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SMS2

Software

Aus England kommt ein neues netzwerk- und multitaskingfĂ€higes Betriebssystem fĂŒr alle ATARI ST und STE.

Lesen Sie in unserem Artikel, ob hiermit eine neue Ära fĂŒr ATARI-Computer beginnt.

SMS2 - Anbruch einer neuen Ära?

’Kleider machen Leute’. Diese alte Volksweisheit kann auch in gewissem Sinne auf Computer ĂŒbertragen werden, denn die tollste Hardware alleine macht keinen guten Computer aus. Das Betriebssystem ist z.B. einer der entscheidenden Faktoren: das sagte sich die gefrustete Furst Ltd. aus Großbritannien und entwickelte ein neues Betriebssystem, welches wenig Speicherplatz benötigt, aber trotzdem extrem leistungsfĂ€hig ist. Das Ergebnis ist SMS2. das netzwerkfĂ€hige Multitasking-Betriebssystem fĂŒr den ATARI ST. Korrekt verstanden: SMS2 ist ein eigenstĂ€ndiges Betriebssystem, d.h. es benötigt weder TOS noch Mag!c zum Laufen. Auch hat es ĂŒberhaupt nichts mit den alt eingesessenen ATARI- Betriebssystemen zu tun.

SMS2 existiert bereits einige Jahre

Der Grund, warum mit dem Verkauf dieses Betriebssystems erst vor mehreren Monaten begonnen wurde ist, dass man nicht ein möglicherweise noch mit Fehlern behaftetes Betriebssystem gleich nach der Fertigstellung unter die Leute bringen wollte, um so schnell wie möglich Geld zu verdienen. sondern dass alle möglichen Fehler des Betriebssystems vor der MarkteinfĂŒhrung beseitigt werden sollten. Sicherlich ein guter Weg, um KundenĂ€rger zu ersparen. So wurde SMS2 vor der MarkteinfĂŒhrung ca. vier Jahre lang getestet. Die positive Konsequenz dieser langen ’Probezeit’ ist eine große Anzahl an inzwischen fertiggestellter Software, wie z.B. Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, verschiedene Computersprachen etc. Diese Programme stammen sowohl aus dem kommerziellen - als auch aus dem PC-Bereich.

Die Eigenschaften von SMS2 kurz zusammengefaßt: Der Programmcode von SMS2 ist insgesamt ca. 160 KBytes groß. Ausgeliefert wird es in einem ROM-Modul, welches man einfach in den EPROM-Port des ATARI ST steckt. Das Betriebssystem befindet sich auf programmierbaren EPROMs, den sog. PEROMs. Somit können Updates von SMS2 einfach per Diskette eingelesen und auf die PEROMS geschrieben werden. Es verfĂŒgt ĂŒber ein preemptives Multitasking und besitzt außerdem NetzwerkfĂ€higkeiten. Ferner sind die Ein- und Ausgaben gerĂ€teunabhĂ€ngig. D.h. man kann z.B. eine Datei statt auf dem Parallel-Port auf dem Seriell-Port ausgeben.

Das erhÀlt der Kunde

Alle diese FĂ€higkeiten machten mich neugierig. so dass ich den Tag. an dem ich dieses neue Beriebssystem fĂŒr meinen guten alten ATARI ST in den Fingern halten wĂŒrde, nicht erwarten konnte. Endlich war es dann soweit: Ich steckte das ca. 85 mm x 55 mm kleine Modul in den ROM-Port meines Computers. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass ein Multitasking-Betriebssystem mit NetzwerkfĂ€higkeiten auf weniger als 160 KBytes passen soll. Wer SMS2 in seinem ROM-Port hat, muss ĂŒbrigens nicht befĂŒrchten, dass er TOS nie wieder benutzen können wird oder um TOS zu benutzen das Modul immer mĂŒhsam aus dem ROM-Port ziehen muss. DrĂŒckt man wĂ€hrend des Ladens von SMS2 einmal die Escape-Taste, so wird SMS2 umgangen und man befindet sich wieder im guten alten TOS. Ich schaltete also endlich meinen Computer an. Nach weniger als 9 Sekunden erschien dann auch das Desktop von SMS2 auf meinem Monitor. Das gesamte Bild erschien mir, einem TOS-User, ziemlich ungewohnt. Ich benötigte ehrlich gesagt erst einmal einige Minuten Zeit, um mich an die kleine Schrift zu gewöhnen.

Praxis

Am oberen Bildschirmrand ist der ’Button Frame’. Hier können Programme abgelegt werden, die man dann bei Bedarf einfach mit der rechten Maus- Taste wieder aktiviert. Doch schon vor dem Erscheinen des Desktop kam die erste Überraschung: Beim Systemstart suchte SMS2 nicht langwierig nach einer Diskette in Laufwerk A, wie TOS es zu tun pflegt, sondern es war sofort Betriebsbereit. Das ist darauf zurĂŒckzufĂŒhren, dass zum Betrieb des Systems sind Speichermedien nicht zwingend erforderlich. (Deren Einsatz ist allerdings zum Arbeiten ganz sinnvoll). FĂŒr SMS2 wird z.B. keine Festplatte benötigt. FĂŒr Leute, die mit großen Datenmengen arbeiten, ist eine Festplatte natĂŒrlich eine lohnende Investition.

Die zweite Überraschung kam beim Zugriff auf meine Festplatte. Ohne irgendwelche Einstellungen vorzunehmen, hatte ich - natĂŒrlich nach dem ich eine Partition fĂŒr SMS2 formatiert hatte - worauf ich spĂ€ter noch eingehen möchte - das Verzeichnis der ’win 1’ (was soviel heißt wie ’winchester 1’ - Bezeichnung fĂŒr die Festplatte Nr.1) auf dem Bildschirm. Dieses problemlose Arbeiten mit ’unbekannter’ Peripherie ist dem Umstand zu verdanken, dass die GerĂ€tetreiber im Betriebssystem enthalten sind. Man muss also nicht mehr „hier und da“ verschiedene Treiber installieren. Das hat auch große Vorteile bei den Textverarbeitungen, die somit keine eigenen Druckertreiber benötigen. Ein Ausdruck mit der Textverarbeitung ’QD’ auf dem HP Deskjet ging z.B. problemlos. Auch ist das Betreiben von SCSI-Festplatten oder CD-ROM-Laufwerken mittels SCSI-Host-Adaptern kein Problem.

SMS2 kann insgesamt acht Festplatten, acht Diskettenlaufwerke, acht RAM-Disks verwalten. Bei den Diskettenlaufwerken wird momentan nur das DD-Format unterstĂŒtzt. Mit der UnterstĂŒtzung von HD-Laufwerken will man bei Furst Ltd. noch warten, je nach dem, wie die Nachfrage nach SMS2 sein sollte, wird kurzfristig entschieden.

RAM-Disks

Auf die RAM-Disks hat man jederzeit Zugriff. Man kann im CLI (Command Line Interpreter) einstellen, ob die RAM-Disks dynamisch oder sein sollen. Dynamisch heißt, die RAM-Disk wĂ€chst mit der Datenmenge, die darauf geschrieben wird, mit. Bei einer statischen RAM-Disk kann man die GrĂ¶ĂŸe der Disk vorher festlegen.

Bei der Festplatte gibt es noch eine Besonderheit. User, die schon lĂ€nger mit einem ATARI ST arbeiten, wollen sicherlich auch nach dem Kauf eines neuen Betriebssystems auf ihre TOS- Software nicht ganz verzichten. Deshalb kann man auf der Festplatte z.B. nur einige (oder nur eine) Partition fĂŒr SMS2 formatieren. Die restlichen Partitionen können weiterhin von TOS verwendet werden.

Desktop

SMS2 verfĂŒgt ĂŒber ein ’Window Environment’, welches auf XWindow (UNIX) basiert. öffnet man ein Datei-Fenster, so stehen dem Anwender Funktionen wie Formatieren, Kopieren, Verschieben, Löschen, Backup, Drucken, Ansehen usw. zur VerfĂŒgung. Bei den Dateinamen gibt es (ebenfalls wie bei UNIX) keine Begrenzung auf acht Zeichen. Eine Extension wird auch nicht benötigt. Die Anwendungen laufen in Fenstern ab. Man kann z.B. dank Multitasking, einen Text schreiben, den Inhalt einer Datenbank sortieren lassen, im Hintergrund ein Fax empfangen und einen anderen Text ausdrucken. Bei der gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer Programme kann man die PrioritĂ€t fĂŒr die Rechenzeitvergabe an die laufenden Anwendungen verĂ€ndern, so dass z.B. ein rechenintensives Programm auch mehr Rechenzeit vom Prozessor bekommt. Alle Ausgaben sind gepuffert. Der Zugriff auf die Festplatte bzw. das Diskettenlaufwerk bremst den Rechner allerdings ziemlich. Das Formatieren einer Diskette legt den Rechner leider völlig lahm, so dass man das Ende dieser Aktion mit ’gefesselten’ HĂ€nden abwarten muss. Beim Ausdruck eines Textes wird der Text z.B. zuerst in den RAM geschrieben, damit man auf dem Computer weiterarbeiten kann, so dass der Text im Hintergrund ausgedruckt werden kann. Der Druckerpuffer kann ebenso wie eine RAM-Disk dynamisch oder statisch sein.

Die Bedienung des Desktops ist auch fĂŒr jahrelange TOS-Benutzer nach einer kurzen Einarbeitungszeit kein Problem. Auch darf man sich vom CLI nicht abschrecken lassen. Ich persönlich hatte schon immer eine Abneigung gegen CLI. Deshalb ging ich auch mit Widerwillen an den CLI vom SMS2 heran. Doch zu meiner Überraschung ist die Bedienung recht einfach. Die notwendigen Befehle kann man nach 2-3 mal Eingeben, auswendig. Abgesehen davon benötigt man den CLI selten. Also kein Grund zur Sorge.

Klickt man die ’Dateien’-Box einmal mit der rechten Maustaste an, so öffnet sich ein Fenster mit dem Wurzelverzeichnis des voreingestellten Laufwerks. Diese Voreinstellung kann man natĂŒrlich auch selber in die Systemdatei auf das Modul schreiben, so dass diese Einstellung bei jedem Neustart aktiv ist. NatĂŒrlich kann man auch auf jedes andere Laufwerk zugreifen. Die GrĂ¶ĂŸe des Datei-Fensters paßt sich der VerzeichnisgrĂ¶ĂŸe, d.h. an die Anzahl der Dateien bzw. Unterverzeichnisse an. Die FenstergrĂ¶ĂŸe und Lage ist frei verstellbar. Mit der linken Maustaste kann man nun beliebig viele Dateien auswĂ€hlen. Anschließend steht die Möglichkeit offen, eine der zahlreichen Aktionen wie Verschieben, Kopieren, Backup, Löschen, Ausdrucken, Zeigen, usw. auszuwĂ€hlen, welche dann auch mit den vorher selektierten Dateien ausgefĂŒhrt wird. Man kann natĂŒrlich auch eine der Aktionen vor dem AuswĂ€hlen der Dateien anwĂ€hlen. Tut man das, so wird die angewĂ€hlte Aktion sofort nach dem Selektieren einer Datei ohne irgendwelche RĂŒckfragen ausgefĂŒhrt. Das ist eine ganz nĂŒtzliche Funktion, wenn man von der ’Lösch’-Aktion absieht. Denn ist man einmal in die Arbeit vertieft und hat irgendwann eine Datei gelöscht, so kann man aus Versehen auch noch brauchbare Dateien löschen. Denn solange man keine andere Funktion anwĂ€hlt, ist die ’Lösch’-Funktion aktiv und jede Datei, die selektiert wird, wird sofort gelöscht. Hier wĂ€re eine RĂŒckfrage ganz nĂŒtzlich.

Programme

Startet man eine Datei, so erscheint ein Fenster, in welchem man gefragt wird, ob man die entsprechende Datei starten will. ZusĂ€tzlich hat man in diesem Fenster die Möglichkeit, der Datei beim Start diverse Parameter zu ĂŒbergeben.

Benötigt man ein laufendes Programm vorĂŒbergehend nicht, so kann man es ’schlafenlegen’. Der ’Button’ des Programmes erscheint dann im ’Button-Frame’. Klickt man mit der rechten Maustaste auf den Button, so ist das Programm ’wach’, so dass man sofort damit weiterarbeiten kann. Der Anzahl ’schlafender’ bzw. aktiver Programme sind nur durch den verfĂŒgbaren Speicher Grenzen gesetzt.

Das Netzwerk

Nun zum besonderen ’Bonbon’ von SMS2, der Midi-NetzwerkfĂ€higkeit. SMS2 unterstĂŒtzt ein Netzwerk ĂŒber die Midi-Schnittstellen. Nun werden sich einige Leser fragen, warum das Netzwerk ausgerechnet mit den Midi-Schnittstellen realisiert worden ist, da diese eine maximale Übertragungsrate von 32 Kbyte/s haben. Laut Auskunft des Vertreibers von SMS2 in Deutschland fiel die Entscheidung auf den Midi-Port aus dem einfachen Grunde, weil dieser der einzige freie Ein- und Ausgabeanschluß des ATARI ST ist und somit die gĂŒnstigste Lösung darstellt. Am Netzwerk können bis zu 50 Rechner betrieben werden, wobei jeder Rechner seine eigene Nummer erhĂ€lt. SĂ€mtliche Peripherie-GerĂ€te können ĂŒber das Netzwerk bedient werden. Auch können Programme ĂŒber das Netzwerk auf dem eigenen Rechner gestartet werden oder von einem zum anderen Rechner ĂŒbertragen werden. Ebenso können Ausgaben auf andere Rechner umgeleitet werden. Man kann so z.B. einen ATARI ST mit Festplatte und Druckern etc. als Server verwenden und diesen mit zahlreichen anderen ATARIs verbinden. So spart man sich die Festplatte fĂŒr jeden Rechnen Und da die Peripherie in Netzwerken auch ziemlich weit voneinander entfernt sein kann, vor allem bei Druckern ab einer DruckerkabellĂ€nge von ca. 5m Probleme mit der DatenĂŒbertragung auftreten, kann man bei SMS2 den Wert des ’Strobe-Pulses’ so verĂ€ndern, dass auch bei lĂ€ngeren Leitungen der Datenempfang problemlos ablĂ€uft. NatĂŒrlich wird bei grĂ¶ĂŸeren Werten die Druckgeschwindigkeit etwas vermindert.

WĂ€hrend des ganzen Tests erwies sich SMS2 als ziemlich betriebssicher. Nur bei einer Aktion wurden einige UnregelmĂ€ĂŸigkeiten festgestellt: Kopiert man den Inhalt einer voll belegten Diskette in eine RAM-Disk, die bei einem normalen ATARI 1040ST maximal etwas unter 600 KByte fassen kann, so bekommt man die Fehlermeldung: ’Memory insufficent’. Nach dieser Meldung werden einige Teile des Bildschirmes, auf denen man Fenster liegen hatte, nicht wieder neu aufgebaut, sondern bleiben schwarz. Außer diesem kleinen Schönheitsfehler war nichts besonderes festzustellen.

SMS2 wird mit einer System-Diskette ausgeliefert, auf welcher auch einiges an PD-Software zu finden ist, damit man gleich loslegen kann. WĂ€hrend des Tests konnte SMS2 wirklich ĂŒberzeugen. Nur hat die ganze Sache einen kleinen Schönheitsfehler: Der Preis. SMS2 kostet 349 DM. Vergleicht man das mit den Preisen fĂŒr andere Betriebssysteme, so zieht in dieser Hinsicht SMS2 wirklich ’den KĂŒrzeren’. Uns wurde jedoch kurz vor Redaktionsschluss mitgeteilt, dass es an sofort einen neuen Verkaufsmodus gibt: Die Erstversion kostet weiterhin 349 DM, jedes weitere System (z.B. fĂŒr Netzwerklösungen) dann nur noch 298 DM. Um eine grĂ¶ĂŸere Chance auf dem ATARI-Markt zu haben, sollte der Preis schon im Raum der TOS-Erweiterungskarten oder anderen Multitasking-Betriebssystemen fĂŒr TOS-Software liegen. Ein weiterer Nachteil ist, dass es momentan noch eine eher bescheidene Menge an Software gibt (aber ein kleines Programm zum Konvertieren von ASCII-Dateien vom/zum TOS existiert bereits!).

Handbuch

Das mitgelieferte Handbuch ist deutschsprachig. Es könnte jedoch etwas umfangreicher sein. Der Befehl ’win_stop 1’ zum Parken der Festplatte z.B. wird nirgendwo erwĂ€hnt. Ich glaube aber, dass es noch ziemlich viele ATARI-User gibt, die mit einer alten Megafile arbeiten und ihre Platte auch parken sollten. FĂŒr DM 87,50 ist ebenfalls ein Programmierhandbuch in englischer Sprache erhĂ€ltlich. Ich möchte nicht leugnen, dass das Herausgeben eines Programmierhandbuches sehr billig ist. Möchte man aber die Software-Entwicklung fĂŒr ein Betriebssystem fördern, so sollte so ein Handbuch fĂŒr weniger Geld oder sogar umsonst zu haben sein. Denn ein Betriebssystem lebt von der Software. Ich kann nur hoffen, dass Furst Ltd. die Programmentwicklung fĂŒr SMS2 wie Apple gut kontrolliert, damit nicht wie bei TOS jeder sein eigenes SĂŒppchen kocht.

Wer weiß, vielleicht erlebt der ATARI-Markt noch eine ’Renaissance’.