Ausgereift

Anfangs begleiteten höhnische Bemerkungen der Satzprofis die Arbeit der Desktop-Publishing-Anwender. JETZT bietet die Software alle Voraussetzungen für Meisterwerke unter Tastatur und Maus. Doch der Computer schafft’s nicht allein - der Bildschirm-Layouter muß grundsätzliches Wissen über Typografie und Gestaltung mitbringen.

Auf Macintoshs und IBMs war DTP bereits anerkannt, als auch in der Atari-Welt die Zeit des professionellen Desktop Publishing begann. Längst waren die technischen Voraussetzungen im Hard- und Softwarebereich der »alten« Publisher-Welt kein Thema mehr, da wiederholte sich auf dem Atari ST in atemberaubendem Tempo die Geschichte des DTP noch einmal. Der Prozeß der Software-Reifung vollzog sich hier so schnell, daß die neuen Programme inzwischen Maßstäbe im professionellen Desktop-Design setzen und den »alten Herren« der anderen Marken Kopfschmerzen bereiten.

Die Atari-Publisher sind eine bunt zusammengewürfelte Gemeinschaft. Gibt es auf der einen Seite den Bereich der Satz- und Gestaltungs-Profis, so findet sich andererseits - nicht zuletzt durch das bisher unschlagbare Preis-Leistungsverhältnis - eine große Zahl von Publishern, die ohne gestalterische Vorbildung ihr Geld mit dem neuen leistungsstarken Werkzeug verdienen wollen.

Gerade hier rächt sich die zweifelhafte Informationspolitik der Werbestrategen, die noch immer verkünden, mit dem richtigen Equipment gehe alles, die Ausbildung spiele keine Rolle. Je mehr Funktionen ein DTP-System aber bietet, desto mehr kann man auch falsch machen. Frustriert stellen viele Neu-Anwender fest, daß die gestalteten Vorlagen ihre Wirkung verfehlen. Teure Anzeigen werden nicht gelesen, Briefpapiere wirken unseriös, und aufwendig produzierte Broschüren landen ungelesen im Papierkorb.

Doch bereits die Beachtung einfacher Regeln macht aus einem typografischen Schlachtfeld eine seriöse Anzeige, eine gut lesbare Broschüre oder ein werbewirksames Briefpapier. Die Grundregel für Gestaltung lautet schlicht: »Weniger ist mehr«. Gerade die Vielfalt der gestalterischen Freiheiten und die große Zahl der angebotenen Schriften ist eine Versuchung »aus dem Vollen zu schöpfen«. Insbesondere Anfänger möchten gerne in jedem Dokument zeigen, was ihr Programm alles kann. Die Ergebnisse sind gestalterisch oft schrecklich unübersichtlich. Neben dieser unverzichtbaren Grundregel gilt es noch einige weitere wichtige Gestaltungsregeln zu beachten.

Mit »Auszeichnung« bezeichnet man alles, was »ins Auge springen« soll. Das kann eine fette oder kursive (italic) Schrift sein, eine Unterstreichung, ein Pfeil, ein Rahmen, eine Buntfarbe oder auch nur ein Ausrufezeichen. Der häufigste Fehler liegt in der Annahme, daß mehr Auszeichnungen auch mehr Aufmerksamkeit bewirken. Weist eine kleine Anzeige alle erdenklichen Auszeichnungen auf, so müßte theoretisch eine Annonce mit höchstem Aufmerksamkeitswert entstehen. Leider funktioniert dieses Prinzip nicht. Viele Auszeichnungen auf kleinem Raum heben sich gegenseitig auf.

Die Auszeichnung wichtiger Gestaltungselemente gelingt nur, wenn ein Kontrast zum Umfeld festzustellen ist. Die harmonische Abstimmung der einzelnen Gestaltelemente auf- und zueinander ist entscheidend für die Wirkung des Gesamtobjekts. Gestaltelement ist dabei alles, woraus sich Anzeige, Broschüre oder Briefpapier zusammensetzen: Schriftgröße, Schriftstärke, Schriftschnitt (normal, kursiv, fett etc.), Laufweite (Abstand der Buchstaben voneinander), Verwendung von Versalien (Großbuchstaben), Durchschuß (Abstand der Zeilen voneinander), Einrückungen, Linien, Rahmen, Schmuckelemente - die Aufzählung läßt sich beliebig ergänzen. Die meisten Anwendern vergessen dabei auch die enorme Wirkung des »Weißraums«, also der unbedruckten Flächen. Gute Gestalter lösen sich in der Entwurfsphase von der Bedeutung der gedruckten Worte und betrachten jedes Element des zu gestaltenden Objekts als grafische Form. Die grafische Form entsteht aber nicht nur durch den Buchstaben oder die Linie, sondern ebenso durch die Fläche, die den Buchstaben oder die Linie (... Fläche etc.) umgibt.

Der Typograf und gestandene Desktop-Publisher lächeln nur müde über die Behauptung, es gäbe lediglich ein Alphabeth und das bestehe aus den Buchstaben A bis Z und den Umlauten Ä, Ö und Ü. Aus der Warte des Satzschriftenanwenders gibt es Tausende von Alphabethen, und sie bestehen nicht nur aus A bis Z und ÄÖÜ, sondern auch aus a bis z und äöü, sowie den Ziffern, Satz- und Sonderzeichen. Dieses, auf den ersten Blick unglaubliche Überangebot vieler unterschiedlicher Schriftenanbieter, erweist sich in der Praxis des Gestalters als durchaus sinnvoll und notwendig. Zwar läßt sich mit einer einzigen Schrift jeder Text schreiben, doch bieten erst die Nuancen der unterschiedlichen Schriftschnitte die Voraussetzung zur Gestaltung des Textes.

Die Wahl der Schrift unterliegt dabei sehr unterschiedlichen Kriterien. Erstes Auswahlkriterium ist natürlich das Einsatzgebiet der Schrift. Wollen Sie eine Headline (Überschrift) setzen oder einen Anzeigentext, wollen Sie ein Großflächenplakat beschriften oder soll die Schrift als »Brotschrift« eines Buches dienen? Wichtigstes Kriterium für längere Texte muß die Lesbarkeit sein, soll die Gestaltung nicht zum Selbstzweck werden. An zweiter Stelle steht die »Aussage« der Schrift, also ihr Charakter. Passen der Inhalt des Textes und der Charakter der Schrift zusammen oder widersprechen sie sich? Welche Anmutung ist gewünscht? Welche Zielgruppe hat das Buch oder die Anzeige? Je nach Aufgabenstellung gibt es die unterschiedlichsten Lösungen.

Um die Wahl der Schrift zu erleichtern, sollten die üblichen Klassifizierungen geläufig sein. Die gängige Unterteilung der Schriften sieht acht Gruppen vor:

Renaissance Antiqua
Barock Antiqua
Klassizistische Antiqua
Serifenbetonte Antiqua
Serifenlose Antiqua
Antiqua-Varianten
Schreib- und Pinselschriften
Gebrochene Schriften

Für den Einsteiger sind die Unterschiede zwischen den ersten drei Gruppierungen schwer nachvollziehbar, deshalb werden sie gelegentlich vereinfachend als Antiqua zusammengefaßt. Trotzdem sollten DTP-Anwender jede Gruppe kennen.

Die Renaissance Antiqua ist in der Regel dreieckförmig aufgebaut und hat geringe Kontraste zwischen Grund- und Haarstrichen, während bei der Barock Antiqua dieser Kontrast schon deutlicher ist. Die Serifen sind runder. Am größten ist der Kontrast zwischen Grund- und Haarstrichen bei der klassizistischen Antiqua ausgeprägt, auch ist die Achse der Buchstaben senkrechter. Faßt man die drei Gruppen vereinfachend unter der Bezeichnung Antiqua zusammen, so ist das typische Merkmal die fein ausgebildete Serife und die hervorragende Lesbarkeit bei Fließtext. Antiqua-Schriften sind bestens für große Textmengen (Broschüren, Zeitschriften) geeignet, aber auch in Anzeigen mit »vornehmen« Charakter. Etwas klotziger tritt die serifenbetonte Antiqua auf, deren Merkmal, wie der Name schon sagt, die kräftig betonte Serife ist. In Textzeilen betont diese Schriftgruppe die Waagerechte. Modern, sachlich bis nüchtern tritt hingegen die serifenlose Antiqua auf. Ihr Merkmal: völliger Verzicht auf Serifen und »unnötige Schnörkel«. Nur für besondere Aufgaben eignen sich die Antiqua-Varianten, Schreibschriften und gebrochenen Schriften. Der Schriftcharakter ist so aussagestark, daß diese Schriften fast ausschließlich für Headlines und Werbung eingesetzt werden.

Nun aber zur Praxis. Häufig unterschätzte aber immer wieder auftretende Aufgabe ist die Visitenkarte. Dazu die Hauptüberlegungen in Stichworten: Visitenkarten werden stets persönlich übergeben, Hauptinformation ist der Name des Gesprächspartners. Für das Nachlesen im Anschluß an die Besprechung benötigt man Daten wie Firma, Telefon, FAX und Adresse. Liegt der größte Wert auf riesigen Firmenlogos, entsteht schnell der Eindruck, daß der Überreicher nur ein unbedeutender Gesprächspartner ist, bzw. das repräsentierte Unternehmen keinen Wert auf die Stellung der Mitarbeiter legt. Nebenaussage: Diese Firma hat es nötig.

Visitenkarten - Riesige Logos signalisieren: Bei diesem Unternehmen ist der einzelne Mitarbeiter wenig wert.

Ähnlich sieht es bei Briefpapieren aus. Überladen Sie Ihren Briefbogen mit »klotziger« Typografie, wirkt die Gestaltung billig. Großklotzige Werbung haben nur kleine Klitschen nötig. Vornehm zurückhaltende Typografie wirkt seriös und hochwertig. Übrigens, der später getippte Text ist Bestandteil der Gestaltung, testen Sie Ihren Entwurf deshalb immer im beschriebenen Zustand. Perfektionisten unterschreiben immer mit dem selben Stift - in der Firmenfarbe.

Mit dem Thema Anzeigengestaltung lassen sich problemlos ganze Bücher füllen. Besonders wichtig ist bei der Tageszeitungsanzeige der bereits beschriebene Test im Umfeld anderer Anzeigen. Nur ganzseitige oder doppelseitige Anzeigen umgehen das Risiko, von der Konkurrenz »erschlagen« zu werden. Geben Sie sich erst dann mit Ihrem Entwurf zufrieden, wenn Sie feststellen, daß sich Ihr Entwurf im unruhigen Umfeld behauptet. Beschränken Sie sich auf wenige wichtige Aussagen, Sie können unmöglich alle Leistungen eines Unternehmens in eine Anzeige packen. Beschränken Sie sich auf wenige Auszeichnungen und vermeiden Sie, alle Effekte, Schriften und Grafiken Ihres DTP-Systems vorzuführen. Eine klare Linie in der Gestaltung unterstreicht eine klare Aussage.

Zuletzt ein paar Beispiele zur gängigen Seitenaufteilung in Broschüren und Zeitschriften. Wichtigster Bestandteil einer Textseite ist natürlich der Text. Die Aufgabe des Gestalters liegt darin, dem Leser seine Tätigkeit zu erleichtern und so den Informationsfluß zu verbessern. Aus diesem Grunde finden für den Fließtext bevorzugt Antiquaschriften (Garamond, Times) Verwendung. Bei Vorliebe zur Sachlichkeit ist auch eine serifenlose Antiqua denkbar, die sollte allerdings gut auf Ihre Lesbarkeit getestet sein. Geeignet sind hier beispielsweise die Univers oder die Triumvirate. Achten Sie darauf, daß Textzeilen üblicher Schriftgröße nicht länger als 7 cm sein sollten, das Auge ermüdet sonst zu sehr.

Verwenden Sie besondere Aufmerksamkeit auf die Wahl der Buchstaben- und Zeilenabstände. Die Leser danken es Ihnen durch erhöhte Aufmerksamkeit. Überschriften (Headlines) und Zwischenüberschriften (Subheads) sollten zum Fließtext passen und im gesamten Werk, ebenso wie der Fließtext, aus nur einer Schrift bestehen. Zierelemente, wie Balken oder Sternchen, betrachten Sie immer als Unterstreichung des Textes, niemals als Konkurrenz zum Text. Die beste Schule ist die Übung und die kritische Auseinandersetzung mit dem entstandenen Werk. Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg. (wk)


Rüdiger Morgenweck
Aus: TOS 10 / 1990, Seite 86

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