Cubase Audio für Falcon

Wenn man in letzter Zeit die Computerzeitschriften las, konnte man fast den Eindruck bekommen, ATARI sei völlig abgeschrieben; nur noch PC und Mac seien überlebensfähig. Daß dies nicht auf allen Gebieten den Tatsachen entspricht und es Märkte mit sogar umgekehrten Vorzeichen gibt, zeigt eine Befragung der Zeitschrift Keyboards unter Musikern in Deutschland. Hier ist weiterhin ATARI ST/STE der am meisten verbreitete Rechner.

So besitzen ca 60% der Musiker einen ATARI, nur 20% einen IBM-Kompatiblen, noch weniger einen Macintosh. Der Musikmarkt ist sicher auch einer der Märkte, auf die ATARI achten sollte. Hier ist noch nichts verloren; aber Vorsicht ist angebracht, bei den geplanten Anschaffungen holt der IBM-kompatible PC langsam auf.

Der erste Schritt in die richtige Richtung ist sicher mit dem Falcon030 getan. Vor lauter Panikmache ist den wenigsten von uns bewußt, was für einen phantastischen Rechner ATARI mit dem Falcon030 entwickelt hat. Hier muß ATARI noch viel Aufklärungsarbeit leisten, ganz ohne Werbung und einen funktionierenden Vertrieb wird der Rechner kaum neue Kunden für ATARI gewinnen. Um ganz ehrlich zu sein: mir ist das Potential des Falcon030 auch erst auf der Musikmesse in Frankfurt so richtig bewußt geworden. Es ist nun mal so, daß alle Theorie grau ist, und erst durch die entsprechende Software kann der Anwender die Möglichkeiten eines Computers einschätzen.

Die Sensation der Musikmesse

Das neu vorgestellte Programm Cubase Audio für Falcon war unter allen Fachleuten die unumstrittene Sensation der diesjährigen Frankfurter Musikmesse. Ein Mitarbeiter von EMU Systems (USA): „This is the smash hit of this show!“ Worum handelt es sich bei diesem Programm, und welche Fähigkeiten des Falcon werden ausgenutzt? Dieses Preview soll Ihnen erste Informationen geben.

Cubase Audio für Falcon ist ein Sequenzerprogramm mit integriertem Mehrspur-Harddisk-Recording, Mischpult, Effekten, Notendarstellung - und das alles (und noch zahlreiche andere Features) mit nur einem Falcon030 und einer zusätzlichen SCSI-Festplatte als Hardware.

Wo ist dabei die Sensation? Harddisk-Recording-Systeme gibt es tatsächlich schon seit ein paar Jahren, hauptsächlich auf der Basis von Apple-Macintosh-Rechnern. Mit der benötigten zusätzlichen Hard-und Software kam man beim Kauf leicht auf ungefähr 25000,- DM für ein komplettes System. Mit dem Falcon030 und dem Cubase Audio wird das ganze ab ca. 5000,-DM möglich und bewegt sich somit etwa in dem Preisbereich, den man für eine ordentliche Mehrspurbandmaschine ausgeben muß. Daß man dabei noch einen schönen Computer (Falcon) sozusagen als Zugabe bekommt, den man auch für andere Aufgaben als Harddisk-Recording nutzen kann, ist ja auch nicht schlecht, oder? Möglich wurde das Ganze dadurch, daß der Falcon vom Werk aus bereits mit zwei 16-Bit-D/A-und A/D-Wandlern und einem DSP-Chip ausgestattet ist. Diese können viele der Funktionen, für die man bei Apple und IBM teuere zusätzliche Hardware benötigt, übernehmen.

Die Qualität der Aufnahme ist dabei nur von den A/D- beziehungsweise D/A-Wandlern des Falcon abhängig. Sie soll nach den Erfahrungen von Steinberg ungefähr der Qualität einer konventionellen Mehrspuraufnahme entsprechen. Für die professionellen Studioanwendungen gibt es ein zusätzliches externes Gerät, Yamaha CBX-D5, mit dem Aufnahmen allerhöchster Qualität erzeugt werden können. Es wird voraussichtlich mit noch einmal 5000,- DM zu Buche schlagen; es ist eben etwas für ganz professionelle Anwendungen.

Cubase Audio wird alles das bieten, was Cubase auch bis jetzt konnte, zusätzlich eine wesentlich verbesserte Notendarstellungs- und Notendruckfunktion und eben die Audioanwendungen. Diese beinhalten bis zu Acht-Spur-Harddisk-Recording, abhängig von der Geschwindigkeit der Festplatte. Je schneller die Festplatte, um so mehr Spuren können bei der Wiedergabe gleichzeitig in den Computer geschaufelt werden. Die Datentransferrate der Festplatte sollte größer als 1,5MB/s sein, die mittlere Zugriffszeit nicht über 15 msec liegen. Garantiert werden mit einer solchen SCSI-Platte auf jeden Fall vier Spuren. Als weitere Möglichkeit kann das RAM des Computers ausgebaut werden, weitere Spuren können dann aus dem RAM laufen (zusammen insgesamt acht). Die interne Platte des Falcons reicht für Harddisk-Recording schon von der Größe her nicht. Man muß für eine Aufnahmeminute auf einer Spur ungefähr 5 MB rechnen. Für fünf Minuten einer Vierspuraufnahme würde man also schon 100MB auf der Festplatte brauchen.

Abb. 1: Die Hauptseite von Cubase Audio mit acht Audiospuren
Abb. 2: Ein ungewollter Knackser in einer Audiospur...
Abb. 3:... wird einfach mit der Maus markiert...
Abb. 4:... und anschließend herausgelöscht.
Abb. 6:... lassen sich nachträglich korrigieren.

Achtung Aufnahme!

Aufgenommen wird über die zwei Mikrophoneingänge, wobei man wahrscheinlich am besten die kleinen Stereo-Klinkenbuchsen durch Chinch-Buchsen ersetzen sollte, was keinen besonders großen handwerklichen Aufwand darstellen dürfte. Die aufgenommenen Spuren können intern im Rechner mit Effekten versehen werden. Hall, Chorus, Delay und Equalizer werden in der ersten Version bereits möglich sein. Wie an einem richtigen Mischpult können einzelne Spuren lauter oder leiser, mit Effekten bearbeitet oder im Panorama rechts und links eingestellt werden.

Weiterhin integriert ist ein kleiner Drum-Sampler. Hier können Sie alles, was Ihnen an Sounds gefällt, samplen, einer Taste zuordnen und in Ihren Stücken benutzen. Was den Drum- von einem richtigen Sampler unterscheidet, ist hauptsächlich die fehlende Möglichkeit, das Sample über das Keyboard in der Tonhöhe zu variieren. Deswegen hat Steinberg ihn auch als Drum-Sampler bezeichnet, doch diese zusätzliche Funktion ist sicher auch eine Bereicherung des Programms.

Ausgegeben werden die Audiodaten bereits fertig abgemischt über den Stereo-Audio-Out des Falcon030. Im Rechner können mindestens 64 Audiospuren aufgenommen, allerdings nur maximal acht gleichzeitig gehört werden. Das heißt aber, daß man z.B. 64mal ein und dasselbe Gitarrensolo einspielen, sich dann die besten Teile zusammensuchen, auf eine Spur kopieren und so schließlich das bestmögliche Ergebnis erzielen kann.

Fehlerkorrekturen

Auch sonst können die Audiodaten vielfältig bearbeitet werden. In Abbildung 2 sehen Sie die Wellen einer Audiospur. Auffällig ist eine kurze senkrechte Linie, die sich von allen anderen Wellen unterscheidet. Tatsächlich entspricht sie einem kurzen „Knackser“, einem Fehler. Den wollen wir entfernen. In der Abbildung 3 sehen Sie den Feind schon identifiziert und markiert, in der Abbildung 4 ist der Fehler bereits entfernt. Faszinierend! Das nächste Beispiel zeigt, wie ein rhythmischer Fehler nachträglich korrigiert werden kann. In der Abbildung 5 sehen Sie zwei parallele Spuren. Der schwarz unterlegte Teil paßt rhythmisch nicht zu seinem Gegenpart auf der Parallelspur. In der Abbildung 6 haben wir den Fehler korrigiert, jetzt sind die zwei Stimmen exakt im richtigen Timing.

Das Programm ist zudem in der Lage, Tempoberechnungen durchzuführen. Sie nehmen zum Beispiel acht Takte einer CD in Stereo auf Ihre Harddisk auf. Wenn Sie die „Eins“ eines Taktes und die „Eins“ des nächsten Taktes markieren, errechnet das Programm automatisch das Tempo der Aufnahme, Sie können jetzt Ihr restliches Playback auf diese acht Takte abstimmen.

Im Programm gibt es einen Pool aller aufgenommenen Daten, auf die jederzeit zugegriffen werden kann, Sie können also ein Sample oder einen Takt, den Sie einmal aufgenommen haben, an einer anderen Stelle wieder verwenden. Abbildung 7 zeigt den Pool-Editor.

Ich glaube, als kleine Vorschau dürfte das genügen; es müßte auch jedem klar geworden sein, warum dieses Programm zum Hit der Frankfurter Musikmesse erklärt wurde. Noch ein paar solcher innovativen Programme, die die Möglichkeiten des Falcon so eindrucksvoll demonstrieren - und man wird nicht mehr um die Zukunft von ATARI bangen müssen.

Bei aller Begeisterung für das Harddisk-Recording bleibt noch eine wichtige Frage offen, nämlich die des Backups. Was macht man, wenn man sein Stück aufgenommen hat und die Festplatte voll ist? Selbst wenn das Stück schon abgemischt ist, muß es eine Möglichkeit geben, es zu archivieren, vielleicht will man es ja ein paar Monate später noch einmal anders abmischen? Muß man für jedes Stück eine neue Festplatte kaufen, oder macht man schnell ein Backup auf zweihundert Disketten? Natürlich gibt es auch noch die Möglichkeit, einen Streamer, eine Wechselplatte oder eine Optical-Disk als Backup-Medium einzusetzen. Billig sind diese Lösungen aber auf keinen Fall. Die einzig gangbare Möglichkeit ist eine digitale Überspielung auf DAT-Rekorder, so wird es auf dem Macintosh auch gemacht. An der dazu notwendigen Soft- und Hardware wird bei Steinberg im Augenblick gearbeitet.

Cubase Audio für Falcon soll im Juni 1993 erscheinen und ungefähr 1700,- DM kosten. Wenn man den jetzigen Zustand des Programms betrachtet, dürfte bei aller Skepsis bezüglich Ankündigungen von Software-Firmen der Erscheinungstermin realistisch sein. Ungefähr zur gleichen Zeit soll auch Steinbergs Cubase-Score für ATARI erscheinen, eine Cubase-Version, die außer der Audiofunktion alle Funktionen von Cubase Audio beinhaltet. Wie der Name schon sagt: neu sind hauptsächlich die ausgefeilte Notendarstellung und der Notenausdruck.

Der Preis von 1700,- DM für die Audioversion erscheint einem durch Low-Cost-Programme verwöhnten ATARI-Anwender zunächst ziemlich hoch. Bedenkt man jedoch, was man für dieses Geld bekommt und wieviel zum Beispiel ein Programm wie „Word for Windows“ kostet, sieht der Preis schon um einiges akzeptabler aus. Wenn Cubase Audio für Falcon auch kein Programm für jedermann sein wird, halte ich es doch für eines der Programme, die für ATARI lebensnotwendig werden könnten. Eins ist sicher, dieses Programm wird weltweit das Herz eines jeden Musikers schneller schlagen lassen.

Ich habe mir auf jeden Fall sofort, nachdem ich dieses Programm gesehen habe, einen Falcon bestellt und verkaufe meine Acht-Spur-Bandmaschine. Kennen Sie nicht zufällig jemanden, der an einer...

Bezugsquelle:

(ca. ab Juni 1993)

Steinberg MIDI-Software Eiffestraße 596 W-2000 Hamburg 26

Abb.7: Der Pool-Editor erlaubt die vielfältige Verwendung aller Audio-Samples.

Glossar

Für diejenigen, die sich in der neuen Begriffswelt der elektronischen Musik noch nicht auskennen, ein paar kurze Erläuterungen der wichtigsten Begriffe.

Mehrspur-Recording (neudeutsch für Mehrspuraufnahme) ist eine mittlerweile vielgenutzte Möglichkeit, Instrumente nacheinander, statt alle zusammen auf Band aufzunehmen. Wie geht das vor sich, und wozu ist es gut? Wenn Sie mit Ihrem Kassettenrekorder eine Musikaufnahme machen, ist sie quasi endgültig. Wenn Sie die Kassette zurückspulen und noch einmal aufnehmen, wird die Aufnahme, die vorher auf dem Band war unwiederbringlich gelöscht. Bei der Mehrspurtechnik dagegen ist es nicht so. Sie können eine Gruppe von Musikern, zum Beispiel den Schlagzeuger, den Bassisten und den Gitarristen, an einem Tag aufnehmen, die Streicher am nächstenTag dazu spielen lassen, ohne daß die vorherige Aufnahme gelöscht wird, und sagen wir, die Bläser am übernächsten Tag. Hinterher können Sie in aller Ruhe alles zusammenmischen. Die Vorteile liegen auf der Hand: man kann zum Beispiel einzelne Instrumente ausbessern, ohne daß alle mitspielen müssen. Wenn einem eine Woche später einfällt, daß man ein Instrument gerne lauter hätte, ist es kein Problem, es beim Abmischen etwas hervorzuheben. Bei der konventionellen Aufnahme wäre das nicht mehr möglich.

Digital-Recording. Bei dieser Aufnahmetechnik wird die Musik nicht so, wie sie ist, auf ein Band aufgenommen, sondern zuerst mit einem Analog/Digital-Wandler in digitale Informationen umgewandelt und auf Band gespeichert. Beim Abspielen werden diese Informationen wieder in normal hörbare, also analoge Informationen gewandelt. Was dabei herauskommt, ist eine qualitativ hochwertige Aufnahme, die nicht mit den Schwächen des Bandes, wie zum Beispiel Rauschen, zu kämpfen hat.

Harddisk-Recording. Dabei wird ebenfalls die analoge Information Musik (Stimme, akustische Gitarre, Flöte...) mit einem A/D-Wandler in eine digitale umgewandelt. Sie wird aber direkt auf einer Festplatte gespeichert. Dort kann weiterhin auf sie zugegriffen werden, und mit einer entsprechenden Software kann sie sehr bequem weiterbearbeitet, kopiert oder geschnitten werden. Ein kleines störendes Geräusch oder ein falscher Ton können einfach aufgesucht und herausgelöscht werden, eine Melodie läßt sich an eine andere Stelle kopieren, ein zu spät gespielter Ton kann nach vorne gezogen werden oder umgekehrt. Eine faszinierende neue Art, mit musikalischem Material umzugehen.

MIDI ist eine weltweit gültige Norm zur Übertragung von digitalen Musikdaten. In der Praxis heißt das, daß der Synthesizer der Firma A sich ohne Schwierigkeiten mit dem Synthesizer der Firma B versteht, der Sequenzer der Firma C mit dem Effektgerät der Firma D usw. Es gibt sechzehn MiDI-Kanäle, auf jedem dieser Kanäle kann eine andere musikalische Information gesendet werden: zum Beispiel auf Kanal 1 das Klavier, auf Kanal 2 der Baß, auf Kanal 3 die Streicher usw.

Hardware-Sequenzer heißt ein Gerät, das in der Lage ist, MIDI-Informationen auf mehreren Spuren zu speichern, vielfältig zu bearbeiten und wieder herauszugeben. Sie können also „Für Elise“ im Schneckentempo einspielen, Fehler korrigieren und fehlerfrei und in berauschender Geschwindigkeit abspielen. Sie können (vorausgesetzt, Sie haben den oder die nötigen Synthesizer) mehrere Instrumente nacheinander einspielen, sie nach Lust und Laune verändern und hinterher zusammen als eine Band abhören. Wahrscheinlich ist die Hälfte von allem, was Sie in den Medien an Musik hören, auf diese Art und Weise aufgenommen worden. So manche toll klingende Band, die ihren Lieblingssänger begleitet, besteht nicht aus inspirierten Musikern, sondern wurde von einem einzigen Menschen in seinem kleinen Kellerstudio auf einem ATARI programmiert.

Software-Sequenzer heißt ein Computerprogramm, das die Hardware des Computers dazu benutzt, das gleiche zu tun wie der Hardware-Sequenzer. Über die MIDI-Schnittstelle kommen von dem angeschlossenen Synthesizer die Informationen in den Computer hinein, können dort meistens noch bequemer als beim Hardware-Sequenzer weiterverarbeitet und schließlich über die MIDI-Schnittstelle wiederausgegeben werden. Vorteile des Software-Sequenzers: Software ist flexibler, kann verbessert werden (Updates); übersichtlicher, großer Bildschirm: Tastatur usw. Einziger Nachteil der Software-Lösung: ein Computer ist nicht so transportabel und für die Bühne in den meisten Situationen etwas zu aufwendig. Für jeden, der den Hardware-Sequenzer nicht auf die Bühne mitnehmen will, ist die Software-Lösung der bessere Kauf.

Synthesizer nennt man ein elektronisches Musikinstrument, das in der Lage ist, Klänge zu erzeugen. Je nach Instrument und Hersteller liegt der Schwerpunkt dabei auf der Nachahmung echter Musikinstrumente wie Klavier, Baß, Schlagzeug usw. oder auf Phantasie-Sounds, die es auf konventionellen Instrumenten nicht gibt. Alle neueren Synthesizer sind mit einer MIDI-Schnittstelle ausgerüstet, die meisten bieten die Möglichkeit, in Multimode zu spielen, das heißt, unterschiedliche Klänge zur gleichen Zeit wiederzugeben. Das ist besonders im Betrieb mit einem Sequenzer wichtig, wo sie auf den verschiedenen MIDI-Kanälen unterschiedliche Instrumente ansteuern können und ein Synthesizer zum Schluß wie eine ganze Band klingen kann.

Sampler meint ein Gerät, das in der Lage ist, Klänge von natürlichen Instrumenten aufzunehmen, zu bearbeiten und zu speichern. Sie können über eine angeschlossene MIDI-Tastatur oder einen -Sequenzer gespielt werden. Wenn der Sampler und das Sample von hoher Qualität sind und ein guter Musiker ihn spielt, können ein Sampler und ein echtes Musikinstrument täuschend ähnlich klingen.

Interview mit Karl Steinberg

Juraj Galan befragte Karl Steinberg über das neue Cubase Audio.

ST-Computer: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, einen Sequenzer zu programmieren?

Karl Steinberg: Es war so, daß ich zu der Zeit im Studio gearbeitet habe, und Manfred Rürup, mein Partner, dort gerade sein Soloprojekt in Richtung Neue Deutsche Welle aufgenommen hat. Wir haben uns im Studio getroffen und gleich gut verstanden. Manfred arbeitete in der Keyboard-Abteilung von Amptown (Anmerk. d. Red.: bekanntes Musikgeschäft) und hatte immer das neueste Equipment. Dort haben wir auch mal so einen Sequenzer von Sequential Circuits in die Hand bekommen. Irgendwann kam Manfred mit den MIDI-Spezifikationen an. Ich habe schon immer etwas gebastelt und mich dann mit Computern beschäftigt (ZX81, Spectrum). Wir haben uns einen C64 besorgt. Und ich sagte mir, das ist ja ganz toll, damit könnte man ein Aufnahmesystem machen. Innerhalb von vier Wochen haben wir das erste Programm geschrieben.

ST-Computer: So schnell?

K. Steinberg: Ja, es ging sehr schnell, die Hauptarbeit war, die Sache mit dem MIDI-Interface hinzukriegen. Das haben wir selbst gebaut, sind dann damit in die Läden gegangen, haben es dort vorgeführt und gesagt, daß das toll sei. Die meisten haben damals gar nicht verstanden, worum es geht. So ganz langsam kamen aber so einige Meldungen, daß man das Interface haben wollte. Wir haben also in Heimarbeit die Interfaces zusammengelötet. Die „Firma“ bestand damals aus Manfred, seiner Frau und mir.

ST-Computer: Irgendwelche Software-Sequenzer habt Ihr zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gekannt?

K. Steinberg: Nein, im nachhinein habe ich erfahren, daß es in Amerika einen gab. In Deutschland gab es von Jellinghaus einen Sequenzer, bei dem mußte man aber eintippen, statt spielen, es war ein mehr textorientierter Sequenzer.

ST-Computer: Wann war das alles eigentlich?

K. Steinberg: So ungefähr vor zehn Jahren, ca. 1982-83. Weitere Mitarbeiter kamen langsam dazu, und wir bekamen ziemlich schnell einen ATARI ST und brachten den Twenty Four heraus. Das war ein Jahr bevor überhaupt eine andere Firma einen Sequenzer für den ATARI geschrieben hat.

ST-Computer: Ich denke, Euer Programm hat zur Verbreitung des ATARI ST maßgeblich beigetragen, zumindest bei den Musikern.

K. Steinberg: Es war erstaunlich, daß die Musiker sich den ATARI gekauft haben, obwohl sie noch gar nichts von Twenty Four wußten.

ST-Computer: Doch, man hat schon irgendwie gewußt, daß es da ein Sequenzerprogramm für den ATARI ST geben wird. Ich war damals auch einer von denen, die den Umstieg vom C64 ganz schnell gewagt haben.

K. Steinberg: Der MIDI Port, der war es. Eigentlich eine Kleinigkeit.

ST-Computer: Vielleicht ist jetzt die Zeit reif dafür, daß sich ATARI wieder stärker an die Marktnische Computer & Musik wendet?

K. Steinberg: Ja, man sieht ja, daß sie mit dem Falcon auch da hinzielen. Das war am Anfang ganz anders. Es lag wahrscheinlich daran, daß dieser Erfolg bei den Musikern ein europäisches Phänomen war. In Amerika hat ATARI das zunächst nicht erkannt, beziehungsweise auch zu wenig supportet. Das ist mittlerweile schon wesentlich besser geworden.

ST-Computer: Wenn wir schon dabei sind - Ihr habt ja auch für Apple programmiert. Wie ist der Support dort, gibt es wesentliche Unterschiede zu ATARI?

K. Steinberg: Es ist schon so, daß der Support von Apple vorbildlich ist, schon fast zu gut. Man wird mit Informationen nahezu erschlagen. Aber Apple hat auch ein sehr durchsichtiges System für Entwickler, es gibt nichts, was im Verborgenen bleibt, es wird immer alles sehr genau beschrieben. Das ist, glaube ich, auch einer der Gründe für den Erfolg und auch die Qualität von Apple, daß die Entwickler sehr stark angehalten werden, diese Richtlinien zu verfolgen. Bei ATARI ist das nicht immer so einfach, an die Informationen heranzukommen. Erstens hat sich das aber im Laufe der Zeit wesentlich gebessert, zweitens ist auch der Anspruch an einen ATARI ein anderer. Das Betriebssystem hat einfach nicht diesen riesigen Umfang, den das Betriebssystem von Apple bietet. Wie man sieht, kann man trotzdem mit dem ATARI ganz gut zurechtkommen, und deswegen meine ich, daß er absolut seine Berechtigung hat, gerade im Musikbereich. Was ganz sicher nötig war, ist ein Computer wie der Falcon.

ST-Computer: Warum meinst Du das?

K. Steinberg: Überall munkelte man in letzter Zeit, daß ATARI ja so schwach sei, Mac und PC seien viel besser. Aber ich glaube, daß das sehr übertrieben ist. Gerade der Falcon zeigt, daß sie es doch machen können. Sie liefern ihn aus und die Nachfrage ist, soweit ich gehört habe, größer als das Angebot. Und es ist ein ganz phantastischer Rechner, da gibt’s gar nichts.

ST-Computer: Noch einmal die Frage an den Programmierer: Wie kommt man mit dem Betriebssystem zurecht? Gibt es Bugs, die einem das Leben besonders schwermachen, man hört ja manchmal Klagen?

K. Steinberg: Also, ich sehe das nicht so negativ. Es gibt sicher mal Probleme mit dem Betriebssystem, aber die sind nicht so gewaltig, daß man sie nicht in den Griff bekommen würde. Ich halte es für übertrieben, es so schlecht zu machen. Ich denke, daß jedes Betriebssystem seine Bugs und Schwierigkeiten hat, um die man herumprogrammieren muß.

ST-Computer: Ist es leichter für den Mac zu programmieren?

K. Steinberg: Es ist auf der einen Seite wesentlich leichter, aber auf der anderen Seite viel schwieriger, weil der Umfang viel größer ist. Das Betriebssystem des Mac bietet so viele Möglichkeiten - bis man sich da eingearbeitet hat... Ich kenne nur ganz wenige Leute, die es wirklich im Griff haben. Von daher ist es also wieder viel schwieriger. Andererseits ist es eben ein sehr sauberes Betriebssystem und sehr gut dokumentiert. Es ist ja nicht schlimm, wenn ein Betriebssystem einen Bug hat, nur dokumentiert muß es sein, man muß es wissen. Dann ist es nicht schwer, da drumherumzukommen. Das macht Apple sehr konsequent. Sie decken Fehler auf und sagen, wie man drumherumkommt. Aber wie gesagt so schlecht, wie das ATARI-Betriebssystem oft gemacht wird, ist es wirklich nicht.

ST-Computer: Basiert Falcon Audio weiterhin auf MROS?

K. Steinberg: Ja, natürlich, das funktioniert sehr gut.

ST-Computer: Jetzt gibt es das MultiTOS in der Version 1.0. Habt Ihr damit schon Erfahrungen gemacht?

K. Steinberg: Also, ich habe da bisher nur sehr wenig getestet, und das sah eigentlich ziemlich gut aus.

ST-Computer: Wird Falcon Audio in der nächsten Zukunft unter MultiTOS laufen?

K. Steinberg: Es könnte sein, daß das sehr schwierig sein wird, weil das File-System bei dem Programm natürlich sehr stark beansprucht wird, wir machen ja Harddisk-Recording. Ob das im Multitasking funktionieren kann, halte ich für fraglich. Aber ich will es auch nicht ausschließen. Mit dem MultiTOS warte ich noch ein bißchen ab, wir wollen das Programm erst einmal ganz fertig haben, und dann können wir mit dem MultiTOS herumexperimentieren. Ich denke, daß das MultiTOS ein ganz positiver Ansatz ist, es macht einen ganz guten Eindruck, aber man muß als Entwickler etwas umdenken und auf die dort existierenden Regeln eingehen. Wenn sich das MultiTOS einmal etabliert hat, sehe ich auch eher die Möglichkeit eine Einigung unter den Entwicklern zu erzielen, speziell mit Emagic. Die einzelnen Firmen kapseln sich nicht mehr ganz so stark voneinander ab, wie das früher der Fall war.

ST-Computer: Bei C-Lab (Anmerk. d. Red.: ehemaliger Mitbewerber auf dem Musik-Software-Markt, deren Produkte die Firma Emagic übernommen hat) gab es ja wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wie sieht es bei Steinberg wirtschaftlich aus?

K. Steinberg: Bei uns sieht es nicht so schlecht aus (lacht).

ST-Computer: Wie groß ist eigentlich Steinberg?

K. Steinberg: Ich glaube, diese wirtschaftlichen Sachen kann Dir besser Ralf beantworten.

Ralf Schlünzen: Was die Musik-Software anbetrifft, gehören wir mittlerweile weltweit zu den führenden Herstellern. Hardware machen wir nur, um unsere Software optimal zu unterstützen, wir sind und bleiben hauptsächlich eine Software-Firma. Wir haben weltweit ungefähr vierzig Vertriebe, es gibt uns mittlerweile auf Neu Seeland, auf Island, in Australien, sogar in Nigeria. Wir können also einen ziemlich gut funktionierenden Support auf der ganzen Weit bieten.

ST-Computer: Wie ist es in Amerika?

R. Schlünzen: Dort haben wir ein Joint Venture, es heißt Steinberg-Jones, und auch dort entwickelt es sich für uns ziemlich gut, seitdem wir Cubase für den Macintosh herausgebracht haben. Natürlich war die erste Version etwas hinter der ATARI-Version zurück, aber jetzt ist sie mit Cubase Audio sogar etwas weiter als auf dem ATARI, und das hat zu unserem Erfolg in den Staaten sicher beigetragen. Weiter aufwärts geht es dort, seitdem wir Cubase für Windows herausgebracht haben.

ST-Computer: Wie sieht es weltweit vom Umsatz her bei den einzelnen Rechnerplattformen aus?

R. Schlünzen: Das ist ganz interessant. Überall heißt es in letzter Zeit, ATARI sei tot. Wir machen weiterhin mit Software für ATARI den größten Umsatz, gefolgt von Windows und dann erst vom Macintosh. Fairerweise muß man sagen, daß ein richtiger Vergleich erst dann möglich sein wird, wenn wir unser angestrebtes Ziel erreicht haben, nämlich auf jedem Rechner Cubase in vier unterschiedlichen Ausbaustufen anbieten zu können: Cubase Light, Cubase 2.5 (kein Notendruck, kein Harddisk-Recording, sonst alle Features), Cubase Score (zusätzlich stark erweiterte Notendruckmöglichkeiten) und schließlich Cubase Audio (zusätzlich Harddisk-Recording). Dann könnte eventuell die Windows-Version aufholen. Aber man kann nicht von der gesamten, riesigen Zahl der Windows-Anwender ausgehen, denn die meisten Rechner mit Windows stehen im Büro und nicht im Studio. Andererseits muß man sagen, daß es sehr viele verunsicherte ATARI-User gibt, die daran denken, sich einen PC zu kaufen. Ich war völlig überrascht; als der erste Falcon hierbei uns eintraf, war die einhellige Meinung aller Entwickler: „toll“. Ich glaube dieses Vertrauen, das der Falcon als Rechner in unserer Firma genießt, muß man in den Markt bekommen. Wieviele Händler sind von ATARI in der Zwischenzeit abgesprungen? Die Vertriebskanäle sind sehr geschwächt. Man kann sich nur wünschen, daß ATARI jetzt eine konsequente Vertriebspolitik betreibt, und es dem Handel so einfach wie möglich macht.

K. Steinberg: Man konnte es ja auch jetzt auf der CeBIT sehen, wieviele Leute begeistert waren vom Falcon. Es ist ja auch „die Alternative“ für den Home-User. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, daß möglichst viele das Potential vom Falcon erkennen.

ST-Computer: Wie ist die Programmierarbeit bei euch geteilt. Programmierst Du alleine an einem Programm, oder ist es eher Teamarbeit?

K. Steinberg: Wir haben mittlerweile ein eingeschworenes Cubase-Team, das an den Programmen zusammen arbeitet. Der harte Kern sind ungefähr zehn Leute.

ST-Computer: Ralf, wie ist es mit den neuen Cubase-Produkten, wird es eine Möglichkeit zum Upgraden geben?

R. Schlünzen: Ja, sogar zwischen den einzelnen Rechnern. Wenn man also ein Cubase für Windows hat und kauft sich einen Falcon, wird man auf diese Version upgraden können - sozusagen ein Crossgrade. Übrigens versuchen wir, möglichst von dem, was zurück kommt, zu recyclen.

ST-Computer: Sind die Files auf den einzelnen Rechnern untereinander kompatibel, oder muß man über Standard-MIDI-File gehen, wenn man zum Beispiel ein Stück auf dem ATARI abgespeichert hat und es in den Mac einladen will?

R. Schlünzen: Die Files sind voll untereinander kompatibel, das ist also überhaupt kein Problem. Es geht sogar soweit, daß man einen Song in Cubase Audio erstellen, ihn dann in Cubase Score einladen und weiterbearbeiten kann. Die Audiodaten werden dabei ausgeblendet. Lädt man den veränderten Song dann wieder in Cubase Audio ein, sind die Audiodaten wieder da.

ST-Computer: Ist es dann auch möglich, die Audiodaten von Falcon Audio zum Beispiel in Mac Audio zu benutzen?

K. Steinberg: Ja, es ist möglich, dafür gibt es von uns Konvertierungsprogramme. Die Falcon-Audio- und die CBX-D5-Versionen sind voll kompatibel, da braucht man nicht einmal eine Konvertierung.

ST-Computer: Was siehst Du in der nächsten Zukunft so an interessanten neuen Entwicklungen, was Software, speziell Musik-Software, anbetrifft, auf uns zukommen?

K. Steinberg: Verschiedene Arten von Manipulation der Daten (Time Stretching), oder auch eine interessante Entwicklung: die Verbindung von Musik und Video auf einem Rechner.

ST-Computer: Meinst Du, daß so etwas auf dem Falcon möglich sein könnte?

K. Steinberg: Ob das ganz ohne zusätzliche Hardware möglich sein wird, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall denke ich, daß der Falcon für solche Aufgaben prädestiniert ist.

ST-Computer: Wir danken für dieses Gespräch.


Juraj Galan
Aus: ST-Computer 05 / 1993, Seite 42

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