Malermeister: Malprogramm Deluxe Paint

König Tut ist auf den ersten Blick nicht vom Amiga-Original zu unterscheiden, wenngleich DPaint Amiga doppelt so viele Farben bietet. Die 3D-Projektionsroutinen kippen und zoomen beliebig große Bildausschnitte.

Knapp fünf Jahre nach der ersten Amiga-Version erschien das Malprogramm »Deluxe Paint« für den Atari ST. Dürfen die ST-Besitzer jetzt wirklich am besten lachen, wie es die Werbung verspricht?

Schon seit Jahren steht der Atari ST im Schatten des Amiga, wenn es um grafische Anwendungen geht; nicht nur, weil dem Amiga ein etwas kräftigerer Videochip in die Wiege gelegt wurde, sondern auch, weil es an der rechten Software mangelte. Da erscheint auf einmal Deluxe Paint, einer der Renner auf Amiga und neuerdings auch auf PC. Hat sich das Warten auf »DPaint« (so die Abkürzung) gelohnt?

Beim Öffnen der Packung, von der DPaint-Markenzeichen King Tut würdig herabblickt, entdeckt man drei einseitige Disketten und ein zweihundertseitiges Handbuch. Dieses ist ordentlich und verständlich geschrieben, doch leider komplett in Englisch - vielleicht läßt sich hier ja noch Abhilfe schaffen. Nach dem Einlegen der Programm-Diskette blickt man zuerst in die »Readme«-Datei, die über das völlige Fehlen jedweder Art von Kopierschutz informiert - ein feiner Zug des Herstellers.

Das Programm selber präsentiert sich nach dem Laden ganz anders wie erwartet. Denn außer dem Namen und dem Großteil der Funktionen hat DPaint auf dem ST nur wenig mit den Namensvettern auf PC und Amiga gemeinsam. Die Benutzerführung wurde komplett umgestellt, anstelle von Drop-Down-Menüs und einer Symbolleiste an der Seite nimmt ein wuchtiges Menü, kombiniert mit Zoom-Funktion, die gesamte untere Hälfte des Bildschirms ein. Wer DPaint auf anderen Computern gewohnt ist, muß sich umgewöhnen, um die Menüs zu durchschauen; wer neu einsteigt, hat es etwas leichter. Schade ist, daß die Finger immer wieder einen Ausflug zur Tastatur machen müssen. Einige wenige Funktionen sind nur auf Tastendruck erreichbar, in manchen Menüs müssen Sie Zahlenwerte von Hand eingeben, und oft genug schlägt man auf die Leertaste, welche die Menüs ausblendet, damit man sein eigenes Bild im Ganzen sieht. Hier fällt negativ auf, daß die Entwickler ihre eigene Tastatur-Routine gebastelt haben, die mit der deutschen Beschriftung der Tasten natürlich wenig anzufangen weiß. Daß Z und Y vertauscht sind, hat man schnell im Griff, aber viele Zeichenfunktionen, welche auf den etwas exotischeren Tasten liegen, muß man lange suchen. Es ist nicht verkehrt, sich eine eigene Tastatur-Tabelle anzufertigen.

Eine Deluxe-Paint-Spezialität ist das Füllen mit einem Farbverlauf. Dabei sind Art des Verlaufs, Farbbereich, Stärke des Verwisch-Effekts und Winkel der Verlaufsachse frei wählbar.
DPaint ist eines der wenigen Programme, die zur Ehrenrettung des Atari STE beitragen: Durch Umschalten auf den 4096-Farben-Modus erzielen Sie auf dem STE doppelt fein abgestufte Farbverläufe (Bild links) verglichen mit einem »Normal«-ST (Bild rechts), dessen Palette nur 512 Farbtöne umfaßt.

Wer ein Malprogramm an der Zahl der Funktionen mißt, für den geht hier ein Traum in Erfüllung. DPaint bietet derart viele Funktionen, Extras und Spezialitäten, daß man sie gar nicht alle aufzählen kann. Alle »Grundfunktionen«, sprich alles, was die anderen Malprogramme auch können, ist in DPaint eingebaut. Man findet sogar ein paar Funktionen, die PC und Amiga noch nicht kennen. Unter den Besonderheiten von DPaint gibt es viel Nützliches wie echte Bézier-Kurven, Pinsel-Verzerrungen, das Füllen mit farbigen Mustern beliebiger Größe, Farbverläufe, oder »Schablonen«, welche Teile des Bildes abdecken und vor Übermalen schützen. Viele der Funktionen sind miteinander verknüpft, um in der Kombination noch mehr Vielfalt zu erzeugen.

Außerdem gibt es allerlei Farbspielereien: Da kann man Bildteile umfärben, Farben zweier Bildteile miteinander mischen, Farben filtern oder angleichen. Das Problem an dieser Färberei ist, daß sie mit nur 16 Farben aus 512 (4096 bei STE) wenig Sinn macht, denn bei bunten Bildern hat man kaum genug Abstufungen einzelner Farben, auf die diese Funktionen angewiesen sind. Das ist natürlich ein Hardware-Problem und den Programmierern nicht anzukreiden, aber trotzdem ist nicht ersichtlich, warum man auch hier der Funktionsvielfalt der Amiga- und PC-Version eins draufsetzen wollte.

Bei der Text-Funktion findet man dann einen regelrechten Funktionen-Overkill. Nicht nur, daß man ein- und mehrfarbige Zeichensätze in den verschiedenen Mal-Modi einsetzen und den Text unterschiedlich formatieren kann. Es gibt sogar einen kompletten Font-Editor, der zwar umständlich zu bedienen ist, dafür aber auch Details wie exakte Grundlinien-Einstellung mit Unter- und Oberlängen sowie Kerning bietet. Die Fonts sind keine Vektor- sondern Bitmap-Fonts, trotzdem können Sie einen fertigen Font auf beliebige Größen schrumpfen oder aufpusten, wobei aber mit erheblichem Qualitätsverlust zu rechnen ist. DPaint liest und schreibt Grafiken im IFF-Format und verarbeitet damit die Bilder der anderen DPaint-Versionen - solange diese nicht größer als 320 mal 200 Punkte sind und möglichst nur 16 Farben haben. Größere Bilder schneidet das Programm ab; Bilder mit mehr Farben rechnet es in den meisten Fällen um (4096 Farben-Bilder vom Amiga bereiteten uns Probleme), aber die Umrechnungs-Ergebnisse sind nicht immer perfekt. Zusätzlich kommt DPaint auch mit den Formaten von Neochrome und Degas Elite gut zurecht.

Wer viel Speicher hat, der kann ihn auch nutzen - obwohl DPaint sich auch mit 512 KByte zufrieden gibt. In einem 2 MByte-ST bringen Sie mühelos ein paar Dutzend Bilder und mehrere Zeichensätze unter und haben immer noch viel Luft, auch speicherintensive Funktionen durchzuführen.

Das fertige Bild läßt sich mit einem beiliegenden Diashow-Programm betrachten oder mit dem ebenfalls beiliegenden Druck-Utility auf gängigen Matrixdruckern ausgeben. Sowohl Schwarzweiß- wie Farb-Drucker werden unterstützt, sogar HP-kompatible Laserdrucker. Ataris eigenen Laser haben die Programmierer allerdings nicht mit Treibercode bedacht. Bilder lassen sich zu beliebigen Postergrößen aufpusten oder Briefmarken-klein drucken. Da schmerzt es, daß DPaint lediglich Bilder im Format 320 mal 200 Pixel unterstützt. Es wäre schön, könnte man auch größere Bilder bearbeiten, um sie in andere Programme zu übernehmen oder auszudrucken.

Als besonderes Schmankerl ist in DPaint ein komplettes Animations-Programm eingebaut. Im Prinzip malt man einzelne Bilder, die hintereinander abgespielt eine Animation ergeben. Animationen benötigen aber im allgemeinen wesentlich weniger Speicherplatz als die entsprechenden Einzelbilder, weil sich DPaint nur merken muß, was sich von Bild zu Bild geändert hat. Das Malen der Animationen wird nicht, wie beispielsweise bei »Cyberpaint«, speziell unterstützt, Sie können also beim Zeichnen eines neuen Bildes nicht das vorherige wie mit Transparent-Papier abpausen und dabei leicht verändern. Trotzdem kommt man ganz gut mit den vorhandenen Hilfen zurecht. Wer Objekte über den Bildschirm bewegen will, findet allerdings eine sehr vielseitige Funktion, die auch 3D-Effekte beherrscht und damit Gegenstände ohne viel Mühe durch den Raum und über den Bildschirm wirbelt. Eingefleischten DPaint-Kennern wird auffallen, daß sie die 3D-Funktionen nicht zum normalen Zeichnen einsetzen können, sondern daß diese nur im Rahmen der Animationen erreichbar sind - warum man hier ausnahmsweise vor dem »Original« zurückgesteckt hat, konnten wir nicht in Erfahrung bringen.

Das wirklich Erstaunliche an diesem Programmteil ist, daß schon bei 512 KByte RAM kleinere Animationen möglich sind. Wer allerdings etwas Größeres vorhat, sollte 1 MByte oder mehr in seinem ST eingebaut haben. Das beigelegte Diashow-Programm spielt auch Animationen ab; ein weiteres Programm konvertiert Amiga-DPaint-Animationen in das ST-Format und umgekehrt.

Im abschließenden Überblick läßt sich sagen, daß im Bereich der Farbgrafik Deluxe Paint auf dem Atari ST absolut konkurrenzlos ist. Es setzt einen neuen Standard, obwohl es nicht das optimale Programm ist. Die Benutzerführung ist streckenweise unübersichtlich, der Griff zum Handbuch manchmal unvermeidlich.

Das größte Problem von DPaint ST: Es nutzt nur aus, was da ist. 16 Farben aus 512 (die 4096-Palette des STE wird auch unterstützt) ist heutzutage etwas wenig, und die Beschränkung der Bildgröße auf sture 320 mal 200 Pixel ist auch störend. Wenn man jedoch einfach nur das bestmögliche Mal-Programm für den Atari ST sucht, dann ist man bei DPaint sicher nicht an der falschen Adresse, (ts)

Rushware, Bruchweg 128-132, 4044 Kaarst 2

WERTUNG

Name: Deluxe Paint ST
Hersteller: Electronic Arts
Preis: 189 Mark

Stärken: Arbeitet bereits mit 512 KByte RAM □ eigener Font-Editor □ Animationsteil □ Funktionsvielfalt

Schwächen: Nur 16 aus 512 Farben □ Benutzerführung gewöhnungsbedürftig □ Bildformat auf 320 x 200 Pixel beschränkt

Fazit: Trotz einiger Einschränkungen das beste Malprogramm für den ST


Boris Schneider
Aus: TOS 01 / 1991, Seite 33

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