Tango, Steinbergs neues »Jam-Session«- Programm: Pas de deux

Die »Tango«-Präsentation auf der diesjährigen Musikmesse durch den Programmierer Henning Berg, seines Zeichens Posaunist beim WDR Köln, verlief vielversprechend.

Um gleich von vornherein Mißverständnissen vorzubeugen: Bei Tango handelt es sich nicht um einen Arrangier oder Begleitautomaten auf Softwarebasis, z.B. im Stil von »Session Partner« oder »Freestyle«. Vielmehr erhebt Tango den Anspruch, ein echter Duopartner für einen MIDI-Musiker zu sein. Wie das funktioniert? Ganz einfach.

Tango verfügt, simpel ausgedrückt, über mehrere Algorithmen, mit denen das Programm auf Ihren musikalischen Input reagiert und ihn weiterverarbeitet. Das Ergebnis dieses Prozesses gibt Tango an die verschiedenen virtuellen Musiker Ihrer MIDI-Band zurück. Diese Band besteht aus bis zu neun Instrumententypen (eine Begleitfläche, zwei Melodieinstrumente, zwei perkussive Sounds, ein Bass sowie drei Hilfskräfte). Jedem dieser Soundtypen ordnen Sie bis zu acht verschiedene Klangprogramme zu, auf die Tango im Laufe einer Session je nach musikalischem Intensitätsgrad zugreift. Das heißt, geht es gerade besonders heiß her, wird Tango überwiegend die letzten Eintragungen der Soundliste verwenden, in ruhigeren Passagen bedient sich das Programm eher bei den vorderen Plätzen. Rhythmischen Beistand erhält diese Combo durch den in Tango integrierten, selbständig variierenden Schlagzeuger. Selbstverständlich unterstützt Tango bei der MIDI Ein- und Ausgabe die komplette Steinberg-Peripherie.

Die drei grundlegenden Algorithmen, auch Hauptmodule genannt, die in Tango zur musikalischen Analyse und Verarbeitung zur Verfügung stehen, heißen Lines, Loops und Values. Lines greift Ihre Phrasen auf, variiert und verwandelt sie in ein mehrstimmiges Gewebe. Spielen Sie z.B. zwei verschiedene Phrasen ein, versucht Lines, diese miteinander zu verbinden und zu neuen Melodien zu verknüpfen. Loops wirbelt die jeweils zuletzt gespielten Noten herum. Was mit dieser sehr blumigen Umschreibung gemeint ist, wird deutlich, wenn man nur eine einzige Note zum Loopen eingibt. Tango wiederholt dann nämlich diese Note in verschiedenen Oktavlagen, auf verschiedenen Instrumentenkanälen in variabler Rhythmisierung in Abhängigkeit von der Anschlagsdynamik.

Values bildet selbständig Phrasen, wobei dieses Modul sowohl Ihre Eingabe als auch einen regelbaren Zufallsgenerator zur Generierung der neuen musikalischen Idee heranzieht. Doch gelangt das von den Hauptmodulen modifizierte Material nicht direkt an den MIDI Ausgang. Vielmehr müssen sich die MIDI-Daten vorher noch einer ganzen Reihe von Veränderern, den »Modifiers« unterziehen. Die vier Modifier: Parameter, Texture, Routing und Extreme konfigurieren Sie für jeden musikalischen Kanal getrennt, das Modul Global hat, wie schon der Name andeutet, für alle Instrumente Gültigkeit.

Mit diesen Variatoren, deren umfassende Beschreibung den Rahmen dieses Tests bei weitem sprengen würde, legen Sie beispielsweise fest, mit welchem Transpositionsfaktor Tango auf Ihr Spiel reagieren darf, wieviel Töne einer Phrase hinzugefügt oder weggenommen werden sollen, auf welchen Kanälen Tango nach dem Frage-Antwort Prinzip auf Ihre Eingaben reagieren soll etc. Auch lassen sich Einfälle einzelner Instrumente wieder als neuer Input für andere Kanäle verwenden. Die Modifiers bieten eine schier unerschöpfliche Quelle für die Beeinflussung des musikalischen Materials.

Deutlich ist der Signalweg vom Hauptmodul (links) über die Modifiermatrix zu erkennen.

Tango ist sowohl in der Lage, freitonal auf Ihr Spiel zu reagieren als sich auch an einem harmonischmelodischen Gerüst zu orientieren, das Sie im Mastertune-Menü vorgeben. Hier tragen Sie zunächst die entsprechenden Akkorde in einem Lead-Sheet ein. Auf dieses Harmonieschema können Sie anschließend noch die dazugehörige Melodie über Ihr Keyboard oder MIDI-Instrument einspielen. Tempo und Taktart bestimmen Sie im Menü Mastertrack, das von seiner Funktion den meisten Lesern sicherlich bereits aus Cubase oder anderen Sequenzern bekannt ist. Die Intensität des Einflusses von Mastertune und -track konfigurieren Sie nach Bedarf.

Tango ist jedoch nicht nur in der Lage, sein eigenes Spiel dem Mastertune anzupassen, sondern korrigiert auf Wunsch auch den menschlichen Musiker, indem es die Intervallstruktur Ihres Spiels der jeweiligen zum gerade ertönenden Akkord gehörigen Skala angleicht. So wandelt Tango zum Beispiel in C-Dur die Tonfolge g-cis in g-c um. Durch diese sehr behutsame Art der Berichtigung bleibt der Charakter Ihres Spiels zum großen Teil erhalten.

Wie der bereits erwähnte improvisierende Schlagzeuger trommelt, bestimmen Sie in »Drum Palette«. Hier tragen Sie ein bis zu acht Viertel langes Pattern mit maximal sechs Schlaginstrumenten im Drum-Grid ein. Für jedes der sechs Schlaginstrumente läßt sich nun festlegen, ob und in welcher Intensität Tango Änderungen an dem von Ihnen vorgegebenen Grundbeat vornimmt. Je nach Situation kann Tango Noten weglassen, hinzufügen oder verschieben.

Die Beurteilung und Auswertung der jeweiligen musikalischen Situation übernehmen in Tango der TSI (Tango Surprising Input) sowie die »Evaluation«. Die Evaluation analysiert das Spiel des Tango-Partners anhand diverser Parameter und verschafft sich so einen Überblick über den Input der letzten 30 Sekunden.

Sensibler Duo-Partner

Der TSI stellt nun das direkte Sprachrohr der Evaluation dar und präsentiert sich in Form eines Balkens, der quer über den Bildschirm von »bored« (gelangweilt) nach »at-tentive« (aufmerksam) wandert. Findet Tango Ihr Spiel interessant, wird es eher versuchen, mit Ihnen zusammenzuspielen. Langweilen Sie das Programm jedoch, hat Tango eher die Tendenz, Ihrem Spiel etwas entgegenzusetzen, in Eigeninitiative neues musikalisches Material zu entwickeln.

Auch die Spielweise des Drummers hängt direkt vom TSI ab: je mehr der Balken in Richtung bored wandert, desto ruhiger und ausgelichteter erklingt das Schlagzeug.

Haben Sie die Funktion »Auto Configuration« aktiviert, nehmen der Status von TSI und Evaluation direkten Einfluß auf die hinter die Hauptmodule geschalteten Modifiers. Tango verfügt sogar über eine eingebaute Frust-Funktion, die dem Anwender durch das Setzen der »Extreme«-Module sehr deutlich zeigt, was es vom jetzigen Input des Duo-Partners hält.

Jede Parameter-Einstellung läßt sich übrigens als Snapshot speichern und im 16er Pack auf Massenspeicher bannen. Auf Wunsch gestattet Tango auch die Aufnahme kompletter Sessions und das Speichern als MIDI-Standard-File. Lobenswerterweise sah der Programmautor die komplette Fernsteuerung aller Tango-Funktionen per MIDI vor, so daß auch einer Live-Performance keine größeren Hindernisse im Wege stehen.

Nach soviel grauer Theorie (und dabei haben wir Ihnen nur das Grundkonzept erläutert) sind Sie jetzt sicherlich sehr gespannt, wie sich Tango in der Praxis bewährt hat und ob es auch für Sie "der geeignete Duo-Partner sein könnte.

Die Antwort auf diese Fragen ist nicht leicht zu geben. Tango stellt auf dem Gebiet der kommerziellen Musiksoftware sicherlich ein absolutes Novum dar. Wie auch beim Musizieren mit einem menschlichen Partner ist es bei Tango wichtig, sich ausführlich mit seinem Mitspieler auseinanderzusetzen, ihm zuzuhören und sich auf ihn einzulassen.

Tango produziert sicherlich keine Sessions im Stil von Miles Davis oder Charlie Parker. Tango-Sitzungen fesseln eher den experimentierfreudigen Musiker vor dem Bildschirm. Wer bereit ist, seinen musikalischen Horizont zu erweitern, wird mit Tango sicher glücklich. Traditionalisten sollten dem Kauf unbedingt eine ausführliche Demonstration beim Händler voranstellen. (wk)

Steinberg, Eiffestr. 596, 2000 Hamburg 26

WERTUNG

Name: Tango
Preis: 490 Mark
Hersteller: Steinberg GmbH

Stärken: innovatives Konzept □ interessante musikalische Ergebnisse □ detailliert konfigurierbar
Schwächen: Einarbeitungszeit □ nur ein Mastertune im Speicher

Fazit: Vielleicht die interessanteste Neuerscheinung der letzten Zeit.


Kai Schwirzke
Aus: TOS 07 / 1992, Seite 108

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