Ich sehe uns in der Nähe von NeXT. Der II/X als Low-Cost-NeXT ist wohl der treffendste Vergleich
Henry Plummer (rechts) mit Kollegen aus der UNIX-Gruppe
TOS: Mr. Plummer, was war Ihre Aufgabe bei der Entwicklung des TT/X?
Henry Plummer: Ich bin für die gesamte Software des Projektes zuständig.
TOS: Wann haben Sie mit der Entwicklung des Atari-UNIX (ATX) angefangen?
Henry Plummer: Nun, als ich vor zwei Jahren zu Atari kam, war mein erster Job zunächst eine Analyse, die das ganze ATX-Projekt unter die Lupe nahm. Die wichtigste Entscheidung betraf das Betriebssystem: Sollten wir alles bei Atari entwickeln und allein dafür 20 Mannjahre Entwicklung investieren - oder ist es klüger, erfahrene UNIX-Firmen hinzuzuziehen. Wir entschieden uns für letzteres und nahmen im Mai 1988 die Gespräche mit Entwicklerhäusern wieder auf, die bereits 1986 auf der Basis eines frühen TT/X-Prototypen begonnen hatten. Es handelte sich damals noch um ein reines UNIX-System ohne jede TOS-Kompatibilität.
TOS: Wieso ist die Übertragung eines UNIX-Systems so aufwendig?
Henry Plummer: Nicht nur die Programmierung ist aufwendig sondern auch die richtige Zusammenstellung des UNIX-Paketes, die Kombination vieler kleiner Päckchen zu einem großen geschlossenen Produkt, das der Markt annimmt. Die Verbindung der Anwender-Programme mit den Compilern, XWindows, und dem 1,1 MByte großen Betriebssystem ist für sich schon eine Riesenarbeit. Aber wir hoffen, bis zum Ende des Jahres ein stabil arbeitendes System zu haben.
TOS: Aber Sie schreiben die Software doch nicht von Grund auf neu?
Henry Plummer: Nein, unsere Arbeit ist die Anpassung an die Hardware. Dabei haben wir versucht, Software zu verwenden, die frei von Lizenzgebühren ist. Für UNIX mußten wir von AT&T eine Lizenz kaufen, bei der Compiler-Umgebung hatten wir aber freie Hand: Wir entschieden uns für den GNU-Compiler der »Free Software Foundation« und XWindows, das es kostenlos beim M.I.T. gibt. Wir sprangen also mit der besten Software des Marktes auf den fahrenden Zug, ohne das Rad neu erfinden zu müssen.
TOS: Welche Schwierigkeiten tauchten bei der Software auf?
Henry Plummer: Als wir uns auf die Suche nach einem vernünftigen Desktop machten, war der Markt dafür in einem desolatem Zustand. Weder AT&T noch Sun konnten etwas Brauchbares vorweisen. Meine Mitarbeiter machten mich auf den »Wish«-Desktop der Firma »Non Standard Logics« in Paris aufmerksam, ich sah mir »Wish« an, mir gefiel die Optik, die grafische Darstellung der Dateiverwaltung. Vor allem kommt es ohne die Kommandoebene aus. Den Ausschlag gab die Einbindung von grafischen Tools zur Systemverwaltung, so daß unsere Anwender nie auf die System-Ebene hinuntergehen müssen. Wenn Sie eine externe Festplatte anschließen, formatieren und mit Ordnern strukturieren möchten, kommen Sie bei UNIX bisher nicht um die Kommando-Ebene herum. Wir haben uns für den grafischen Weg entscheiden. Das betrifft auch die Organisation von Netzwerken, das Backup von Festplatten, Peripherie jeder Art. So etwas ist uberlebenswichtig. Unser Ziel ist, daß jeder ohne UNIX-Kenntnis in der Lage ist, mit »ATX« zu arbeiten.
TOS: Wenn UNIX ein Standard ist, wieso gibt es heute so viele unterschiedliche System-Konfigurationen?
Henry Plummer: UNIX ist ein ganz schönes Monster. Standardisiert ist es nur bis zu dem Punkt, der Code-Kompatibilität gewährleistet. Es gibt also keine Kompatibilität bis auf Bit-Ebene. Sobald man hardwarenah programmiert, existieren keine Regeln mehr, jedes System ist anders.
TOS: Wie teilen Sie die Arbeit in der UNIX-Gruppe auf?
Henry Plummer: Zwei Leute arbeiten an der grafischen Benutzeroberfläche, einer kümmert sich um die XWindows-Implementation, einer ums Testen. Wir beziehen einen Großteil der Software von Umsoft in London und NSL in Paris. Unisoft entwickelt unter anderem den Kernel (Systemkern). TOS: Was haben Sie getan, bevor Sie zu Atari gingen?
Henry Plummer: Ich habe acht Jahre bei dem Workstation-Produzenten »Fortune Systems« gearbeitet. Wir brachten den ersten Desktop-UNIX-Computer auf den Markt, aber leider war das Marketing schlecht.
Ich fing als Programmierer für Business-Software an, leitete drei Jahre lang die Compiler- und Netzwerk-Gruppe und war am Ende für die UNIX System V, Version 3.1 Implementation verantwortlich, die aber nie auf den Markt kam. Das Management hatte sich damals für den Intel 80386-Markt entschieden.
TOS: Mit welchem System würden Sie den TT/X vergleichen?
Henry Plummer: Ich sehe uns in der Nähe von »NeXT«. Unsere Grafik ist vielleicht nicht ganz so schick, aber das Konzept ist hinsichtlich der Funktionalität sehr ähnlich. Ich empfinde viel Respekt für die Next-Entwickler, auch wenn das Marketing nicht ganz so glücklich ist. Der TT/X als »Low-Cost-NeXT« ist wohl der treffendste Vergleich. Nur halten wir uns an die gängigen Standards.
Die Leute sollen wissen, daß wir es ehrlich meinen. Wir haben hart daran gearbeitet, um auf der CeBIT ein ernsthaftes UNIX-System vorzustellen. Das System befindet sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Entwicklung. Wir haben uns entschlossen, ATX ohne UNIX-typi-sches Schaumschlagen und Sprücheklopfen der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen, aber schließlich konnten wir die CeBIT nicht verschieben. Ich bin aber zuversichtlich, ab 31. Mai die Entwicklersysteme auszuliefern.
»ATX ist wohl das aufwendigste Produkt, das Atari je entwickelt hat«, so Henry F. Plummer (39), Leiter der UNIX-Entwickler-Gruppe. Exklusiv schildert er in TOS Zielsetzung, Zustand und Geschichte der ersten UNIX-Implementation auf Atari-Computern.
TOS: Wie sieht die ATX-Dokumentation aus?
Henry Plummer: Wir haben uns für einen Developers-Guide entschieden, eine Art Ratgeber für die Berge an UNIX Literatur. Ich kenne einen Professor, der sich eine Sun-Workstation kaufte. Neben dem Computer gab es eine Kiste mit 20 Kilogramm Dokumentation dazu. Nach drei Monaten stand die Kiste an der gleichen Stelle, so gut wie nie benutzt, zuviel Papier. Hewlett Packard gibt seine Dokumentation künftig auf CD-ROM heraus. Ich halte das für eine sehr gute Idee und hoffe, unsere Dokumentation später auch elektronisch herauszugeben.
TOS: Mr. Plummer, wir danken Ihnen für das Gespräch.