EasyType - Das Ende des 2-Finger-Suchsystems

Wer kennt das nicht: Eine umfangreiche Hausarbeit, Diplomarbeit oder ähnliches soll innerhalb einer festgesetzten Zeit erstellt werden. An Wissen und Ideen mangelt es ebensowenig wie an einem ATARI-Computer nebst State-Of-The-Art-Textverarbeitung. Trotzdem geht die Schreibarbeit nur schleppend voran - kein Wunder, wenn man dazu nur zwei anstatt alle zehn Finger benutzt. Man stolpert über das verstaubte Schreibmaschinen-Übungsheft oder erinnert sich an den längst vergessenen Vorsatz, irgendwann einmal einen entsprechenden Lehrgang zu besuchen. Damit ist jetzt vielleicht Schluß, denn es gibt Easy-Type, ein Lernprogramm für das 10-Finger-System von BELA.

Schon seit Monaten quälte ich mich mit einem der gängigen Übungshefte für das 10-Finger-System herum. Falls Sie ebenfalls diese harte Schule durchlaufen haben, können Sie meine damit gemachten Erfahrungen sicherlich bestätigen: Ständig muß man die Blickrichtung zwischen Textvorlage und Bildschirm wechseln, um eventuell unterlaufene Tippfehler zu erkennen bzw. zu korrigieren (Soll-Ist-Vergleich). Abschließend kommt die zermürbende Zählung von Anschlägen und Fehlern, damit der (hoffentlich) steigende Lernerfolg meßbar wird. Außerdem kann man die Tippgeschwindigkeit in Anschlägen pro Minute nur abschätzen, da man keine dritte Hand für eine Stoppuhr hat. Auf meiner bislang ergebnislosen Suche nach einem geeigneten Lernprogramm für den ATARI bin ich Ende vergangenen Jahres auf Easy Type gestoßen. Ohne vorgreifen zu wollen: Im 10-Finger-System bin ich jetzt fit!

Aller Anfang

Das Programm selbst macht durchaus keinen so antiquierten Eindruck wie die mechanische Schreibmaschine, die auf dem Disketten-Label abgebildet ist. Easy Type stellt sich nach dem Programmstart in eher futuristisch anmutenden Buchstaben selbst vor. Gleichzeitig erscheint die exakt maßstabsgetreue Darstellung der ATARI-Tastatur. Nach Abschluß dieser Eröffnungszeremonie befindet man sich im gewohnten GEM-Menü und kann aus dem reichhaltigen Angebot auswählen (vgl. Bild 1).

Wer die Wahl hat...

Im Optionen-Menü werden die wichtigsten Programmparameter und -funktionen eingestellt. Unter den Menüs Übungen I+II können die insgesamt 29 Übungen aufgerufen werden. Da diese aufeinander aufbauen, sollten sie in der vorgegebenen Reihenfolge bearbeitet werden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden in jeder Übung zwei neue Tasten erlernt. Nach Abschluß der letzten Übung beherrscht man also das gesamte Tastenfeld. Um im Anschluß daran noch die Schreibsicherheit und -geschwindigkeit zu erhöhen, können unter dem Texte-Menü neun weitere Übungstexte durchgearbeitet werden. Wem das immer noch nicht reichen sollte, der kann eigene Übungstexte entwerfen und in das Lernprogramm einladen. Die Auswertungen des Statistik Menüs bieten eine unbestechliche Erfolgskontrolle. Zu jedem Menütitel kann im Hilfe-Menü eine Kurzbeschreibung abgerufen werden, die eine weitere Dokumentation fast überflüssig macht. Das Programm läßt sich leicht und intuitiv sowohl mit der Maus als auch mit Tastenkombinationen bedienen.

Bild 1: Die Menüs im Überblick

Übung macht...

Die typische Bildschirmdarstellung während der Bearbeitung einer Übung zeigt das Titelbild. Die beiden wesentlichen Elemente sind die Tastaturgrafik und das Textfenster. Im Textfenster erscheint der Übungstext abschnittsweise mit bis zu fünf Zeilen gleichzeitig. Unter dem gerade einzugebenden Zeichen befindet sich ein Cursor. Die entsprechende Taste wird auf der Tastaturgrafik invertiert dargestellt. Auf diese Weise prägt man sich die Tastenanordnung schnell ein und kommt nicht in Versuchung, ständig auf die reale Tastatur zu schielen. Fortgeschrittene können diese Tastaturgrafik natürlich auch ausschalten.

Bei jeder falsch angeschlagenen Taste ertönt ein glockenähnlicher Fehlerton. Wen das irritiert, der kann dieses Signal bis auf das Zeilenende hinauszögern oder ganz abschalten. Auch das Verhalten des Cursors kann unterschiedlich eingestellt werden. Er verharrt wahlweise entweder solange unter einem bestimmten Buchstaben, bis die entsprechende Taste angeschlagen wurde, oder er rückt auch bei Fehleingaben gleich zum nächsten Buchstaben weiter.

Eine weitere Spielart besteht in der automatischen Wort- und Zeilenwiederholung. Dies bedeutet, daß der Cursor so lange immer wieder zurück zum Wort- bzw. Zeilenanfang springt, bis darin keine Tippfehler mehr gemacht wurden. Dadurch können fehlerträchtige Buchstaben- und Wortfolgen gezielt trainiert werden. Die automatische Wortwiederholung ist für Anfänger gedacht, die Zeilenwiederholung eher für Fortgeschrittene. Mit Hilfe der Cursor-Tasten können einzelne Wörter und Zeilen auch manuell wiederholt werden. Der Cursor läßt sich damit innerhalb des jeweiligen Textfensters bewegen.

Alle Übungen sind nach einem gleichbleibenden Schema aufgebaut (vgl. Bild 2): Jede Übung beginnt stets mit einer Wiederholung der zwei zuletzt erlernten Tasten aus der vorangegangenen Übung. Erst dann werden in einer Einführung die zwei neu zu erlernenden Tasten vorgestellt. Gleichzeitig werden die entsprechenden Griffe auf der Tastaturgrafik sehr anschaulich blinkend dargestellt. Hierauf folgen die ersten Anschlagübungen mit den beiden neuen Tasten. Diese werden dann mit weiteren Übungswörtern und kurzen -texten weiter vertieft. Eine Überraschung am Schluß: Kleine Gymnastikübungen für die Finger, Hände und Schultern sollen die Beweglichkeit fördern und Verspannungen Vorbeugen. Im Optionen-Menü kann man sich seinen individuellen Übungsaufbau zusammenstellen.

Bild 2: Die Auswahl der Übungsabschnitte

Vom Aufruf einer Übung aus dem Menü bis zu ihrem Beginn vergehen nur wenige Zehntelsekunden. Mit dem Programmstart befinden sich alle Übungstexte (80 KB!) im Hauptspeicher, was ein zeitraubendes Nachladen von Diskette bzw. Festplatte überflüssig macht.

Eine gute Idee: Jede vollständig bearbeitete Übung wird im Menü mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Diese „Lesezeichen“ werden - ebenso wie alle Einstellungen der Optionen - bei Programmende abgespeichert. Beim nächsten Programmstart ist dann alles wie vorher.

Im Takt, zwei, drei...

Wer schon einmal an einem richtigen Schreibmaschinenlehrgang teilgenommen hat, kennt es vielleicht: Um einen möglichst gleichmäßigen Anschlag zu trainieren, werden sogenannte Musik-Takt-Cassetten abgespielt. Dies ist durchaus kein Humbug, sondern entspricht der Erfahrung, daß eine hohe Schreibgeschwindigkeit und -Sicherheit nur mit einer gleichmäßigen Anschlagtechnik erreicht werden kann. Easy Type bietet hierzu einen einstellbaren Taktgeber, der einem Metronom ähnelt. Die Taktfrequnz ist in 10er Schritten von einschläfernden 10 Takten bis zu hektischen 200 Takten pro Minute einstellbar (vgl. Bild 3).

The never ending story

Hat man alle 29 Übungen absolviert, kann man mit den 9 Übungstexten fortfahren. Damit soll die Schreibsicherheit und -geschwindigkeit weiter gesteigert werden. Es sind jeweils drei kurze, mittlere und lange Texte abrufbar. Jedem Übungstext geht eine Vorübung voraus, in der die schwierigeren Wörter und (Be-)Griffe trainiert werden. Die Übungstexte selbst sind zwar nicht sonderlich spannend, aber auffallend sorgfältig auf gleiche Zeilenlänge getrimmt.

Besonders interessant ist die Möglichkeit, daß auch selbsterstellte Übungstexte in Easy Type eingeladen werden können. Diese Texte können dann in der gleichen Form trainiert werden wie die im Programm integrierten. Solange man sich bei der Textkreation an die angegebenen Voraussetzungen hält, lassen sich die Texte problemlos einladen. Andernfalls erhält man eine entsprechende Error-Meldung mit genauer Angabe der Fehlerstelle. Auf der Programmdiskette ist eine Beispieldatei enthalten.

Zahlen sagen mehr...

Nach getaner (Übungs-)Arbeit läßt sich an den Ergebnissen der statistischen Auswertung der Lernerfolg ablesen (vgl. Bild 4). Neben der Anzahl von Anschlägen, Fehlern und der Schreibgeschwindigkeit in Anschlägen pro Minuten erhält der Lernende sogar eine Note, die sich aus dem Fehlerquotienten ableitet. Die Bewertung erfolgt auf der Grundlage eines Maßstabes, der auch in Lehrgängen und Prüfungen der IHK (Industrie- und Handelskammer) angelegt wird. Dazu das Handbuch tröstlich: „Sie sollten nicht frustriert sein, wenn in der Bewertung meist nur ein “nicht ausreichend“ erscheint; der Bewertungsschlüssel der IHK ist äußerst streng!“ In der Tat kommt man über diese Note nur selten hinaus - besonders als Anfänger. Ob man sich verbessert hat. kann man aber auch ebensogut am angezeigten Fehlerquotienten ablesen.

Für besonders sinnvoll halte ich die Darstellung der Fehlerhäufigkeit einzelner Zeichen (vgl. Bild 5). In einem Balkendiagramm werden die fünf am häufigsten falsch angeschlagenen Zeichen in ihrer relativen Häufigkeit angezeigt. Auf diese Weise kann man die entsprechenden Übungen ganz gezielt wiederholen und sich effektiv verbessern.

Bild 3: Die Einstellung des Taktgebers
Bild 4: Die Angaben der statistischen Auswertung
Bild 5: Das Balkendiagramm mit der Fehlerhäufigkeit einzelner Zeichen

With a little help...

Wie bereits erwähnt, existiert im Hilfe-Menü zu jedem Menütitel eine kurze Beschreibung. Auf jeweils einer Bildschirmseite werden alle Menüpunkte kurz erläutert. Wer es eilig hat, erfährt hierin genug, um gleich mit Easy Type arbeiten zu können.

In der Kürze...

Bei der Programmdokumentation handelt es sich eher um ein Handheft als um ein Handbuch. Auch wenn die Abbildungen etwas klein geraten sind, erfahrt man auf den 16 Seiten doch alles Wissenswerte über Easy Type. Im Vergleich zu manch anderen langatmigen und mißverständlichen Programmdokumentationen liegt hier vielleicht wirklich die Würze in der Kürze. Überraschend: In einem kurzen Anhang werden sogar noch einige Worte über EDV-Ergonomie verloren. Leider fehlen hierzu die im Text erwähnten Abbildungen.

Teilweise wird innerhalb der Übungen auf DIN-Schreibweisen bezüglich Satzzeichen. Zahlen und Einheiten eingegangen. Wünschenswert wäre eine Gesamtübersicht dieser Schreibweisen in der Dokumentation. Interessant wäre auch eine Aufschlüsselung der IHK-Bewertung entsprechend des Fehlerquotienten.

Es ist noch kein Meister...

Easy Type ist zwar ein geeignetes Hilfsmittel, um das 10-Finger-System zu erlernen, die eigentliche Lernarbeit kann Ihnen dieses Programm aber natürlich nicht abnehmen. Wie lange es dauert, bis man die gesamte Tastatur beherrscht, hängt hauptsächlich vom persönlichen Fleiß ab. Nach meiner eigenen Erfahrung wird derjenige, der jeden Tag ca. 30-45 Minuten Übungszeit investiert, nach einem Monat schon recht fit sein. Klavier- bzw. Keyboardspieler werden es im Vergleich zu blutigen Anfängern mit der erforderlichen Fingermotorik leichter haben.

Der Lerneffekt von Easy Type ist mit Sicherheit wesentlich größer als bei herkömmlichen Schreibmaschinen-Übungsheften. Dazu tragen erstens die optische Tastaturdarstellung und zweitens der Feedback-Effekt des akustischen Fehlersignals bei. Der dritte und nicht unwesentliche Gesichtspunkt ist die gesteigerte Lernmotivation durch meßbare Ergebnisse.

Pro & Contra

Zuerst zu den Sonnenseiten von Easy Type: Meines Erachtens ist Easy Type das erste ATARI-Lernprogramm für das 10-Finger-System, das auch höheren Ansprüchen gerecht wird. Es ist logisch aufgebaut, bietet zahlreiche Lernfunktionen und aussagefähige Möglichkeiten zur Kontrolle des eigenen Lernerfolges. Der Preis von DM 79,- ist der Qualität des Programms durchaus angemessen. Ein Schreibmaschinen-Übungsheft kostet beispielsweise allein schon ca. DM 20,-, ohne eine vergleichbare Funktionalität zu bieten. Ein vernünftiger Lehrgang würde sicherlich ein Vielfaches von Easy Type kosten.

Kein Licht ohne Schatten: Leider werden die Funktionstasten, die Control- und Alternate-Taste sowie die Korrekturtasten (Delete Backspace) vernachlässigt. Beherrscht man jedoch erst einmal das Standard-Tastenfeld. stellen auch diese Tasten kein Problem mehr dar. Für zukünftige Versionen wäre auch die Einbeziehung des 10er-Blocks denkbar. Entsprechende Übungen lassen sich zwar selbst entwerfen. aber es fehlt eben die dazugehörige Tastaturdarstellung.

Easy Type läuft in der getesteten Version 2.2+ auf allen ATARI Modellen - auch auf dem ATARI TT. Die Einschränkung, daß nur die S/W-Auflösung (640x400 Pixel) unterstützt wird, ist zwar schade, läßt sich aber verschmerzen. Das gleiche trifft auf die Tatsache zu, daß die Accessories im Desk-Menü gesperrt, d.h. nicht verfügbar sind.

Von den genannten Wermutstropfen abgesehen, ist Easy Type ein sehr empfehlenswertes Lernprogramm. Wer erst einmal mit allen 10 Fingern zügig schreiben kann, wird kaum noch glauben können, daß er früher einmal mit nur zwei Fingern auf der Tastatur herumgestochert hat.

Bezugsquelle:

BELA Computer und Vertriebs GmbH Schwulbacher Straße 20 W-6236 Eschborn

Positiv:

Gute Programmidee
leichte Bedienung (incl. Hilfe-Menü)
sinnvoller und sympathischer Aufbau
variabel erweiterbare Übungstexte
sehr gute statistische Aus- bzw. Bewertung

Negativ:

Läuft nur in hoher ST-Auflösung
knappe Dokumentation


Nicole Meurer
Aus: ST-Computer 04 / 1993, Seite 56

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