Was hat ein Amiga mit einem Netzwerk aus sieben Computern und einer Festplatte, die auf den Namen Schneewittchen hört, gemeinsam? Das Betriebssystem.
Die Computerszene gehört wohl zu den buntesten Tummelplätzen für Meinungen, Gerüchte und Persönlichkeiten. Wenn es aber um das Geschäft geht, wird auch diese Szene zu einem grabesstillen Ort. Diskretion ist bei den großen Entscheidungen im Geschäft gefragt. Viele Abschlüsse werden in aller Stille getätigt, damit einige Namen nicht genannt werden. Dabei handelt es sich nicht um dunkle oder gar unerlaubte Verträge, sondern um den legalen Alltag, wenn große Firmen ihre Produkte von unbekannten Firmen beziehen. Sieht man sich also genauer um, entdeckt man die eine oder andere Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.
Eine dieser Geschichten ist der Werdegang des englischen Software-Hauses Metacomco. Die kleine, aber erfolgreiche Firma sitzt mit ihren 25 Mitarbeitern im englischen Bristol, in einem alten Reihenhaus. So unauffällig wie das Hauptquartier von außen wirkt, so unauffällig agiert auch die Firma auf dem Computermarkt. Aber viele bekannte Firmen kaufen Lizenzen bei Metacomco und vertreiben diese Produkte unter ihrem eigenen Namen. Unter den Firmen, die Metacomco für sich arbeiten lassen, sind so klangvolle Namen wie Digital Research, Atari und Commodore. Mit Commodore verbindet Metacomco ein besonders interessantes Abkommen. Was sich beim Amiga während des Bootens mit »Copyright 1985, 1986 Commodore-Amiga Inc.« meldet, stammt in Wirklichkeit von Metacomco: das AmigaDOS. Das AmigaDOS wurde ursprünglich nicht für den Amiga geschrieben. Seine Geschichte geht bis ins Jahr 1976 zurück. Es war der Traum eines jungen Studenten: Tim King. Während seines Studiums träumte er von einem neuen Betriebssystem, das man auf allen Computern verwenden konnte. Es sollte schnell, flexibel, transportabel und multitasking-fähig sein. Damit verfolgt es die gleichen Ziele wie das wesentlich bekanntere Unix, das damals schon existierte. Aber Unix ist teuer, nur schwer zu beherrschen und nicht allgemein verfügbar. Warum also nicht ein besseres Unix für alle Computer programmieren?
King machte sich an die Arbeit und entwickelte im Rahmen seines Studiums in Cambridge das Betriebssystem »Tripos.«. Doch niemand schien Interesse an den revolutionären Ideen von King zu haben. Bis auf Metacomco.
1983 erwarb Metacomco die Rechte an Tripos und stellte King — er hatte mit 30 Jahren sein Studium mit dem Doktortitel abgeschlossen — Anfang 1984 ein. Metacomco begann sofort, Tripos verschiedenen Firmen anzubieten. Anfangs arbeitete King also an Umsetzungen für einige Großrechenanlagen, was durch den geschickten Aufbau von Tripos nicht schwer war. Bis Mitte 1984 schien es aber, als sollte Tripos den Weg vieler Betriebssysteme nehmen, die man irgendwo in der Wirtschaft verwendet, die aber nie über den engeren Anwendungsbereich bekannt werden. Doch dann kam Commodore.
Commodore hatte 1984 die Firma Amiga aufgekauft und übernahm einen beinahe fertigen Computer: den späteren Amiga. Die Hardware inklusive der leistungsstarken Spezialchips war entwickelt und einsatzbereit. Intuition, die grafische Benutzeroberfläche war fast fertig. Doch dem Amiga fehlte das Betriebssystem, das den Computer steuert.
Da Commodore die Zeit knapp wurde, schließlich hatte Atari den ST schon angekündigt, wandten sie sich an Metacomco und man wurde sich rasch handelseinig: Tripos sollte das AmigaDOS werden. Was dann geschah, beschreibt Programmierer Chris Selwyn, der aktiv für Metacomco an Tripos arbeitet, so: »Als der Vertrag unterzeichnet war, schleppten sie Tim in ein Hotelzimmer, in dem ein Amiga stand, schlossen die Tür ab und warfen den Schlüssel weg. Und als er dann sechs Wochen später herauskam, lief Tripos fehlerfrei auf dem Amiga.« King verließ Metacomco später aus unbekannten Gründen.
Durch den Amiga ist Tripos unter anderem Namen bekanntgeworden. Doch Tim King hat nicht viel davon. Während Metacomco an jedem verkauften Amiga in aller Stille mitkassiert, geht King leer aus. Er hat Metacomco verlassen und möchte wieder ein neues, fortschrittliches Betriebssystem schreiben. Es soll auf die nächste Computergeneration zugeschnitten sein: die parallelverarbeitenden Computer, die unter dem Schlagwort »Transputer« gehandelt werden. Warum er sein Programm nicht für Metacomco entwickeln wollte oder durfte, war nicht zu erfahren. Das letzte, was von ihm zu hören war, ist, daß er nach Geldgebern sucht. Es ist ihm zu gönnen, daß seine Suche erfolgreich ist. (gn)
Wie geht es mit Tripos und Metacomco weiter, nachdem der Vater des Programms nicht mehr da ist? Bei Metacomco sieht man der Zukunft gelassen entgegen. Die Programmierer entwickelten kräftig neue Programme und verbesserten auch Tripos. Metacomco benutzt das Betriebssystem nämlich selbst. Im zweiten Stock des Gebäudes in Bristol befindet sich die Entwicklungsabteilung. Hier findet man neben berühmten Computern, wie einer SUN-Workstation, auch abenteuerlich aussehende Eigenbauten. Man experimentiert ständig mit neuen Prozessoren, die als Karte in die bestehende Konstruktion eingesteckt werden. Woran Metacomco mit dem neuen Computer im Augenblick arbeitet, ist streng geheim, denn auch das Militär läßt Programme von Metacomco entwickeln. Im dritten Stock gibt es daher einen Hochsicherheitsraum, der durch elektronische Schlösser geschützt ist. »Was darin gesprochen wird, kommt nicht nach draußen«, betont Pressesprecher Andrew Spencer.
In der Entwicklungsabteilung existiert ein kompliziertes Netzwerk, an dem alle Computer angeschlossen sind. Das Herz des Netzes ist die »Darkstar«. Sie hat nichts mit dem gleichnamigen Film von John Car-penter zu tun, sondern ist eine 130-MByte-Festplatte. Im Netz haben alle Geräte einen Namen, was durch Tripos unterstützt wird. Bei der ersten Installation von Tripos hatte jemand die Idee, die Darkstar »Schneewittchen« zu nennen und den angeschlossenen Computern die Namen der sieben Zwerge zu geben. Die Frage, was beim achten Computer geschehen wird, löst unter den Metacomco-Programmierern, mit denen ich mich unterhielt, eine spontane Diskussion aus. Schnell bildete sich eine Gruppe und die verschiedensten Ideen wurden entwickelt. Erst als der einsichtige Vorschlag gemacht wurde, das System um »Alibaba und die 40 Räuber« zu erweitern, löste sich die kleine Gruppe wieder auf.
Wie leistungsfähig Tripos ist, zeigt sich im internen Netzwerk von Metacomco. Da ich nicht so recht glauben konnte, daß auf den teuren Supercomputern, die zum Teil schon lange einen MC 68020 und 4 MByte RAM besitzen, das gleiche Betriebssystem läuft wie auf dem Amiga, mußte ich das System natürlich ausprobieren. Und tatsächlich bedient man das komplizierte Netzwerk wie den Amiga im CLI. Alle Befehle sind gleich. Das läßt erahnen, wie leistungsfähig das Betriebssystem des Amiga ist. Viele Funktionen, die auf dem Amiga wenig sinnvoll sind, machen Tripos auf Großcomputern zu einem mächtigen System. Vielleicht ist Tripos für den Amiga sogar eine Nummer zu groß. Metacomco ist aber der Meinung, daß Tripos auf allen 68000er-Computern sinnvoll zu nutzen ist.
Eines der Geheimnisse des Erfolges von Metacomco ist die enge Zusammenarbeit mit den englischen Universitäten. Man gibt Studenten die Chance, an Forschungsprojekten mitzuarbeiten. Die Studenten können sich so etwas Geld verdienen und Metacomco bezieht neue Ideen aus den Universitäten. Schließlich war Tripos am Anfang auch nur die Idee eines Studenten.
Mit der Umsetzung von Tripos für den Amiga war es noch nicht getan. Obwohl das AmigaDOS schneller verfügbar war, als man sich bei Commodore träumen ließ, dauerte es noch über ein Jahr, bis der Amiga zu kaufen war. Diese Verzögerung ergab sich durch die Anpassungsschwierigkeiten zwischen dem AmigaDOS und Intuition, der grafischen Benutzeroberfläche. Da beide separat programmiert wurden, mußte Commodore erst Intuition auf Tripos einstellen. Diese Anpassung war auch die Hauptfehlerursache, da sie unter Zeitdruck geschrieben wurde.
Die Probleme in der Anpassung sind der Grund dafür, daß Kickstart beim Amiga 1000 nicht im ROM lag. Man wußte, daß auch nach der Einführung des Amiga noch viel zu tun war. Es ist billiger, eine neue Version auf Diskette auszuliefern, als die ROMs zu ändern. Mit jeder neuen Version klappte die Verbindung immer besser, bis die Version 180 endlich so gut war, daß sie fest eingebaut werden konnte. Sollte einmal ein Kickstart 2.0 kommen, wird es aber mehr können, als nur eine bessere Kommunikation zwischen zwei Programmteilen herzustellen, (gn)
Metacomco hat sich aber nicht auf Betriebssysteme spezialisiert. Viele bekannte Programme kommen aus der Ideen-Schmiede. Amiga-Besitzer kennen das Firmen-Kürzel »MCC« auch vor der »Shell«. Auch Cambridge Lisp und ein sehr guter Assembler für den Amiga stammen von Metacomco. Wer glaubt, daß Metacomco nur für Commodore und den Amiga arbeitet, liegt falsch. Für Atari arbeiten sie am neuen ST-Basic. Das genaue Erscheinungsdatum ist noch ungewiß.
Ein Basic war es auch, das den Grundstein für den Aufstieg von Metacomco legte. Drei Geschäftsleute kauften eine Basic-Variante und verkauften diese als Lizenz an Digital Research. Als »Personal Basic« ist es auf vielen Computern im Einsatz. Das geschah 1981 und war der Startschuß für die Firma mit dem merkwürdigen Namen »Metacomco«. Die Frage nach dem Sinn des Namens beantwortet Andrew Spencer mit einem Schulterzucken. »Es haben schon viele versucht, etwas in den Namen hineinzuinterpretieren. Er hat aber nichts mit Metaphysik oder so zu bedeuten. Der Name klingt halt gut, das ist alles«, erklärt er.
Die meisten neuen Projekte sind natürlich noch geheim. Ein paar Programme konnte man aber schon zeigen. Die größte Überraschung war ein C-Interpreter für den Atari ST. Er erlaubt schnelleres Schreiben und Austesten von Programmen. Die Programm-Entwicklung ist damit ähnlich wie in Basic. Erst wenn das Programm im Interpreter läuft, wird es endgültig compiliert. Das ist aber nicht die einzige Neuigkeit in Sachen »C«. Der Lattice-C-Compiler wurde überarbeitet und verbessert und mit einem deutschen Handbuch versehen. Außerdem arbeitete ein Programmierer-Team gerade an einem neuen Pascal für den Atari ST mit einem neuartigen Debugger, der bei einem Fehler im Programm auch Label-Namen anzeigt. Ein letztes Geheimnis gab Laura Gledhill, die für den Verkauf von Tripos zuständig ist, über Tripos preis. Inzwischen gibt es eine Entwickler-Version, die Anpassungen an neue Computer wesentlich vereinfacht. Mit ihm kann man Tripos, das AmigaDOS, auch auf den Atari ST Umsetzen. Das könnte ein Ansatzpunkt für einen Amiga-Emulator sein. Ist die Umsetzung vielleicht sogar schon geplant? Auf diese Frage antwortet man bei Metacomco mit einem verschmitzten Lächeln. »Warum denn nicht?«, meint Laura nach einem vielsagenden Blickwechseln unter den Programmierern, »schließlich ist Tripos ideal für alle 68000er Computer«. (gn)
Tripos, das spätere AmigaDOS, war Tim Kings Traum. Er studierte anfangs in Cambridge, wo es viele neue Ansätze für die Programmierung von Computern gab. In diesem Umfeld entwickelte King die Idee für ein universales Betriebssystem, das man auf allen Computern verwenden konnte. Die Idee war nicht neu, doch alle Ansätze zu einer Standardisierung scheiterten. 1976 begann King trotzdem seine neues Betriebssystem zu konzipieren, das leistungsfähig und leicht auf andere Computer umzusetzen war. 1978 hörte er von einem Mikroprozessor, der leistungsfähig genug war, damit sein Traum endlich Wirklichkeit werden konnte: der Motorola 68000.
Mit Hilfe von Freunden von der Universität baute er einen der ersten 68000er-Computer. Er begann sofort damit, die erste Version seines neuen Betriebssystems für seinen 68000er-Selbstbau umzuschreiben. Als Programmiersprache verwendete er BCPL (Basic Computer Programming Language), das die Programmierung von Multitasking unterstützt. Das neue Betriebssystem besitzt einen computerunabhängigen Kern, der über eine angepaßte Verbindung zum Computer verfügt. Dadurch kann man es leicht auf andere Computer transportieren und für sie optimieren.
Bei der Entwicklung dachte King weit über die damals bestehenden Fähigkeiten der meisten Computer hinaus. Das Betriebssystem ist unumschränkt multitaskingfähig, so daß fast beliebig viele Programme gleichzeitig ablaufen können. Die einzige Einschränkung ist die Geschwindigkeit der CPU und die Größe des Speichers. King erkannte, daß ein schneller Computer in der Regel mehr auf den Benutzer wartet, als daß er für ihn arbeitet. Warum sollte man die Wartezeit nicht dazu verwenden, andere Dinge nebenbei zu tun? Jedes Programm erhält eine Wichtigkeitsstufe. Nach der Wichtigkeit gestaffelt, läßt das Betriebssystem die einzelnen Programme ablaufen.
In der DOS-Syntax hielt King sich nicht an die verbreiteten Standards, um die Befehle seines Systems noch flexibler zu machen. So kennt sein Betriebssystem nicht nur einen Joker, sondern eine Vielzahl, die noch genaueres Suchen erlauben. Wenn man hinter einen Befehl ein Fragezeichen setzt, zeigt das DOS die Syntax des Befehls an, so daß man kein Handbuch zu Rate ziehen muß, ob erst der Name und dann der Parameter oder umgekehrt angegeben werden muß. Gerade bei selten benutzten Befehlen ist das ein Vorteil. (gn)