← ST-Computer 07 / 1995

TypeArt 2.0: Typo-Magie, die zweite

DTP-Praxis

Bereits Anfang ’92 war TypeArt in der Version 1.04 erhĂ€ltlich. Der Sprung auf die 2.0-Version war fĂŒr die kommenden Monate versprochen. Und dann zogen die Monate ins Land und wurden zu Jahren. Nun endlich, im FrĂŒhsommer ’95, gibt es TypeArt 2.0, fĂŒr alle Typomanen und solche, die das noch vor sich haben ...

Schwebungen in TypeArt 2.0. Implod ierende und explodierende Zeichen (Schrift: Emigre Variex)

Was lange wĂ€hrt, hat aber auch mit Problemen zu kĂ€mpfen, die sich erst im Lauf der Zeit auftun und am Anfang der Entwicklung noch gar nicht absehbar waren. War es anfangs noch die Anpassung an Grafikkarten, die die Entwicklung verzögerte, kam 1993 die Portierung des Calamus SL auf die Windows NT-OberflĂ€che dazwischen und damit die Überlegung, auch TypeArt auf dieses Betriebssystem zu portieren - so richtig wußte damals ja kein Software-Entwickler, was er tun sollte.

Ende letzten Jahres dann der Sprung auf die Mac-Rechner. Und TypeArt 2.0 lag wieder als immer noch halbfertiges Software-Produkt ein StĂŒck hinter der Entwicklung. Nun liegt die 2.0-Version vor und trifft auf andere Betriebssysteme (MagiC und MagiCMac), damit andere Rechnerplattformen und einen ziemlich marode daniederliegeden Schriftenmarkt mit einer Masse von Billig-Fonts. Kann TypeArt diesem Wandel gerecht werden? Und ĂŒberhaupt: wozu eigentlich noch einen Font-Editor, dessen Preis sich zudem knapp unter der Grenze des Bafög-Satzes bewegt und damit fĂŒr interessierte Hobbyisten etwas zu hoch sein dĂŒrfte? Wir werden sehen.

OberflÀchlich...

... hat sich auf den ersten Blick nur wenig geÀndert. Nach dem Start zeigt sich das bereits von der 1.04-Version bekannte Bearbeitungsfeld. Lediglich das Orientierungs-Icon, in dem das gerade gewÀhlte Werkzeug angezeigt wird, scheint durch ein anderes ersetzt worden zu sein. Hinter dieser Funktion eröffnet sich aber dann auch schon eine geballte Ladung neuer FunktionalitÀt, die nicht nur Schriftenschneider erfreuen wird. Aber dazu spÀter mehr, bleiben wir oberflÀchlich.

Hinter jedem Icon verbirgt sich in TypeArt ein Pop-up-MenĂŒ, das die zum jeweiligen Bearbeitungsmodus gehörenden Werkzeuge beinhaltet. Dieses MenĂŒ kann auf Mausklick ĂŒberall im Fenster aufgerufen werden und erscheint umgehend an der aktuellen Mausposition. Um den Überblick nicht ganz zu verlieren, sind zwei zusĂ€tzliche globale Funktionsaufrufe ĂŒber Tasten erreichbar, ĂŒber die sich die neuen Funktionen zur Font-Manipulation aufrufen und bearbeiten lassen: TAB ruft das Einstellformular des gewĂ€hlten Werkzeugs auf, ESC startet die eingestellte Rechenfunktion.

In den MenĂŒs sind einige weitere Funktionen hinzugekommen. Hier ist vor allem die Darstellung von gefĂŒllten Objekten wĂ€hrend der Editierung erwĂ€hnenswert. Ein weiteres Schmankerl, das sich erst beim Bearbeiten grĂ¶ĂŸerer Objekte erschließt, ist die Erhöhung der Polygonbegrenzung von 256 auf 1000 StĂŒtzpunkte, wodurch sich nun auch komplexere Fonts und Grafiken problemlos bearbeiten lassen (wer einmal einen Berthold-Font in die 1.04-Version geladen hat, weiß diese Erweiterung sicher zu schĂ€tzen).

TypeArt lĂ€uft neben allen ST- und TT-Rechnern nun endlich auch auf dem Falcon030. Dabei werden alle Grafikauflösungen unterstĂŒtzt. Im Farbmo-dus ist natĂŒrlich mit Geschwindigkeitseinbußen zu rechnen. Da das Programm im Vergleich zur Vorversion aber deutlich schneller geworden ist, fĂ€llt das kaum ins Gewicht. Auch unter MagiC und MagiCMac auf Apple-Rechnern lĂ€ĂŸt es sich nun mit TypeArt flĂŒssig arbeiten. Auch die Eingabe langer Dateinamen wird unterstĂŒtzt.

Kreative Schriftmanipulation

... ist das Stichwort, unter dem sich in der neuen TypeArt-Version am meisten getan hat. Die in der 1.04-Version nur versteckt zugĂ€nglichen Funktionen fĂŒr die Generierung von Inline/ Outline und Bold/Light sind nun offiziell zugĂ€nglich. Hinzugekommen sind die Funktionen ‘Schatten’, ‘Random’, ‘Schwebung’, ‘Grafiklinine’ und ‘Merging’.

Mit der Inline/Outline-Funktion können zusĂ€tzliche Pfade in einem frei definierbaren Abstand um oder in ein Objekt gelegt werden, wodurch unter anderem das Abspeichern echter Outline-Fonts in den jeweils gewĂŒnschten StĂ€rken möglich ist. Auch fĂŒr die Plott-Ausgabe bereitet es dann keine Probleme mehr, ein z.B. rotes Logo mit einer paßgenauen schwarzen Outline nacheinander auf Folie auszugeben.

Die gleiche Funktion als reine Schwebung (Schrift: Headliners Wildtype)

Mit ‘Bold/Light’ werden unterschiedliche Schriftschnitte (light, medium, bold usw.) von TypeArt aus dem vorhandenen Font automatisch generiert. Um typografischen Normen gerecht zu bleiben, sollte diese Funktion wie auch die Einstellung ‘Inline/Outline’ nicht in zu hohen Werten eingestellt werden. Je grĂ¶ĂŸer die Einstellungen, um so ungenauer wird zudem die Berechnung. Ein weiterer Nachteil ist, daß diese Berechnung der Zeichen nur einzeln fĂŒr jedes Zeichen durchgefĂŒhrt werden kann und nicht automatisch fĂŒr den gesamten Zeichensatz errechnet wird. Das betrifft im ĂŒbrigen auch alle weiteren neuen Funktionen zur Schriftmanipulation.

Besonders dann, wenn saubere Outline-Schriften zur VerfĂŒgung stehen mĂŒssen, wird die Anlage von Schriftschatten problematisch und erfordert einige Arbeit im Vektoreditor. TypeArt 2.0 erledigt das nun automatisch. Zur Anlage eines Schattens werden die zu errechnende Outline-StĂ€rke und der Schattenabstand eingegeben und die Rechenfunktion gestartet. Soll der ganze Font nach dieser Einstellung umgerechnet werden, klickt man sich von Zeichen zu Zeichen und betĂ€tigt jedesmal die ESC-Taste, wodurch die Berechnung anhand der einmal eingestellten Werte erfolgt.

Mit den Funktionen ‘Random’ und ‘Grafiklinien’ lassen sich Schriften auf eher unkonventionelle Art und Weise verĂ€ndern bzw. gestalten. Wird ‘Random’ gestartet, werden im Zeichen die StĂŒtzpunkte zufĂ€llig verschoben, so daß ein neues Zeichen entsteht. Die ‘Grafiklinien’ ermöglichen die Generierung von PolygonzĂŒgen mit unterschiedlicher Anfangs- und EndstrichstĂ€rke. Der Linienzug wird also immer | dicker oder dĂŒnner. FĂŒr Feinarbeiten I bei der Gestaltung mit Vektoren ist ‘Merging’ zustĂ€ndig. Hier lassen sich gezielt und automatisch Polygone entfernen, wodurch Daten deutlich reduziert oder „unschöne“ Vektorisierungen geglĂ€ttet werden können. Je nach Einstellung der Parameter können auch mit dieser Funktion Effekte erzielt werden, die mit dem eigentlichen Merging (und dem ursprĂŒnglichen Zeichen) nicht mehr viel zu tun haben.

Die Merge-Funktion. Fast perfektes Merging, am Beispiel der Berthold Cremona Regular.

Mit dem Dialog „Schwebungen" können Parameter eingestellt werden, um unterschiedliche Wellen auf den Polygonen entlanglaufen zu lassen. In Verbindung mit den Outline-Funktionen lassen sich damit unter anderem Federstiche nachempfinden. Der Faktor fĂŒr die StĂ€rke bestimmt hierbei die SchwingungsstĂ€rke. Mit der Option „Gerade vorher wandeln“ werden diese vorher in Beziers gewandelt, da sich die Wellen nur hier bemerkbar machen.

Alle diese Effekte reizen natĂŒrlich ungemein zum Ausprobieren. Völlig neue Schriften entstehen da spielerisch. Manche davon lassen sich dann sogar in der tĂ€glichen Arbeit nutzen: FĂŒr eine Headline mit ganz individuellem Charakter oder - nach einer Überdosis der „RayGun" - auch fĂŒr den ganz alltĂ€glichen Satz ...

Diese Funktionen sind dennoch mit Überlegung einzusetzen. TypeArt kann unsauber angelegte Schriften nicht automatisch erkennen. Oftmals sind die Tangentenpunkte der Kurven verdreht, ĂŒberlappen sich und liegen auf der Steigung der nebenstehen Kurve. Derartige Fehler sollten korrigiert werden, bevor diese Effektfunktionen auf die Polygone losgelassen werden. Gleiches gilt fĂŒr Zeichen mit extrem spitzen Ecken. Hier sollte vorher direkt an der Spitze eine zusĂ€tzliche kleine Gerade eingefĂŒgt werden, um einen sauberen Effekt anzuwenden.

Das Merging-Formular

Font-Arbeit

Wie ĂŒberhaupt im gesamten Programm, sind auch die Funktionen zur FontBearbeitung alternativ per Tastatur aufrufbar. Es genĂŒgt ein Klick auf die Tastatur, und das entsprechende Vektorzeichen des Fonts erscheint umgehend im Fenster. Zwei Fonts können sich gleichzeitig im Speicher befinden, zwischen denen dann auch bei der Kerning-Bearbeitung hin- und hergeschaltet und verglichen werden kann. Geladen, bearbeitet und gespeichert werden können Vektorgrafiken (CVG) sowie alle Fonts im CFN-Format, auch serialisierte. CVGs können zudem wahlweise ins Arbeitsfenster oder direkt ins Clipboard geladen werden. Ein neuer MenĂŒeintrag erlaubt nun auch den direkten Im- und Export von EPS-Grafiken.

Ich kann hier unmöglich auf alle Features des Font-Editors eingehen, auch wenn es sinnvoll wĂ€re, da es sich - obwohl ein Update - durch die mehr als 3jĂ€hrige Pause fĂŒr viele um ein völlig neues Produkt handeln wird. Darum hier nur eine kleine Übersicht der wichtigsten Bearbeitungsbereiche im nichtgrafischen Teil TypeArts.

Hier befinden sich alle Werkzeuge, die zur Bearbeitung vorhandener Fonts herangezogen werden. Die Menge und QualitĂ€t der hier vorzufindenden Einstellungen lĂ€ĂŸt kaum WĂŒnsche offen.

Auch fĂŒr grafische Arbeiten bietet TypeArt 2.0 einiges: Eine automatische Outline ums gesamte Logo.

Vorhandene Fonts lassen sich en bloc vielfÀltig modifizieren, mit anderen mischen und in manchen FÀllen auch erheblich verbessern.

Neben der Zeichensatzauswahl, die eine Übersicht aller Zeichen des geladenen Fonts bietet, befindet sich die Font-Bearbeitung. In diesem Bearbeitungsfeld können ausgewĂ€hlte Bereiche eines Fonts in einen zweiten kopiert und auch eventuell fehlende Sonderzeichen (Ă€, =, ...) und Umlaute (Ă€, ĂŒ, ö) automatisch erzeugt werden. Ty-peArt benutzt zu diesem Zweck die schon vorhandenen Zeichen und generiert dann z.B. aus und „A“ ein „Ä“. Genauso, wie man es auch in Handarbeit machen wĂŒrde, geschieht es nun auf Knopfdruck. Mit den hier vorhandenen Funktionen können zudem, ohne daß man selbst zum Font-Schneider werden muß, aus vorhandenen Fonts gebrauchsfĂ€hige neue Fonts erstellt werden. Beispielsweise kann eine KapitĂ€lchen-Schrift (nur Versalien, mit etwas grĂ¶ĂŸeren „Großbuchstaben") auch fĂŒr nicht Schriftkundige schnell entwickelt und als neue Schrift gespeichert werden.

Ein weiteres Bearbeitungsfeld dient zur Einstellung der Ausrichtungslinien. Diese Linien können in TypeArt fĂŒr ein einzelnes Zeichen oder auch fĂŒr den gesamten Font exakt gesetzt werden. Hier kann z.B. auch durch eine korrekte Einstellung des M-Square -das sind die Begrenzungslinien, von denen alleZeichen komplett umschlossen und nach denen im Calamus Zeichenhöhe und Zeilenabstand eines Textes errechnet werden - ein schon vorhandener, falsch eingestellter Font nachtrĂ€glich neu berechnet werden.

Auch im Kerning-MenĂŒ sind neue Funktionen hinzugekommen, durch die ein flĂŒssigeres Arbeiten erleichtert wird. Insgesamt ist die hier mögliche PrĂ€zision selbst in den automatisierten Funktionen erstaunlich.

Fazit

Sehr schnell ist TypeArt nun geworden, obwohl auch schon die Vorversion kaum Geschwindigkeitsprobleme kannte; kaum ein Arbeitsschritt, der nicht im Augenblick ausgefĂŒhrt oder dargestellt wird. Zur Ausgabe steht nun neben dem bereits von der 1.04-Version bekannten Plotter-Modul auch ein auf die ganz speziellen BedĂŒrfnisse bei der Font-Erstellung (Kontrolldrucke) angelegtes Druckformular zur VerfĂŒgung. Font-Ausdruck in Outline oder gefĂŒllt, mit Ausrichtungslinien, Kerning-Tabellen usw. Das Druckformular entspricht im Aufbau dem des Calamus. Druckertreiber allerCalamus-Versionen (1.09N, S, SL) können in TypeArt genutzt werden. Geliefert wird TypeArt 2.0 mit 3 feinen Emigre-Fonts und einer umfassenden HandbuchergĂ€nzung.

Der Preis von 798,-DM macht Type-Art zu einem Werkzeug fĂŒr Profis, fĂŒr diejenigen also, die im Beruf mit Schrift arbeiten und ihr Geld verdienen. FĂŒr diese ist TypeArt 2.0 sowieso ein unverzichtbares PrĂ€zisionswerkzeug. Die Eingrenzung auf diese Gruppe durch die Preisgestaltung - so gut das Preis-Leistungs-VerhĂ€ltnis sonst auch ist -ist aber eigentlich schade, wĂ€re es doch gerade Einsteigern und auch Font-Liebhabern zu gönnen, sich ĂŒber diese Software ausgiebig mit digitaler Schrift auseinandersetzen zu können, Schrift zu lernen und digital zu bearbeiten. Das macht nicht nur Spaß, das ĂŒbt auch den Blick fĂŒr qualitative Unterschiede. Den Griff zur „98,- DM-Font-CD" wird sich dann manch einer schmunzelnd verkneifen können.

Bezugsquelle:

FlylngFonts Hasso Baudls Ellhornstr.39 28195 Bremen