Brian Moriarty gehört zu den Adventure-Programmierem des legendären Softwarehauses Infocom. In einem Exclusiv-Interview verriet er uns einiges über zukünftige Projekte für die 68000-Computer, die Beinahe-Pleite vor der Übernahme durch Activision und sein neuestes Werk »Trinity«.
Der 29jährige Brian Moriarty arbeitet seit 1984 für Infocom. Nach seinem Uni-Abschluß ging er zunächst als Redakteur zu der Zeitschrift Analog Computing und danach zu Infocom, wo er als Ingenieur für die verschiedenen Adaptionen der Programme für andere Computer verantwortlich war. Ende 1985 veröffentlichte Brian sein erstes Adventure. »Wishbringer« ist bis heute das Infocom-Programm, das in den ersten vier Wochen nach Erscheinen am häufigsten verkauft wurde. Sein zweites Projekt ist das Infocom Plus-Spiel »Trinity«, das in diesen Tagen auf den Markt kommt.
Brian wohnt im US-Bundesstaat Massachusetts. Zum Interview trafen wir uns im englischen Activision-Hauptquartier im Londoner Stadtteil Hampstead. Seit der Übernahme kümmert sich jetzt Activision um Marketing und Vertrieb in Europa.
Hampstead ist ein recht vornehmer Stadtteil mit entsprechenden Mieten, wie man mir versicherte. Allison Haie von Activision führt mich durch die Räume und erklärt mir auch, warum es noch etwas wüst aussieht: Die Firma ist erst vor kurzer Zeit umgezogen und richtet sich noch im neuen Domizil ein.
In einem der oberen Stockwerke erwartet uns dann Brian Moriarty.
Die erste Frage an einen Info-com-Programmierer lautet natürlich »Wie bist Du an den Job gekommen?«. Brian antwortet: »Als ich Redakteur bei Analog Computing war, kam ich das erste Mal mit Infocom-Spielen in Berührung. 1982 kaufte ich mir ’Suspended' und war davon völlig begeistert. Zu dieser Zeit bestand Infocom nur aus drei Leuten! Im März 1984 erhielt ich das Angebot, als Ingenieur bei der Firma einzusteigen. Ich sagte prompt zu. Nach sechs Monaten, in denen ich mich nur mit dem technischen Kram beschäftigt hatte, drehte ich fast durch. Ich hatte früher schon Adventures programmiert und zwei davon in Analog Computing als Listings veröffentlicht. Also ließ man mich mein erstes Infocom-Abenteuerspiel beginnen.
Ich wollte gleich 'Trinity' schreiben, doch es hieß, daß ich mich zunächst an etwas Einfacheres heranwagen sollte. Mein Einstand wurde dann das Einsteigerspiel 'Wishbringer'. Bei diesem Adventure waren Verpackung und Beilagen schon fertig, bevor ich mit dem Programmieren begann. Das Spiel mußte sich also um einen magischen Stein drehen, den 'Wishbringer'.
Dieser Zauberstein liegt auch der Verpackung bei. Erst hatten wir uns einfach 50000 Kieselsteine gekauft, um sie in die Schachteln zu legen. Im Spiel leuchtet der Stein aber violett; also konnten wir keinen »normalen« Kiesel nehmen.
Nach einer Weile fanden wir einen Hersteller, der einen Farbstoff liefern konnte, durch den der Stein im Dunkeln leuchtet. Alles war schon unter Dach und Fach, als wir darauf kamen, daß dieser Farbstoff nicht ungefährlich ist. Wenn ein kleines Kind den Stein in den Mund nimmt, kann das schlimme Folgen haben. In letzter Sekunde haben wir dann doch noch einen Farbstoff aufgetrieben, der den Stein zum Leuchten bringt und völlig ungefährlich ist. Man kann ihn sogar aufessen, ohne daß etwas passiert!
Vielleicht wird es einen Nachfolger zu 'Wishbringer' geben; ich mache eventuell sogar eine Trilogie daraus. Wir würden dann wieder Zaubersteine der Packung beilegen, die dann aber in anderen Farben leuchten.«
Bryans zweites Projekt ist der neueste Infocom-Titel »Trinity« (siehe auch Test in dieser Ausgabe). Wie hat die Entwicklung dieses besonders anspruchsvollen Spiels ausgesehen?
»Die erste Idee zu 'Trinity' hatte ich im Juli 1985. Wir Infocom-Programmierer schreiben nicht nur die Texte, sondern hacken auch die Source Codes ein. Im Dezember war die erste Rohfassung von 'Trinity' fertig und die erste Testphase begann.
Dieses 'Play Testing’ ist bei unseren Text-Adventures sehr wichtig und aufwendig. Infocom hat sechs Angestellte, die den ganzen Tag lang unsere Programme auf Bugs hin durchspielen. Diese Tester probieren die unmöglichsten Sachen aus und versuchen, das Spiel irgendwie zum Abstürzen zu bringen. Sie küssen alle Monster, legen Dinge hin. die sie gar nicht dabei haben und so weiter. Sie kritisieren auch hin und wieder die Handlung und machen Vorschläge, wie man es besser machen könnte.
Nach zwei bis drei Monaten beginnt dann die Beta-Testphase, die wiederum ein bis zwei Monate dauert. Wir haben einige hundert freie Mitarbeiter im ganzen Land, von denen einige eine Kopie des neuesten Adventures kriegen. Auch diese Tester spielen das Programm gründlich durch und suchen nach Fehlern. Anschließend werten wir die Ergebnisse wieder aus und haben dann eine dritte Version des Spiels. Diese schicken wir dann noch mal an Tester zum Durchspielen, aber nicht an die gleichen Personen. Danach haben wir eine endgültige und hoffentlich völlig fehlerfreie Version.
Die Geburt eines Infocom-Ad-ventures dauert etwa neun bis zwölf Monate. Gut die Hälfte der Zeit geht alleine für das Austesten und Verbessern drauf. Bei Infocom Plus-Spielen wie 'Trinity' dauert alles noch länger, weil diese Programme komplexer sind. Dazu ein kleiner Vergleich: Der Source Code von 'Wishbringer' umfaßt etwa 400 KByte und der von 'Trinity' 1,32 MByte!
Zum Glück hatte ich schon Erfahrung durch 'Wishbringer', sonst hätte ich bei der schweren Arbeit an ’Trinity' wohl einen Nervenzusammenbruch bekommen. 'Trinity' ist zwar ein Fantasy-Adventure, doch das Thema der atomaren Gefahr ist sehr ernst. Es ist das erste Infocom-Spiel, das teilweise an Schauplätzen stattfindet, die es auch in Wirklichkeit gibt. Zu Beginn spaziert man zum Beispiel durch den Londoner Kensington Garden. Ich bin jetzt das erste Mal in Europa und kannte diesen Schauplatz damals noch nicht. Also studierte ich fleißig Landkarten.«
Bei beiden Programmen von Brian ist Fantasy im Spiel. Liest er auch viele Bücher in dieser Richtung?
»Oh ja. ich lese sehr gerne solche Sachen. Ray Bradbury gehört zu meinen Favoriten«.
Das Besondere an den Infocom-Adventures ist der hervorragende englische Parser. Ohne gute Sprachkenntnisse kann ein Deutscher aber mit den Texten nicht viel anfangen. Habt Ihr eigentlich mal versucht, einen deutschen Parser zu basteln?
Brian rückt jetzt mit einer faustdicken Überraschung heraus: »Das haben wir schon geschafft. Wir haben eine deutsche Version von ’Zork' so gut wie fertig.
Der deutsche Parser war gar nicht so schwierig, da Deutsch und Englisch eine ähnliche Grammatik haben. Wir haben die Übersetzung auch ins Französische und Spanische probiert, aber mit diesen romanischen Sprachen ist es wesentlich schwieriger, da die Syntax ganz anders ist.
Wir könnten ein deutsches Infocom-Spiel veröffentlichen, aber es ist fraglich, ob sich das lohnt. Wir müßten eine bestimmte Anzahl von Kopien verkaufen, um damit nicht in die roten Zahlen zu kommen. Das Thema wird noch diskutiert, aber vor 1987 ist auf keinen Fall ein deutsches Adventure zu erwarten.
Von Spiel zu Spiel bemühen wir uns, den englischen Parser immer mehr zu verbessern. Letztendlich ist die Qualität des Parsers vom Speicherplatz des Computers abhängig. Deswegen haben wir auch die Infocom Plus-Reihe gestartet, die 128 KByte RAM voraussetzt. Auf unserem Mainframe-Computer haben wir bereits einen Parser entwickelt, der die unglaublichsten Sachen versteht. Dank Amiga und Atari ST wird die Kluft zwischen den Heimcomputern und dieser Mainframe-Maschine immer geringer. Es ist durchaus denkbar, daß wir eines Tages Spiele für Computer mit mindestens 512 KByte schreiben, die dann einen entsprechend exzellenten Parser haben.
Wir beobachten natürlich den Markt und haben auch den BTZ-Parser von Synapse (’Mindwheel’) untersucht. Es ist ein sogenannter ’Keyword-Parser. Er sucht in dem Satz, den der Spieler eingibt, nur nach bestimmten Wörtern. Der Parser versteht also gar nicht richtig, womit er gefüttert wird. Unser Parser ist intelligent, er kapiert wirklich, was der Spieler eingibt. Natürlich hat er gewisse Grenzen, die im Handbuch erläutert sind.«
Welchen Computer hat der Star-Programmierer eigentlich zu Hause stehen?
»Nach dem College wollte ich mir den ersten TRS kaufen, der damals das modernste Modell auf dem Markt war. Ich konnte mir die Maschine allerdings nicht leisten. 1981 habe ich mir dann den Atari 800 gekauft, der seinerzeit der beste Computer in seiner Preisklasse war. Zusammen mit einem Diskettenlaufwerk kostete er mich damals um die 2000 Dollar. Auf dem Atari 800 habe ich auch meine ersten Infocom-Adventures gespielt; er steht heute noch bei mir zu Hause. Wahrscheinlich kaufe ich mir demnächst einen Atari ST und spiele mit ihm ein wenig herum«.
Wir wechseln das Thema und werfen einen Blick hinter die Kulissen. Vor ein paar Monaten wurde Infocom überraschend von Activision aufgekauft. Wie ist es eigentlich dazu gekommen?
»Unser erstes ’Nicht-Adventure' war die Ursache für diesen Handel. Wir haben für den IBM-PC eine Datenbank namens ’Cornerstone' herausgebracht. Es ist ein sehr leistungsstarkes Programm, das trotzdem sehr einfach zu bedienen ist. Zusammen mit allen Disketten und Handbüchern kostete es 495 Dollar. Das Produkt war wirklich gut, doch es hatte einen kleinen Haken: es kam ein Jahr zu spät. Andere Datenbanken wie dBase waren bereits etabliert und wer sich so ein Programm gekauft hat. will in der Regel kein zweites.
'Cornerstone' wurde zu einem Riesen-Flop. Uns fehlte dann auch das Geld, um das Programm zu bewerben und die Leute von seinen Vorzügen zu überzeugen. In den USA ist es durchaus üblich, TV-Spots für Software zu machen, aber es ging gar nichts mehr.
Infocom wäre wegen ’Cornerstone’ schlichtweg pleite gegangen. wenn uns nicht eine andere Firma aufgekauft hätte. Wir hatten furchtbare Angst, wegen einem Flop zumachen zu müssen. Unsere Adventures waren immer erfolgreich und haben sich gut verkauft. Dank unseres guten Rufs interessierten sich eine ganze Reihe von Firmen für uns. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik: Wir durften uns aussuchen, wer uns vor der Pleite retten würde.
Für Activision haben wir uns vor allem deshalb entschieden, weil die Firma gute Vertriebskanäle hat und auch in Europa und Japan stark vertreten ist. Gerade im Ausland wollen wir noch viel Boden gutmachen, denn den Großteil unserer Programme verkaufen wir in den USA.
Es ist nur schade, daß die meisten Computerbesitzer in England kein Diskettenlaufwerk haben. Deshalb war auch die erste Frage, die uns Activision UK stellte, 'Könnt Ihr die Spiele auf Kassette bringen?'. Aber das ist völlig unmöglich.
’Cornerstone' wird jetzt für 99 Dollar verschleudert und geht entsprechend gut. Wir haben unsere Lehren daraus gezogen und konzentrieren uns auf die Spiele, denn das können wir am besten. Nach der Übernahme durch Activision wurden auch viele Mitarbeiter gefeuert, aber die Adventure-Schreiber blieben unangetastet. Das Arbeitsklima ist jetzt ganz gut; Activision läßt uns freie Hand und ermutigt uns bei neuen Ideen.«
Infocom blickt also nach dem Beinahe-Kollaps in eine relativ rosige Zukunft. Was steht alles an Neuheiten an? Vielleicht Adventures mit Grafiken?
Brian ist von dieser Idee nicht sonderlich begeistert: »Das scheitert wohl am Zeitproblem. Wir wollen uns nämlich voll auf die Qualität der Texte konzentrieren. Von uns wird es kein Grafik-Adventure im herkömmlichen Stil geben, wo für jeden Ort ein Bild gezeigt wird. Wir diskutieren aber gerade darüber, ob wir uns für die neuen Computer etwas Besonderes in Sachen Grafik einfallen lassen. Dazu kann und darf ich aber noch nichts Konkretes sagen.
Ich habe schon die Idee für mein drittes Spiel im Kopf. Vor ein paar Tagen war ich sogar in Deutschland in einer ganz bestimmten Stadt, um etwas zu recherchieren. Ich verrate aber nicht, wo ich genau war. Wenn man die Stadt kennt, kann man sich nämlich schon denken, um was sich das Spiel dreht.
Wir werden auch in Zukunft mit dem Schriftsteller Douglas Adams Zusammenarbeiten, der ja an unserer Software-Umsetzung seines Romans »The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy« mitgewirkt hat. Douglas hat die Texte für ein völlig neues Spiel geschrieben, das Anfang 1987 erscheinen soll. Anschließend nimmt er den Adventure-Nachfolger zu 'Hitchhiker’s Guide' in Angriff.
1985 hatten wir nur drei Spiele veröffentlicht. Das liegt etwas unter dem Ziel, das wir uns gesetzt haben. Im Schnitt wollen wir fünf bis sechs Titel im Jahr herausbringen. Es gibt da eine interessante Statistik über unsere amerikanischen Käufer. 80 Prozent aller Leute, die sich zum ersten Mal ein Infocom-Spiel zulegen, kaufen sich mindestens ein weiteres. 10 Prozent haben mindestens zehn Adventures von uns gekauft. Es gibt zirka 10000 bis 20000 Stammkäufer, die sich jede unserer Neuerscheinungen sofort zulegen.
Außerdem werden wir weiterhin als einziger großer Hersteller von Computerspielen auf jeglichen Disketten-Kopierschutz verzichten. Die Packungen sind unser bester Schutz gegen Software-Piraten. Sie sehen nicht nur sehr gut aus und sorgen für Atmosphäre, sondern enthalten auch viele versteckte Hinweise für das Spiel. Ein Kopierschutz kostet nur viel Geld und ist für den ehrlichen Käufer ein Ärgernis. Wir investieren lieber mehr Zeit und Aufwand in die Verpackungen und Beilagen.«
Nachdem wir uns einige Stunden lang emsig unterhalten haben, naht der Abschied. Ich bedanke mich bei Brian für das aufschlußreiche Interview, während Andrew von Activision ihm schon einen Termin mit einer englischen Zeitschrift mitteilt. Ein Infocom-Programmierer ist eben eine begehrte Person, selbst wenn er eigentlich nur seinen Urlaub in Europa verbringt. (hl)