Nach dem Besuch im Fitneßstudio zwickt Sie künftig kein Muskelkater mehr. In seinem Sportzentrum testet Ex-Skinationaltrainer Georg Stanggassinger mit einem Atari 1040 ST Kraft und Ausdauer der einzelnen Muskeln und entwickelt für jeden Sportbegeisterten ein optimales Trainingsprogramm.
Der Atari ST gibt durch einen hellen Piepston das Startsignal. Doris Huber packt die weißen Stahlrohre rechts und links unter den Stuhllehnen fester. Mit aller Kraft bewegt sie den Unterschenkel ihres linken Beins vor und zurück. Bei jeder Auf- und Abbewegung ächzt die ans Bein geschnallte Plastikmanschette, knirschen die Klettbänder an Bauch und Beinen. Pfeifend entweicht die Luft aus den Kolben des hydraulischen Meßgeräts. Doris' Gesicht ist vor Anstrengung verzerrt. Nach fünf Sekunden ist alles vorbei: »Kannst aufhören« sagt Georg Stanggassinger, und Doris sinkt entspannt in den Stuhl zurück. Dann befreit sie sich flink von den Klettbändern an Bauch und Oberschenkeln. Normalerweise sitzt Doris Huber dort, wo jetzt Georg Stanggassinger sitzt, und testet über den angeschlossenen Atari ST Muskeln und Gelenke von anderen Leuten. Nur für TOS ließ sie sich selbst als Testperson einspannen. Da aber die Diplomsportlehrerin - mit Fachrichtung Rehabilitation - erst seit zwei Monaten in Stanggassingers »Institut für Sport und Rehabilitation« arbeitet und »bisher noch keine Zeit hatte, für sich selbst einen Test zu machen«, ist sie jetzt selbst gespannt auf die Ergebnisse. Zusammen mit dem Reporter schaut sie Georg Stanggassinger bei der Auswertung neugierig über die Schulter. Der ST hat inzwischen die 5000 Einzeldaten, die das Meßgerät während des fünf Sekunden dauernden Tests ermittelt, zu einer Kurve zusammengesetzt und auf den Schwarzweiß -Monitor geschickt, wobei er nach links die Zeit, nach oben das Drehmoment in Newtonmetern abgetragen hat. »Es ist ganz ein fach«, beruhigt Stanggassinger unsere ratlosen Blicke. »Das Drehmoment ist die Kraft, die der Mus kel in einer ganz bestimmten Stellung erzeugt. Je runder und gleich mäßiger die Kurven sind«, erklärt er, »umso besser ist die Muskulatur trainiert«. Nach der Kurve zu urteilen, hat er in Doris Huber eine gut durchtrainierte Mitarbeiter rin. Kein Wunder bei einer Sport lehrerin.
Der Test per ST hilft, nach einer Operation ein optimales Muskelaufbautraining zur Rehabilitation zusammenzustellen.
Ein Mausklick - und das typische Sägegeräusch signalisiert, daß der angeschlossene Epson FX-850 nun die Daten des rechten Beins ausdruckt. Georg Stanggassinger lacht und zeigt unter den Tisch: »Das ist das einzige, was mich an meinem Computersystem stört: Zum Drucken braucht der eine halbe Ewigkeit«. Unverständnis: Warum er sich nicht einfach einen Atari-Laserdrucker anschafft, schließlich ist der inzwischen vergleichsweise preiswert zu bekommen? Die Frage löst bei ihm er neute Heiterkeit aus: »Für das Geld habe ich mir lieber ein digi tales Blutdruckgerät angeschafft. Das brauchte ich nötiger. Und die zehn Sekunden kann ich dann auch warten« antwortet der Trainer dem Computerfreak. Stanggassinger hat sich inzwischen die Testdaten von Doris' linkem Fuß auf den Bildschirm ge holt. Er klickt mit dem Mauszeiger auf zwei kleine Zacken in der sich aufbauenden Kurve. Prompt schraffiert daraufhin der ST die Fläche unter dem markierten Kurvenausschnitt. »An dieser Stelle haben ihre Muskeln jeweils einen kleinen Leistungseinbruch« be kommen wir erklärt. Der gedruckten Testauswertung sind Anfangsund Endwinkel des schraffierten Bereichs zu entnehmen.
»Hier muß ich zunächst überprüfen, ob es sich um eine Muskelschwäche handelt oder um ein Gelenkproblem.« In beiden Fällen wird der AW001-Stuhl als Trainingsgerät eingesetzt: »Bei einer Muskelschwäche trainieren wir durch Zusatzübungen speziell diesen Winkel bereich. Also beispielsweise regelmäßig fünf Serien zu je acht Wiederholungen im Bereich zwischen 65 und 73 Grad«. Bei Gelenkproblemen ist es genau andersherum: »Da trainieren wir den gesamten Muskel - mit Ausnahme des kritischen Bereichs.« Dadurch wird ein kaputtes Gelenk nicht unnötig belastet. Das Training kann auch während der Gelenkbehandlung weiterlaufen.
Elektronik ergänzt Erfahrung: Georg Stanggassinger, Ex-Trainer der deutschen Damen- Skinationalmannschaft setzt in seinem Trainingszen trum einen ST ein.
Doch aus den 1000 Meßergebnissen pro Sekunde, die der ST auswertet, liest Stanggassinger noch mehr heraus: »Ich kann den Unterschied in der Kraftentwicklung der beiden Beine vergleichen«. Normalerweise sei eine Kraftdifferenz bis zu 10 Newtonmetern zwischen linkem und rechtem Bein normal. »Bei größeren Abweichungen erreichen wir durch Zusatztraining des schwächeren Beines eine optimale Leistungsverbesserung« berichtet er stolz. Das sei besonders bei Sportarten wie Skifahren wichtig, wo es auf eine möglichst gleichseitige Kraftentwicklung ankomme: »Der kann ja seinen Riesenslalom nicht nur auf dem rechten Ski fahren, nur weil dieses Bein stärker ist«.
Hier spricht der 31jährige Georg Stanggassinger aus Erfahrung. Schließlich war er bis Mitte letzten Jahres sechs Jahre lang Bundestrainer der deutschen Damen - Ski national-mannschaft. Als sich sein - jetzt neun Monate alter - Sohn Lukas an kündigte, suchte er nach Alternativen, denn »Vatergefühle kann man nur schlecht entwickeln, wenn man fast zehn Monate pro Jahr von zuhause weg ist und dabei 65000 Reisekilometer produziert«. Trotz guter Perspektiven beim Deutschen Skiverband entschied er sich für die Selbständigkeit: »Denn im Grunde bin ich ein sehr familienorientierter Mensch«.
Nach über einem Jahr der Vorbereitung und Planung eröffnete Stanggassinger im Sommer '89 sein »Institut für Sport + Rehabilitation«. Rund 1,2 Millionen Mark, verrät er, haben die Geräte und die Ausstattung der knapp 1400 Quadratmeter Institutfläche gekostet. Bei dem sonst eher zurückhaltenden Bayern kommt Begeisterung auf: »Besser konnte ich es gar nicht treffen: im Keller Fitneßgeräte und Sauna auf 700 Quadratmetern, im Erdgeschoß auf noch einmal der gleichen Fläche Computer und Rehabilitationseinrichtungen, und oben drüber die Wohnung für mich und meine Familie.«
Seine früheren Kontakte zur Sportprominenz zahlen sich noch heute aus. Die Damenmannschaft des Volleyball-Bundesligavereins Bayern Lohhof kommt zu Stanggassinger genauso zum Training wie der Kapitän der Fußball-Traditionsmannschaft 1860 München, Walter Hainer. Und selbstverständlich blieben ihm auch »seine« Skiläuferinnen der Damen-Nationalmannschaft treu. Rund 40 Patienten, schätzt der 31jährige, kommen täglich auf Verordnung ihres Arztes zu ihm. Dazu noch einmal die gleiche Zahl von Sport-und Fitneßbegeisterten aus dem Einzugsgebiet Münchens. »Nicht zu vergessen die verschiedenen Trainingslager für Fußball-, Basketball- oder Handballmannschaften«, ergänzt er nicht ohne Stolz. An der Stirnwand des Raumes, gegenüber dem Atari ST, entdecken wir ein zweites Computersystem. Es ist ein IBM-kompatibler Sanyo-AT mit Star LC10-Drucker. Daneben ein »Cybex II Isokinetic Dynamometer«. Warum verwendet er zwei verschiedene Systeme? »Die Cybex- Il-Anlage kann ich vielfältiger einsetzen«, erklärt Stanggassinger. Während er am ST nur Beinmuskeln testen und trainieren könne, (»den Quatriceps Femoris und den Ischiocruale, wenn Sie's genau wissen wollen«) eigne sich das Cybex Gerät für alle Muskeln. Darüberhinaus messe es noch wesentlich genauer als das ST-System. Warum dann dennoch die Entscheidung für den Atari ST? »Ausschlaggebend war sicher der Preis«, gesteht er. Schließlich kostet das komplette Cybex-System rund 160000 Mark. Atari ST, das Auswertungsprogramm MOVENS_3 und der Trainingsund Meßstuhl AW001 sind hingegen schon für knapp ein Drittel dieser Summe zu haben.
Georg Stanggassinger setzt deshalb die Cybex-Anlage vor allem bei Rehabilitationspatienten ein -»natürlich in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt«. Den ST verwendet er hingegen überwiegend im Fitneß- und Leistungssportbereich. »Durch die Tests mit dem Computer kann ich ein muskelkaterfreies Trainingsprogramm zusammenstellen«.
Trotz jahrelanger Erfahrung als Trainer kommt Georg Stanggassinger ohne sein Computersystem nicht mehr aus: »Wenn Du einen Trainingsplan ohne Computermessungen zusammenstellen mußt«, argumentiert er, »mußt Du schätzen: Mit wieviel Kilogramm kannst Du die Beine von dem jetzt belasten. Überlastest Du ihn, dann kriegt er im besten Fall Muskelkater. Und schätzt Du zu niedrig, dann haben die Übungen keinen Trainingseffekt.« Jedes Fitneßstudio sollte deshalb nach Stanggassingers Auffassung solch ein Leistungsdiagnostikcenter besitzen. »In den meisten Studios bekommst Du aber bislang genau denselben Trainingsplan, den schon tausend andere Leute vor Dir bekommen haben«, beklagt er sich, »und das ist Raubbau am Körper - ja, ich würde sogar sagen: Das ist ein Verbrechen am Menschen«. (uh)
Geschrieben hat das 190 KByte große Programm »MOVENS_3« der 30jährige Diplomphysiker Wolfgang Huschka - »komplett in C mit einigen Teilen Assembler, dort, wo es zeitkritisch ist«.
Zusammen mit einigen Freunden hat er vor drei Jahren die Münchner Firma »Lackner & Co GmbH« gegründet, die auch die gesamte Elektronik des Leistungsdiagnostiksystems entwickelte.
»Als wir vor drei oder vier Jahren angefangen haben, war der ST die preiswerteste Lösung«, begründet Huschka die Entscheidung für den Atari-Computer. Besonders gut gefallen haben Programmierer Huschka schon damals ST- Betriebssystem (»sehr leistungsfähig«) und die grafische Benutzeroberfläche (»damals gab es das für PC's ja noch nicht«).
Eine PC-Version von »MOVENS_3« kann sich Huschka nur dann vorstellen, »wenn der Markt es fordert«. Vorläufig will das Entwicklerteam jedoch beim Atari ST bleiben: »Warum sollten wir auch umsteigen?« Weiterentwicklungen sind schon in Arbeit. Seit einiger Zeit laufen verschiedene Testinstallationen, die zusätzlich zu den Bein- auch die Rückenmuskeln testen und überwachen. »Einige Dutzend« Fitneßstudi os setzen das Leistungsdiagnostiksystem AW001 inzwischen ein. Huschka hofft darauf, zukünftig auch Rehabilitationskliniken als Kunden zu gewinnen: »AW001 arbeitet hydraulisch und ist damit besonders bei der Bewegungsumkehrung gelenkschonender als alles, was zur Zeit auf dem Markt ist« argumentiert er. »Wenn unsere Verkaufszahlen steigen, können wir das ganze System billiger anbieten«.
Momentan mißt ein separater Z80-Rechner mit 256 KByte Zwischenspeicher und einem in Assembler geschriebenen Programm die Meßdaten - es sind 1000 pro Sekunde - und überträgt sie zum Atari ST. Warum ein eigener Meßrechner nötig ist, der ST eignet sich doch besonders gut zur Echtzeitverarbeitung? »Ais wir anfingen, kannten wir uns in Z80-Assembler gut aus«, erzählt Huschka, »hatten aber wenig Erfahrung mit 68000er-Programmierung«. Inzwischen ist das anders: ln zukünftigen Versionen soll eine ST-Einsteckkarte seine Arbeit übernehmen, »selbstverständlich auf Basis des 68000er.«
Institut für Sport + Rehabilitation, Georg Stanggassinger, Bruckmannring 6,8042 Ober schlei heim, Tel 089/3151668,
Wolfgang Huschka, Martin-Empel- Ring 10B, 8000 München 82, Tel. 089/908351