Tony war ein geduldiger Mann. In seinem GeschĂ€ft im Westen von Little Italy erledigte er die tĂ€glich anfallenden Arbeiten und vergab AuftrĂ€ge. Seit zwanzig Jahren war er der Kopf der Familie im Westteil und nicht viel hat sich in dieser Zeit geĂ€ndert. Als er die wöchentliche Schmiergeldzahlung in die Wege leiten wollte, knallte ein heftig helchender und keuchender Eros durch die TĂŒr. "Tony -", stammelte er. Tony blickte ihn mit groĂen Augen an. "Caputto, sie haben Caputto..." - "Was ist mit Caputto?" - "Er - er ist Kaputt!" "Wer hat es getan?" Antworten konnte Eros nicht mehr, denn die Bleisalven, die seinen Körper durchlöcherten, waren alles andere als gesundheitsfördernd. Eros war auf der Stelle tot.
Das die Angreifer auch auf die Fenster schossen, war weniger ein gezielter Anschlag auf Tonys Leben als ein Signal. Dieses Signal bedeutete nur eins: Krieg zwischen den Familien. Er brauchte schnellstens einen Ersatz fĂŒr seine rechte Hand Luigi Caputto, aber erst einmal galt es, sich den Spaghetti zu widmen, denn wenn Tony eins haĂte, dann waren es Spaghetti, die nicht al Dente sind.
Einleitung
So, oder so Ă€hnlich könnte die Vorgeschichte von Mafia II lauten, einem Wirtschaftsspiel fĂŒr alle TOS-kompatiblen Computer, das vor einiger Zeit als Freeware freigegeben wurde. Zwar gibt es schon einen ganzen Stapel an Wirtschaftsspielen fĂŒr den Atari, aber diese sind meistens auf die niedrige bzw. hohe Auflösung fixiert. Mafia ist jedoch komplett in GEM eingebunden und schreckt auch nicht davor zurĂŒck, Schutzgelder von Doppelagenten (Emulatoren), Ă€lteren Herren (ST(E)s), höheren Zirkeln der Unterwelt (Hades) und dem Vogel des Jahres 2000 (lt. BUND: der Milan) zu erpressen).
Eines vorweg: wer Mafia verlĂ€Ăt, wird nicht liquidiert!
Willkommen in der Familie
BegrĂŒĂt wird man gleich nach dem Start von einem sehr geschmackvollen Totenkopf und ST-Soundchipgefidel, das doch verdĂ€chtig nach einem kaputten Akordeon klingt. Mit der ESC-Taste startet das Programm die Generierung der Spieldaten. Nun hat man die Möglichkeit, einen Spielstand zu laden oder ein neues Spiel zu beginnen.
Mein Haus, mein Auto, mein Boot...
Mit den BesitztĂŒmern lĂ€Ăt sich anfangs nicht unbedingt protzen. Die Familie verfĂŒgt ĂŒber ein Bordell, zwei Drogenlabore, zwei WettbĂŒros, eine Wohnung, vier HĂ€user, einen Gasthof und zwei Diskotheken. Hinzu kommen noch 1,2 Mio. auf der Bank, 1,5 Mio. Schwarzgeld und 6,7 Mio. Sicherheiten. Von der Bank lĂ€Ăt sich auch Geld auf das Schwarzgeldkonto transferieren.
Transfer
Von der Schwarzgeldreserve lĂ€Ăt sich beliebig viel Geld auf das "normale" Konto transferieren. Umgekehrt funktioniert das auch und ab 5 Mio. Schwarzgeldreserve lĂ€Ăt sich die SchwarzgeldwĂ€sche auch ĂŒber die Bank erledigen.
Der Vorteil von Schwarzgeld ist klar: es sind dafĂŒr keine Steuern fĂ€llig. Werden jedoch zu groĂe Summen transferiert, wird das Finanzamt aufmerksam. VermiĂt wurde in dem Transfer-Dialog nur das Bild eines bekannten Ex-Kanzlers.
BĂŒroarbeit
Im BĂŒro lĂ€Ăt sich am Anfang nicht sonderlich viel anstellen. Neben der SekretĂ€rin gibt es verschiedene Analyse-Funktionen, den Spitzel und das Telefon.
Das Telefon verfĂŒgt ĂŒber eine Notruf- und Anrufbeantworter-Funktion. Die meisten Nummern fĂŒhren jedoch zu einem Besetzt-Zeichen. Der Anrufbeantworter zeichnet brav alle Nachrichten auf und sollte regelmĂ€Ăig abgehört werden.
NatĂŒrlich hat unser Mafiosi ein VerhĂ€ltnis mit der SekretĂ€rin und neben einigen netten bis nervigen SprĂŒchen ("Wann lĂ€Ăt du dich endlich von deiner Frau scheiden?"). Von der SekretĂ€rin erfahren wir auch die nĂ€chsten Termine und eine Telefonliste. Am Wochenende ist die SekretĂ€rin jedoch nicht verfĂŒgbar.
Analyse
Ăber die laufenden Kosten des BĂŒros gibt es eine ausfĂŒhrliche Ăbersicht - man glaubt kaum, wieviel Kosten so ein Mafia-BĂŒro verschlingen kann.
Noch wichtiger ist die Personalanalyse, die die Auslastung des Personals zeigt. Ist der Informant bspw. voll ausgelastet, sollte die Einstellungen zusĂ€tzlicher Informanten bedacht werden. Mehr Mitarbeiter verursachen natĂŒrlich auch höhere Personalkosten - wie in der RealitĂ€t muĂ man gut abwĂ€gen, wie schnell das eigene Unternehmen wachsen soll.
Ein Schnitzel fĂŒr den Spitzel
Informanten können wichtige Informationen ĂŒber die drei Kontrahenten zutage fördern. Also sollte man gleich ein paar Spitzel losschicken - es könnte doch sein, daĂ ein anderer Mafiosi gerade einen Killer vorbereitet ...
Die GeschÀfte
Als angehender Don sollte man sich zuerst im Osten ausbreiten, die GeschÀftsmöglichkeiten sind durchaus vielfÀltig. Es ist durchaus möglich, nur in legale GeschÀfte zu investieren.
Wer den Versuch unternimmt, eine Wohnung zu kaufen, muĂ neben dem Kaufpreis manchmal noch zusĂ€tzliches Schwarzgeld fĂŒr den Vorbesitzer bezahlen. Ist das Objekt erstanden, kann es Vermietet oder zum Bordell umfunktioniert werden. Letzteres erfordert natĂŒrlich entsprechendes Personal und geringe Einrichtungskosten.
Die HĂ€user werden analog erstanden und verwaltet, erlauben aber zusĂ€tzlich die Errichtung eines Drogenlabors. FĂŒr das Labor mĂŒssen genĂŒgend talentierte Chemiker eingestellt werden.
In Gewerbegebiete kann ebenfalls investiert werden - wenn auch indirekt. Der Frisör will zwar nicht verkaufen, aber durch gutes Zureden seitens des SchlÀgertrupps kann zumindest Schutzgeld erpresst werden - und ein kostenloser Haarschnitt fÀllt sicherlich auch noch dabei ab.
Der vierte GeschĂ€ftstyp sind die Gasthöfe, die sich gut fĂŒr Spielkasinos, Drogenlabore und WettbĂŒros eignen. Als letztes gibt es die Diskothek, in der ein Drogenlabor oder Spielkasino versteckt werden kann.
Alle GeschĂ€ftstypen lassen sich auch verpachten bzw. vermieten. Das spart zwar Personal und Arbeit, bringt aber weniger Geld. NatĂŒrlich kann bei chronischem Geldmangel auch ein GeschĂ€ft verkauft werden.
Zeitraffer
Mit "Auswertung" geht es zurĂŒck zu dem Startdialog. "Start" aktiviert den Zeitraffer und die Tage gehen schneller vorĂŒber. Ist der Monat zuende, folgt die Monatsauswertung.
Monatsauswertung
Mit der detaillierten Auswertung kommt die Erkenntnis, ob die Investition in bestimmte GeschĂ€ftsbereiche erfolgreich war. Hat man einen Killer verpflichtet, lĂ€Ăt sich dieser auf einen der fĂŒnf Dons ansetzen.
Ereignisse
Verschiedene Ereignisse lockern das Spiel auf. So kann es sein, das bei ungezĂŒgelter Expansion einer der Dons in Rage gerĂ€t und die fremden GeschĂ€fte schlieĂen lĂ€Ăt. Immer fĂŒr eine Ăberraschung gut ist das Finanzamt: neben Nachforderungen gibt es ab und zu auch eine krĂ€ftige RĂŒckzahlung.
Anrufe kommen auch vor, z.B. meldet sich der Bruder mit dem Rat, sich von der teuren Freundin zu trennen.
HĂ€ufig macht die Polizei Probleme, die Razzien durchfĂŒhrt und illegale GeschĂ€fte schlieĂt. Hier fehlt die Möglichkeit, die Polizei zu bestechen oder sie gezielt auf einen Konkurrenten zu hetzen.
Killer
Der Killer ist eine ziemlich effektive Art, gegnerische Dons auszuschalten. Die Stadt kann jedoch nicht mit Killern ĂŒberschĂŒttet werden. Zum einen kann nur ein Killer angestellt werden und zum anderen sind diese mit 1 Mio. ziemlich teuer. Ein Killer im Inventar bedeutet nicht zwangslĂ€ufig, das einer der Konkurrenten ins Gras beiĂen muĂ. So mancher Killer fragt nĂ€mlich nach, ob die Zielperson noch mehr Gage bietet.
Der Killer ist ein guter Grund, etwas mehr Geld in Reserve zu behalten, denn auch die gegnerischen Dons können Killer losschicken!
Leider tendiert der Killer hÀufig zur UnfÀhigkeit - so macht er sich aus dem Staub oder nimmt AuftrÀge nicht an, weil er "keine Chance sieht". Da stellt sich doch die Frage, ob er nicht als Koch besser aufgehoben wÀre...
Kredit
Unser Nachwuchs-Don ist voll kreditfÀhig und bekommt ein individuelles Angebot mit Monatsraten von der Bank. Bis zu 100 Mio. kann man als Kredit aufnehmen.
Der Coup
Es gibt ein paar Spezial-AuftrĂ€ge, die man annehmen kann. Ein Angebot besteht z.B. darin, eine bestimmte Anzahl SchlĂ€ger abzustellen, um einen Juwelier zu ĂŒberfallen.
Dicke Dinger
Richtig Gewinn machen kann man mit Drogen- und WaffengeschĂ€ften. Ist der "Termin"-Button anwĂ€hlbar, kann ein GeschĂ€ft eingefĂ€delt werden. Angeboten werden auch groĂe Kaliber wie z.B. ein Panzer. Die Waffen kann man leider nicht dem schĂŒchternen Killer in die Hand drĂŒcken, damit er endlich seine Arbeit erledigt - zumindest im Panzer mĂŒĂte er doch keine Angst vor gegnerischen Mafiosis haben.
Routine
Trotz der teilweise ungewöhnlichen Aktionen lĂ€uft Mafia ab wie jedes andere Standard-Wirtschaftsspiel auch, die AblĂ€ufe wiederholen sich trotz der Zufalls-Ereignisse stark. Im Laufe der Zeit wird man befördert, bis man schlieĂlich der "Don" wird. Bis dahin ist es ein hartes StĂŒck Arbeit. Es gibt leider keine Gesamtstatistik, die zeigt, ob man die gegnerischen Dons langsam in die Knie zwingt oder nicht. WĂ€hrend man sich durch die Dialoge klickt, lĂ€uft die Zeit weiter, was im Programm sehr schön gelöst ist.
OberflÀchliches
Mafia ist zwar sauber in GEM eingebunden, benutzt aber noch die veraltete Flydial-Bibliothek. Die meisten Dialoge liegen nicht in Fenstern und das ganze Programm macht nicht mehr den modernsten Eindruck. Farbe gibt es nur sporadisch. Ein paar farbige Bilder hĂ€tte das Programm sicherlich aufgelockert, auch wenn das vom Atari-Betriebssystem kaum unterstĂŒtzt wird.
Fazit
Mafia ist die Umsetzung des klassischen Wirtschaftsspiels im modernen GEM-Gewand. Wer also schon frĂŒher Spiele wie Hanse oder Vermeer gemocht hat, wird Mafia vermutlich lieben. Persönlich ist mir das Spiel zu eintönig und trotz massiven Einsatz von Cheat-Codes, SchlĂ€gertrupps, Drogenlabors und -dealern und WettbĂŒros schien es keine Fortschritte zu geben. Das Telefon ist meistens besetzt und der Killer leider völlig unfĂ€hig, so das man ohne Cheats auf jeden Fall tagelang beschĂ€ftigt ist. Die Gags wie z.B. einige SprĂŒche der SekretĂ€rin stellen nur am Anfang eine Abwechslung dar.
Das Spiel brĂ€uchte noch mehr Auflockerung, denn das klassische Wirtschaftsspiel ist heute praktisch ausgestorben. Soundeffekte ĂŒber GEMJing wĂ€ren nicht schlecht auch mehr Grafiken oder Action-Sequenzen (z.B. ein Spielcasino oder Auktionen) wĂŒrden das Spiel aufwerten. Auch die Aktionen gegen die anderen Dons könnten erweitert werden - der SchlĂ€gertrupp fĂŒhlt sich mit Sicherheit durch Schutzgelderpressung nicht ausgelastet.
Mafia II kann nur von einem Spieler gespielt werden. Eine Empfehlung zum Download kann trotz der erwÀhnten MÀngel ausgesprochen werden, da Mafia Freeware und zudem relativ kompakt ist.
Mafia II
Programmautoren: Gerd Höller, Andreas Steinke
URL: http://www.hadley.de
Literaturhinweis:
Atari Inside 3/96 "Mafia - The Game" (http://stcarchiv.de/ai1996/03_mafia.php)