NeoDesk: Das alternative Desktop

Vor einigen Monaten konnte man in den amerikanischen Mailboxen über ein neues Produkt namens NeoDesk lesen. Die Anwender überschlugen sich geradezu mit Lobhuldigungen zu diesem Programm. Auf der Düsseldorfer ATARI-Messe war es zum ersten Mal in einer Vorabversion in Deutschland zu sehen. Jetzt ist es ganz offiziell erhältlich.

Putzen wir die Platte

Vielen ist das “gute", alte Desktop inzwischen so ans Herz gewachsen, daß sie sich gar nicht mehr an Benutzeroberflächen anderer Computer erinnern wollen. Nun gut, andere können sich vielleicht unter dem Wort Desktop (Schreibtischoberfläche) überhaupt nichts Genaues vorstellen.

Folglich muß man zunächst einmal erwähnen, daß das ATARI-Desktop im Prinzip nichts anderes als ein Programm (eine sogenannte Shell) ist, das die tägliche Arbeit mit dem ATARI ST vereinfachen soll. Aus diesem Programm heraus kann man folglich einiges machen: z.B. Dateien verwalten, andere Programme starten usw. Es liegt also als äußere Schale um das Betriebssystems TOS (daher Shell) und bildet somit eine Schnittstelle zum Benutzer.

In der Neuen Welt machte sich nun ein Schreiner, pardon, Programmierer, daran, die Mängel des alten Desktops auszumerzen und schuf NeoDesk, eine alternative, aufpolierte Schreibtischoberfläche, die nur auf das alte Desktop draufgelegt werden muß, und schon häufen sich die neuen Möglichkeiten.

Es wird ausgepackt

Stellen wir zunächst einmal kurz die mitgelieferten Schreibtischutensilien und das Zubehör vor. In mehrere Ordner verteilt, findet man neben dem Hauptprogramm NeoDesk auch noch allerlei Nützliches.

Als Extras werden ein Commandline-Interpreter (für eingefleischte GEM-Hasser), ein Monitor für Speicher und Disketten (zum Wühlen in HEX-Codes u.ä.), ein Hardcopy-Programm für 24 Nadel-Drucker (alle Auflösungen und verschiedene Größen), das sich sowohl zum Ausdruck als auch zum Abspeichern auf Diskette eignet, ein Autostart-Programm für GEM-Anwendungen und ein Programm zum Stellen der Systemuhrzeit mitgeliefert.

Zwei Accessories sind ebenfalls zu finden. Bei ihnen handelt es sich um ein neues Kontrollfeld und eine Drucker-Warteschlange (einigen vielleicht besser unter dem neudeutschen Namen Printer Queue bekannt.).

Besser kontrolliert

Im NeoDesk-Kontrollfeld kann man im wesentlichen genau das machen, was man auch im ATARI-Original machen kann, also Uhrzeit und Datum, Wiederholungsrate der Tastatur usw. stellen. Leider wurde es nicht eingedeutscht, d.h. man hat eine amerikanische Schreibweise beim Datum (1.Dezember 1988 = 12/01/ 88 statt 01/12/88). Die Uhr läßt sich auf 12 oder 24 Stunden einstellen und in der rechten oberen Ecke der Menüleiste permanent anzeigen. Neu ist auch ein eingebauter Bildschirmschoner, der nach einer einstellbaren Zeit den Bildschirm invertiert, nicht schwarz schaltet! Ferner findet sich ein Schalter, um den Blitter (falls vorhanden) ein-/auszuschalten. Eine Anzeige des Gesamt- und des frei verfügbaren Speichers ist ebenfalls vorhanden.

Bild 2: Das NeoDesk-Kontrollfeld

Immer der Reihe nach

Will man mehrere Dateien nacheinander ausdrucken, bietet sich die NeoDesk-Printer Queue (tut mir leid, aber Drucker-Warteschlange klingt absolut übel) an. Hier lassen sich bis zu zehn Dateien auswählen, die nacheinander auf Papier gebracht werden sollen. Dank des Accessory-Characters ist dies auch aus GEM-Programmen möglich. Natürlich lassen sich Einträge für Leute, die kurz umdisponieren müssen, wieder aus der Warteliste löschen. Die Daten können auch an einen Druckerspooler übergeben werden. Sollte es mal nicht so klappen wie gewollt, kann man einen Druckerkonfigurationsdialogbox aufrufen, die der von ATARI mitgelieferten bis aufs I-Tüpfelchen gleicht. Ein deutlicher Pluspunkt ist, daß von den ausgewählten Dateien nur der Name und der Pfad abgespeichert werden, so daß nicht der gesamte Speicherplatz durch die auzudruckenden Dateien verbraucht wird.

Salve, großer Meister

Nach der Beschreibung des ganzen Zubehörs wenden wir uns jetzt dem eigentlichen NeoDesk-Programm zu, das auf den Namen Neomaster hört. Der Autor hat wirklich bei jeder normalen Desktopfunktion etwas verbessert, so daß wir nur auf die wichtigsten Funktionen kurz ein-gehen wollen.

Über die Menüleiste sind alle Funktionen des normalen Desktops zu erreichen. Daß allerdings noch wesentlich mehr zu finden ist als das Gewohnte, deutet schon die Infomeldung an, in der zusätzlich die Gesamtgröße des Arbeitsspeichers und der Umfang des frei verfügbaren RAM-Speichers angezeigt wird. Wer bis jetzt das Bild seiner Frau, Tochter, Freundin, Putzfrau (pardon, Mann, Sohn, Freund,...) auf dem Schreibtisch stehen hatte, der kann jetzt Platz sparen. Einfach irgendwo, irgendwie digitalisieren und anstatt des tristen, grauen (oder bei Farbe meist grünen) Desktophintergrunds laden. Eventuell ist man dann mit einem Bild seines Chefs mehr motiviert (“ 1984” läßt grüßen).

Tasten werden groß geschrieben

Zunächst sind alle Menüeinträge über Tastenkombinationen erreichbar, was einen deutlichen Gechwindigkeitsvorteil beim Arbeiten mit dem Computer bringt. Die entsprechenden Kombinationen findet man neben den Einträgen aufgeführt, so daß man sich langsam mit den ungewohnten Kürzeln vertraut machen kann. Ein bewährtes Prinzip, das leider nicht immer zu finden ist.

Nach gründlichem Studium des Handbuchs zeigt sich allerdings beim Umgang mit NeoDesk, daß immer wieder zusätzliche Funktionen durch Drücken der Tastenkombinationen zu erreichen sind. So lassen sich zum Beispiel alle Dateien anzeigen, egal ob Text-, Grafik- oder Programmdateien. Ein zweiter Anzeigemodus erlaubt das Vor- und Zurückblättern per Tastendruck.

Ungewohnte Fenster

Auch bei den Fenstern hat sich etwas getan. So lassen sich bis zu sieben Fenster gleichzeitig auf dem NeoDesktop öffnen, die Infozeile in einem Fenster scrollen und der Diskettenname anstatt des horizontalen Schiebers am unteren Ende anzeigen. Per Mausklick kann man Fenster hinter ein anderes versetzen und kann so schnell “umsortieren”. Laufwerke lassen sich per Taste selektieren und öffnen.

Anzeige von Dateien

In einem Fenster lassen sich maximal 132 Dateinamen oder 72 Icons anzeigen. Dabei erfolgt die Anzeige wahlweise in einer Spalte oder mehreren. Beim letzteren wird von links nach rechts sortiert. Bei der Textdarstellung von Dateinamen kann man Größe, Datum und Zeit ausschalten, so daß man bei der Mehrspaltendarstellung mehr auf einmal sehen kann. Positiv wirkt sich dabei auch aus, daß man zwei Schriftgrößen zur Auswahl stehen. Zu den gewohnten Sortiermöglichkeiten ist eine unsortierte Anzeige hinzugekommen, die aber wohl kaum benutzt werden wird. Besser ist da schon die Filterung nach frei wählbaren Masken, wobei auch sogenannte Wildcards (? und *) benutzt werden können.

Bild 3: Dateien lassen sich mehrspaltig anzeigen

Auch beim Selektieren von Dateien sind große Variationsmöglichkeiten gegeben. Es lassen sich z.B. mehrere Textdateien selektieren und anschließend an eine Textverarbeitung oder Editor (z.B. Tempus) übergeben, worauf alle ausgewählten Dateien für sich getrennt geladen werden. Hat man eine Datei angewählt, erscheint in der Infozeile des betreffenden Fensters Größe, Erstellungsdatum und -zeit und der Status, ob eine Nur-Lesen-oder Lesen-und-Schreiben-Datei vorliegt. Selektiert man mehr als eine Datei, erscheint die Summe der Dateigrößen, was besonders zum Kopieren von Dateien sinnvoll ist, um zu sehen, ob genug Speicherplatz vorhanden ist.

Icons auf dem Desktop

NeoDesk bietet völlig neue Desktop-Icons. Vor allem sind noch einige bei der Gesamtanzahl hinzugekommen. So finden sich jetzt Drucker-, Festplatte-, Batchdatei- und RAM-Disk-Icons. die mit dem mitgelieferten Icon-Editor bearbeitet, gespeichert, geladen, getauscht usw. werden können. Allerdings können keine zusätzlichen Icons erzeugt, sondern nur die bestehenden modifiziert werden. Es besteht hier also ein Unterschied zum Macintosh oder AM1GA, wo jedes Programm ein Icon bekommt. Wenn wir gerade beim Mac sind: Es lassen sich Programme (als Icons) genau wie beim Mac direkt auf dem Desktop ablegen (max. 16), so daß man häufig benutzte Anwendungen ohne großes Geklicke in Fenstern leicht starten kann. Das so abgelegte Icon enthält allerdings nur Laufwerkskennung und Pfad, damit das Betriebssystem weiß, wo es das Programm suchen muß. Man findet es allerdings zusätzlich auch noch an gewohnter Stelle, von wo man es auf das Desktop gezogen hat.

Namenswechsel

Auch beim Ändern von Dateinamen tritt Erleichterung ein: einfach eine Taste und ein Mausklick - schon erscheint eine Dialogbox, in der der Name geändert werden kann. Will man mehrere Dateien umbenennen, selektiert man alle, und es erfolgt eine sequentielle Abarbeitung. Ebenfalls möglich ist das Anpassen von Dateien auf das aktuelle Systemdatum, was aber wohl ziemlich selten vorgenommen werden dürfte.

Auch Diskettennamen lassen sich nachträglich ändern. Dabei wird allerdings auf der betreffenden Diskette eine “Versteckte Datei“ angelegt, die von NeoDesk dann immer wieder gefunden wird. Allerdings wird dieser Name dann ohne NeoDesk nicht gefunden. Der Nutzen ist also fraglich.

Hochformatig...

... geht es bei NeoDesk zu. Disketten lassen sich mit maximal 82 Spuren und 10 Sektoren formatieren, wobei MS-DOS-Lesbarkeit gewährleistet ist. Beim Kopieren von Disketten können wahlweise alle Dateien mit oder ohne Formatierung (automatisches Erkennen des Formats) dupliziert werden. Das Löschen ganzer Disketten erfolgt einfach durch Ziehen des Disketten-Icons auf den Papierkorb. Sehr praktisch!

Beim Punkt “Anwendung installieren” können auch Batchdateien ausgewählt werden (“Batchdatei übernimmt Parameter”). Schön ist auch die Möglichkeit, bis zu 10 sogenannte Environment-Strings einzugeben. Diese Strings sind im Prinzip Pfade, nach denen das Betriebssystem Dateien suchen kann, wenn es sie nicht an erwarteter Stelle gefunden hat. Einige Anwender kennen vielleicht den MS-DOS-Befehl PATH, der im wesentlichen das gleiche bewirkt.

Voreinstellungen

Unter diesem Menüpunkt lassen sich vor allem Nachfragen zum Dateihandling aktivieren. So kann man z.B. entscheiden, ob eine Datei beim Ziehen in ein anderes Fenster kopiert oder verschoben (TOS 1.4 läßt grüßen) oder ob danach gefragt wird. Nützlich ist auch wieder die Funktion “Nach TOS- oder TTP-Applikationen anhalten”. Dies braucht man bei der Programmentwicklung öfters, wenn z.B. der Compiler seine Fehlermeldungen ausgibt und. ehe man sich versieht, alles schon wieder hinter dem gewohnten Desktop verschwunden ist.

In den Voreinstellungen sind außerdem noch zusätzliche Pfade für das automatische Nachladen von Programmen nach dem Start von NeoDesk u.ä. zu bestimmen. Ebenso läßt sich hier die Anzahl der Dateien pro Ordner festlegen (Default = 112, Maximum = 999).

Fazit

Mit NeoDesk hat man mit Sicherheit einiges an Luxus beim täglichen Arbeiten mit dem ST gewonnen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man all diese zusätzlichen Funktionen auch wirklich braucht.

Bei einem Preis von DM 89,- kann man sich aber nicht weiter beschweren, und sicher wird NeoDesk auch in Deutschland seinen Weg machen.

HE

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Aus: ST-Computer 01 / 1989, Seite 154

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