»In welchen Ausdrucksmöglichkeiten teilt sich eine Idee mit? In der Feinheit oder Stärke. In Anmut oder Gewalt, auch Lärm und Andacht, Trauer oder Freude, Ruhe oder Bewegung. Für den Schriftsteller, Philosophen, Gelehrten sind Worte und Sätze das Gewand der Idee. Für den Musiker sind es die Noten und Rhythmen. Für den Künstler - den Zeichner oder Maler - ist es vor allem der Effekt. Der Effekt ist nicht die Idee sondern deren Ausdruck, der durch Formen, Farbwerte oder Farben entsteht«. (Aus: »Die Idee des künstlerischen Schaffens«, Kunstschule Paris)
An Ideen für den (Computer-)Künstler hat es wahrhaftig nicht gemangelt. Seit nunmehr sieben Jahren tummeln sich die unterschiedlichsten Grafik-, Zeichen- oder Malprogramme auf den Atari-Rechnern. Das professionelle Vektorgrafikprogramm für höchste Designeransprüche oder die schnuckelige Pixelbildverarbeitung, in jahrelanger Entwicklungszeit gereift oder als Fingerübung vom Hobbyprogrammierern geschrieben, schwarzweiß oder farbig - allen gemeinsam ist die Freude an der Kreativität. Und wenn Effekte eine Ausdrucksform der Idee sind, so finden Sie in der Fülle der Programme für jeden Einfall das Passende. Nur stellt sich dabei schnell die Frage, ob diese Funktion oder jener Effekt gleich einen Wechsel und somit den Neukauf einer Software rechtfertigt. Die Erfahrung zeigt, daß nur wenige Anwender den komplexen Befehlsumfang ihrer Software voll ausnutzen. Manchmal bedarf es nämlich nur eines kleinen Trickes, um mit einfachen Mitteln Großes zu vollbringen. Behalten Sie immer im Auge, was Sie letztendlich erreichen wollen. Wer einfache Bilder in schwarzweiß zeichnet oder sowieso Clip-Arts ausschneidet, benötigt keine ausgefeilten Farbverläufe und komplexen Farbkonvertierungen. Trotzdem gibt es genügend gute Gründe, neue und verbesserte Zeichen- und Gestaltungsfunktionen für Ihre Bilder einzusetzen. Das zeigen gerade die Grafikanwendungen der jüngeren Generation oder die Updates von den Alteingesessenen, die vielfach aus den kleinen Pinselklecksern von damals große Mäusemaler von heute schaffen.
Schon 1989 stand für die Rechner der ST-Serie ein Pixelzeichenprogramm mit Namen Artis bereit, dessen Funktionsumfang für damalige Verhältnisse Beachtliches zu bieten hatte. Den Kinderschuhen entwachsen, stellten wir vor rund eineinhalb Jahren den Teenager »Artis 2« vor, der sich heuer anschickt, die Schwelle zum Erwachsenwerden zu überschreiten. Färb- und auflösungsunabhängige Programmierung, lauffähig auf allen TOS-Versionen inklusive Falcon im True Color Modus, stark erweiterter Funktionsumfang inklusive einer Grafikprogrammiersprache, mit diesen Ankündigungen tritt der Zeichenkünstler aus der Österreichischen Hauptstadt diesen Test an. Im Lieferumfang von »Artis 3« enthalten sind drei Disketten mit vielen Beispielgrafiken und ein knapp 130 Seiten starkes Handbuch im DIN-A5 Format. Nach dem Programmstart präsentiert sich das Hauptmenü von Artis 3, gemessen an der Version 2 in deutlich kleineren Ausmaßen und mit verbesserter Übersicht.
Mit den Maustasten schalten Sie wie gehabt zwischen Menü und Arbeitsfläche hin und her. Wer geglaubt hat, die Grafikbearbeitung laufe nunmehr in GEM-Fenstern ab, wird enttäuscht. Als sichtbare und aktive(!) Arbeitsfläche steht Ihnen die gesamte Monitorfläche zur Verfügung, für Besitzer eines Großbildschirms natürlich ein Vorteil. Die maximale Bildgröße der acht Arbeitsschirme ist jetzt nur noch von dem zur Verfügung stehenden Speicher abhängig. Bei mangelndem Speicher sperrt Artis von sich aus einzelne Bildschirme bzw. überläßt es Ihnen, zugunsten eines sehr großen Bildes mehrere kleine zu deaktivieren. Mit Hilfe der Maus verschieben Sie den sichtbaren Bildausschnitt.
Die weit über hundert Grafik-und Zeichenfunktionen sind auf vier Ebenen im oberen Teil der Menüauswahl angesiedelt. Die sinnvolle Unterteilung zwischen Zeichenfunktionen, Blockeffekten und Effekt- bzw. Lasso/Clipfunktionen erleichtert die Auswahl des passenden Werkzeuges. Im unteren Teil der Box finden Sie alle allgemeinen Befehle wie Diskettenoperationen oder Muster- und Farbpaletteneinstellung, Scanner- und Modulansteuerung und die Umschalter für die einzelnen Bildschirme. Eine pfiffige Infozeile trennt beide Bereiche. Fahren Sie mit der Maus ein Icon im Menü an, so taucht die betreffende Funktionsbezeichnung mit der zugehörigen Seitennummer des Handbuches in der Infozeile auf. Wem das noch nicht genug ist, der ruft per HELP-Taste die vorbildliche Online Hilfe mit dem original Handbuchtext auf den Plan.
Allein die grundsätzlichen Zeichenwerkzeuge sind im 36er Pack vorhanden. Bedauerlicherweise beschränkt sich der Gebrauch aller Zeichenfunktionen auf den sichtbaren Bildausschnitt. Gelangen Sie beim Zeichnen über die Bildschirmränder, schneidet Artis den betreffenden Teil kommentarlos ab. Dafür finden Sie aber auch alle erdenklichen Konstruktionshilfen, Bézierkurven und Splines in der ersten Ebene. Anlaß zu deutlicher Klage gibt die Lupe. Zwar gefällt die Aufteilung zwischen Zoomauschnitt und Originalbild, aber ein wenig mehr als einfaches Pixelsetzen und -löschen sollte schon drin sein, zumal nur ein Vergrößerungsfaktor vorhanden ist. Wo wir gerade bei der Schelte sind. Neben dem Systemfont und Signum!2 Druckerfonts sollen Sie auch die Vektorschriften des neuen Speedo-GDOS nutzen. Allerdings verträgt Artis 3 wirklich nur Speedo und das NVDI-GDOS. Ist letzteres installiert, so läßt sich die betreffende Funktion zwar aufrufen, führt aber bisher nur zu einer unvollständig abgefangenen Fehlermeldung. Mit dem Original Atari-GDOS oder dem AMC-GDOS verweigert der eigenwillige Zeichenmeister jegliche Zusammenarbeit.
Eine absolute Stärke des Programms sind die Effekt- und Spezialfunktionen. Die Blockeffekte sorgen für die Nachbearbeitung rechteckiger Bildauschnitte. Neben den üblichen Funktionen wie Ausdünnen, Aufhellen, Solarisieren usw. entdecken Sie hier auch echte Schmankerl wie das Ausstanzen für Prägeeffekte oder das Unterlegen mit Schatten. Reichen die zwanzig fertigen Effekte nicht, so basteln Sie sich über die eingebaute Grafik-Programiersprache »PRO« (eine Eigenentwicklung von Artis-Software) ein paar weitere. Die Handhabung der Befehle ist absolut simpel aber trotzdem effektiv. Die in der dritten Ebene vorhandenen Effektfunktionen, in der Version 2 teilweise noch als externe Module realisiert, wecken dann den Surrealisten in Artis 3. Selbst der ungeschickteste Mäusemaler bringt mit diesen Zeichenkommandos ansprechende Bilder zu Platte, Verzeihung Blatte. Daneben finden Sie nützliche Hilfen, wie das automatische Anlegen von geraden und runden Zierartrahmen. Mir gefällt hier auch der Einsatz von Tusche- oder Füllfeder und Federkiel. Freie Schwünge und Federzeichnungen sind damit täuschend ähnlich nachzuahmen. Die Clipboardbefehle, also das Ausschneiden, Kopieren und Verschieben von Bildteilen mit Hilfe von Lasso oder Rechteck-Block, stehen in der Ebene vier. Maximal vier Bildteile dürfen Sie gleichzeitig in einem Klemmbrett, leider nicht dem offiziellen GEM-Klembrett, ablegen und mit einem eigenen Namen versehen. Natürlich verbergen sich auch hier ein paar Spezialitäten wie z.B. das Konturclipping in vier verschiedenen Formen. Schriftzüge, die die Hintergrundgrafik durchscheinen lassen, sind damit das Werk von ein paar Mausklicks. Hinzu kommen noch passable Maskenfunktionen, die für eine Umrandung der Pufferinhalte sorgen. Damit treten einzelne Figuren vor unruhigen Bildhintergründen besser hervor.
An fertigen Bildformaten schluckt Artis neben den Atari-Standardformaten auch das GIF- und BMP-Format, natürlich auch in Farbe, die sich bei Bedarf in Monochrombilder wandeln lassen. Die betreffenden Routinen stammen übrigens von Dieter Fiebelkorn, der auch im Papilion oder im GEM-View mit den Bildformaten jongliert. Dummerweise stellt Artis die Bilder immer in der Mitte des Arbeitsschirmes dar. Bei großen Zeichenflächen müssen Sie ein kleines Bild unter Umständen erst langwierig suchen.
Zwei Worte zur Farbdarstellung. Einwandfreien Betrieb bieten neben den TT-Auflösungen mit 256 Farben und dem Falcon True Color-Modus(!) auch die ST-Modi Mittel und Gering. Mit Grafikkarten hat unser exzentrischer Künstler noch so seine Probleme. Die Infobox während der Bildentpackung oder -konvertierung ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Bei längerer Rechenzeit stellte sich aufgrund schlechter optischer Anzeige die Frage: hängt der Rechner oder nicht? An Farbsystemen bietet Artis 3 neben dem bekannten RGB-Model auch das im Druckgewerbe übliche YMC-Model. Das ansonsten kaum verbreitete HLS-System ist für Einsteiger die einfachste und bequemste Art der Farbeinstellung. Die fertigen Grafiken speichert Artis derzeit nur als (X)IMG-Format, eine Erweiterung ist geplant. Als Zugeständnis an GEM und für den Multitaskingbetrieb ist ein Umschalter zur Menüleiste vorgesehen. In den Menüpunkten verbirgt sich dann auch die Speicher-, Bild-und Pfadverwaltung. Allerdings läuft der Betrieb unter MAGIX noch nicht ganz reibungslos.
Der Eindruck, den Artis beim Ausdruck macht, ist recht mager. Nur wenige im Lieferumfang enthaltene Treiber und eine umständliche Handhabung machen diesen Programmteil nicht gerade zum Schmuckstück. Unbedingt erwähnenswert ist hingegen noch das informative Handbuch mit seinem sehr schönen Grafikkurs.
Ein Fazit fällt schwer. Für 398 Mark sind noch zu viele Unzulänglichkeiten und Fehler vorhanden, obwohl der Preis für die Unmengen an wirklich guten und gerade für Vielzeichner brauchbaren Funktionen angemessen ist. Auch die äußerst einfache Handhabung spricht für Artis 3. Zudem bieten die Programmierer eine individuelle Anpassung an Kundenwünsche. Da hilft nur ein sorgfältiges Abwägen von Kosten und Nutzen, (wk)
Artis Software, Hohlweggasse 40/45, A-1030 Wien
Name: Artis 3
Preis: 398 Mark
Hersteller: Artis Software
Stärken: einfache Handhabung □ viele Effekte □ Konturclipping □ drei Farbsysteme □ Hilfen
Schwächen: Lupe □ Zeichenfunktionen auf Schirmgröße begrenzt □ Textfunktion
Fazit: Ein Malprogramm im besten Sinne des Wortes, aber noch mit einigen Ungereimtheiten