Genau ein Jahr ist seit unserem letzten MIDI-Schwerpunkt ins Land gegangen. Ereignisreiche zwölf Monate ohne Frage. Ins bodenlose fallende Preise auf dem DOS-Sek-tor auf der einen Seite, heftiges Werben Apples um Kunden- und Entwicklergunst auf der anderen Seite und zweifellos auch Ataris nicht immer hundertprozentig zufriedenstellendes Marketingkonzept ließen sich den einen oder anderen besorgt fragen, wie es denn wohl um den Musikcomputer Nr.1 in Zukunft bestellt sei.
Und in der Tat sah es eine Zeitlang so aus, als ob der einst so gepriesene »Power without the Price«-Musikgigant sang- und klanglos in den Fluten der schönen neuen Multimediawelt unterzugehen drohte. Schuldzuweisungen - zumeist immer an den gleichen Empfänger gerichtet - fielen in den letzten Monaten zuhauf und ganz gewiß nicht unberechtigt. Doch müssen sich wohl auch die Musik-Medien den Vorwurf gefallen lassen, kräftig mit am grauen Ast gesägt und damit zur Verunsicherung der Anwender beigetragen zu haben: Nicht etwa durch durchaus berechtigtes Anprangern hanebüchener Geschäftsgebaren sondern durch teilweise unverhältnismäßige Kritteleien, die schnurstracks an den tatsächlichen Bedürfnissen der meisten Endkunden vorbeischossen.
Neunundneunzig Prozent aller musikinteressierten Anwender benötigen mit Sicherheit kein Multitasking, keinen Echtzeit Video-Framegrabber, kein integriertes 8-Spur-Harddiskrecording in CD-Qualität und auch keine - oft schon voreilig als die neue Nr.1 proklamierte - High-End-Workstation für 10.000 Mark. Vielmehr läßt es sich bereits mit einem mittlerweile spottbilligen 1040ST ganz hervorragend musizieren. Für keinen anderen Computer existiert gerade im Musikbereich ein so großes Angebot an hochwertiger Soft- und Hardware mit außergewöhnlich attraktivem Preis/Leistungsverhältnis. Eine Minimalkonfiguration, bestehend aus dem Computer und der Software »Cubase« kostet mit einem ST etwa 2000 Mark, mit einem WindowsPC günstigstenfalls 3000 Mark, wobei die PC-Version in diesem Fall der ST-Variante in Leistungsumfang und Performance deutlich unterliegt. Alle Unkenrufer, die dem irritierten Otto-Normal-Musiker die Notwendigkeit von »wer-weiß-nicht-was« wie aufwendigen High-Tech Multimedia-Systemen suggerieren möchten, erweisen den Kunden und der Computer-Musik-Branche lediglich einen Bärendienst.
Doch darf sich natürlich auch Atari nicht dem Trend der Zeit verschließen, möchte man dort weiterhin vom überlebenswichtigen Support durch Drittanbieter und Software-Entwickler profitieren. Diesem Problem gewahr, stellte Atari deshalb mit großem Tam-Tam und wenig konkreten Informationen auf der CeBIT '92 den Falcon 030 vor, der nun pünktlich zum Weihnachtsgeschäft auch wieder in den Regalen der großen Kaufhausketten stehen soll. Hält der Falke, was er verspricht (siehe auch TOS 9,10/ 92), und gelingt es Atari, das Vertrauen von Kunden und Einzelhandel wiederzuerlangen, dürfte der lange ausgebrütete Wundervogel ohne Frage gerade unter musikorientierten Neueinsteigern viele Freunde finden und so die Entwicklung und Pflege weiterer exzellenter Soft- und Hardware sichern. Ob es sich aus Musikersicht lohnt, von den Pantoffeln seines »alten« STs auf die Schwingen des jugendlichen Falcon zu wechseln, muß ein jeder sehr sorgfältig für sich entscheiden. Es gilt zu klären, ob man die neuen Features wirklich benötigt, bzw. ob man bereit ist, seinen Obolus dafür zu entrichten.
Egal jedoch, ob Sie in Zukunft auf einem Falcon neuen MIDI-Hits entgegenschweben oder Ihrem alten Weggefährten die Treue halten, Sie werden nur schwerlich eine günstigere und gleichzeitig benutzerfreundlichere Lösung zum Musizieren mit dem Computer finden. So entscheiden die TOS-Maschinen vielleicht die eingangs aufgeworfene Frage nach der Vormachtsstellung in den kommenden Jahren nicht mehr so eindeutig wie bisher für sich, ob es aber einem Mitstreiter gelingt, mit etwas zu lautstark dröhnendem Multimedia-Nachbrenner einfach vorbeizuziehen, scheint fraglich. Die folgenden Seiten sollten auch Zweiflern einen eindrucksvollen Beweis für Qualität, Vielfalt und Leistungsfähigkeit von MIDI-Software auf dem ST/TT liefern.
Ein gutes Beispiel für preiswerte und trotzdem professionelle Problemlösungen bieten unsere ersten beiden Testkandidaten aus dem Hause MCS: der MIDl-File-Player »OnStage« und die MIDI-Port Expansion »MIDI 16+«.
Wer sich schon jemals mit Musikelektronik vor ein größeres Publikum begeben hat - sei es als Alleinunterhalter oder in einer Rock-Band - weiß mit Sicherheit um den enormen Aufwand, bis endlich alle Instrumente angeschlossen und sämtliche Verstärker verkabelt sind und der erste Soundcheck »über die Bühne« läuft. Diese Anstrengungen lassen sich noch einmal deutlich steigern, möchte man gar mit einem Computer inklusive Sequenzerprogramm auf der Bühne arbeiten.
Zum einen gilt es dann zusätzlich, die relativ empfindliche Hardware wie z.B. Monitor oder Festplatte zu transportieren und an sicherem Ort wieder aufzubauen, zum anderen ergeben sich gerade im Hinblick auf die Betriebssicherheit doch einige Stolpersteine, angefangen beim unverhofften Systemreset durch herausgerissene Monitorkabel bis hin zum versehentlich geladenen und gestarteten Arrangement.
Die Musikindustrie bietet hier wahlweise sogenannte MIDl-File-Player an, die im Grunde genommen nichts anderes darstellen als auf das Abspielen von Standard-MIDI-File-Dateien hin reduzierte Hardware-Sequenzer. Sie sind zumeist recht kompakt in der Bauweise und bieten nur einige wenige Bedienelemente, um die Gefahr der Fehlbedienung auf der Bühne soweit wie möglich zu reduzieren. Doch warum nochmals viel Geld für neue Hardware ausgeben, wenn man ohnenhin schon einen Computer besitzt, fragte man sich bei der Dortmunder Firma MCS und offeriert mit Onstage ein MIDI-Standard-File Replay System für alle Atari ST/STE. Diese günstige Alternative ist bereits für 298 Mark zu haben und besteht aus einer Hard- und Software-Kombination.
Die Software gliedert sich in zwei Programmteile: den voll unter GEM laufenden MIDI-File Sequenzer und das eigentliche Onstage System, mit dem Sie später auf der Bühne arbeiten. Mit dem GEM Modul laden und organisieren Sie Ihre MIDI-Files in bis zu vier Bänken mit acht Songs. Onstage unterstützt dabei MIDI-Files mit bis zu 64 Iracks auf 32 MIDI-Kanälen (dazu später mehr). Neben dem Abspielen von MIDI-Files über die üblichen Sequenzer-Laufwerksfunktionen gestattet Onstage auch noch, für jeden Track die passenden Program-Change, Volume und Velocity-Werte einzustellen.
Sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden, speichern Sie Ihr Setup und sind somit bereit, den »Live«-Teil der Software in Augenschein zu nehmen. Zu diesem Zweck schließen Sie zunächst die mitgelieferte »Black Box« (6x3x4 cm) über ein ca. 1 m langes Kabel am Drucker-Port Ihres Ataris an. Diese Box übernimmt vollständig die Aufgabe des Monitors, den Sie als glücklicher Onstage-Besitzer künftig zu Hause lassen dürfen. Das Kästchen verfügt über vier Status-LEDs (Status, MIDI-In, MIDI-Out und Play) und vier mit A, B, C und D betitelte Bank LEDs, die den vier Song-Bänken aus dem GEM-Player entsprechen. Nun legen Sie nur noch die Onstage-Diskette in Ihren Computer und schalten ihn ein. Nach kurzer Zeit leuchtet die »Status«-LED auf und informiert Sie über Onstages Betriebsbereitschaft. Mit den Tasten Fl -F9 laden Sie jetzt eines von neun möglichen Setups in den ST. Mit den oberen vier Tasten des Zehnertasten blocks wählen Sie die vier Song-Bänke an mit den Tasten »1-8« selektieren und starten Sie das gewünschte Arrangement. Natürlich verfügt Onstage auch hier über Stop und Continue-Funktionen. Sollte in Ihrem MIDI-Netz einmal alles drunter und drüber gehen, sorgt der Panik-Taster (Escape) wieder für Ruhe auf allen Kanälen.
Der Clou des Ganzen besteht nun einerseits darin, daß Onstage in der Lage ist, Songs auch während laufender Diskettenoperationen abzuspielen. So vermeiden Sie beispielsweise während eines Konzerts lästige Ladezeiten. Zum anderen ist Onstage inklusive der geladenen Daten resetfest, so daß Ihnen auch kurzfristige Stromausfälle oder aber Rechnerabstürze durch gelegentlich auf Bühnen auftretende Spannungsspitzen nur wenig anhaben können. Im schlimmsten aller anzunehmenden Fälle müßten Sie lediglich den gerade aktuellen Song neu starten. Onstage läßt sich natürlich auch mit einer Festplatte betreiben, in diesem Fall müssen Sie lediglich das Onstage-Bootprogramm und die Systemdaten in Ihren Autoordner kopieren. Aufgrund der nur geringen Programmgröße und der »Load while Playing«-Fähigkeiten von OnStage bringt der Festplatteneinsatz aber an sich keine nennenswerte Vorteile.
Das bereits erwähnte Kunststück, 32 MIDI-Kanäle anzusprechen, verdankt Onstage einer kleinen Erweiterung für den Modem-Port. In einem kompakten RS-232-Stecker untergebracht liefert MCS für nur sage und schreibe 99 Mark die MIDI-Port Erweiterung »MIDI 16+«. Gemäß ihrem Namen stellt dieses kleine Modul weitere 16 MIDI-Kanäle zur Verfügung, die sich von jedem Programm aus nutzen lassen, das C-Labs »Export« MIDI-Expansion unterstützt. Unter anderem sind dies zur Zeit natürlich alle C-Lab Produkte und Steinbergs Cubase und Cubeat. Da hier im Gegensatz zum Original nur 16 statt 48 Kanäle angeboten werden, sind - bei vernünftiger Nutzung -größere Timing-Schwierigkeiten nicht zu erwarten.
MCS hat sich bei beiden Prüflingen sichtlich an den Bedürfnissen des Musikers orientiert und sie zu einem erstaunlich günstigen Preis realisiert. Der MIDI-File-Player Onstage dürfte bei vielen Live-Keyboardern auf großes Interesse stoßen, auch wenn der »Black Box« acht weitere LEDs für die einzelnen Songs (Übersicht!) gut zu Gesicht stünden. Onstage wartet mit kinderleichtem Handling auf, das auch in hektischen Live-Situationen noch problemlos in den Griff zu bekommen ist und empfiehlt sich damit jedem, der seinen Atari bei nicht allzu anspruchsvollen Sequenzer-Aufgaben (z.B. Synchronisation mit Live-Drummern) auf der Bühne benötigt. Beim konkurrenzlosen Preis des MIDI 16+ erübrigt sich ohnehin jeglicher Kommentar. (wk)
MCS, Baroper Bahnhofstr. 53,4600 Dortmund 50
Name: OnStage
Preis: 298 Mark
Hersteller: MCS
Stärken: einfache Bedienung □ kein Monitor auf der Bühne notwendig □ Load while Playing □ komplett resetfest
Schwächen: keine LEDs für Songs □ kein Tempo-Display
Fazit: Ein preiswerter und leistungsfähiger MIDI-File-Player für den ST
Name: MIDI 16+
Preis: 99 Mark
Hersteller: MCS
Stärken: C-LAB Export kompatibel □ günstiger Preis
Schwächen: keine
Fazit: Zugreifen!