Nützliche Accessories gibt es viele. Ihr Nachteil: Sie sind nur aus GEM - Programmen aufrufbar. Mortimer umgeht dieses Problem und steht in fast jedem Programm mit nützlichen Hilfen zur Verfügung.
Mein Computer hat einen guten Geist bekommen. Um ihm und mir das Arbeitsleben zu erleichtern, habe ich einen Butler eingestellt - beste englische Schule und wirklich vielseitig. »Mortimer« ist im Auto-Ordner der Festplatte oder der Bootdiskette installiert und erscheint auf Tastendruck, um die Wünsche seines Gebieters zu erfüllen.
Sein größter Vorteil: die Zuverlässigkeit. Er erscheint auch dann, wenn sich meine anderen dienstbaren Geister (frei übersetzt: Accessories) mangels GEM-Umgebung im Streik befinden. Dabei decken Mortimers Fähigkeiten fast alle Ansprüche ab. Neben einer Reihe von Desktop Operationen mit teilweise erweiterten Fähigkeiten stehen ein Text-Editor, eine Lupe, ein Snapshot (Funktion zum Speichern eines Bildschirmausschnitts), ein Spooler (Druckerpuffer), ein Taschenrechner und eine RAM Disk (virtuelles Laufwerk im Arbeitsspeicher) zur Verfügung. Durch Drücken von < Ctrl Alt > erscheint Mortimer mit seiner Hauptseite auf dem Bildschirm und meldet sich zu Diensten (vgl. Bild 1). »Euer Lordschaft haben geläutet« ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn Mortimer begleitet seinen Auftritt mit einem charakteristischen Klingelzeichen über den Soundchip des Atari. Die einzelnen Funktionen von Mortimer sind jetzt entweder als eingetippter Befehl über die Kommandozeile, per < Alt >- Tastenkombination oder mit der Maus anzuwählen. Diese Vielfalt wird der täglichen Praxis gerecht. Bei Desktop-Operationen liegt meistens die Hand an der Maus, bei einem Textprogramm tippen die Finger lieber auf der Tastatur. Bleibt zum allgemeinen Teil nur noch zu sagen, daß sich das Erscheinungsbild von Mortimer in weiten Grenzen ändern läßt. Sowohl die Tastenkombinationen und die generelle Belegung der 20 Funktionsknöpfe sind vom Benutzer den Wünschen anzupassen. So steht bei mir statt »Ship« für die Parkfunktion der Festplatte eben »Parken«.
Der umfangreichste Teil Mortimers ist sein Editor. Er arbeitet in den Grundfunktionen in vergleichbarer Weise wie andere ASCII-Editoren: Schreiben, Cursorbewegungen mit Pfeiltasten oder Maus, Blockoperationen, Suchen und Ersetzen etc. Die <Help>-Taste zeigt eine Übersicht aller Funktionen auf den Bildschirm - eine praktische Erinnerungshilfe (Bild 2). Dabei werden ungewöhnliche Lösungen deutlich, die Mortimers Editor auszeichnen. So schalten Sie beispielsweise mit den Funktionstasten < F1 > bis < F4 > zwischen den vier Texten des Editor um. Die Funktionstasten < F6 > bis < F9 > sind verschiedenen Bildformaten zugeordnet, die der Editor ebenfalls anzeigt. Im einzelnen sind dies < F6 > für das *.PIC (Doodle-Format), < F7 > für *.PI? (unkomprimierte Degas Formate jeder Auflösung), <F8> für *.PAC (gepacktes STAD-Format) und <F9> für *.IMG (GEM-Image-Format). Mortimer unterstützt dabei auch IMG-Bilder, die größer als der Bildschirm sind. Mittels der Pfeiltasten scrollt man in jeder Richtung über das gesamte Bild und schaut sich nach und nach jeden Teil an. Die Taste <F5> kehrt wieder in den Textmodus zurück, <F10> ist für spätere Anwendungen reserviert und vorläufig unbelegt. Die Größe der Texte unterliegt den Grenzen des verfügbaren freien RAM sowie den voreingestellten Werten für maximale/minimale Speicheranforderung. Der Editor weist allerdings eine Besonderheit auf, die für Textverarbeitungsgewohnte Zeitgenossen Gewöhnung bedarf. Es findet kein automatischer Zeilenumbruch statt, und man sucht vergebens eine Einstellung der maximalen Zeilenlänge. In jede Zeile paßt ein Text beliebiger Länge. Im Test verarbeitete Mortimer problemlos eine über 800 KByte große Datei in einer Zeile. Blockoperationen mit Blockgrößen von 400 KByte schluckte das Programm fehlerfrei - alles innerhalb einer Zeile. Genauso funktionierte alles bei mehreren 100 Zeilen. Die Speicherkapazität des hier verwendeten Mega ST2 setzte der Testwut aber eine Grenze. Solche riesigen Texte fordern ihren Preis. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit in der 800 KByte-Datei war praktisch indiskutabel. Um am Ende dieses Textes ein Zeichen einzufügen, brauchte Mortimer etwa fünf Sekunden. Bei einer kurzen Datei von etwa 42 KByte war jedoch kaum ein Geschwindigkeitsunterschied zu »Tempus 2.0« festzustellen. So scrollte Mortimer diese Datei zeilenweise in 27 Sekunden, Tempus benötigte dafür 30 Sekunden. Diese beiden Werte haben in der Praxis natürlich keine große Bedeutung, Tempus bietet weit mehr Möglichkeiten der schnellen Bewegung im Text, als daß man auf das zeilenweise Scrollen bei so großen Abschnitten zurückgreifen müßte, aber immerhin.
Sehr sinnvoll ist im Editor die Maus eingesetzt. Mit der linken Maustaste positionieren Sie entweder den Cursor oder ziehen einen Block nach oben oder unten auf. Kommt die Maus an die Bildschirmgrenze, verschiebt sich der Textausschnitt entsprechend. Die rechte Maustaste schneidet den markierten Block aus und fügt ihn mit dem nächsten Klick wieder an der neuen Position ein. Selbstverständlich ist auch der Ausdruck von Texten/Textblöcken vorgesehen. Entweder drucken Sie direkt aus dem Editor, oder der zu druckende Text geht zunächst an den Spooler von Mortimer und dann ab zum Drucker.
Es gibt noch viel zum Editor zu sagen. Ich widme mich hier nur noch einem Punkt, der zugleich auf eine weitere Funktion Mortimers hinweist, die Verarbeitung von Makros. Mortimer unterstützt eine Tastenkombination, von Hause aus ist es <Alt Enter», die einen im Editor markierten Block in andere Anwenderprogramme einfließen läßt. Problematisch wird das nur, wenn diese Programme die Tastenkombination für eigene Zwecke verwenden. Abhilfe schafft das einfache Umdefinieren innerhalb von Mortimer. Dieses »Einfließen« beliebiger Texten läßt sich auch zur Erzeugung mächtiger Steuerbefehle verwenden. Das gute Handbuch von Mortimer nennt dazu einige Beispiele.
Neben dieser Funktion erlaubt der Tastaturmakrotreiber von Mortimer die Definition beliebiger Makros, auch mit Eingabepausen. Angebote etwa, die immer identische Texte aber ständig unterschiedliche Preise enthalten, lassen sich durch ein einziges Makro mit mehreren
Pausen verwirklichen. Sie rufen nur noch das Makro auf, Mortimer tippt den Text und wartet an jeder Pause auf Ihre Eingabe. Ein < Return > beendet diese Eingabe, und Mortimer schreibt das Makro weiter bis zum Ende oder zur nächsten Pause. Außerdem unterstützt der Treiber die Eingabe aller Sonderzeichen über Alternate-Tastenkombination, eine Funktion, die z.B. auf MS-DOS-kompatiblen Computern üblich ist. Makros lassen sich übrigens in beliebigen Anwendungen definieren. Bei Programmen wie »Signum«, die direkt auf die Tastatur zugreifen, funktioniert der Tastaturtreiber nicht.
Ein weiterer mächtiger Programmteil umfaßt die Desktop-Operationen wie Kopieren, Formatieren, Umbenennen etc. Dabei sind die Grundfunktionen des Betriebssystems teilweise stark erweitert und verbessert. Mortimer verwendet eine eigene Dateiauswahl-Box, die vor allem zwei wesentliche Neuerungen bietet. Zunächst ist der direkte Zugriff auf alle Laufwerke vorgesehen. Erst ab der Version TOS 1.4 gehörte das bei Atari zum Standard. Da noch viele Anwender zögern, sich für 200 Mark das neue TOS zu kaufen, ist hier ein großer Bedarf gedeckt. Noch interessanter ist das Selektieren mehrerer Dateien, die nicht im Fenster zu sehen sind. Durch Drücken der <Shift>- Taste beim Auswählen lassen sich mehrere Dateien anwählen. Verschieben Sie jetzt den Fensterausschnitt mit den Rollbalken, bleiben die bisher gewählten Dateien aktiv. Zusätzlich unterstützt Mortimer die Joker »?« und »«. Leider verlangt der Butler eine eindeutige Namensbezeichnung. Das generelle Umbenennen, z.B. aller ».D UP«-Dateien in »*.BAK«, ist nicht vorgesehen. Ebenso führt das generelle Kopieren aller Dateien in einen Ordner zu Schwierigkeiten. Mortimer findet zwar alle Dateien, will jedoch auch den Zielordner zunächst kopieren und bleibt dann in einer Schleife hängen, die immer wieder den Zielordner in das Ziel kopiert. Allerdings verhedderte er sich auch in der zwanzigsten Verschachtelung nicht und kam bei »Abbruch« brav wieder in die Anwendung zurück. Das TOS 1.2 war vollkommen überfordert mit dieser Verschachtelungstiefe. Auch Mortimer gelang es nur, eine Datei bis in die neunte Ebene zu kopieren. Das gesamte Ordnerverzeichnis ließ sich anschließend vom Desktop aus nicht löschen. Mortimer bereinigte allerdings wieder, was sein bösartiger Tester angerichtet hatte. »Kommando: Lösche gesamte Ordnerstruktur« und zwei Sekunden später war der Spuk von der Festplatte verschwunden. Bild 3 zeigt den Tatort, die Kopierfunktion von Mortimer.
Neben den erweiterten Desktop-Operationen verfügt Mortimer über einige nützliche Funktionen wie z.B. eine »Lupe« über den gesamten Bildschirm. Dabei bewegen Sie mit der Maus den Bildschirmausschnitt in jeder beliebigen Richtung weiter. »Quickmaus« gestattet die Angabe einer beliebigen Funktion, die das Laufverhalten der Maus bei schnellen und langsamen Bewegungen bestimmt. Außerdem ist eine Rasterweite einzustellen, die den Mauszeiger z.B. immer um zehn Pixel weiterbewegt - in manchen Zeichenprogrammen ohne eigene Rasterfunktion eine große Hilfe. Dazu gibt es einen »Snapshot«, der dank des Mortimer-Konzeptes an beliebigen Stellen Bildschirme aus Programmen ausschneidet Als hilfreich für die Anpassung an verschiedene Arbeitsumgebungen erweist sich die Funktion »Inf— Dateien laden«. Hier speichern Sie mittels des beigefügten Programms »Edit_Inf« unterschiedliche Konfigurationen in einzelnen Blöcken und laden diese bei Bedarf in den laufenden Mortimer. Das betrifft etwa die Einstellung der Hauptseite, die RAM-Disk, verschiedene Tastaturtreiber mit Makros und unterschiedlichen Zeichensätzen sowie die Zugriffsberechtigung für verschiedene Programme.
Unser letzter Punkt der Vorstellung: der integrierten »Virus-Wächter«. Mortimer kontrolliert die Bootsektoren der eingelegten Disketten und meldet sofort einen ausführbaren Bootsektor. Das bedeutet jedoch nicht in jedem Fall einen Virus, denn viele Programme verwenden zum Selbststart Bootsektorprogramme. Genaueres klärt dann ein Anti-Viren-Programm wie z.B. »Sagrotan«. Zusätzlich warnt Mortimer vor Linkviren. Greift ein Programm auf ein anderes ausführbares Programm schreibend zu, vermutet Mortimer einen Linkvirus, unterbricht die Operation und gibt eine entsprechende Meldung aus. Sie bestimmen jetzt, ob der Zugriff berechtigt ist oder nicht. Dabei greift Mortimer auf eine Liste mit Zugriffsberechtigungen zurück, die sich mit dem Programm Edit_Inf ändern läßt. Am Ende dieses mehrwöchigen Tests kann ich Mortimer große Zuverlässigkeit bescheinigen. Das Programm hatte mit Ausnahme der beschriebenen Einschränkungen beim Tastaturtreiber in keiner Anwendung Schwierigkeiten. Vieles ließe sich noch berichten, vom Taschenrechner etwa, der mit der Genauigkeit der Numerik-Bibliothek von Omikron arbeitet. Neben der guten Auswahl der Funktionen ist das offene Konzept Mortimers hervorzuheben. Mir wäre ein Terminkalender mit Weckfunktion recht, um nicht den Abgabetermin für ein Manuskript zu »vertesten«.
Name: Mortimer
Preis: 69 Mark
Hersteller: Omikron
Stärken: sehr zuverlässig □ gut zusammengestelltes, vielfältiges Funktionsangebot □ offenes Konzept □ leicht an eigene Bedürfnisse anzupassen □ läuft auf Farbe und S/W □ gutes Handbuch □ gemessen an der Funktionsvielfalt sehr preiswert
Schwächen: Editor hat keinen automatischen Zeilenumbruch □ keine Unterstützung des Clip-Boards
Fazit: Mortimer faßt die meisten wichtigen Utility—Funktionen zusammen, für mich inzwischen unverzichtbar