Mehr als nur schreiben: Calligrapher Professional, Textverarbeitung von Eclectron

Auf der Atari-Messe stellte Computer Mai den »Calligrapher« vor, eine Textverarbeitung, die Gestaltung mit grafischen Elementen, eine Formelsprache, Serienbrieffunktionen und noch manches andere bietet. Bei einem Preis von 398 Mark konkurriert der Calligrapher mit Kapazitäten wie »Signum« oder »That's Write« und bietet interessante neue Ansätze.

Der Calligrapher ist eigentlich keine Neuheit mehr, denn bereits 1987 brachte Eclectron dieses Programm mit mäßigem Erfolg auf den Markt. Inzwischen sind die Leistungsmerkmale allerdings so gestiegen, daß der neue Anlauf gelingen kann. Das Programm ist eine Textverarbeitung, die eine Reihe von Gestaltungsformen bietet, zum Beispiel Spaltensatz, Bildeinbindung und grafische Elemente wie Boxen oder Linien.

Zum Lieferumfang gehören ein Handbuch im DIN-A5-Schuber und drei Disketten mit dem Calligrapher, diversen Zusatzprogrammen, Treibern, Modulen, Fonts und einigen Beispieldokumenten. Um die Installation dieser Datenflut leicht abzuwickeln, bedient man sich am besten der automatischen Installation. Hier richten Sie das Programm entsprechend Ihrer Gerätekonfiguration ein und integrieren auch alle benötigten Import-/Exportmodule. Für den, der einen hat: Calligrapher läuft auch auf einem Großbildschirm.

Nach der Installation, entweder auf Diskette, besser auf einer Festplatte, können Sie den Calligrapher starten. Dabei muß immer die Hauptdiskette 1 im Laufwerk A liegen. Wer seine Registrierkarte an Computer Mai schickt, bekommt anschließend eine ungeschützte, auf seinen Namen installierte Diskette zurückgesandt. Mit dieser Version ist keine Startdiskette mehr nötig.

Wahlweise mit Maus oder Tastatur zu bedienen, verarbeitet das Programm bis zu sieben Dokumente. Mehrere Calligrapher-Dateien dürfen über die Kapitelnumerierung auch miteinander verkettet sein. Die Textdarstellung erfolgt entweder im Text- oder im Grafikmodus. Gedruckt wird über GDOS sowie mit speziellen Vektor-Fonts. Es stehen GDOS-Fonts in einer Größe von 10 bis 68 Punkt zur Verfügung.

Die Vektorfonts reichen in Einpunkt-Schritten von 6 bis 128 Punkt. Zwei Fonts, nämlich eine Serifen-Schrift und eine Serifenlose gehören zur Grundausstattung, drei weitere Disketten mit Fonts gibt es nach der Registrierung. Insgesamt lassen sich bis zu 32 Schriften in einem Dokument verwenden.

Zur Texterfassung sollten Sie weitgehend den Textmodus verwenden, der in seiner Verarbeitung erheblich schneller ist als der Grafikmodus. Im Grafikmodus erscheint der Text in echter WYSI-WYG-Manier und zeigt alle Schriftarten und -großen sowie Bilder und grafische Bestandteile. Bereits im Textmodus wirken sich die Angaben zur reinen Textgestaltung aus. Wichtigstes Mittel ist das »Lineal«. Es kontrolliert die Textausrichtung wie zentriert, links- und rechtsbündig oder Blocksatz und enthält alle üblichen Tabulatortypen. Außerdem steuern Sie mit dem Lineal den Spaltensatz des Calligraphers und den Zeilenabstand, der entweder einfach, doppelt oder frei einstellbar ist. Theoretisch darf an jeder Stelle im Text ein neues Lineal stehen. Es besteht also keine Bindung an einen Absatz wie beispielsweise bei »Script« oder über die Absatzlayouts bei »That's Write«. Die Lineale lassen sich kopieren, aus-schneiden, einfügen oder löschen. Über die Funktionen »Stilvorlage« oder »Glossar« speichern Sie auch die Lineale und rufen sie per Kurzbezeichnung direkt wieder auf. Damit lassen sich ganze Seiteneinstellungen vordefinieren. Besonders einfach ist der Spaltensatz mit Hilfe der Lineale zu erreichen. Im Lineal fügen Sie so viele Begrenzungen für linken und rechten Rand ein, wie Sie benötigen. Der Abstand der Spalten zueinander ist frei wählbar. Die Spalten lassen sich auch verschieben. Ein Klick auf den Zwischenraum zwischen zwei Spaltenmarkierungen öffnet eine Dialogbox, in der Sie die Breite für einen senkrechten Strich zwischen den Spalten angeben.

Der Text fließt immer vom Anfang der Spalte bis zum Seitenende oder einem explizit angegebenen Spaltenende (über Menü »Einfügen - Spaltenende«). Durch die Kombination mehrerer Lineale mit gleicher Spalteneinstellung lassen sich z. B. Zeitungsseiten nachbilden, in denen verschiedene Texte mit jeweils mehreren kurzen Spalten untereinander stehen. Maximal sind sechs Textspalten zulässig, die alle eine völlig eigenständige Gestaltung aufweisen dürfen. Allerdings werden die Spalten dann schnell so schmal, daß im Blocksatz mehr Löcher oder Trennstriche als Text zu sehen sind.

Bis zu acht Vorlagen pro Dokument

Auf den gesamten Text wirken die Editierfunktionen wie Kopieren, Ausschneiden, Einfügen und Löschen und die Stilvorlagen für die Voreinstellung von Schriftart und -große etc. Bis zu acht Vorlagen unterstützt der Calligrapher pro Dokument. Über die Lineale lassen sich noch weitere Stile einbauen. Hilfreich ist dabei die »Suchen & Ersetzen«-Funktion, mit der Sie nicht nur nach Text, sondern auch nach Stilangaben oder speziellen Steuercodes suchen können. Mit dieser Suche nach Steuerzeichen tauschen Sie z. B. alle kursiven Begriffe in Fettschrift.

Für Textverarbeitungen ist immer die Fußnotenverarbeitung interessant. Der Calligrapher beherrscht Kopf- und Fußzeilen und Fußnoten. Die Fußnoten lassen sich genauso gestalten wie der restliche Text, lediglich Spalten sind nicht zugelassen. Problematisch ist, daß der Calligrapher immer nur vollständige Fußnoten auf eine Seite bringt. Haben Sie einen längeren Text in der Fußnote, und der Platz genügt nicht mehr, dann überträgt das Programm den gesamten Haupttext ab der dazugehörigen Markierung auf die nächste Seite. Das bedeutet unter Umständen eine Lücke von mehreren Zeilen auf der Seite. Gerade im wissenschaftlichen Bereich kommt diese Situation immer wieder vor, und die Verteilung von Fußnotentext über mehrere Seiten ist fast unverzichtbar.

Bild 1. Maximal sieben Texte lassen sich gleichzeitig bearbeiten
Bild 2. Der flexible Spaltensatz erlaubt unterschiedliche Spalten
Bild 3. Der Formelsatz ist eine Wohltat für Mathematiker
Bild 4. Die Tabellenfunktion bringt Übersicht im Zahlenwirrwarr
Bild 5. Der Ideenprozessor sorgt für die richtige Gliederung

Daß der wissenschaftliche Bereich durchaus eine Hauptzielgruppe für das Programm ist, beweist die automatische Formelerzeugung. Anders als beispielsweise bei »Signum« benötigt der Calligrapher für eine Reihe von mathematischen Formeln keinen eigenen Zeichensatz, sondern erzeugt die Abbildung über einen integrierten Formelgenerator. Mit Hilfe einfacher Befehle schreiben Sie z. B. Integrale oder Vektorpfeile.

Auf das wissenschaftliche Umfeld zielt auch die »Tabellen«-Funktion, mit der sich einfach klassische Zahlenkolonnen ordnen lassen. Die einzelnen Teile müssen nur durch einen senkrechten Strich voneinander getrennt sein. In einer Auswahlbox bestimmen Sie dann das Erscheinungsbild der Tabelle. Dabei stehen verschiedene Linienstärken, Rahmen, Schatten und Ausrichtungen zur Verfügung. Fertige Tabellen behandelt Calligrapher wie eine komplette Grafik. So lassen sich z. B. auch mit den Funktionen des Art-Menüs ergänzende Zeichnungen einfügen.

Eine weitere Stärke des Programms sind die integrierten Zeichenfunktionen. Dazu gehört, im Menü »Box«, das Zeichnen eines Rechtecks beliebiger Größe mit oder ohne gerundete Ecken, doppeltem Rand und Schatten. Außerdem findet sich hier die Funktion »Strich« zum Zeichnen einer waagerechten Linie beliebiger Stärke. Die Rahmen sind an Textzeilen gebunden und lassen sich über die Ränder in den Linealen beeinflussen.

Das Menü »Art« bietet die fünf Grafikfunktionen Rechteck mit und ohne runde Ecken, Ellipse, Kreis und zusammengesetzte Linie. Bis auf die Linie, die aus maximal 33 Teilen bestehen darf, werden die Objekte mit dem eingestellten Füllmuster gefüllt. Für die Linien lassen sich noch Linienart, -stärke und Anfangs- bzw. Endform wählen. Über das »Pfeil«-Symbol plazieren Sie einen kurzen Text innerhalb einer Grafik.

Hilfreicher Ideenprozessor

Sehr hilfreich beim Schreiben längerer Texte ist der Ideen Prozessor. Mit dieser Funktion bauen Sie sich zunächst eine Gliederung Ihrer Arbeit und stellen sie als verzweigten Baum dar. Jetzt lassen sich jederzeit die einzelnen Elemente mit Text füllen, und Sie erkennen sofort, ob Ihre Gedanken in der logisch richtigen Gliederung stehen. Teile des Baumes lassen sich löschen, verschieben oder umstrukturieren. Entsprechend ändert sich auch die Numerierung der dazugehörigen Texte.

Ein ebenfalls beeindruckender Punkt nennt sich »Glossar«. Im Glossar lassen sich alle Text- oder Grafikteile eines Dokuments unterbringen und als Textbaustein mit einem Kürzel versehen. Da es keine Einschränkungen hinsichtlich der Länge dieser Einträge gibt, steht ein äußerst leistungsfähiges Bausteinsystem zur Verfügung. Beim ordnungsgemäßen Verlassen des Programms wird das vollständige Glossar in einer extra Datei gespeichert. So ist z. B. durch Kontakt zu anderen Anwendern schnell eine Bibliothek mächtiger Textbausteine aber auch Linealdefinitionen geschaffen.

Die restlichen Funktionen sind schnell zusammengefaßt. Der Calligrapher verfügt über eine leistungsfähige Rechtschreibkorrektur, für die verschiedene Wörterbücher in Deutsch, Französisch und Englisch existieren. Das Programm unterstützt Serienbriefschreibung, wobei Sie nur die Feld- und Datensatztrennzeichen der Adressdatei angeben müssen. Standardmäßig ist Calligrapher auf die Datenbank »Superbase« eingestellt. Neben dem Import von Adressen verarbeitet das Programm eine Reihe von Bildformaten, darunter Degas und *.IMG sowie einige Textformate wie »Redakteur«, »1st Word Plus« und ASCII. Dazu kommen das DXF-und das DIF-Format. Texte lassen sich auch als ASCII- oder direkt in das »Publishing Partner Master-Format exportieren.

Der Calligrapher besitzt eine Preview-Funktion, die vor dem Druck die Kontrolle der Gesamtseite erlaubt. Wahlweise zeigt das Programm eine, zwei oder acht beliebig zusammenstellbare Seiten des Dokuments. Zum Drucken stehen Treiber für 9-Nadel-, 24-Nadel-und Laser-Drucker zur Verfügung. Entweder druckt man im schnellen Textmodus oder im Grafikmodus, der jeweils die höchste Druckerauflösung unterstützt. Im Zusammenhang mit dem Druck ist noch die Möglichkeit des versteckten Textes erwähnenswert. Mit Hilfe von Steuerzeichen schreiben Sie Textstellen, die das Programm beim Ausdruck unterdrückt.

Wer Probleme bei der Bedienung hat, der nutzt die Online-Hilfe, die schnelle Auskunft bietet. In der mir vorliegenden Version waren die Texte leider nur auf Französisch, nach Aussagen von Computer Mai sind die Texte bei den jetzigen Versionen aber bereits ins Deutsche übersetzt.

Zusammengefaßt hinterläßt der Calligrapher einen sehr guten Eindruck. Die Integration von Grafik, Formelgenerator und Ideenprozessor machen das Programm sehr interessant. Die genannten Kritikpunkte, zu denen noch eine etwas gemütliche Verarbeitungsgeschwindigkeit und ein nicht besonders übersichtliches Handbuch zählen, verhindern überschwenglichen Jubel. Wer jetzt mit der Textverarbeitung einsteigt, sollte sich auf jeden Fall den Calligrapher anschauen.

Info: Computer Mai, Metzstraße 19, 8000 München 80

WERTUNG

Name: Calligrapher Professional
Preis: 398 Mark
Hersteller: Eclectron
Vertrieb: Computer Mai

Stärken: Formelgenerator □ integrierte Zeichenfunktionen □ Ideenprozessor □ flexibler Spaltensatz □ Bildeinbindung □ Serienbrief □ Rechtschreibkorrektur

Schwächen: Teilweise etwas langsam □ Fußnoten zu unflexibel □ Handbuch unübersichtlich

Fazit: Ein ernsthafter Kandidat für alle, die die vorgestellten Leistungsmerkmale benötigen


Wolfgang Klemme
Aus: TOS 12 / 1990, Seite 34

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