← ST-Computer 11 / 1997

Milan, der ATARI-Nachfolger

Hardware

Auf der ATARI-Messe konnte der Milan erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Was dort zu sehen war, wie das Publikum reagierte und ob die HĂ€ndler- und Entwicklerkonferenz erfolgreich verlief, wollen wir hier berichten.

Vorwegzunehmen ist, dass der Milan weder verkaufsbereit noch vom Endkunden zu bedienen war. Lediglich das Motherboard und die Startphase sowie der Desktop konnten begutachtet werden.

Genug, um zu sehen, dass das GerĂ€t tatsĂ€chlich existiert und nicht nur ein GerĂŒcht ist. Doch wie kam es dazu, dass der Raubvogel noch nicht verfĂŒgbar war? Hierzu Uwe Schneider, der Chefentwickler des Milan:

"Die Milan GmbH ist in den vergangenen Wochen mit Absicht noch nicht an die Öffentlichkeit getreten, da wir damit rechnen mussten, dass der eine oder andere Arbeitsschritt eine nicht im voraus kalkulierbare Entwicklungsdauer benötigen wĂŒrde.

Ausschlaggebend fĂŒr die geringfĂŒgigen Verzögerungen war jedoch die Entscheidung, das System mit einem TOS 4.04 und nicht wie beabsichtigt mit einem TOS 3.06 zu betreiben. Nachdem die Vorversion schon zufriedenstellend lief, mussten wir rund 8 Wochen Arbeit verwerfen. Wir sind uns aber sicher, dass sich diese Entscheidung letztendlich auszahlen wird."

Nachdem wir in der vergangenen Ausgabe nur einen Video-Schnappschuß des Milan-Motherboards ergattern konnten, gibt es nun ein aussagekrĂ€ftiges Photo, das auch schon im Milan-Messe- und -HĂ€ndlerprospekt seine Verwendung findet.

Deutlich zu sehen ist, dass das Motherboard des Milan nicht nur sehr aufgerÀumt, sondern auch sehr PC-verwandt aussieht.

Alle wichtigen Elemente fĂŒr den Grundbetrieb des Rechners sind enthalten. So wird sicherlich auch das Intel Logo oben links in der Ecke auffallen. Doch keine Bange, hierbei handelt es sich nur um die alles entscheidende und wichtige PCI to ISA Bridge. Dieses Element dient der Einbindung des PCI-Busses in der Form, dass es keinerlei EinschrĂ€nkungen beim Datenfluss in PCI-Bus- und in entgegengesetzte Richtung gibt. Damit ist das Tor fĂŒr den Einsatz aller nur erdenklichen Zusatzkarten des PC-Marktes geöffnet.

Auch der Einsatz des TOS 4.04 scheint uns viel Sinn zu machen. Nicht nur, dass es das modernste ATARI-Betriebssystem ist, es ist von Haus aus fĂŒr den Einsatz von VGA-Grafikauflösungen, Farbicons usw. vorgesehen, so dass die Anpassung entsprechender Hard- und Software zukĂŒnftig erheblich erleichtert werden dĂŒrfte.

Die Resonanz des Publikums

Der Milan-Stand war wĂ€hrend der gesamten Messezeit dicht umringt, so dass keiner der PrĂ€sentatoren auch nur die geringste Pause erhielt. Insgesamt wurden tausende von Prospekten seitens der Interessenten mitgenommen, um sich noch nĂ€her ĂŒber das System zu informieren.

Doch auch der Dialog zwischen Entwickler und Besucher trug seine FrĂŒchte. Es konnten deutlich die HauptbedĂŒrfnisse der potentiellen KĂ€ufer aufgespĂŒrt werden. Eben das machte die PrĂ€sentation des Milan in diesem Entwicklungsstadium wiederum sehr interessant, denn hier wurde dem Anwender kein fertiges System und Konzept prĂ€sentiert, sondern eine Basis vorgestellt, deren Weiterentwicklung seitens der Besucher erheblich beeinflußt wurde. Die Milan GmbH konnte schon auf der im Anschluss an den ersten Messetag folgenden Entwickler- und HĂ€ndlerkonferenz bekannt geben, welche Zusatzentwicklungen mit welcher PrioritĂ€t verfolgt wĂŒrden.

An erster Stelle steht die Anpassung der SCSI-Karte, die mit dem Erscheinen des Milan auch erhĂ€ltlich sein soll. Diese wird den internen und externen Anschluß von SCSI-GerĂ€ten aller Art ermöglichen, so dass ATARI-Anwender ihre Zusatzperipherie weiterhin nutzen können.

Ebenfalls wichtig wird die Einbindung von MIDI- und ROM-Ports sein. Hier sind verschiedene Varianten möglich.

ZunĂ€chst wird die Anpassung der MidifĂ€higkeit herkömmlicher Soundblaster-Soundkarten an das TOS des Milan angepasst, so dass der Anwender mittels des Einsatzes von Kabeiadaptoren auch mehrere vollstĂ€ndig eingebundene MIDI-Ports besitzt. ZusĂ€tzlich hierzu wird mw-electronic den 3fach-ROM-Port fĂŒr den Hades auch an den Milan anpassen.

SpĂ€ter wird es eventuell auch eine integrierte Lösung hierfĂŒr geben.

Eine starke Nachfrage gab es auch bezĂŒglich der Falcon-KompatibilitĂ€tskarte, die nach den Erkenntnissen dieser Messe auf jeden Fall auch in Angriff genommen und im kommenden Jahr angeboten wird. Mit Hilfe dieser wird der Milan zum vollwertigen Falcon030-Nachfolger mit rund 8facher Geschwindigkeit avanciert.

Schließlich wird auch an einer Pentium-Karte gearbeitet, die sĂ€mtliche Milan-Hardwarekomponenten nutzen kann und daher lediglich ein eigenes BIOS sowie eine eigene Pentium-CPU benötigen wird. Erstmals wird es also möglich sein, zwei vollwertige Rechnersysteme in einem GehĂ€use zu einem unschlagbar gĂŒnstigen Preis anzubieten.

Die Konferenz

Wie bereits eingangs erwÀhnt, gab es am Abend des ersten Messetages eine Konferenz der Milan-Entwickler. Diese luden sowohl HÀndler als auch Entwickler ein, um gemeinsam mit ihnen die Zukunft des Milan zu diskutieren, das System vorzustellen und die Form der Zusammenarbeit zu konkretisieren.

Erfreulich in diesem Zusammenhang sei zu erwĂ€hnen, dass ĂŒber 70 Teilnehmer zu diesem Treffen erschienen - von Lethargie also keine Spur. Verschiedene Themen wurden hier in einer gut einstĂŒndigen Debatte besprochen. ZunĂ€chst ging es um die Hardware des Milan, dessen AusbaufĂ€higkeiten und die Anpassung von PC-Peripherie aller Art. Diverse Entwickler stimmten dafĂŒr, die Anpassung von Netzwerksoftware (WIN95kompatibel) usw. voranzutreiben. Auch mw-electronic zeigte sich mit dem ĂŒber knapp 2 Jahre hinweg gewonnenen Wissen rund um den Hades kooperativ und bot an, sich um die Produktpalette rund um den Milan zu bemĂŒhen. Die Firma SoundPool, die weltweit viele Kunden aus der Musik-Branche beliefert, wird sich u.a. um die Soundanpassungen des Milan sowie dessen Etablierung in grĂ¶ĂŸeren und kleineren Musikstudios bemĂŒhen.

Nach KlĂ€rung dieser Punkte stellte die Milan GmbH das Vertriebskonzept des Milan vor. Demnach soll es wieder ein organisiertes Netz aktiver HĂ€ndler geben, die den Milan vor Ort zum Verkauf anbieten und Serviceleistungen rund um die Hard- und Softwarebetreuung anbieten. Die "Milan System Center" werden vor Ort PrĂ€sentationsrechner aufstellen und mit einem umfangreichen Werbematerial ausgestattet sein. Ihre Aufgabe wird es sein, Komplettsysteme nach den WĂŒnschen der Anwender zusammenzustellen. Gemeinsam mit der Milan GmbH wird bei jedem der Milan-HĂ€ndler eine Milan-Party fĂŒr ATARI-Anwender veranstaltet, bei dem ein Milan- Roadshow-Team im jeweiligen Ladenlokal den Greifvogel prĂ€sentieren wird. Dank der Kooperation diverser Fachzeitschriften wird es möglich sein, den inoffiziellen ATARI-Nachfolger ĂŒber den Rahmen der ST-Computer & ATARI-Inside hinaus auf redaktioneller Basis vorzustellen. Anzeigen in den einschlĂ€gigen und fĂŒr den ATARI-Markt relevanten Fachzeitschriften sind außerdem geplant.

Erstmals wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass der Milan tatsĂ€chlich auch fĂŒr ein 68060er System ausgelegt ist. Dieses wird allerdings nicht vor Mitte des kommenden Jahres verfĂŒgbar sein. Ein Upgrade ist fĂŒr jeden Laien zu realisieren und wird voraussichtlich keine Zusatzkosten gegenĂŒber dem Komplettkauf eines 68060- Milan-Systems bedeuten, so dass der Einstieg mit dem kleineren System auf gar keinen Fall verlustbringend sein wird.

DarĂŒber hinaus hat das Milan-Team angekĂŒndigt, dass der jetzige Milan erst der Anfang einer neuen Serie von Rechnern sein wird. Derzeit gilt es, ein konkurrenzfĂ€higes und schnelles System auf dem Markt zu platzieren, das insbesondere durch sein Preis-/Leistungs VerhĂ€ltnis besticht. Zu bedenken ist hierbei, dass das Milan-Board den qualitativen AnsprĂŒchen hochwertiger High-End-PC-Boards entspricht und sich nicht mit Billigsystemen messen sollte.

Um so erfreulicher ist der nach wie vor anvisierte Einstiegspreis in Höhe von rund 1500,- DM fĂŒr ein komplett lauffĂ€higes System, das nur noch an einen VGA-Monitor angeschlossen werden muss. Sollte der Markteinstieg glĂŒcken - die positive Resonanz der Endkunden und insbesondere aber auch der HĂ€ndler lĂ€sst dieses vermuten - so können die ATARI Anwender mit einer exzellenten Weiterentwicklung des ATARI-TOS sowie der Hardwarebasis rechnen. Wer weiß, in den Schubladen der Milan GmbH liegen schon PlĂ€ne fĂŒr ausgereifte RISC-Milane ...

Ach ja, bevor wir es vergessen: Der Milan wird auf der ATARI-Messe in Paris lauffĂ€hig mit Anpassung erster Karten zu bewundern sein. Der Vertrieb ĂŒber die Milan-System-Center wird im ersten Quartal 1998 erfolgen.