Das Vektor-Modul in Calamus SL: Atari DTP in der Anwendung

Bild 1. Die Tastenkombination »Alternate A« selektiert bei aktiviertem Vektorgrafik-Modul alle Objekte innerhalb eines Vektorgrafik-Rahmens

In unserer Reihe »Verschollene Schätze« finden wir im Calamus SL heute ein Modul, das dem DTPler nicht nur ergänzende Funktionen bietet, sondern gleich ein komplettes Vektorgrafikzeichenprogramm in den Publisher integriert - das Vektor-Modul.

DTP hat sich seinen festen Platz im grafischen Gewerbe erobert. Kaum ein gestalterischer Bereich, der nicht schon durch elektronisches Publizieren abgedeckt würde, kaum ein Betrieb, der nicht in die Desktop-Publikation investiert hätte. Die Software in diesem Markt entwickelte und entwickelt sich sehr unterschiedlich. Es gibt für alle wichtigen Systeme eine Softwarepalette vom schwachen »Nur-Satz-Programm« bis zur ausgefeilten »Alleskönner-Software«. Teilen sich unter Windows und auf dem Mac in der Regel viele Programmpakete die Arbeit, so verfügt ausgerechnet der Außenseiter Atari mit Calamus SL über ein vorbildliches Allround-DTP-System. Wäre die Software voll Postscript-tauglich oder wäre sie auf einem der beiden führenden Systeme lauffähig, könnte DMC einen Duck'schen Geldspeicher bauen. Doch auch so werkelt bereits eine beachtliche Gestalter-Gemeinde täglich mit der mächtigen Software aus dem Rheingau.

So selten diese Gestaltergruppe in die Öffentlichkeit tritt, so leistungsstark ist ihr Programm. Je leistungsstärker eine Software, desto mehr Möglichkeiten liegen allerdings auch unentdeckt brach. Zum einen will nicht jeder seine Software bis zum Letzten ausreizen, zum anderen schreckt die Funktionsfülle des Programms viele Anwender ab. Einen der vergessenen Programmteile, »Speedline«, haben wir bereits in der letzten Ausgabe vorgestellt. Hier nun der nächste Kandidat: das Vektorgrafik-Modul. Haben Sie es geladen, finden Sie sein Icon in der Kopfzeile. Hier kann man es eigentlich nicht vergessen. Trotzdem wissen viele DTPler nichts mit dem erstaunlich vielseitigen Modul anzufangen.

Hinter dem Namen Vektorgrafik-Modul versteckt sich ein komplettes Bézier-Vektorzeichen-Programm. Damit lassen sich innerhalb von Calamus SL nicht nur Vektorgrafiken zeichnen oder bearbeiten. Wie im letzten Heft beschrieben, können Sie in Verbindung mit Speedline auch umfangreiche Textmanipulationen vornehmen. Bevor Sie das Vektormodul öffnen, müssen Sie einen Vektorgrafik-Rahmen aufgezogen und selektiert haben. Klicken Sie jetzt in der Topline das entsprechende Icon an, dann öffnet sich das erste Befehlsfeld des Moduls zur Objektbearbeitung. Insgesamt stehen Ihnen innerhalb des Moduls fünf Befehlsfelder zur Verfügung.

In dem Formular »Diverse Einstellungen« legen Sie fest, wie sich die Manipulationen auswirken, die Sie an einer Vektorgrafik vornehmen. Ob sich die Koordinaten beispielsweise auf die obere linke Ecke Ihres Dokuments beziehen, oder auf die obere linke Ecke des aktiven Vektorgrafik-Rahmens. Wichtig ist auch die richtige Wahl der Verrundungs-Voreinslellung. Selektieren Sie den Button »Verrunden an allen Punkten«, erhalten Sie völlig gleichmäßige, runde Übergänge. Gewollte Ecken werden bei dieser Einstellung gnadenlos weggezaubert. Je nach Einstellung kann Ihnen dies auch beim Verschieben eines Punktes passieren. Also Vorsicht bei der Voreinstellung. Eher als Gimmick ist die Definierbarkeit der Pfad-Farbe bei der Bildschirmdarstellung gedacht. Liegt Ihr Vektorgrafik-Rahmen aber auf einem dunklen Untergrund, erweist sich diese Funktion als sinnvoll.

Bild 2. Einzelne Objekte lassen sich stufenlos drehen, das Handling ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Exakte Winkel sind im Vektorgrafik-Modul nur schwer zu verwirklichen.
Bild 3. Jedem Objekt sind Füllmuster und -Farben zugeordnet
Bild 4. Im Formular »Diverse Einstellungen« legen Sie wichtige Berechnungsgrundlagen fest. Insbesondere die Funktionen zum »Verrunden« sollte man mit Bedacht wählen.

Haben Sie Ihre Voreinstellungen getätigt, können Sie sich an die ersten Gehversuche machen. Der Einfachheit halber importieren Sie hierzu eine vorhandene Vektorgrafik oder erzeugen eine per Autotracer. Ihre Arbeitsfläche ist der selektierte Vektorgrafik-Rahmen, in dem nun die Modul-Software läuft. Verschieben Sie ein Objekt über die Rahmengrenze hinaus, vergrößert Calamus SL automatisch den Vektorgrafik-Rahmen im Dokument entsprechend. Wollen Sie umgekehrt den Rahmen auf ein Minimum verkleinern, erledigen Sie dies im Objektbearbeitungs-Bedienfeld mit einem einzigen Mausklick.

Viele aus anderen Modulen bekannte Icons erleichtern die Arbeit. Sie müssen nicht alles neu erlernen. Die Umschaltung auf Proportional-Rahmen, Rahmen-Kopierfunktion, Layerwahl etc. kennen Sie beispielsweise schon aus dem Rahmenbearbeitungs-Modul. Eine etwas andere Bedeutung hat das für »Gruppenrahmen« bekannte Icon in der oberen Hälfte des Bedienfeldes. Hier zeigt das Icon lediglich an, welcher Art das selektierte Objekt ist. Der Papierkorb des Vektorgrafik-Moduls bezieht sich auf die innerhalb des aktiven Grafikrahmens selektierten Objekte.

Wirklich neu sind innerhalb des ersten Bedienfeldes drei Funktionen. Die erste ist das Icon für Objektzusammenfügung. Hier läßt sich im Vergleich zu anderer Vektorgrafik-Software eine Menge Arbeit sparen. Wollen Sie beispielsweise in Outline Art zwei Objekte verschmelzen, indem Sie die Drehrichtung der Vektorpfade (z.B. Innenkreis und Außenkreis des Buchstaben O) ändern, so müssen Sie dies Pfad für Pfad mühselig bewerkstelligen. Bei komplexen Objekten kann das sehr nervenaufreibend sein. Einfacher geht's im Vektormodul von Calamus SL. Sie selektieren alle Teilobjekte, klicken auf das Icon »Objekte zusammenfügen« und überlassen der Software die Arbeit.

Eine praktische Möglichkeit für gestalterische Spezialeffekte ist die Verzerrfunktion. Selektieren Sie ein Objekt innerhalb ihres Vektorgrafik-Rahmens und klicken Sie auf das Icon »Objekte verzerren«, so stehen Ihnen eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung. Ihr selektiertes Objekt hat acht Zugpunkte. Die Lageveränderung jedes Zugpunktes hat eine andere Wirkung. Die vier Eckpunkte ermöglichen eine perspektische Verzerrung des Objektes.

Die dritte Neuerung ist die stufenlos freie Drehung der Einzelobjekte, wie man sie aus Rastergrafik-Programmen kennt. Hier allerdings drehen Sie die Objekte, ohne Pixeltreppchen zu erzeugen. Beispielsweise können Sie nun den Innenkreis des Buchstaben < O > einzeln drehen und so einen neuen Buchstaben erzeugen. Das Handling dieser Funktion ist allerdings sehr gewöhnungsbedürftig, weil die Objektdrehung selbst bei minimaler Mausbewegung enorm schnell ist. Sie benötigen eine ruhige Hand für die Mausbedienung oder müssen die Maussteuerung auf träge schalten. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, den letzten Stand Ihrer Arbeit vor dem Einsatz dieser Funktion zu speichern. Sie müssen unschön gedrehte Objekte dann nicht mühselig zurückdrehen.

Bild 5. Im Vektorpfad-Editor können Sie Objekte bearbeiten oder neu anlegen. Die Icons erinnern stark an »Outline Art«.
Bild 6. Die Verzerr-Funktion erlaubt das Flüchten in vier perspektivischen Richtungen sowie das Scheren nach oben, unten, links und rechts.
Bild 7. Die fünf Bedienfelder des Vektorgrafik-Moduls auf einen Blick
Bild 8. Im Vektor-Modul lassen sich alle Vektorgrafiken ein- oder umfärben. Das gilt für alte Outline-Art Grafiken ebenso wie für Grafik-Bibliotheken oder eigene Kreationen. Die Farben und/oder Füllmuster definiert man im Formular »Farben/Raster einstellen« frei, per Euroskala oder nach einer Normfarbtabelle wie z.B. HKS.

Die zweite Befehlsgruppe im Vektorgrafik-Modul stellt fünfzehn vordefinierte Objekte zur Verfügung. Die Objekte sind aus dem Rahmen-Modul bekannt, Sie können also auf die Standard-Formen auch im Vektor-Editor zurückgreifen. Neu sind fünf Icons im unteren Bereich des Bedienfeldes. Irritierend ist zunächst der leere Objektrahmen. Der Rahmen bleibt tatsächlich nach dem Aufziehen leer, erst in Verbindung mit der Pfadbearbeitung macht er einen Sinn, denn hier läßt sich das leere Stück beliebig füllen. Praktisch ist vor allem das Icon »letztes Objekt kopieren«. Ziehen Sie einen solchen Objektrahmen auf, so beinhaltet er eine Kopie des zuletzt selektierten Objektes. Mit dieser Funktion plazieren Sie auf einfachste Art und Weise komplexe Grafik-Elemente in jeder gewünschten Größe völlig frei. Natürlich ginge dies auch über die herkömmliche Kopier-Funktion, bei komplexen Gestaltungsaufgaben sparen Sie mit dieser Objektrahmen-Funktion allerdings etliche Mausklicks. Damit Sie nicht nur auf das zuletzt selektierte Objekt zurückgreifen können, erlaubt ein Objekt-Klemmbrett die Zwischenspeicherung häufig benutzter Objektrahmen. Wieder eine Möglichkeit der Arbeits-Rationalisierung. Im dritten Bedienfeld befindet sich mit der Pfadbearbeitung ein vollwertiges kleines Bézier-Vektor-Zeichenprogramm. Hier lassen sich Vektorgrafiken oder Textumflußpolygone erzeugen oder bearbeiten. Outline-Art Kenner finden hier die vertrauten Icons neben einigen neuen wieder. Insgesamt stehen 15 Icons in diesem Bedienfeld zur Verfügung. Neben den aus Outline Art 1.1 bekannten Funktionen wandeln Sie Linien in Bézierkurven um, fügen Pfade zusammen oder schneiden sie auseinander, schneiden Pfade aus Objekten oder schalten Füllmuster ein und aus. Die Pfadbearbeitung ist sehr bedienfreundlich, die Bildschirmdarstellung ist allerdings noch immer etwas hakelig. Die Verschiebung von Pfaden oder Tangenten löst ein Flimmern des bearbeiteten Objekts aus, das bei längerer Tätigkeit vor dem Bildschirm gewaltig stört. Insbesondere die Nerven der Anwender mit einem etwas langsameren Rechner (z.B. Mega ST mit Grafikkarte) werden hier in Mitleidenschaft gezogen. Wesentlicher Vorteil für viele Anwender sind die beiden letzten Bedienfelder für die Definition der Füllmuster und Umrandungs-Farben. Hier können Sie nicht nur neuen Objekten Farben zuweisen sondern auch schwarz-weiße Vektorgrafiken einfärben. Wer hat nicht noch zahlreiche monochrome Vektorgrafiken aus Outline-Art, Arabesque oder anderen Vektor-Editoren auf seiner Festplatte. Auch Material aus kommerziellen Vektor-Bibliotheken läßt sich hier ein-oder umfärben. Für alle, die ansonsten wenig Interesse am arbeitsaufwendigen Erzeugen eigener Vektorgrafiken haben, ist diese Möglichkeit des Vektorgrafik-Moduls die interessanteste. Die Farben definieren Sie SL-typisch im Farb-/Füllmuster-Definitions-Formular. Mittlerweile hat sich dieses Formular gegenüber dem Handbuch ein wenig verändert. Immer wieder stellen SL-Benutzer die Frage, wie man im geänderten Formular neue Farben einfügt. Kopieren Sie einfach die letzte Farbe der Liste, benennen Sie sie um und weisen Sie ihr einen Farbwert oder ein Füllmuster zu. Natürlich können Sie auch Euroskala oder Normfarben (z.B. HKS) verwenden, falls Sie die entsprechenden Farbpaletten besitzen.

Natürlich vergißt man bei der Arbeit sehr schnell, daß mit dem Vektor-Modul eigentlich ein eigenständiges Programm innerhalb des Vektorgrafik-Rahmens arbeitet. Die gewohnte Standard-SL-Bedienung funktioniert in diesem Modul so wie auf dem Calamus Dokument. Leider gibt es noch die eine oder andere Unstimmigkeit. Vorsicht geboten ist beispielsweise bei der Benutzung der vielen Anwendern in Fleisch und Blut übergegangenen Tastaturkürzel. Zwar selektiert »Alternate+A« brav alle Objekte innerhalb des Vektorgrafik-Rahmens, »Alternate+K« vernichtet aber nicht die im Vektorgrafik-Rahmen selektierten Objekte, sondern gleich den kompletten Rahmen. Nach mehrstündiger Arbeit innerhalb des Vektor-Moduls eine Katastrophe. Also Finger weg von »Alternate+K«, wenn Sie nicht Ihren Computer versehentlich aus dem Fenster katapultieren wollen. Doch nun genug geforscht. Viel Spaß bei der praktischen Arbeit. (wk)


Rüdiger Morgenweck
Aus: TOS 04 / 1993, Seite 77

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