Messebericht ECTS

Die größte europäische Messe für Innovationen aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik findet regelmäßig in London statt. In diesem Jahr wurde dieses Spektakel mit viel Spannung erwartet, da neben einer Menge neuer Spiele und dem CD-ROM-Laufwerk für den Jaguar, auch die neuen Konsolen von Sega und Sony vorgestellt werden sollten. Unsere Redakteure besuchten zwei Tagelang diese Messe, um Ihnen die neusten Nachrichten aus London präsentieren zu können.

Manchmal steht eine Reise schon von Beginn an unter keinem besonders guten Stern. Bereits der Flug nach London in einer zweimotorigen Propellermaschine erwies sich als äußerst stressig und nervenaufreibend, war aber, verglichen mit der ECTS, als eher harmlos und erholsam zu bezeichnen. Aus Platzgründen wichen die Organisatoren der diesjährigen Messe nämlich auf eine weitaus größere Halle aus. Die ECTS in die Grand Hall at Olympia zu verlegen war eigentlich eine gute Idee, gleichzeitig aber nahezu jedem Spielefreak die Tore zu öffnen stieß nicht bei allen Ausstellern und Fachbesuchern auf positive Resonanz. An gemütliche Insidergespräche war so natürlich kaum noch zu denken. Dennoch nahmen sich die verantwortlichen Mitarbeiter von Atari viel Zeit, sich mit uns über die Zukunft des Jaguar, neue Entwickler und kommende Spiele zu unterhalten.

Auffallend war die positive Stimmung, die sich um den Stand der Raubkatze breitmachte. Atari ist seit der Senkung des Verkaufspreises der 64Bit- Konsole in den USA auf 149.- bis 159.- US Dollar mit den Absatzzahlen sehr zufrieden. Eine überarbeitete und dadurch auch kostenoptimierte Platine zeichnet sich für diesen Preissturz verantwortlich. Außerdem war man stolz auf einen neuen Entwickler, denn nur ein paar Tage vor der Messe trug sich der Branchenriese Acclaim in die Developerlisten des Jaguar ein. Vorläufig sind drei Spiele geplant: NBJ Jam - Tournament Edition und Frank Thomas "Big Hurt" Baseball werden die ersten beiden Titel sein und sollen noch in diesem Jahr erscheinen. Über das dritte Game wird noch entschieden. Fest steht nur, dass damit erst 1996 zu rechnen ist. Leider konnte man uns nicht sagen, ob Acclaim diese Spiele selbst umsetzt oder ob Atari dies übernimmt. Bestätigt wurden auch Verhandlungen mit Electronic Arts. Der Spezialist für qualitativ hochwertige Sportspiele liebäugelte bereits seit geraumer Zeit mit dem Jaguar. Leider hatte sich aber EA bis zur ECTS noch nicht entschieden, ob und wann man mit Umsetzungen ihrer Hits auf dem Jaguar rechnen kann.

Eigentlich rechneten alle Besucher mit der Präsentation des CD-ROMs. Leider musste aber der Veröffentlichungstermin erneut verschoben werden. Dafür gab es eine simple Begründung: Blue Lightning, das Spiel, das dem CD-ROM beiliegen soll, war einfach noch nicht fertig. Selbst John Skruch, der extra von Atari USA nach England zu ATD abkommandiert wurde, konnte daran nichts ändern.
Dennoch war es schade, dass Atari weder das CD-ROM noch die Virtual Light Machine gesondert ausstellte.
Viele Spiele am Stand liefen allerdings direkt von CD ab.
Im Gegensatz zur Konkurrenz zeigte Atari eine fast als erstaunlich zu nennende Anzahl neuer Games. Sah man auf dem riesigen Stand von Sony nur circa ein halbes Dutzend Spiele (diese allerdings auf mehr als achtzig Monitoren), so waren es am Atari-Stand derer elf.

Hauptblickfang war Rayman von UbiSoft, das man auf einem besonders großen Monitor testspielen dürfte siehe Preview in der ATARI-Inside 3/95). Das Edel-Jump'n'Run machte nicht nur grafisch einen ausgezeichneten Eindruck, auch die Spielbarkeit begeisterte so manchen Besucher. Allerdings war der Schwierigkeitsgrad nicht ganz niedrig. UbiSoft bestätigte auf Anfrage, dass die Jaguarversion die erste ist, die den Weg in die Läden finden wird. Als Erscheinungstermin wurde uns der Mai genannt.

Auch Soul Star von Core Design wußte zu gefallen. Der 3D-Shooter dürfte einigen Lesern bereits vom Mega CD her bekannt sein. Die Jaguarversion, die auf CD ausgeliefert wird, bestach durch gute Grafik und tollen Sound. Außerdem wurden die Videosequenzen komplett neu auf Workstations berechnet. Vierzehn von neunzehn Missionen waren bereits anwählbar. Soul Star soll im Mai erscheinen.

Das oben bereits erwähnte Blue Lightning von ATD wirkte grafisch noch etwas schwach auf der Brust, konnte technisch und spielerisch aber durchaus Akzente setzen. Die netten Intro- und Zwischensequenzen waren wirklich sehenswert. Wer Blue Lightning auf dem Lynx mochte, der wird diese Version für den Jaguar mit Sicherheit lieben.

Ein großer Hoffnungsträger von Atari konnte nicht ganz überzeugen. Fight For Life hatte es aber auch wirklich schwer, denn nebenan am Sonystand konnte man einen Blick auf Toshinden und Tekken werfen. Leider sahen die Kämpfer von Fight For Life nicht ganz so beeindruckend aus wie die Prügelknaben auf der Playstation, von ruckeliger Grafik konnte aber nicht die Rede sein. Man hatte nie das Gefühl, dass der Bildaufbau nicht schnell genug sei. Auch die Steuerung war durchaus gut gelungen. Die einzigen Haken an FFL waren das Design und die nicht besonders schönen Texturen der verschiedenen Fighter. Vom Endresultat können sich die Fans dieses Genres ebenfalls ab Mai selbst überzeugen. Beim zweiten Prügelspiel am Stand von Atari handelte es sich um Ultra Vortex von Beyond Games. Dieses 2D-Game konnte und wollte seine Ähnlichkeit zu Mrta *omat nicht verleugnen. Die Animationsphasen der Kämpfer waren aber nicht ganz so flüssig. Dafür war, verglichen mit Kasumi Ninja, die Spielbarkeit um Längen besser. Ultra Vortex erscheint im Mai auf Modul.

In Sachen Rennspiele ging Atari gleich mit drei Neulingen an den Start. Das langersehnte Super Burnout sah sehr beeindruckend aus. Das Motorradrennen glich Super Hang On, dem Spielhallenklassiker von SEGA, extrem stark. Neu an Super Burnout war allerdings der Zwei-Spieler Modus, in dem der Bildschirm zweigeteilt wurde. Die Grafik war rasend schnell aber auf die Dauer ein wenig eintönig. Viele Grafikblöcke am Streckenrad wiederholten sich doch recht oft. An der ausgezeichneten Spielbarkeit gab es jedoch keinen Zweifel. Super Burnout wird übrigens sowohl auf Modul als auch auf CD, in einer erweiterten Version, erscheinen. Die CD folgt allerdings erst etwas später. Angepeilter Veröffentlichungstermin ist Juli oder August dieses Jahres.

Etwas enttäuschend war die Präsentation von Formula 1 aus dem Hause Teque. Das Rennspiel erinnerte stark an Checkered Flag. Die Rennwagen sahen zwar entschieden besser aus, die Geschwindigkeit der Grafik ließ aber doch zu wünschen übrig. Lediglich die Spielbarkeit war etwas besser als beim erfolglosen Vorgänger. Auch Formula 1 verfügte über einen Zwei- Spieler Modus mit gesplitteten Bildschirm, leider wurde der Grafikaufbau dadurch aber extrem gebremst. In dieser Form ist Formula 1 keine ernsthafte Konkurrenz zu Spielen wie Ridge Racer oder Virtua Racing. Bis zur Veröffentlichung auf CD im September hat das Team von Teque allerdings noch ein Weilchen Zeit.

Drittes Game im Kreise der Rennboliden war Power Drive Rallyvon Rage Software. Hierbei handelte es sich um eine gelungene Rallysimulation, in der der Spieler von oben auf den zu absolvierenden Kurs schaut. Sechs unterschiedliche Autos werden in der Endversion, die im Sommer auf Modulbasis erscheint, zur Auswahl stehen. Außerdem sorgen 24 verschiedene Rennstrecken für die nötige Abwechslung. Zu den bemerkenswertesten Features von Power Drive Rally zählen die netten Grafik- und Soundeffekte. So werfen alle Objekte echte Schatten und in Wasserpfützen spiegeln sich sogar die Wolken. Außerdem warnt der Beifahrer den Piloten vor gefährlichen Kurven und anderen Gefahrenstellen.

Bleiben wir noch einem Moment bei den Sportspielen. Die Basketballsimulation White Men Can't Jump wartete mit einer interessanten Kameraperspektive auf. Abhängig vom Standort des eigenen Recken veränderte die Kamera lustig ihre Position und zoomte rein und raus. Ein wirklich sehenswerter Effekt der sich auch nicht negativ auf das Spielgeschehen auswirkte. Vier verschiedene Plätze standen zur Wahl. An der Steuerung könnte man aber noch ein wenig feilen. White Men Can't Jump gehört aber in die erste Liga der Sportsimulationen auf dem Jaguar und soll im Mai auf Modul erscheinen.

Positiv überraschte auch Highlander The Last Of The Macleods. Basierend auf der Zeichentrickserie (nicht auf dem Film), erinnerte das Spiel stark an Alone In The Dark. Besonders hervorzuheben war hier aber die genial durchdachte Steuerung der Spielfigur. Selten zuvor konnte man sich so einfach in einer 3D-Welt bewegen. Außerdem war Stephen Mitchell, Manager von Lore Design und gleichzeitig Mitglied des vierzehnköpfigen Entwicklungsteams von Highlander, mächtig stolz auf das gelungene Z-Buffering. Dieses ermöglichte dem Helden, sich nahtlos in die vorberechneten Hintergründe zu integrieren. Stand zum Beispiel ein großer Felsen im Bildvordergrund, so lief die Spielfigur auch tatsächlich dahinter vorbei. Zwischenzeitlich wurden nette Zeichentricksequenzen von der CD eingespielt. Von der Highlander-Serie sind noch zwei weitere Titel geplant. Freuen wir uns aber erst einmal auf den ersten Teil, der laut Aussage von Stephen, im Juni den Weg in die Regale finden wird.

Von Varuna's Forces, einem Actionrollenspiel auf CD ROM war außer einem hervorragenden Intro noch nicht viel zu sehen. Über das Spiel selbst konnten wir uns leider noch kein Urteil bilden. Speziell für uns öffnete Atari ihre geheime Modulbox und ermöglichte uns einen Blick auf Hover Hunter von Hyper Image. Dieses Voxelspaceabenteuer befand sich, genau wie Varuna's Forces, noch in einem sehr frühen Stadium. Die Grafik erinnerte ein wenig an den Hubschraubersimulator Comanche auf dem PC. Auch die Geschwindigkeit war hoch, allerdings befanden sich noch keine Gegner im Spiel. Am Stand von 21th Century Entertainment konnten wir Pinball Fantasies genauer unter die Lupe nehmen. Grafisch hat sich gegenüber der PC- und der Amiga- version kaum etwas geändert. Lediglich die Anzahl der Farben (32000) und der Sound wurde verbessert. An der Spielbarkeit dieses Ausnahmeflippers gab es aber nicht den geringsten Zweifel.

Neben diesen Titeln, die alle schon recht weit fortgeschritten waren, zeigte Atari auf zwei Monitoren noch weitere Games, die sich momentan in der Entwicklung befinden. Karl von Cyberdreams hatte große Ähnlichkeiten mit Super Mario Karl auf dem SNES. Konan, ein Beat'em'Up von Atari, erinnerte an Prügelgames wie Final Fight oder Golden Axe. In der Demo konnten sich zwei Spieler gleichzeitig mit einer Horde wilder Barbaren herumprügeln. Creature Shock von Argonaut war ebenfalls nur auf Video zu sehen, genau wie Primal Rage von Time Warner, wobei es sich hier eindeutig um Sequenzen des erfolgreichen Automaten handelte. Gezeigt wurden außerdem noch einige Ausschnitte von Demolition Man. Aber auch hier waren wir uns nicht ganz sicher, ob es sich bereits um die Jaguarversion handelte. Eigentlich hatten wir uns auf den ersten öffentlichen Auftritt von Jeff Minters Defender 2000 gefreut. Leider tat uns Atari nicht diesen Gefallen. Lediglich ein kleines Video der Defender Plus-Variante war zu sehen. Wirklich schade aber dennoch sehenswert.

Neben vielen Besuchern ließen sich auch einige Entwickler am Jaguarstand sehen. Julian Eggebrecht von Factor 5 ging sehr kritisch mit den gezeigten Titeln um. Leider blieb uns Factor 5 bis heute den Beweis schuldig, dass sie es besser können. Marc Rosocha von Eclipse zeigte sich weiter optimistisch und voll überzeugt von der Hardware der Raubkatze. Marc hatte bereits eine kleine Demo von Iron Soldier II in seiner Jackentasche. Der Nachfolger des Battlemechspektakels verfügt über mehr Textures, gerenderte Zwischensequenzen , neue Gegner und Gebäude und CD-Sound. Außerdem hat sich die Darstellungsart des Bodens geändert. Eclipse benutzt dafür nun den vorn SNES her bekannten Mode 7-Effekt. Francois-Yves Bertrand, der Entwickler von Fight For Life, hat nach eigener Aussage kein besonders großes Interesse an einer Konvertierung weiterer SEGA-Titel. Er möchte sich lieber auf ganz neue Spiele konzentrieren. Auch Kaiko und Software 2000 schauten kurz vorbei. Leider konnten wir aus ihnen keine Neuigkeiten herauskitzeln.

Fazit

Viel Licht und nur ein wenig Schatten am Stand von Atari. Niemand kann sich mehr über fehlende Software für den Jaguar beklagen. Auch qualitativ ist ein Aufwärtstrend nicht zu übersehen. Hauptvorteil des Jaguar im Vergleich mit der Playstation und dem Saturn ist der Preis. 800 DM für ein Videospiel sind einfach indiskutabel. Hier muss und wird Atari auch auf dem deutschen Markt Zeichen setzen. Der Kampf um Europa und die USA hat begonnen. Hoffen wir, dass der Jaguar den Erfolg erhält, den er verdient.


Stefan Kimmling
Aus: Atari Inside 04 / 1995, Seite 68

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