, 1 MByte RAM, ROMTOS 1.6.2, SM 124
Sequenzer: Steinberg: Happy Music
Synthesizer: Kawai MS 710
Preis: 1498 Mark
Vorteile: komplettes Homerecording-System, besonders preisgĂŒnstig kein Mischpult nötig, MIDI-Multi-Mode, integrierte Rhythm-Box
EinschrÀnkungen:
MIDI-Paket: etwas unglĂŒckliche Kombination
Sequenzer: kein Listeneditor, keine Grid-Darstellung, kaum Bearbeitungsmöglichkeiten keine Pitch-Bend-Kontrolle keine Controller
Synthesizer: Minitasten, kein Modulationsrad, kein Velocity kein Aftertouch, wenige Soundparameter
Struktur des Kawai MS 710 Stereo-Synthesizers