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Interview mit Jam el Mar (Jam & Spoon)

Interviews

"Mut zur KreativitÀt" Ein Interview mit Jam el Mar, dem Produzenten des erfolgreichen POP-Duos "JAM & SPOON"

Jam El Mar ist der Produzent von JAM & SPOON. Mit dem Album "Tripomatic Fai Tales" und der "Hands on Yello"-Version von "You Gotta Say Yes To Another Excess" sind sie derzeit einer der erfolgreichsten Gruppen in Deutschland sind. Wir befragten ihn ĂŒber seine Vorstellungen bezgl. der Gegenwart und die Zukunft der elektronischen Musik.

AI:

Die Welt der elektronischen Musik hat sich nicht zuletzt auch durch Techno bis zu ihren Grenzen ausgedehnt. Welche Richtung wird sie Deiner Meinung nach noch einschlagen?

Jam el Mar:

Das ist schwer zu sagen. Ich bin von der QualitÀt der Neuerscheinungen und von dem, was man in den Diskotheken zu hören bekommt eher enttÀuscht. Es dreht sich momentan wirklich sehr im Kreis und es fehlt meiner Meinung nach sehr an Innovationen. Die einzige Musikrichtung, die ich sehr spannend finde, ist "Jungle" und "Rhythm and Bass". In dieser Musik wird noch sehr viel experimentiert und ist auch durchaus anspruchsvoll und tanzbar. Es ist eine sehr interessante und innovative Musik. Das ganze "TechnogesÀusel" und was sonst noch so in den Diskos lÀuft ist alles eher unspannend und immer wieder das gleiche. Immer wieder die gleichen Sounds und Filtermodulationen und keiner wagt etwas neues.

AI:

Glaubst Du, dass es bei Techno auf die MusikalitÀt ankommt oder vielleicht nur eine GerÀuschdroge, die dann auch in Mengen konsumiert wird?

Jam el Mar:

Sowohl als auch. Was die GerĂ€uschdroge angeht ist sie, zum Beispiel im Underground, eine zeitlich organisierte Anordnung von Sounds, es gibt halt keine Melodien in dem Sinne; insofern kommt es sehr stark auf den Sound an. Ein guter Song mit einer Melodie, die unter die Haut geht, wird immer funktionieren und wird immer die Leute entsprechend berĂŒhren. Man kann somit beides gelten lassen.

AI:

Welche Technik und welche Instrumente sind dazu notwendig, um Deine musikalischen Vorstellungen fĂŒr die Zukunft zu realisieren. Boris Blank hat zum Beispiel seine Phantasie ĂŒber ein "Brain to Synthesizer"-GerĂ€t spielen lassen, um Hirnwellen direkt in Wellenformen klanglich umzuwandeln. Kannst Du Dir als kreativ arbeitender Mensch etwas Ă€hnlich revolutionĂ€res vorstellen?

Jam el Mar:

Seit es Sampler und Synthesizer gibt ist ja eigentlich jeder Sound gehört; es gibt einfach keinen Klang mehr, den man nicht irgendwo schon einmal gehört hat. Seit der "musique concrete", also seit der Erforschung der Musik bis hin zum GerĂ€usch und auf den musikalischen Wert, den ein Klang in einem bestimmten Zusammenhang bekommen kann, wird es klanglich keine Innovation mehr geben. Meiner Meinung nach kann in der Klangmodulation noch viel getan werden, dass sie möglichst direkt geschieht. Zum Beispiel beim Korg Prophecy wurde wieder einmal ein Ribbon verwendet, dass unverstĂ€ndlicher Weise jahrelang nicht genutzt wurde, obwohl es schon bei Robert Moog gab. Je mehr Einflußmöglichkeiten der Spieler haben kann, desto besser ist es eigentlich und um so mehr kann sich der Musiker auch in die Musik einbringen. Aber grundlegend wird sich von der klanglichen Seite her nichts mehr verĂ€ndern. Was das "Brain to Synthesizer"-Interface angeht, wĂ€re es sicher mal interessant anzuhören, wie sich die KlĂ€nge bei Kopfschmerzen anhören oder wenn man mal ĂŒber seinen Kontoauszug schaut.

AI:

WĂŒrde dieses Höchstmaß an InteraktivitĂ€t und Echtzeitsteuerung nicht das Ende der bisherigen MIDI-Schnittstelle bedeuten?

Jam el Mar:

Diese MIDI-Schnittstelle ist sowieso nicht der Weisheit letzter Schluß. Die Grenzen von MIDI sind uns allen wohl schon lange bekannt. Irgendwann wird hoffentlich ein GerĂ€t auf dem Markt erscheinen, das von der Konzeption her eine völlig neue Struktur besitzt und einen grĂ¶ĂŸeren Datentransfer erlaubt Die Möglichkeiten wĂŒrden mit Sicherheit interessanter. Ich finde das Problem ist nach, wie vor, dass man einen Computer da stehen hat und einen Bildschirm, umgeben von mehreren GerĂ€ten, die auf diesen Computer "mehr oder weniger" spontan reagieren. Die volle Ausnutzung der MIDI-Schnittstelle ist mit dem Atari ST sicherlich erreicht worden, nur der "Editier-Sumpf" ist bis heute grĂ¶ĂŸer geworden. Ich habe lange Zeit Konzertgitarre gespielt, studiert und Konzerte gegeben und wenn ich Lust hatte Gitarre zu spielen, dann habe ich die Gitarre einfach aus dem Koffer geholt und konnte bereits nach dem Stimmen losspielen; das sollte dann auch das Ziel eines Musikers sein. Wenn ich auf der Gitarre einen Ton wieder und wieder anspiele klingt er im Detail jedesmal anders. WĂŒrde man es schaffen dieses Zufallsprinzip in Synthesizer zu integrieren und zu simulieren, wĂŒrden die elektronische KlĂ€nge wirklich anfangen lebendig zu werden. Die MIDI-Schnittstelle und die herkömmliche Elektronik der Synthesizer sind von ihrem Aufwand her und ihrer KomplexitĂ€t die HĂŒrde, die es zu ĂŒberwinden gilt, um eine grĂ¶ĂŸere Detailtiefe zu erreichen.

AI:

Glaubst Du, dass der DSP-Chip, der bereits im Atari Falcon zum Einsatz kam, ist die Chance Deine Vorstellung zu verwirklichen.

Jam el Mar:

Als Musiker kann ich nur die Forderung an die Entwickler und Hersteller stellen, welche GerĂ€te gebraucht werden, wie die Umsetzung dann aussieht, kann ich nicht beurteilen. Der DSP ist mit seinen Möglichkeiten der Start in die richtige Richtung, um komplexe Algorithmen in Echtzeit zu berechnen, aber ich finde, es steckt noch zu sehr in den Kinderschuhen. Ich wĂŒrde durchaus 30.000 oder 40.000 Mark fĂŒr ein GerĂ€t ausgeben, das diese Detailtiefe schaffen kann und damit ein absolut außergewöhnliches KlangerzeugungsgerĂ€t ist und seinen Charakter hat, die sich aus der Persönlichkeit des Musikers ergibt. Diese ganze Musik klingt momentan so gleich, weil jeder ... die gleichen GerĂ€te zu Hause hat, die dann auch noch fast alle gleichklingen. Vor einigen Jahren definierten sich viele Musiker auch durch ihre klangliche IndividualitĂ€t indem sie Synclavier oder Fairlight benutzen, aber was ist heute noch IndividualitĂ€t, eigentlich gar nichts mehr.

AI:

Der Atari ST ist der erste Rechner, der einer breiten Masse einen leistungsstarken Sequenzer zur VerfĂŒgung gestellt hat und der Atari Falcon ermöglichte ein leistungsstarkes und gĂŒnstiges Harddisk-Recording. Glaubst Du, dass dadurch ein KreativitĂ€tsschub begonnen hat und wie beurteilst Du die Möglichkeiten, die sich aus der weiten Verbreitung ergeben?

Jam el Mar:

Jeder trĂ€umt ja davon eine eigene Platte herauszubringen und jeder DJ fĂŒhlt sich zum Produzenten berufen. Es ist gut, dass die Leute die Möglichkeit haben fĂŒr wenig Geld ihre Ziele zu erreichen und die Technik kreativ einzusetzen, aber andererseits birgt das auch eine gewisse Gefahr. Dadurch, dass die Instrumente und Sequenzer fĂŒr jeden erschwinglich geworden sind, erlaubt es zwar jedem kreativ zu sein und trotzdem glaubt jeder, nur dann Musik zu machen die scheinbar "in" ist, wenn er die gleichen KlĂ€nge und Instrumente gebraucht, wie seine Konkurrenz. Ich glaube, der Mut zur KreativitĂ€t ist einfach nur selten vorhanden. Stell Dir vor, alle Maler wĂŒrden die selben Farben benutzen und die gleichen Bilder malen, bloß weil einmal ein KĂŒnstler damit erfolgreich war. Es wĂ€re nur langweilig und denselben Effekt haben wir derzeit in der elektronischen Musik. Wir haben den Punkt der Gleichförmigkeit erreicht, es gibt nichts neues mehr, die meisten Neuerscheinungen machst nach den ersten Sekunden wieder aus, weil Du sie schon kennst und nicht mehr hören kannst. Es ist sehr schwierig im Moment eine eigene Handschrift hinzubekommen, weil die GerĂ€te fast alle gleiche Sounds und Sounderzeugung verwenden, es ist sehr schwer anders zu klingen. Wer sich aus diesem Sumpf abheben kann und einen eigen Klang kreiert, der hat es eigentlich geschafft, praktisch der Weg zur IndividualitĂ€t hin. Die Ideen mĂŒssen her. Vielleicht mĂŒĂŸte ein DJ einfach den Mut haben, ein StĂŒck mit einem anderen Metrum vorzuspielen und nicht immer auf einem 4/4-Takt rumzureiten. Man kann ja auch sehr gut "abfahren" auf einen 3/4- oder 5/4-Takt. Die Bassdrum kann ja auch ruhig auf jedem Viertel schlagen, aber die Betonung wĂŒrden dem ganzen einen ganz frischen Wind geben. Im Moment wird aber zu viel Geld damit geschöpft, so dass sich kein DJ an etwas Neues traut.

AI:

Wann ist mit dem nÀchsten Album von JAM & SPOON zu rechnen?

Jam el Mar:

Also unmittelbar haben wir, Mark Spoon und ich, noch an keinem Song gearbeitet, so dass auch die soundmĂ€ĂŸige Zukunft fĂŒr uns noch nicht fest steht. Im Mai des nĂ€chsten Jahres ist wohl mit dem nĂ€chsten Album zu rechnen.

AI:

Ich bedanke mich fĂŒr dieses GesprĂ€ch!

Frank von HĂ€fen

FACTS:

FĂŒr das Album "Tripomatic Fairy Tales" setzte JAM EL MAR einen Atari 1040 ST und dem Sequenzer C-Lab Notator SL ein und arbeitet jetzt mit einem Apple Macintosh und den Sequenzer Emagic Notator Logic. Das Equipment erstreckt sich von alten Moog und Roland- Modulsystem bis hin zu neuen GerĂ€ten, wie den Korg Prophecy (ebenfalls Oberheim Xpander und Matrix 1000, Roland JD $00, Roland D50, Nord Lead, Roland TR 808 und TR 909, Waldorf "The Wave" und Microwave, Yamaha TX 802, Quasimidi Technox, E-MU Proteus XR und Procussion, Vocoder, 2x Akai S-2200, Yamaha TG-77, E-MU e64 und Morpheus, Korg Wavestation und Sequential Studio 440. Das Equipment wechselt von Produktion zu Produktion, so dass die Liste der Instrumente nur einen Ausschnitt bildet.