Im Zeichen der Maus: Freies Zeichnen und perspektivische Gestaltung mit und ohne Computer

Bild 1. Die Position des Betrachters bestimmt die Perspektive

Wenn ich ein Schild über meine Tür hängen sollte, würde ich »Schule des Zeichnens« darauf schreiben, und ich bin sicher, daß ich Maler heranbilden würde. (J.A.-Dominique Ingres)

Malen, Zeichnen, gestalterische Kreativität. Für viele Menschen verbinden sich mit diesen Worten allenfalls schlechte Erfahrungen im Kunstunterricht oder das mühevolle Zeichnen eines »sitzenden Kaninchens von hinten«. Und jetzt auch noch eigene Bilder mit dem Computer anfertigen? Nein, das schaffe ich nicht, ich bin musisch völlig unbegabt. Glauben Sie mir, wenn ich sage, daß jeder Mensch in der Lage ist, Bilder und Grafiken mit (und ohne!) Computer zu entwerfen. Sie benötigen neben einer Portion Selbstvertrauen ein Zeichenprogramm Ihrer Wahl und etwas Zeit zum Üben.

Starten Sie Ihr Programm und nehmen die Maus zur Hand. Im »Freihand«-Modus malen Sie einfache Kreise, Kurven und Linien auf die Zeichenfläche. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf. Gehen Sie schwungvoll und ohne langes Zögern zu Werke. Analog zum Schreiben mit einer Feder oder Bleistift auf einem Papier zeichnen Sie im zweiten Schritt nun Zahlen und Buchstaben auf die Zeichenfläche. Durch Hinzufügen von wenigen Strichen entwickeln Sie hieraus kleine Bilder. Verschiedene Materialien deuten Sie durch unterschiedliche Strichstärken an, indem Sie Linienbreite und Stiftform wechseln. Bitte zeichnen Sie die ersten Figuren wirklich »Freihand«, um so ein Gefühl für Mausbewegung und Zeichenverhalten zu entwickeln. Danach setzten Sie die vorhandenen Kreis-,Linien- und Rechteckfunktionen ein und bearbeiten diese in der gleichen Weise.

Die entstandenen Bilder reißen zugegebenermaßen noch niemanden vom Hocker, aber sie verdeutlichen Grundsätzliches. Ansprechende Zeichnungen entstehen zum einen durch Spontaneität und Freude am Spiel. Auf der anderen Seite stehen einige Vorüberlegungen, bevor Ihre Hand die Maus ergreift.

Um einem Bild räumliche Tiefe zu verleihen, ist es nötig, sich etwas mit der »Perspektive« auseinanderzusetzen. Das Hauptproblem beim Zeichnen entsteht durch den Umstand, dreidimensionale Gegenstände (hoch, breit, tief) auf eine zweidimensionale Fläche (hoch und breit) zu bringen, und zwar so, daß diese Gegenstände immer noch natürlich wirken. Profi-Künstler verwenden als Hilfe die sogenannte »Horizontlinie«, im Bild 1 mit <L> und <H> bezeichnet. Diese gedachte Linie legt den horizontalen Blickwinkel fest, mit dem Sie auf einen Körper, eine Landschaft oder ähnliches schauen. Stellen Sie sich dazu eine Linie in Höhe Ihrer Augen vor. Bildteile, die oberhalb dieser Linie liegen, betrachten sie mehr von unten. Unterhalb der Horizontlinie gelegene Teile sehen Sie mehr oder weniger von oben herab. Je nach der entweder sitzenden oder stehenden Stellung des Betrachters, verändern sich dabei die ober- und unterhalb gelegenen Flächenanteile (vgl. Bild 1).

Sie sehen, die Horizontlinie verbleibt immer in Augenhöhe. Entsprechend dieser Vorstellung setzen Sie nun eine Linie auf die Zeichenfläche und teilen sie dadurch horizontal auf. Auf dieser Linie liegen der oder die Fluchtpunkte, mit denen Sie den seitlichen Blickwinkel festlegen.

Die räumliche Tiefe, also die fehlende dritte Dimension, entsteht mit Hilfe weiterer Konstruktionslinien, der sogenannten »Fluchtlinien«. Zeichnen Sie einfach ein Quadrat unterhalb einer Horizontlinie. Von den beiden oberen Eckpunkten und von einem unteren Eckpunkt( je nach gewünschten Blickwinkel) ziehen Sie Linien, die sich auf der Horizontlinie genau in einem Punkt treffen. Sinnvollerweise sollten Sie diesen Fluchtpunkt zu Beginn des Zeichnens festgelegt haben. Wenn Sie von einem Objekt mehrere Seiten sichtbar machen wollen, dann benötigen Sie einen weiteren Fluchtpunkt. Ebenso sind weitere Punkte erforderlich, um verschiedene Gegenstände mit unterschiedlichen Winkelstellungen in Ihrer Zeichnung anzuordnen. Zum Beispiel laufen die Häuser beidseits einer geraden Straße auf einen Fluchtpunktzu. Stehen diese Häuser im Kreis, so blicken Sie bei einigen auf die rechte Front, andere sehen Sie von vorn und den Rest von der linken Seite. Beim Zeichnen eines solchen Bildes müssen Sie mehrere Fluchtpunkte anlegen. Aber, alle Fluchtpunkte liegen auf ein und derselben Horizontlinie. Diese stimmt immer mit der Augenhöhe des Betrachters überein. Sie legen also mit der Sichthöhe des Betrachters die gesamte Perspektive Ihres Bildes fest.

Bei aller Theorie dürfen Sie aber nicht vergessen, daß diese Konstruktionen nur Hilfestellung bieten. Letztendlich sollen Sie sich bei Ihren Entwürfen von dem Eindruck leiten lassen, wie Sie ihn sehen, und nicht wie etwas tatsächlich existiert Schließlich wollen Sie ja Spontaneität und künstlerische Freiheit genießen und nicht eine Architekturzeichnung schaffen. Damit tritt auch auch Nachteil der 3D-Funktionen mancher Zeichenprogramme, wie z.B. »STAD«, zutage. Diese Konstruktionen sind Ergebnisse rein mathematischer Formeln, vom Computer stur errechnet. Sie können und sollen die menschliche Phantasie aber nicht ersetzen.

Bei der künstlerischen Perspektive, übrigens von Malern der italienischen Renaissance eingeführt, liegt eine einfache zugrunde. Je weiter ein Gegenstand vom Auge entfernt ist, desto kleiner erscheint er. Dieses Wissen machen Sie sich in der räumlichen Darstellung zunutze. Wenn Sie sich den Verlauf der Straße in Bild 1 anschauen, dann ist die Verjüngung kurz vor der Horizontlinie auch ein Ergebnis des oben genannten Leitsatzes. Die Fluchtlinien eines Gegenstandes verjüngen sich ebenfalls zum Fluchtpunkt hin, so daß die hintere Kante eines Würfels im Vergleich zur vorderen viel kürzer ausfällt.

Beim Zeichen von mehreren Personen lassen Sie Fluchtlinien von den im Bildvordergrund befindlichen Figuren zu einem Fluchtpunkt laufen. Für die Figuren im Bildhintergrund ergibt sich so automatisch die perspektivisch passende Größe. In Bild 3 sind die Möglichkeiten eines Zeichenprogrammes voll ausgeschöpft. Die Figur im Vordergrund habe ich erst im Freihandmodus angedeutet und dann gesprüht. Zum Zeichnen der Fluchtlinien diente die Funktion Strahlen, wobei der Strahlenpunkt natürlich gleich dem Fluchtpunkt ist. Das Männchen im Hintergrund ist einfach ein verkleinerter Block der ersten Figur.

Ein Tip zum Schluß. Legen Sie am Anfang großzügig Flucht- und Horizontlinien an. Steht der grobe Bildentwurf, dann kopieren Sie exakt diesen Arbeitsbildschirm und sichern ihn. Entspricht das endgültige Bild Ihren Vorstellungen, dann löschen Sie alle Hilfslinien, indem Sie den vorhin gesicherten Bildschirm auf Ihr fertiges Bild kopieren. Und zwar im XOR-Modus. Anschließend bearbeiten Sie eventuell entstandene Lücken mit der Lupe nach. (wk)

Bild 3. Die richtige Größe mit allen Zeichentricks
Bild 2. Verwenden sie genügend Fluchtlinien für die Perspektive

Andreas Wischerhoff
Aus: TOS 04 / 1992, Seite 76

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