Spielkonsole Lynx II: Fun in der Straßenbahn

Mit dem Lynx II präsentiert Atari seinen Fans ein Gerät, das der Konkurrenz in vieler Hinsicht überlegen ist. Reicht Technik allein zum großen Durchbruch?

Die Spielkonsole lockt meistens dann, wenn’s nix anderes zu tun gibt: zum Abreagieren nach Feierabend, in der Mittagspause, in der kurzen Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden oder Vorlesungen, in der U-Bahn, S-Bahn, im Linienbus, wenn die Konzentration für die »Spiegel«-Lektüre oder das Lernen im Physikbuch fehlt, im Wartezimmer beim Arzt, bei der nächtlichen Bereitschaft in Krankenhaus oder Kaserne, bei Feuerwehr oder Rettungssanitätern, beim Job im Parkhaus oder an der Tankstelle ...

Handheld-Spielkonsolen zieht man aus fast jeder Tasche, Kopfhörer oder Ohrenstöpsel auf (um die Umwelt zu schonen), und schon geht’s los — Lynx, die Fünf-Minuten-Terrine für Joypad-Junkies.

Gegen Giganten wie Nintendo (»Game Boy«) oder Sega (»Game Gear«) sieht Atari mit seinem »Lynx II« natürlich ziemlich alt aus — zumindest, wenn es um den Einsatz von Werbebudgets und den Streit um Marktanteile geht. Leider hatte Atari mit dem Lynx I erhebliche Lieferschwierigkeiten, die nach Firmenaussagen mit Engpässen bei der Versorgung mit Farb-LC-Displays zusammenhingen. So kühlte die erste Begeisterung schnell wieder ab und Atari verpaßte die Chance, im Streit um den heiß umkämpften europäischen Konsolenmarkt wenigstens ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen.

Mittlerweile ist auch der seit längerem fertiggestellte und verbesserte Lynx II voll lieferbar, so daß Atari das Rennen mit Verspätung wieder aufnehmen kann. Allerdings wären erhebliche Werbebudgets notwendig, um halbwegs Anschluß an die Giganten Nintendo und Sega zu finden — ein Werbekrieg, den Atari niemals gewinnen könnte. Also begnügen sich die Sunnyvaler weitgehend mit dem Hinweis auf die technische Überlegenheit des Lynx II und hoffen einmal mehr darauf, daß sich der Erfolg nach und nach von selbst einstellt.

Vergleicht man die Daten (s. Tabelle) der drei konkurrierenden Handhelds Game Boy, Game Gear und Lynx II, stellt sich schnell heraus, daß der Lynx II den viel erfolgreicheren Kollegen technisch überlegen ist.

Im Lynx II teilen sich mehrere 16-Bit-Custom Chips die Aufgaben des Video- und Soundbereichs. Durch den 16 Bit breiten Datenbus der beiden Subsysteme und den 16-MHz-Systemtakt erreicht der Handheld eine Leistungsfähigkeit, die sich mit der Qualität der modernsten Spielkonsolen für Fernsehanschluß vergleichen läßt (»Super Nintendo Entertainment System« und »Sega Mega Drive«).

Natürlich hängt das Soundfeeling letztendlich vom angeschlossenen Lautsprecher ab. Der kleine Quäker im Lynx II kann jedenfalls keinem Fernsehlautsprecher Paroli bieten und vom Stereosound bleibt wenig übrig. Richtig Spaß macht der Lynx II also erst mit einem guten Walkman-Stereokopfhörer: Glasklare Sprachausgabe und knallige Samples erzeugen z. B. beim Flippersimulator »Pinball Jam« echte Spielhallenatmosphäre. Über den Lautstärkeregler an der Frontseite des Lynx II können sich Arcade-Junkies problemlos einen Burnout bis zur Schmerzgrenze verpassen.

Lynx II mit allerlei Zubehör »Soccer«-Menü »Soccer«

Handheld-Konsolen im Vergleich »Ninja Gaiden« »Pinball Jam«

Lynx	Gane Boy	Gane Gear

Grafikchip IG Bit 8 Bit 8 Bit 3D ja nein nein Soundchip 16 Bit 8 Bit 8 Bit Tonausgabe Stereo Mono Hono Farbe ja nein ja SoftHaretitel > 50 > 5B > 50 Preis inkl. Spiel 268,- 149,- 279,- Spiele ab 65,- ab 49,- ab 60,-

Das 4,5 x 7,5 cm große Farb-LCD ist zwar das größte aller Handheids, kann aber natürlich keinen Farbmonitor ersetzen. Trotzdem wurde es im Vergleich zum Lynx I spürbar verbessert und stellt für den Preis der Konsole schon eine kleine Sensation dar. Die Hintergrundbeleuchtung wurde verbessert, sie sorgt für gleichmäßigere Ausleuchtung und höheren Farbkontrast. Einen optimalen Blick auf die maximal 4096 Farben des LCD bietet der Lynx II bei leicht nach unten versetzter Draufsicht.

Auch das etwas schwammige Tasten-Feeling des Lynx I hat sich gebessert, lediglich die Optionstasten sind manchmal etwas schwer zu treffen, was sich negativ bei Spielen auswirkt, bei denen es auf blitzschnelles Wechseln zwischen mehreren Tasten ankommt. Mit sechs neuen 2,5-V-Batterien läuft der Lynx II je nach Bildhelligkeit, Lautstärke, Qualität der Zellen und Außentemperatur runde fünf Stunden, bevor das Bild schwächer wird und die Energiewarnung zu flimmern beginnt. Ein Steckernetzteil wird mitgeliefert, der Einsatz von Akkuzellen ist möglich, ein Adapter für den Zigarettenanzünder im Auto gibt’s als Zubehör. Geblieben ist die pfiffige Umkehrfunktion des Bildes für Linkshänder, die Aktionsknöpfe und Joypad durch Drehen der Konsole vertauscht.

Ein Feature, das kein anderer Handheld bietet, ist das Zusammenschließen mehrerer Konsolen über das sog. Comlynx-Kabel (Zubehör), so daß maximal acht Spieler (spielabhängig) mit- und gegeneinander spielen können — z. B. beim Flugsimulator »Warbirds« ein Heidenspaß! Jeder Spieler muß einen Lynx und dasselbe Modul besitzen.

Alle Spiele des Lynx I lassen sich auch auf dem Lynx II betreiben, sie werden jetzt bequem erreichbar an der Unterseite der Konsole im Steckplatz verankert. Im Gegensatz zu vielen Cartridges für die 16-Bit-Konsolen Super NES und Mega Drive bleiben Spielstände und Highscores des Lynx nur bei eingeschalteter Konsole im Arbeitsspeicher erhalten, da auf den streichholzbriefgroßen Cartridges natürlich weder Platz für statische RAMs noch für die Dauerstromspeisung über eine kleine Batterie ist. Super NES und Mega Drive sind aber auch keine Handhelds.

Außerdem sind bereits Vorbereitungen im Gange, auch größere Projekte für den Lynx II umzusetzen: So soll im Frühjahr das populäre Rollenspiel »Eye of the Beholder« für Lynx umgesetzt und mit Batterie ausgeliefert werden. Der Lynx erlaubt Spiele bis 16 MBit.

Womit wir bei den aktuellen Spielen für den Lynx II wären: Geplant ist eine Umsetzung des mittlerweile legendären Psygnosis-Hits »Lemmings« sowie der Computergame-Hit »Rolling Thunder«. Außerdem werden wohl einige Lynx-Spiele in Deutschland erscheinen, die momentan noch ausschließlich für den US-Markt lieferbar sind, z. B. der Arcade-Olie »Qix« oder das Geschicklichkeitsspiel »Crazy Ace Minigolf«.

Ganz neu erschienen ist »Hydra«, ein Geschicklichkeitsspiel, in dem der Spieler in einem Schnellboot übers Wasser flitzt und entgegenkommende Schiffchen und Minen mit der Bordkanone vom Display pustet — geht so! Empfehlenswerter sind der actiongeladene U-Boot-Simulator »Turbo Sub« oder die lustige Hetzjagd »Toki«, in der ein wildgewordener Affe seine Gegner hüpfend-und springenderweise mit schlechtem Atem umlegt.

Besonders empfehlenswert für Spielhallen-Freaks: die tolle Flippersimulation »Pinball Jam«. Hobbyflieger dürfen sich am Doppeldeckerspektakel »Warbirds« freuen, Geschicklichkeitsfreaks am süßen »Super Sweek«, Gehirnakrobaten am nagelneuen »Ishido« und die Sportsfreude kommen mit »Awesome Golf«, »Hockey« oder »Soccer« auf ihre Kosten, (hu)

Eine Liste aller lieferbaren Lynx Spiele nebst Kurzbeschreibung erhalten Sie auf Anfrage direkt bei Atari Computer oder über die Redaktion.

Atari Computer GmbH, Am Kronberger Hang 2, 6231 Schwalbach/Taunus

Lynx II mit Steckernetzteil und Cartridge

Sechs Batterien oder Akkus reichen ca. fünf Stunden

»War Birds« Briefing

»War Birds« Dogfight


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 03 / 1993, Seite 38

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