Dies ist die beinah unendliche Geschichte des ersten funktionsfähigen PC-Emulators für den Atari ST. Und die Geschichte des Mannes, der im Alleingang schaffte, woran selbst Atari scheiterte. Aber es ist auch die Geschichte vom harten Business, von Millionenbeträgen, von verzweifelten Anläufen und schweren Rückschlägen - die Stationen des PC-Speed.
Als die Großmutter im Jahr 1981 ihrem 14-jährigen Enkelkind Hans-Jörg seinen ersten Elektronik-Baukasten schenkt, ahnt sie nicht, daß Sie damit den Grundstein zu einer der aufregendsten Karrieren in der Geschichte des Atari STs setzt. Nur acht Jahre später wird der inzwischen 23-jährige Elektrotechnik-Student nicht nur sämtliche ST-Anwender, sondern auch professionelle Firmen in Erstaunen versetzen. Da dem begeisterten Elektronik-Tüftler die Möglichkeiten des Baukastens zu sehr eingeschränkt sind, wagt er bereits ein Jahr später den folgenreichen Schritt in die Computerwelt: Zu dieser Zeit findet der ZX81 reißenden Absatz, ein Computer, der mit 1 KByte RAM für die damaligen Verhältnisse beinahe fürstlich ausgestattet war. Nach längeren Lieferschwierigkeiten des Herstellers Sinclair hält Hans-Jörg Sack seinen ersten Computer in Händen und beginnt sogleich mit den ersten Programmierübungen in Basic und Assembler. Wieder ein Jahr später löst der Commodore C 64 den ZX81 ab. Bei diesem Gerät erwacht in Hans-Jörg Sack erneut die Begeisterung für Hardware-Erweiterungen. Zu privaten Zwecken entstehen in der elterlichen Werkstatt der Firma »Sack Meßgerätebau« ein Sampler und ein vollwertiges Oszilloskop. Schon zu dieser Zeit macht sich der begeisterte Bastler Gedanken über Simulationen und Emulatoren. Das erste in die neue Richtung gehende Projekt steigt aber erst im Jahr 1986, als Hans-Jörg mit dem 260ST (mit 512 KByte RAM und ohne ROM-TOS) den 16-Bit-Sektor betritt: Mit Hilfe des Profimat-Assemblers entwickelt er eine Software-Emulation des Pocketcomputers Sharp PC1402. Durch Zufall fällt ihm zu dieser Zeit ein Software-PC-Emulator in die Hände. Obwohl er damals noch kein großer PC-Kenner ist, ist ihm sofort klar, daß dieser Emulator zum Arbeiten viel zu langsam ist. Während eines Erholungsurlaubs an der Ostsee im Sommer 1988 macht er sich das erste Mal Gedanken über den Aufbau eines hardwareunterstützten MS-DOS-Emulators. »Es traf mich wie ein Blitzschlag im Strandkorb«, verrät Hans-Jörg Sack. »Damals kannte ich mich ja noch gar nicht so gut mit PCs und ihrem Aufbau aus. Also besorgte ich mir noch im Urlaub möglichst viel Literatur. Glücklicherweise kam damals gerade ein PC-Einsteigersonderheft heraus, dem ich sehr viel über die MS-DOS-Computer und ihre Hardware entnehmen konnte.«
Vor der Realisation des Projekts stehen viele Überlegungen: Mit Hilfe des Hardware-Emulators soll der ST-Besitzer schnell und vor allem preiswert in den Genuß der leistungsfähigen PC-Software gelangen. Dabei darf die Hardware nicht zu komplex und speicherfressend ausfallen. Daß sich sein Vorhaben »nicht mit geringem Aufwand« durchführen lassen wird, ist Hans-Jörg Sack klar. Ein entmutigendes Beispiel bietet ihm zu dieser Zeit das Atari-eigene Produkt:
Der Original-Atari-Emulator ist zwar einmal auf einer Messe zu sehen, verschwindet dann aber sang- und klanglos in der Versenkung. Warum hat Atari seinen Emulator nicht bis zur Vermarktung weiterentwickelt? »Vielleicht hat Atari die Absatzchancen unterschätzt. Ich war aber schon damals der Meinung, daß ein PC-Emulator dem ST vielleicht sogar zu einem noch größeren Markterfolg verhelfen kann.« Eine Vermutung, die sich nur knapp ein Jahr später als richtig erweisen soll.
Im selben Jahr noch stellt Beta-Systems einen eingeschränkt funktionstüchtigen Prototypen des Superchargers vor. Doch dessen Konzept überzeugt Hans-Jörg noch nicht: Ihn stört, daß sich der Anwender »quasi einen zweiten Computer neben den ST stellen muß, mit eigenem RAM und so.« Vor allem die gerade rapide steigenden Preise für RAM-Chips zwingen seine Überlegungen in die Richtung, daß »ein guter Emulator die Hardware des ST so weit wie möglich ausnutzen muß, vorrangig den Speicher. Dabei muß man natürlich umdenken. Ein PC ist ja sehr einfach aufgebaut, weitaus einfacher als der ST. Sogar ein C 64 ist wesentlich komplexer als ein moderner PC.«
Über mehrere Monate hinweg setzt Hans-Jörg Sack sein Vorhaben in die Tat um. Nachdem das Grundkonzept steht, geht die Planung ins Detail. Als Prozessor entscheidet sich Sack für den NEC V30. »Wegen des 16-Bit-Datenbusses des ST mußte es ein 8086-Prozessor sein, da dieser die Daten im Gegensatz zum 8088 direkt an den ST-Bus weitergeben kann. Ich habe damals viele Berichte über den V30 gelesen, und er hat mich überzeugt. Der V30 teilt sich also mit dem 68000er den Datenbus und übernimmt die Bildschirmsteuerung.« Hier erreicht der NEC-Prozessor sogar die volle Blittergeschwindigkeit. An Grafikkarten simuliert der PC-Emulator die CGA- und die Hercules-Karte. Um die Geschwindigkeit zu steigern, löst die Emulator-Logik einen Interrupt aus, sobald Daten in den Bildschirmspeicher geschrieben werden. Der NEC-Prozessor kopiert also nur dann Bildschirmdaten aus dem MS-DOS- in den ST-Bildschirmbereich, wenn sich im Bildspeicher etwas geändert hat.
Manchmal hätte ich das Ding am liebsten aus dem Fenster geschmissen«, gesteht Hans-Jörg Sack. Doch er gibt nicht auf. Um den gesamten Emulator auf einer kleinen Platine unterzubringen, baut er die Schaltung mit einer programmierbaren Logik (PALs) auf. Im Dezember 1988 ist die Hardwareentwicklung abgeschlossen, in langen Nächten arbeitet sich Hans-Jörg Sack in die Maschinensprache des NEC V30 ein. Seine MC68000-Kenntnisse sind ihm dabei nur wenig nützlich. Er entwickelt in 8086-Assembler sein eigenes BIOS (geräteabhängiger Teil des Betriebssystems) für den NEC-Prozessor, das die Bildschirmausgabe schneller bewältigt als der 68000er. Anfang 1989 ist der MS-DOS-Emulator erstmals lauffähig. Jetzt beginnt eine lange, nervenaufreibende Testphase. Immer wieder tauchen Fehler auf, immer wieder strickt der Entwickler seine Software um. Bis der Emulator eines Nachts »höchst zufriedenstellend« arbeitet. Wegen der beeindruckenden Geschwindigkeit tauft Hans-Jörg Sack sein »Baby« auf den Namen »PC-Speed«. Natürlich ist die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. Beispielsweise existiert noch kein Treiber für die original Atari-Maus. Vorrangig gilt aber zunächst, versteckte Fehler im Praxistest zu finden. Und den PC-Speed der Öffentlichkeit vorzustellen.
Wenige Tage später erscheint in einer ST-Fachzeitschrift eine Anzeige der Firma SCS. Diese bietet einen preiswerten MS-DOS-Emulator, steckbar an den ROM-Port des Atari ST. Für Hans-Jörg Sack ein Rückschlag: »'Jetzt bist Du zu spät', habe ich mir gedacht.« Damals weiß noch niemand, daß der SCS-Emulator niemals über seine Ankündigung hinauskommen wird.
Erst als eine in Hannover ansässige Computerzeitschrift diesen Verdacht ausspricht, faßt der PC-Speed- Entwickler wieder Mut und ruft in der Redaktion an, um seinen MS-DOS-Emulator den Redakteuren vorzuführen. Sein Gesprächspartner wirkt zunächst pessimistisch und gelangweilt, gibt Hans-Jörg Sack dann aber doch einen Termin. »Die glaubten zuerst an einen Scherz, aber als ich dann hinfuhr, alles aufbaute und das Ding einwandfrei lief, scharten sich auf einmal alle Redakteure um mich und konnten es gar nicht glauben.« Den Vorschlag, den PC-Speed im Rahmen eines monatlichen Projektes zu veröffentlichen, lehnt Hans-Jörg Sack ab - ein Entschluß, den er heute zumindest finanziell nicht bereut. Anschließend stellt er seinen PC-Speed einer ST-Fachzeitschrift vor. »Der Vorteil dabei war, daß ich praktisch keinen Aufwand für Werbung betreiben, also nicht selbst groß die Werbetrommel rühren mußte. Und die ST-Besitzer stürzten sich ja auf alles, was in Richtung PC-Emulator ging. Die Resonanz war gewaltig.« Angespornt durch die positiven Berichte in den Fachzeitschriften und die unglaubliche Resonanz von Seiten der ST-Besitzer beschließt der Entwickler, sein Produkt in Serie herzustellen.
Ein erster Kostenvoranschlag bringt ihn von der großen Euphorie in die harte Realität zurück. Platinen, Teile, Bestückung, Disketten, Verpackung und Versand sind sehr teuer. Seine Mutter und Inhaberin der elterlichen Firma Sack Meßgerätebau ist von den Plänen ihres Sohnes und vom runden PC-Speed-Konzept überzeugt. Sie stellt ihrem Sohn das Geld für die ersten 1000 PC-Speeds leihweise zur Verfügung. Schnellstens werden Platinen, Prozessoren, Chips, Kondensatoren und Widerstände besorgt und eine Firma zum Zusammenbau gesucht. Das beste Angebot erhält Hans-Jörg Sack von der nur 25 km entfernten Paderborner Firma Paragon-Elektronik. Die Firma erhält vom Auftraggeber Leerplatinen und Teile. Roboter bestücken in Windeseile die Platinen. Zuhause beginnt dann für den damals 22-jährigen Studenten das zeit- und nervenaufreibende Testen: Damit der Endkunde garantiert einen funktionstüchtigen Emulator erhält, baut Hans-Jörg Sack jeden einzelnen PC-Speed in seinen ST ein, testet ihn mit Hilfe seiner selbstentwickelten Software durch und baut ihn wieder aus. Anschließend landet der funktionstüchtige PC-Speed in der Schaum-stoff-gepolsterten Verpackung, zusammen mit zwei zusätzlichen Sockeln, einer Einbauanleitung und einer Diskette mit der Software.
Zunächst vertreibt Hans-Jörg Sack seinen PC-Speed im Rahmen der elterlichen Firma selbst. Dabei ist ihm seine Mutter Ursula eine große Hilfe. Während sich Sohn Hans-Jörg um die Hardware-Seite kümmert, erledigt Mutter Ursula das Geschäftliche: »Von dem ganzen Computerkram habe ich keine Ahnung, aber bei den Papieren, Zahlen und Rechnungen habe ich den Überblick«, lächelt Frau Sack verschmitzt. Heute ist sie für den als Freiberufler für die Firma Sack Meßgerätebau tätigen Hans-Jörg eine unverzichtbare Hilfe geworden.
Die PC-Speed-Welle reißt nicht ab. Kaum ist eine Serie fertig, gibt Hans-Jörg Sack schon wieder die nächste in Auftrag. Schon bald muß er einsehen, daß der Familienbetrieb dem enormen Andrang nicht mehr gewachsen ist. »Das war auf Dauer zu stressig. Vertrieb, Testen und dann auch noch die vielen Anrufe von den Anwendern, die ja alle zu Recht einen ordentlichen Support erwarten.« Auch heute hat er immer ein offenes Ohr für die Probleme der PC-Speed-Anwender.
Die langwierige Suche nach einem Vertriebspartner fällt für Hans-Jörg Sack aus: »Fast täglich bemühten sich verschiedene Vertriebe um den PC-Speed, die meisten kamen auch vorbei. Ich dachte, ich höre mir mal an, was die so sagen. Schließlich kann ich dabei ja nur was lernen.« Auch ein bekannter großer Computerhersteller zeigt Interesse am PC-Speed. »Da mußten allerdings wir vorbei kommen«, fährt Hans-Jörg fort. Nach wenigen Tagen (»Es mußte alles sehr schnell gehen«) schränkt Familie Sack die Zahl der in Frage kommenden Vertriebspartner ein. Das beste Angebot macht der Heim-Verlag, für den sich Hans-Jörg Sack und seine Mutter nach vielen durchwachten Nächten entscheiden. »Bisher läuft die Zusammenarbeit sehr gut«, verrät mir Ursula Sack. Von jetzt an erhält der Heim-Verlag von Hans-Jörg Sack die lauffähigen MS-DOS-Emulatoren und kümmert sich um Verkauf, weltweiten Vertrieb, Support und Software-Update-Service.
Bis heute wurden mehr als 21000 Exemplare des PC-Speed verkauft, davon rund 1000 Ausführungen für den STE. Trotzdem geht die Entwicklung stetig weiter, die Software trägt heute die aktuelle Versionsnummer 1.4. Als wichtigste Zukunftsentwicklung nennt Sack die Unterstützung des Laserdruckers. Ursula Sack ist stolz auf ihren Sohn: »Den Erfindergeist hat er wohl von seinem Großvater geerbt, der hat ja auch ein paar Patente.« Als ich Hans-Jörg Sack nach der Zukunft des PC-Speed frage, führt er mich in seine Entwicklerwerkstatt im Keller. In einem aufgeschraubten Mega ST schlummert der brandneue PC-Speed-Nachfolger in Form einer endlos verdrahte-
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