Tournee für Tastenvirtuosen: MIDI-Testival 1990

Live auf dem MIDI-Testival: viele bekannte Musiker wie George Kochbeck [großes Bild] oder das Waldorf Funktorial [rechts oben]. Zu den vorgestellten Neuheiten gehören der »PMM-88«-MIDI-Expander [Bild mitte] sowie einige Casio Portable-Keyboards [Bild unten].

Thomas Bosch/Toni Schwaiger

Das MIDI-Testival war wieder auf Tour. Vom 4. bis 18. November zeigten zahlreiche Firmen in zehn Städten ihre Neuheiten rund um die elektronische Musik.

Im Mittelpunkt dieser Mini-Musikmesse stand eine gewaltige Bühne, auf der den ganzen Tag über große und kleine Künstler die Besucher mit ihren Live-Darbietungen begeisterten. Darunter waren so bekannte Namen wie Christoph Spendel oder Peter Maffay-Keyboarder George Kochbeck, der ein speziell für das MIDI-Testival produziertes Remix seiner aktuellen LP »C'est la blue« zum besten gab. Viele Livekonzerte wurden im Auftrag einer bestimmten Firma durchgeführt. So demonstrierte beispielsweise das »Waldorf Funktorial« eindrucksvoll die Fähigkeiten des in der Szene wohl am meisten unterschätzten Synthesizers »Microwave«.

Im Ausstellerverzeichnis fanden sich fast alle in der Musikszene bekannten Firmen wieder: Von Akai über Casio, C-Lab, Elka, Ensoniq, Kawai, Korg, Magic Music, Miditemp, Peavey, Quasimidi, Roland, Steinberg, Tascam, Technics und Waldorf bis hin zu Yamaha bot sich dem interessierten Besucher ein breites Musik- und Recordingspektrum.

Das Rack der Live-Künstler zeigt wieder einmal, daß der ST immer noch der Musikcomputer schlechthin ist

Keyboards & Synthesizer

Das Hauptinteresse am Kawai-Stand konzentrierte sich auf die beiden 16-Bit-Synthesizer K4 und Spectra. Letzterer stellt eine abgespeckte Version des K4 dar, die sich mit 128 Preset-Sounds, Schlagzeugklängen, fertigen Rhythmuspattern und 4-fach Multi-Modus hauptsächlich für den Einstieg in die elektronische Musik eignet. Wenn Sie noch keinen Computer haben, bietet Kawai auch eine Komplettanlage mit Keyboard und einem Commodore Amiga 500 plus Sequencing-Software an.

Yamaha stellte neben ihrer vollständigen Home- und Portable-Keyboardserie den neuen Expander TG77, die Rackversion des Flaggschiffs SY77, sowie den TG33 vor, ein Tischgerät auf Basis der Klangerzeugung des Vektor-Synthesizers SY22. Auf dem Testival konnte man die neue Yamaha-Synthesizer-Generation testen.

Der brandneue Super-L/A-Synthesizer D70 stand zum Ausprobieren am Roland-Stand. Der D70 vereint Synthesizer, Sampleplayer und Masterkeyboard in einem Gerät. Auch ein Hallgerät fehlt nicht.

Bei Jaques Isler konnte man die Hoffnungen von Ensoniq, die Workstation VFX-SD sowie den Synthesizer SQ-1 probespielen. Wer immer noch nicht glaubt, daß in dem DPM-3, dem ersten Synthesizer des amerikanischen Herstellers Peavey, mehr steckt, als das Gehäuse im ersten Moment vermuten läßt, der wurde beim ersten hautnahen Kontakt schnell eines besseren belehrt. Ähnliche Erfahrungen machten Technics-Zweifler beim Probespielen der Keyboards KN-600 und KN-800 sowie der großen Digital-Piano-Familie.

Zum Studio-Standard hat sich mittlerweile die Akai S1000-Sampler-Familie entwickelt. Untermauert wird diese Position von der Keyboard-Version S1000 KB, dem Sample-Player S1000 PB und vor allem von dem neuen Familienoberhaupt S1100. Letzterer übertrumpft den S1000 unter anderem mit SMPTE-Timecode-Synchronisation und einem digitalen Signal-Prozessor. Dieser verleiht den Klängen mit Hall-, Echo-, Chorus-, Flanging-, Pitch Shift-, Distortion- und Equalizing-Effekten mehr Lebendigkeit und Volumen.

Recording & P.A.

Tascam zeigte seine bewährten 16-und 24-Spur-Bandlaufwerke sowie ein imposantes Mammut-Mischpult. Das Besucherinteresse konzentrierte sich jedoch mehr auf ein Gerät, das etwas unglücklich in einem Eckplatz aufgestellt war: das Tascam 688. Diese Mischpult-ähnlich gestaltete Maschine vereint ein 8-Spur-Kassettendeck (ähnlich dem Tascam 238), einen Tape-to-MIDI-Synchronizer, einen 10/20-Kanal-Mischer sowie einen elektronischen Signal-Router mit LC-Display.

Eine Besonderheit zeichnet die meisten Tascam-Mehrspurrecorder aus: Sie sind vom Computer per RS-232-Verbindung in allen Funktionen fernsteuerbar. Zu diesen Geräten zählen zum Beispiel der Tascam 238, die 688- und 644-MIDI-Studios sowie der TSR 8 oder der MSR 16. Die GV GmbH überraschte nicht nur mit einer komfortablen Steuersoftware für diese Laufwerke, sondern auch damit, daß die Programme auf einem Amiga liefen - einem Computer, der sich auf dem MIDI-Testival sehr rar machte. Atari-ST- sowie 24-Spur-Versionen von »TasReCC« befinden sich in Vorbereitung.

Der Einsatz eines Optical-Disk-Recorders als Mastermaschine ist ein ebenso zukunftsweisendes wie kostenintensives Vergnügen, zu dem Akai mit einem entsprechenden Rack-Gerät die notwendige Hardware-Grundlage liefert.

MIDI-Software

C-Lab präsentierte die 3.0-Version des Sequencing-Notendrucksystems Notator. Außerdem konnten die Besucher einen ersten Blick auf den SY77-Editor Polyframe werfen. Die neueste Version 2.0 der Sequenzer-Software »Cubase«, die jetzt auch Notendruck beherrscht, ist auf dem Atari-Markt beliebt und weit verbreitet. Steinberg rückte deshalb auf dem Testival die Macintosh-Version in den Vordergrund. Diese zeigte sich auf den mit Großbildschirmen ausgestatteten Mac II-Computern von seiner besten Seite und ließ die ST-Version leicht erblassen.

MIDI-Steuergeräte

Die Firma Miditemp stellte mit dem »MP-44« eine gelungene Symbiose aus MIDI-Player und -Expander vor. Das 19-Zoll-Rack-Gerät verfügt über ein integriertes 3,5-Zoll-Diskettenlaufwerk, das auf Atari ST- oder MS-DOS-Disketten gespeicherte MIDI-Standard-Dateien liest und programmgesteuert beliebig oft sendet. Damit erübrigt sich in den meisten Fällen das umständliche Aufbauen der Computer-Anlage auf der Bühne. Ferner verbinden Sie nach Wunsch die vier MIDl-Eingänge mit den vier MIDI-Ausgängen. Der »MP-44« bietet zudem vielfältige MIDI-Prozessor-Funktionen wie Split, Transpose, Program Change, Velocity Switch, Volume Control, MIDI-Clock, Filter und dergleichen mehr.

Von der gleichen Firma stammt der ebenfalls 19 Zoll breite »PMM-88«-MIDI-Expander. Dieser verfügt über acht MIDl-Eingänge, die Sie per Programm beliebig auf die acht Ausgangsbuchsen schalten. 128 solcher frei definierbaren Programme rufen Sie per Fußtaster oder über die mit Tasten und LED-Anzeigen üppig ausgestattete Fernbedienung ab. Der PMM-88 beherrscht die gleichen MIDI-Prozessor-Funktionen wie der MP-44. Kurz bevor das diesjährige MIDI-Testival in München seine Tore schloß, fragten wir Hans Hörl (Leiter des Musik-Media-Verlags, der die Zeitschrift »Keyboards« publiziert), wie er die Veranstaltung beurteilt: »In diesem Jahr verlangen wir erstmals Eintritt, damit nur Leute kommen, die ernsthaft am Thema MIDI und Musik interessiert sind. Doch trotz der 5-Mark-Hürde ist das Testival sehr gut besucht, finde ich.«



Aus: TOS 01 / 1991, Seite 104

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