»Desktop Music System«, das integrierte Musikpaket

Waren das noch Nächte, in denen man stundenlang im Studio saß und an zahllosen Reglern und Potis »schraubte«, um den Traumsound zu finden. Vorbei die Zeiten, als das geheimnisvolle Glühen der LEDs und VU-Meter den musikalischen Geist stimulierten. Seit MIDI muß sich der Musiker mit nackten Zahlenkolonnen herumschlagen. Doch »Tentrax«, das Sequenzerherz des neuen Desk-top Music Systems von Roland, läßt jetzt Hoffnung aufkommen.

Trotz aller Nostalgie, wir befinden uns am musikelektronischen High-End. Die einem traditionellen Mischpult nachempfundene Bedieneroberfläche des neuen Sequenzers »Tentrax« bleibt damit ein, zugegeben schöner, optischer Effekt. Tentrax ist ein zehnstimmiger Sequenzer, der neben den heute üblichen Funktionen über einen integrierten Drumeditor und einen Noteneditor mit traditioneller Notendarstellung verfügt.

Das System zeichnet beliebige Ml-Dl-Daten mit einer Genauigkeit von V192 Viertelnoten auf. Es passen maximal 5330 Events auf eine Spur. Von den Steuervarianten und der Gesamtkonzeption ist die Software, die übrigens bei Steinberg programmiert wurde, voll auf den Betrieb mit den Roland Soundmodulen CM 32P, CM 32L und CM 64 abgestimmt. Diese Kombination, erweitert durch ein Einspielkeyboard wie das PC 200 von Roland, bilden das Desktop Music System, kurz DTM genannt.

Bild 1. Die Hauptseite das »echte« Mischpult von Tentrax

Offensichtlich ließen sich die Markting-Strategen im Hause Roland bei der Namensgebung von der DTP-Welle beeindrucken, die seit geraumer Zeit durch die Computerlande schwappt. Entsprechend der immer stärker wachsenden Nachfrage nach MIDI-Equipment, das auf die speziellen Bedürfnisse hauptamtlicher Computerbesitzer abgestimmt ist, packte Roland die genannten Soundmodule in ein Mega-ähnliches Gehäuse und sorgte mit Tentrax gleich für die passende Steuersoftware. Diese ist, passend zur Zielgruppe, eng auf die Grenzen des Systems festgelegt, spart nicht an optischen Reizen und programmiertechnischen Effekten und beschränkt sich auf das, was ein Hobbymusiker wirklich braucht. Machen wir gleich die Probe aufs Exempel und starten zu einer ersten Erkundung durch das DTM. Also zunächst das Soundmodul, ein CM 32L, per MIDI mit dem Atari verbinden und dann das CP 200, eine MIDI-Tastatur ohne eigene Tonerzeugung mit vier Oktaven Umfang, anschließen. Fehlt nur noch der Dongle, und ein Doppelklick auf das Programm und los geht's.

Nach dem Start präsentiert sich Tentrax mit seiner Hauptseite, dem »Mischpult« (vgl. Bild 1). Durch die »anschauliche« Bedieneroberfläche findet man sich sofort zurecht. Den Hauptteil des Bildschirms nimmt das Mischpult mit den zehn Kanälen ein. Neben dem Lautstärkeregler hat jeder Kanal eine Stummschaltung (Mute), einen Panoramaregler (Pan), einen Effektschalter (Reverb), eine Infobox für spurenspezifische Einstellungen, einen Soundnamen, eine Aussteuerungsanzeige (VU-Meter) und die Tracknummer, die gleichzeitig den eingestellten MIDI-Kanal zeigt.

Neben den zehn Kanälen befindet sich die »Mastersektion«, mit der Sie z. B. die Gesamtlautstärke, Lautstärkeverläufe und verschiedene Mischpulteinstellungen innerhalb eines Stückes steuern. Am rechten Bildschirmrand befinden sind die Knöpfe zur Steuerung des »Sequenzerbandes«, Locatorpositionen, Tempoanzeige und einige Buttons zum Verzweigen in verschiedene Untermenüs.

Der Klick auf »Menü« bringt ein Auswahlmenü auf den Schirm, mit dem Sie die Dateioperationen und diverse Grundeinstellungen für Tentrax steuern. Einige Funktionen wie das Laden und Speichern von Stücken lassen sich auch über die Tastatur steuern.

Doch zurück zur Praxis. Über »Load Song« hole ich mir einen Demosong mit dem vielversprechenden Namen »Demo2_32.sng« in den Speicher und starte mit »Play«. Das nun folgende, etwa einminütige Hörvergnügen überzeugt ohrenfällig von der Leistungsfähigkeit des DTM. Oder hätten Sie die komplette »Liveaufnahme« eines klassischen Orchesterstücks inklusive Pegelton, Stimmphase des Orchesters und Applaus des Publikums erwartet? Faszinierend aber nicht nur das akustische, sondern auch das optische Erlebnis. Die Laustärke- und Panoramaregler hüpfen und drehen sich, daß es eine wahre Freude ist. Und das schönste bei der ganzen Sache: Per Maus greifen Sie direkt in das Spielgeschehen ein. Nach diesem gelungenen Start hielt mich nichts mehr von den Tasten zurück. Immerhin hat das CM 32L beim Demosong bewiesen, welches Potential in seinen 128 Instrumenten-Sounds, 30 Rhythmus-Sounds und 33 Effekt-Sounds steckt. Bis zu 32stimmig spielbar ist das Kästchen und durch die dynamische Verteilung der Stimmen auf die gerade aktiven MIDI-Kanäle reicht das in der Praxis meistens vollkommen aus. In Verbindung mit dem integrierten Digitalreverb erhalten die Klänge eine schöne Räumlichkeit.

Für die Aufnahme aktiviert man per Mausklick den gewünschten Track, stellt den linken und rechten Locator auf die benötigte Taktzahl und startet mit »Record«. Dabei unterscheidet Tentrax vier verschiedene Aufnahmeformen. Mit »Precount« startet die Aufnahme nach einem zweitaktigen Vorzähler, »Direct« beginnt ohne Vorzähler an der aktuellen Position. Bei »Wait« läuft das »Band«, wartet aber mit der Aufnahme, bis das erste MIDI-Event eingespielt wird. »Punch« schließlich startet die Wiedergabe, nimmt ab dem Erreichen der linken Locatorposition auf und stoppt automatisch beim Erreichen der rechten Locatorposition. Um Platz zu sparen, lassen sich unerwünschte MIDI-Daten direkt bei der Aufnahme ausfiltern.

Sind auf diese Art und Weise einige Spuren eingespielt, geht es an die feinen Korrekturen und das endgültige Arrangement. Dazu wähle ich zunächst über den Soundnamen für jeden Track die gewünschte Klangeinstellung. In Verbindung mit dem CM 32L präsentiert mir Tentrax eine Übersicht aller verfügbaren Klänge, und ich bestimme den aktuellen Klang einfach mit der Maus. Natürlich lassen sich auch Klangwechsel auf einer Spur eingeben.

Als nächstes kopiere ich einzelne Teile des Songs zur gewünschten Folge von Intro, Strophen, Refrains, Bridges etc. und lösche nicht benötigte Teile über die globalen »Cut/ Paste«-Funktionen. Leider ist hier nur eine Bearbeitung ganzer Takte zulässig, halbe Takte muß man von Hand in jeder einzelnen Spur über »Score-Edit« bearbeiten. Zu den allgemeinen Bearbeitungen gehören bei Bedarf das Quantisieren nach Position oder Notenlänge, Verteilung der Kanäle im Stereobild über die Panoramaregler, Halleinstellung für die gewünschten Kanäle, globale Tempoänderungen für das gesamte Stück sowie »Snapshots« verschiedener Fadereinstellungen. Mit dem letzten Punkt simuliert Tentrax echte Mischvorgänge, die Sie während des laufenden Stückes direkt optisch kontrollieren können. Dazu verwenden Sie alle benötigten Einstellungen und bestimmen die Bandposition, an der das Programm wechseln soll. Dabei sind abrupte Wechsel und weiche Überblendungen möglich.

Bild 2. Im Desktop Music System sind alle Komponenten hervorragend aufeinander abgestimmt

Noch ein Wort zu den beiden Editorseiten, dem »Drum-Editor« und dem »Score Editor«. Beide sind in bewährter Manier aufgebaut und erinnern mich an die entsprechenden Seiten aus dem alten »Twentyfour III« von Steinberg. Im Drum Editor setzen Sie innerhalb eines Rasters für frei zusammenstellbare Drumsets die entsprechenden Schläge für jeden Takt. Dabei unterstützt Sie ein kleines Pop-Up-Menü, die »Toolbox« mit Trommelstock, Radiergummi, Lupe und Mauszeiger. Dieses Konzept stammt aus »Cubase«, dem derzeitigen Star unter den Sequenzern und bietet einen schnellen Zugriff auf die nötigen Funktionen. Die Instrumente zum Zusammenstellen eines Drumsets wählen Sie wieder bequem per Maus aus einer Übersichtskarte aus. Außerdem bietet der Editor eine Reihe von globalen Bearbeitungsfunktionen wie Loop, Copy, Quantize etc.

Der Score Editor zeigt die eingespielten MIDI-Daten in traditioneller Notenschrift. Es steht wahlweise ein einzelnes oder ein Doppelnotensystem zur Verfügung. Über diese Seite verändern Sie nachträglich jeden Parameter der eingespielten Noten, fügen einzelne Töne ein oder löschen sie. Auch hier sorgt eine Toolbox für schnelles Arbeiten.

Fazit: Für den Preis von 298 Mark bekommt man einen Sequenzer, der viel Spaß macht und auch von der Leistungsfähigkeit für den Hobbybereich vollkommen ausreicht. Es gibt eine Reihe preiswerterer Programme wie »Twelve« von Stein berg oder »1 st Track« von Geerdes, aber Tentrax ist am nächsten an den musikalischen Vorstellungen dran. Manche Funktion, wie z. B. das Kopieren von Taktteilen für alle Spuren gleichzeitig, sind praktisch aber nicht unbedingt lebensnotwendig. Wer einen Profisequenzer haben möchte, muß eben einige hundert Mark mehr ausgeben.

Das Programm läuft natürlich mit jedem MIDI-Expander, aber seine volle Wirkung entfaltet es erst im Zusammenspiel mit den Roland-Soundmodulen. Die Investition in ein gesamtes DTM-System ist nicht ganz billig, aber man bekommt ein in allen Teilen optimal aufeinander abgestimmtes System. Man muß sich nicht erst um diverse Grundeinstellungen kümmern, sondern kann sofort mit der Musik beginnen. Dieser Vorteil wiegt den etwas kräftigen Preis, vor allem der Soundmodule, voll auf.

Magic Music, Haagweg 11, 7110 Öhringen

WERTUNG

Name/Preis:
Tentrax-Sequenzer / 298 Mark,
CM 32L-Soundmodul / 1298 Mark,
PC 200-Steuertastatur / 598 Mark

Stärken: Sehr leichte Bedienung □ Eingriffe während des Abspielens □ optimal aufeinander abgestimmte Komponenten □ bereits mit einem Modul eine große Klangbreite realisierbar

Schwächen: Etwas hoher Preis □ Dongle □ keine Zusammenfassung fertiger Spuren auf einem Kanal □ kein Kopieren innerhalb von Takten

Fazit: Wer ein sicheres Komplettsystem für das musikalische Hobby sucht, ist mit dem DTM sehr gut bedient


Wolfgang Klemme
Aus: TOS 11 / 1990, Seite 44

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